European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0020OB00156.75.1120.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Bei einem Verkehrsunfall am 10. 3. 1971 wurde P* H*, der Ehegatte der Erstklägerin und Vater des Zweit- und des Drittklägers, tödlich verletzt. Das Alleinverschulden am Unfall traf L* G*, den Lenker eines Kraftfahrzeuges, dessen Halter R* A* war. Das Verfahren gegen L* G*, zunächst Erstbeklagter, wurde mangels Klagszustellung nicht vorgesetzt; hinsichtlich des Halters A*, zunächst Zweitbeklagter, wurde es mit Urteil des Erstgerichtes vom 7. 11. 1974, GZ 2 Cg 70/74‑14, mangels Erhebung weiterer Rechtsmittel rechtskräftig abgeschlossen. Die Haftpflicht der zunächst drittbeklagten, jetzt nur noch einzigen beklagten Partei aus dem gegenständlichen Unfall gegenüber den Klägern ist unbestritten.
Bereits im Verfahren GZ 1 Cg 1106/71 (1102/72) des Erstgerichts wurde der Erstklägerin mit Urteil vom 18. 9. 1972 bzw. Anerkenntnisurteil vom 27. 3. 1973 Schadenerstz zuerkannt. Mit einem weiteren Anerkenntnisurteil des Erstgerichts vom 25. 6. 1974, GZ 2 Cg 427/73‑10, wurde festgestellt, daß R* A* der Erstklägerin für alle Schäden aus dem obgenannten Unfall mit 100 % haftet, ferner, daß A* und der beklagte Verband der Versicherungsunternehmungen Österreichs dem Zweit- und dem Drittkläger für alle Schäden aus dem Unfall zu 100 % haften, die Beklagte jedoch nur insoweit, als diese Ansprüche in der Versicherungssumme Deckung finden.
Mit den vorliegenden, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehren die Kläger von den eingangs angeführten Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz (weiteren) entgangenen Unterhalts, und zwar die Erstklägerin einen Rückstand von S 2.100,— für die Zeit vom August 1972 bis einschließlich Jänner 1973 und eine Monatsrente von S 2.000,— ab 1. 2. 1973 auf die Dauer des Witwenstandes, längstens bis einschließlich September 2016; der Zweit- und Drittkläger eine Monatsrente von je S 450,— ab 1. 2. 1973 bis zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit, längstens ebenfalls bis einschließlich September 2016.
Die Beklagten beantragten Klagsabweisung, wobei die (nun noch) beklagte Partei einwendete, daß ihr gegenüber deshalb kein Anspruch mehr bestehe, weil die zur Verfügung stehende Versicherungssumme von S 600.000,— bzw. der noch vorhandene Rest von S 400,000,— zur Gänze für die Deckung der vorrangigen Regressansprüche der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Reserve gehalten werden müsse, welche Ansprüche pro Jahr den Betrag von S 30.000,— erreichten. Zum Unfallszeitpunkt sei die Erstklägerin 22, der Zweitkläger 3 und der Drittkläger 2 Jahre alt gewesen. Kapitalisiere man die Pensionsleistungen des Sozialversicherungsträgers, so komme man überschlägig zu einem Betrag von mindestens S 800.000,—, welcher die Versicherungssumme also übersteige. Darüber hinaus sei in Zukunft mit Rentenerhöhungen hinsichtlich aller Kläger zu rechnen, wogegen die Versicherungssumme nicht aufgewertet werde.
Das Erstgericht erkannte im Sinne der Klagebegehren und stellte unter anderem fest, daß die Erstklägerin von der PVA der Angestellten Witwenpension bezog bzw. bezieht, und zwar von August bis Dezember 1972 unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen monatlich S 975,75, im Jänner 1973 S 1.036,18 und von Februar bis einschließlich Dezember 1973 monatlich S 896, — zuzüglich zweier Sonderzahlungen von je S 841,10 sowie vom 1. 1. bis 30. 4. 1974 monatlich S 894,20 und im Mai 1974 S 394,30 zuzüglich einer Sonderzahlung von S 390,30. Von da an beträgt die Witwenpension S 394,30 zuzüglich zweier Sonderzahlungen jährlich. Der Zweit- und der Drittkläger bezogen an Waisenpension im Jahre 1973 monatlich je S 438,80 und im Jahre 1974 je S 484,40, jeweils zuzüglich zweier Sonderzahlungen. Davon sowie von den weiteren Feststellungen über das Einkommen des Getöteten bzw. die Unterhaltsansprüche der Kläger ausgehend, errechnete das Erstgericht den Entgang der Erstklägerin mit S 2.000,— und den des Zweit- und Drittklägers mit je S 450,— monatlich.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht die Frage der Leistungspflicht der beklagten Partei dahin, daß nach § 332 ASVG. die Ansprüche der Kläger auf die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten übergegangen und daher insoweit erloschen seien, als die Pensionsversicherungsanstalt Leistungen im Rahmen des Deckungsfonds gegen die Beklagten erbringe. Die Legalzession sei mit dem Eintritt des Versicherungsfalles, das ist mit dem Tode des Versicherten, wirksam geworden. Soweit eine Leistungsverpflichtung des Sozialversicherungsträgers dem Geschädigten gegenüber bestehe, sei dieser unabhängig davon, ob er diese Leistungen in Anspruch nehme oder nicht, zur Geltendmachung des Ersatzanspruches gegenüber dem Schädiger aktiv nicht legitimiert. Damit sei aber für den Reststandpunkt der beklagten Partei nichts gewonnen. Denn die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers stehe nur dem Grunde, nicht aber der Höhe nach fest. Daher könne ein Rechtsübergang nicht von vornherein im Umfang eines bestimmten Geldbetrages angenommen werden. Dies führe zum Schluß, daß eine zur Deckung von Ersatzansprüchen nach § 332 ASVG. und von Direktansprüchen Hinterbliebener zur Verfügung stehende Versicherungssumme nicht schon bei Eintritt des Todes des Versicherten zur Gänze dem Sozialversicherungsträger zur Verfügung zu stellen sei, sondern nur insoweit, als dieser Leistungen zu erbringen habe. Es komme also nur darauf an, ob bei Fälligkeit der Rentenleistungen bereits ein Rechtsübergang in bestimmter Höhe stattgefunden habe. Demnach habe die beklagte Partei beide Gläubiger, also zum einen die Kläger und zum anderen die Pensionsversicherungsanstalt so lange zu befriedigen, bis die Höhe der Haftpflichtversicherungssumme erreicht sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und hob das Ersturteil, soweit es sich auf die (bis dahin zweit)beklagte Partei bezog, unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache im Umfange der Aufhebung zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, daß im gegebenen Falle die Vorschriften des § 155 Abs 1 VersVG. und des § 336 ASVG. entscheidungswesentlich seien. Nach § 155 Abs. 1 VersVG könne der Versicherungsnehmer, wenn er einem Dritten zur Gewährung einer Rente verpflichtet ist und die Versicherungssumme den Kapitalwert der Rente nicht erreicht, nur einen verhältnismäßigen Teil der Rente verlangen. Die Bestimmung des § 336 ASVG. regle hingegen die Konkurrenz von Ansprüchen mehrerer Versicherungsträger dahin, daß, wenn Ersatzansprüche mehrerer Versicherungsträger gemäß § 332 ASVG. aus demselben Ereignis zusammentreffen, welche die aus einer bestehenden Haftpflichtversicherung zur Verfügung stehende Deckungssumme übersteigen, sie aus dieser unbeschadet der weiteren Haftung des Ersatzpflichtigen im Verhältnis ihrer Ersatzforderungen zu befriedigen sind. Hiebei gehe ein gerichtlich festgestellter Schmerzengeldanspruch den Ersatzansprüchen der Versicherungsträger im Range vor. Aus dieser Vorschrift habe die Rechtssprechung arg. e contr. abgeleitet, daß eine bevorzugte Befriedigung aus der unzulänglichen Deckungssumme der Haftpflichtversicherung dem Geschädigten nur hinsichtlich des Schmerzengeldes zusteht, wogegen in allen anderen Belangen die Ersatzforderungen des Sozialversicherungsträgers den Ersatzansprüchen des Geschädigten vorgehen. Soweit also eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers dem Geschädigten gegenüber besteht, sei der Geschädigte unabhängig davon, ob er diese Leistungen in Anspruch nimmt oder nicht, zur Geltendmachung des Ersatzanspruches dem Schädiger gegenüber aktiv nicht legitimiert. Der Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger erfolge nicht „nach Maßgabe dessen Leistungen“ an den Geschädigten, vielmehr verliere der Geschädigte die Aktivlegitimation sofort, weil sonst der Schädiger Gefahr liefe, zuerst vom Geschädigten auf Leistung von Schadenersatz und nach Inanspruchnahme der Leistungen des Sozialversicherungsträgers von letzterem auf Rückersatz der an den Geschädigten erbrachten Leistungen belangt zu werden.
Hieraus ergebe sich für den vorliegenden Fall, daß den Klägern dann kein Rentenanspruch nach § 1327 ABGB. gegenüber der beklagten Partei zustehe, wenn der Kapitalwert der Rentenzahlungen die Haftpflichtversicherungssumme übersteigt. Da das Erstgericht, von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend, diese Frage, nicht geprüft und festgestellt habe, erweise sich, das erstinstanzliche Verfahren in diesem Punkte als ergänzungsbedürftig.
Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der fristgerecht wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Rekurs der Kläger, die Abänderung des berufungsgerichtlichen Beschlusses dahin beantragen, daß der Berufung der beklagten Partei nicht Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil vollinhaltlich bestätigt, oder aber, daß dem Berufungsgericht die Sachentscheidung aufgetragen werde. Überdies seien der Beklagten die Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz aufzuerlegen.
Soweit die Kläger Abänderung des Aufhebungsbeschlusses beantragen, ist ihr Rekursantrag verfehlt (EvBl 1958/28 und 154; RZ 1966, 203; 3 Ob 2/72; Fasching IV/414); formell richtig ist der Eventualantrag, dem Berufungsgericht die Entscheidung in der Sache aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aber im Ergebnis nicht gerechtfertigt.
Die Rekurswerber sind der Meinung, daß „die Aufteilung der Versicherungssumme, die natürlich gemäß einer entsprechenden Kapitalisierung der einzelnen Ansprüche vorzunehmen ist", nicht im Titelprozeß, sondern „im Exekutionsverfahren mit eventuellen diesbezüglichen Prozessen" vorzunehmen sei. Zur Begründung ihrer Ansicht verweisen sie auf die Gefahr der Verjährung, etwa in dem Falle einer Wiederverehelichung der Erstklägerin, wenn dadurch ein Teil der Versicherungssumme frei werde, die Erstklägerin aber Rentenleistungen nur für die letzten drei Jahre verlangen könne. Auch sei eine vorrangige Befriedigung des Sozialversicherungsträgers aus den Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes nicht ableitbar.
Dem Vorbringen der Rekurswerber ist nur insofern beizupflichten, als der zur Begründung des bekämpften Aufhebungsbeschlusses herangezogene Rechtssatz des Inhaltes, daß nach § 336 ASVG. eine bevorzugte Befriedigung aus der unzulänglichen Deckungssumme (Haftpflichtversicherung) dem Geschädigten nur hinsichtlich des Schmerzengeldes zustehe, in allen anderen Belangen aber die Ersatzforderungen des Sozialversicherungsträgers den Ersatzansprüchen des Geschädigten vorgehen, was die letztere Aussage anlangt, nicht aufrechterhalten werden kann. Dieser Rechtssatz wurde vom Obersten Gerichtshof nur einmal, und zwar in der Entscheidung 2 Ob 363/65 = EvBl 1966/341 = JBl 1966, 423 = ZVR 1966/341 = RZ 1966, 103 SV-Slg 17.041, ausgesprochen und wurde auf einen Umkehrschluß aus dem 2. Satz des § 336 ASVG. sowie auf den Zusammenhang der Sätze 1 und 2 des § 336 ASVG. gestützt. Wäre – so die zitierte Entscheidung – dieser Umkehrschluß nicht anzuwenden, dann müßten die sonstigen Ansprüche des Geschädigten mit den Ersatzforderungen des Sozialversicherungsträgers verhältnismäßig aus der vorhandenen Deckungssumme befriedigt werden.
Gegen diese Entscheidung haben Bydlinski (in JBl 1966, 425 f.) und ihm folgend Selb, Das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers 26 und 45, sowie Elisabeth Kunst in ZAS 1970, 131 erhebliche Bedenken geäußert. Bydlinski (a.a.O.) hat überzeugend dargelegt, daß die Verwendung des Umkehrschlusses unzutreffend ist, weil dieser nur ergeben könnte, daß andere als gerichtlich festgestellte Schmerzengeldforderungen des Verletzten keinen Vorrang vor den Forderungen des Sozialversicherungsträgers genießen, und der Umkehrschluß über die verbleibende Frage, ob die anderen Forderungen des Verletzten jenen der Sozialversicherungsträger gleich- oder nachstehen, nichts auszusagen vermag. Mangels einer nachweisbaren Sonderregelung im Gesetz sei daher die allgemeine Regelung anzuwenden, als die gerade der Oberste Gerichtshof die Vorschrift des § 156 VersVG. sehe.
Da in der Tat dem Gesetzestext kein Hinweis auf eine vorrangige Behandlung des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem geschädigten Pflichtversicherten entnommen werden kann und auch die Materialien zu § 336 ASVG. (599 d. Beil.NR. VII. GP.) keine Stütze für die in 2 Ob 363/65 ausgesprochene Auffassung bieten, pflichtet der erkennende Senat der Ansicht der genannten Autoren bei.
Hieraus ergibt sich für den folgenden Fall:
Nach der Regelung des § 156 Abs. 3 VersVG. sind die Ansprüche der Kläger mit den Ersatzforderungen des Sozialversicherungsträgers (als des Legalzessionars) gleichrangig zu behandeln und verhältnismäßig zu befriedigen. Die Versicherungssumme ist den ersatzberechtigten Dritten nach dem Verhältnis der Beträge ihrer geltend gemachten (§ 156 Abs. 2 VersVG.) Forderungen auszufolgen (siehe hiezu Selb a.a.O. 46 und Punkt 8. der „Ergebnisse" 53). Da bei der Verteilung an mehrere Dritte Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen zu kapitalisieren sind (siehe Prölss‑Martin 20 Anm. 6 zu § 156 VVG.), bedarf es der Kapitalisierung sowohl der von den Klägern mit der Klage erhobenen Rentenansprüche als auch der durch die Legalzession auf die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter übergegangenem, bereits geleisteten und in Zukunft noch zu leistenden Rentenzahlungen (zur Berechnung s. Prölls-Martin a.a.O. Anm. 8). Erst wenn das Verhältnis der miteinander konkurrierenden Ansprüche der Kläger und der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter feststeht, wird dem Klagebegehren nach Maßgabe dieses Verhältnisses und der noch zur Verfügung stehenden Versicherungssumme stattgegeben werden können.
Da das erstinstanzliche Verfahren im Sinne des Vorgesagten ergänzungsbedürftig ist, war dem im Ergebnis nicht gerechtfertigten Rekurs der Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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