Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Die Betroffene lebt zusammen mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder in äußerst beengten Wohnverhältnissen. Die Mutter spricht nicht deutsch und ist finanziell von den Leistungen, die sie für die Tochter erhält, abhängig. Sie verhindert deshalb den Auszug der Betroffenen in eine betreute Wohneinrichtung, obwohl dies dem eindeutigen Wunsch der Betroffenen entspricht. Die Betroffene hat Schulden in unbekannter Höhe. Es besteht eine akute Selbstgefährdung der Betroffenen.
Nach Anregung der Bestellung eines Sachwalters für die Bereiche Finanzen, Vertretung vor Ämtern und Behörden und Wohnangelegenheiten, holte das Erstgericht einen Clearingbericht des Vertretungsnetzes (Sachwalterschaft) ein, der ergab, dass keine geeignete nahestehende Person bekannt ist, die die Sachwalterschaft übernehmen kann.
Nach der Erstanhörung bestellte das Erstgericht den Revisionsrekurswerber, einen Rechtsanwalt, zum Verfahrenssachwalter gemäß § 119 AußStrG. Dieser hatte davor in zwei Telefonaten mitgeteilt, dass er grundsätzlich keine Sachwalterschaften übernehme bzw nicht erfreut wäre, zwangsweise dazu verpflichtet zu werden, konnte aber keinen triftigen, dagegen sprechenden Grund nennen.
Seinem Rekurs gegen die Bestellung zum Verfahrenssachwalter gab das Rekursgericht nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne der eventualiter beantragten Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen berechtigt.
Nach § 119 AußStrG hat das Gericht, wenn das Verfahren aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung fortzusetzen ist, für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen. Hat die betroffene Person keinen gesetzlichen oder selbst gewählten Vertreter oder widerstreiten einander dessen Interessen und diejenigen der betroffenen Person, so hat ihr das Gericht einen Verfahrenssachwalter zu bestellen.
Die Kriterien des ABGB für die Auswahl der Person des Sachwalters galten nach der ständigen Rechtsprechung zum früheren Außerstreitgesetz auch für den Verfahrenssachwalter (RIS-Justiz RS0110987; 2 Ob 296/98p, 10 Ob 60/00x, 7 Ob 323/01b).
Das Außerstreitgesetz 2005 hat die davor in einem Paragrafen (§ 238 AußStrG aF) enthaltenen Bestimmungen über den Verfahrenssachwalter und den einstweiligen Sachwalter auf zwei Paragrafen aufgeteilt. Die Bestimmung des § 119 AußStrG 2005 entspricht aber im Wesentlichen jener des § 238 Abs 1 AußStrG aF. Neu sind lediglich die ausdrückliche Erwähnung materieller Kollisionsfälle sowie der Wechsel in der Bezeichnung des Sachwalters (ErlRV zu § 119 abgedruckt bei Fucik/Kloiber, AußStrG § 119).
Was die Auswahl der Person des Verfahrenssachwalters betrifft, enthält das AußStrG keine eigenen Regelungen. Da sich insoweit im Vergleich zum früheren AußStrG nichts geändert hat, ist mit der Judikatur zu diesem davon auszugehen, dass die Kriterien des ABGB, somit nunmehr jene des § 279 ABGB, auch auf die Bestellung des Verfahrenssachwalters anzuwenden sind.
In dieser Bestimmung ist aber ein Stufenbau für die Auswahl des Sachwalters vorgesehen (4 Ob 126/08w, 10 Ob 18/08g). In erster Linie ist eine nahestehende Person, in zweiter Linie ein Sachwalterverein und erst in dritter Linie ein Rechtsanwalt oder Notar oder deren Berufsanwärter zu bestellen. Nur wenn besondere Rechtskenntnisse notwendig sind, ist die unmittelbare Bestellung einer Person der letztgenannten Berufsgruppen zulässig. Ebenso ist ein geeigneter Verein unmittelbar zu bestellen, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Sachwalterschaft verbunden sind, wie insbesondere sozialarbeiterische oder psychologische Fähigkeiten (7 Ob 120/09m) oder der Umgang mit besonders schwierigen Personen (Pfurtscheller in Schwimann, ABGB-TaKomm § 279 ABGB Rz 6, 9).
Bestehen solche besonderen Erfordernisse nicht, ist bei der Auswahl des Sachwalters der gesetzliche Stufenbau einzuhalten und hat dessen Verletzung die Aufhebung des Bestellungsbeschlusses zur Folge (vgl 4 Ob 126/08w).
Dass im vorliegenden Fall wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten die Bestellung eines Rechtsanwalts nötig wäre, ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch haben die Vorinstanzen die Bestellung des Revisionsrekurswerbers dahingehend begründet. Dennoch hat das Erstgericht nur erhoben, dass eine nahestehende Person als Sachwalter nicht zur Verfügung steht, nicht dagegen als nächste Stufe, ob die Bestellung eines Sachwaltervereins in Frage käme.
Damit kann noch nicht beurteilt werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Rechtsanwalts vorliegen, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben waren und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Erhebung aller entscheidungsrelevanten Umstände aufzutragen war.
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