OGH 2Ob157/04h

OGH2Ob157/04h1.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Bundesbahnen, ***** vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei M***** A.S., CZ-***** Praha ***** vertreten durch Zamponi.Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte OEG in Linz, wegen EUR 244.967,99 sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 19. März 2004, GZ 16 R 50/04x-24, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 12. Jänner 2004, GZ 20 Cg 67/03v-19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 4.250,52 (darin enthalten USt von EUR 708,42, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Schadenersatzklage von der beklagten Partei, die ihren Sitz in Tschechien hat, die Zahlung von EUR 244.967,99 mit der Begründung, am 17. 3. 2002 habe sich im Bahnhof Breitenstein am Semmering ein Unfall ereignet, bei dem ein Waggon entgleist sei. Die Ware sollte von Tschechien über Österreich nach Slowenien transportiert werden. Auslöser für den Unfall sei das Verrutschen der Ladung gewesen; dieses sei wiederum durch eine nicht ordnungsgemäße Sicherung der Ladung hervorgerufen worden.

Die Klägerin stützt die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes auf den Gerichtsstand des Schadenseintrittes in Breitenstein (§ 92a JN); hilfsweise wurden auch der Gerichtsstand des Vermögens und jener des Erfüllungsortes geltend gemacht.

Die Beklagte wendete die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes mit der Begründung ein, ein den Schaden verursachendes Verhalten in Form einer nicht ordnungsgemäßen Sicherung der Ladung könne denkmöglich nur am Verladeort in Tschechien gesetzt worden sein. Die beklagte Partei habe als Absender die Beladung selbst gar nicht vorgenommen und sei dazu auch nicht vertraglich verpflichtet gewesen.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit mit der Begründung zurück, bei Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort sei allein jener Ort maßgebend, an dem das schädigende Verhalten gesetzt worden sei. Der Ort des Eintrittes der schädigenden Wirkung habe außer Betracht zu bleiben. Die vom EuGH zu Art 5 Z 3 EuGVÜ entwickelte Ubiquitätstheorie sei nicht anzuwenden, weil sie nur für außervertragliche Schadenersatzansprüche gelte. Der Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 JN sei nicht gegeben, weil die klagende Partei dazu keine Details vorgebracht habe, auch das Vorliegen einer Vereinbarung im Sinne des § 88 Abs 1 JN sei nicht behauptet worden.

In dem dagegen erhobenen Rekurs wurde von der klagenden Partei nur mehr der Gerichtsstand nach § 92a JN geltend gemacht, die Gerichtsstände des Vermögens und des Erfüllungsortes sind somit aus dem Rechtsmittelverfahren ausgeschieden.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der klagenden Partei Folge, es hob den angefochtenen Beschluss ersatzlos auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig.

Das Rekursgericht führte zum Gerichtsstand nach § 92a JN aus, dass nach überkommener Auffassung für den Gerichtsstand der Schadenszufügung jener Ort maßgeblich sei, an dem die den Schaden auslösende Handlung gesetzt worden sei, der Ort des Eintritts der Schadensfolge habe demgegenüber bei Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort grundsätzlich außer Betracht bleiben. Teilweise sei auch die Auffassung vertreten worden, dass bei Distanzhandlungen sowohl der Ort der Handlung, als auch der Ort, an welchem die Handlung den Schaden verursachte, zuständigkeitsbegründend sei.

Neuerdings werde allerdings in der Lehre die Auffassung vertreten, die bisherige Auslegung des § 92a JN sei nach dem Beitritt Österreichs zum EuGVÜ/LGVÜ nicht aufrecht zu erhalten. Vielmehr sei § 92a JN konform mit Art 5 Z 3 EuGVÜ/LGVÜ zu interpretieren, sodass dem Kläger ein Wahlrecht zwischen Handlungs- und Erfolgsort zukomme. Nach der vergleichbaren Bestimmung des Art 5 EuGVÜ/LGVÜ (nunmehr ebenso Art 5 Nr 3 EuGVVO) könnten Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung vor dem Gericht des Ortes geltend gemacht werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei. Darunter seien sowohl der Ort, an dem der Schaden eingetreten sei, als auch der Ort des ursächlichen Geschehens zu verstehen.

Diese Bestimmungen seien nicht unmittelbar anzuwenden, weil die Anwendbarkeit des II. Kapitels der EuGVVO bzw des EuGVÜ/LGVÜ voraussetze, dass der Beklagte in einem Vertragsstaat seinen Wohnsitz habe. Gegenüber Drittstaaten richte sich die Zuständigkeit ausschließlich nach autonomem Recht.

Im Rahmen der Auslegung des autonomen innerstaatlichen Rechts sei jedoch die Interpretation des Art 5 Nr 3 EuGVÜ durch den EuGH zu berücksichtigen, um sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen zu vermeiden. Dies müsse jedenfalls dann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Schadenseintritt nicht die Folge eines in seinen Fernwirkungen nicht konkret vorhersehbaren Unglücksfalles darstelle, sondern die Fahrtroute vorgegeben und damit bekannt gewesen sei. Dadurch, dass der Schadenseintritt in Österreich konkret vorhersehbar gewesen sei, weise der Sachverhalt Berührungspunkte zu jenen Fällen auf, in denen der Schädiger auf den Schadenseintritt im Ausland geradezu abgezielt habe.

Dass Art 5 Nr 3 EuGVÜ/LGVÜ/EuGVVO nur für außervertragliche Schadenersatzansprüche gelte, stehe dem nicht entgegen, weil § 92a JN insoferne nicht differenziere. Wenn zur Wahrung des Rechtsanwendungsgleichklanges zwischen Art 5 Nr 3 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ einerseits und § 92a JN anderseits die vom EuGH entwickelte Ubiquitätstheorie auch für die Auslegung des § 92a JN maßgeblich sei, müsse dies auch für außervertragliche Schadenersatzansprüche gelten.

Schließlich habe die klagende Partei die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auch auf § 99 JN gestützt und dazu vorgebracht, die beklagte Partei entfalte "rege Exporttätigkeit nach Österreich" und besitze auch "namhafte Forderungen gegen im Sprengel des Landesgerichtes Wiener Neustadt ansässige Unternehmen". Die beklagte Partei habe zwar das Vorliegen namhafter Forderungen bestritten, nicht jedoch ihre umfangreiche Exporttätigkeit, welche zwangsläufig zum Entstehen von Forderungen führe.

Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht für zulässig, weil zur Frage, ob die Interpretation des Art 5 Nr 3 EuGVÜ durch den EuGH auch Einfluss auf die Auslegung der innerstaatlichen Bestimmung des § 92a JN entfalte, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsrekursbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Partei zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht aufgezeigten Grund zulässig, er ist auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, weder die Bestimmung des Art 5 EuGVÜ/LGVÜ, noch jene des Art 5 Nr 3 EuGVVO finde unmittelbar Anwendung, weil sie zum maßgeblichen Zeitpunkt der Klagseinbringung ihren Sitz nicht in einem Vertragsstaat habe.

Die Auslegung der autonomen innerstaatlichen Norm des § 92a JN habe nicht im Lichte der Entscheidungspraxis des EuGH zu erfolgen, weil diese Entscheidungen ausschließlich zu Zuständigkeitsfragen im Bereich des LGVÜ/EuGVÜ und des EuGVVO ergangen seien. Die vom Rekursgericht ins Treffen geführte Ubiquitätstheorie sei daher nicht anzuwenden.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Art 5 LGVÜ/EuGVO/EuGVVO ist auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, weil die beklagte Partei zum maßgeblichen Zeitpunkt der Klagseinbringung ihren Sitz nicht in einem der Mitgliedsstaaten hatte (Art 4 Abs 2 LGVÜ/EuGVÜ/EuGVVO). Es gilt daher das österreichische (internationale) Zuständigkeitsrecht (8 Ob 105/99w; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2, Art 4 EuGVVO Rz 1).

Nach dem daher anzuwendenden § 92a JN können Streitigkeiten über den Ersatz des Schadens, der aus der Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, aus einer Freiheitsberaubung oder aus der Beschädigung einer körperlichen Sache entstanden ist, auch bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist. Wie sich aus den Gesetzesmateralien zu dieser durch die ZVN 1983 eingeführten Bestimmung (669 BlgNR XV. GP 39) ergibt, hat sich der Gesetzgeber von den verschiedenen Möglichkeiten der näheren Umschreibung des Schadensortes - entweder des Ortes, an dem das schädigende Verhalten gesetzt worden ist, an dem es seine schadensauslösende Wirkung zeigte oder an dem der Schaden eingetreten ist - für die erste Möglichkeit entschieden. Nach einhelliger Rechtsprechung (7 Ob 541/92 [= ecolex 1992, 629 = EvBl 1992/138 = IPRax 1993, 187 = JBl 1992, 655 = ZfRV 1993, 32]; 9 Ob 130/93p) und einem Teil der Lehre (Mayr in Rechberger2, ZPO, § 92a JN Rz 2; Schalich, Überblick über die Zivilverfahrens-Novelle 1983, ÖJZ 1983, 253 [256]; Lorenz, Internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte für Klagen gegen ausländische Produzenten, IPRax 1993, 193) ist daher beim Gerichtsstand der Schadenszufügung nach § 92a JN allein auf den Handlungsort und nicht auch auf den Erfolgsort abzustellen.

Allerdings wird von Simotta (in Fasching2 I § 92a JN Rz 9) und Rechberger/Simotta (Grundriss des österr. Zivilprozessrechts6, Rz 130) die Ansicht vertreten, die Schadenersatzklage könne analog zu der vom EuGH zu Art 5 Z 3 EuGVÜ entwickelten Ubiquitätstheorie auch bei jenem Gericht eingebracht werden, in dessen Sprengel der Ort liege, an dem der unmittelbare Schaden eingetreten sei. § 92a JN werde konform mit der genannten Bestimmung dahingehend zu interpretieren sein, dass der Kläger ein Wahlrecht habe. Dieser Ansicht vermag sich allerdings der erkennende Senat nicht anzuschließen. Eine analoge Anwendung der genannten Bestimmung des EuGVÜ/LGVÜ wurde schon in der Entscheidung 9 Ob 130/03p abgelehnt, weil keine Regelungslücke vorliegt, die zu schließen wäre. Es wäre zwar sicher - wie das Rekursgericht darlegt - zweckmäßig, wenn die Auslegung der Bestimmungen des § 92a JN und des Art 5 Z 3 LGVÜ/EuGVÜ/EuGVVO zum gleichen Ergebnis führte. Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass der Gesetzgeber der ZVN 1983 durch den Wortlaut des § 92a JN im Zusammenhang mit den Erläuterungen der RV klar zum Ausdruck gebracht hat, zuständig sei (nur) jenes Gericht, in dessen Sprengel das schadensverursachende Verhalten gesetzt worden sei.

Zutreffend hat daher das Erstgericht erkannt, dass die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nicht auf den Gerichtsstand der Schadenszufügung nach § 92a JN gestützt werden kann. Auf die anderen Gerichtsstände ist, weil die klagende Partei darauf im Rekurs nicht mehr zurückgekommen ist, nicht mehr einzugehen.

Es war daher dem Revisionsrekurs der beklagten Partei Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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