Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 11.557,26 (darin keine Barauslagen und S 1.926,21 Umsatzsteuer) bestimmen Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 1.9.1985 verschuldete der Erstbeklagte mit dem von ihm gelenkten, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Toyota N 947.592 einen Verkehrsunfall dadurch, daß er mit seinem PKW nach einer Rechtskurve auf die linke Fahrbahnseite geriet und frontal gegen einen Baum stieß. Dabei wurde die Klägerin als Mitfahrerin schwer verletzt. Der ebenfalls mitfahrende Ehegatte der Klägerin, Franz N***, wurde tödlich verletzt; der Erstbeklagte wurde vom Landesgericht St. Pölten rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung und schwerer Körperverletzung verurteilt. Strafmildernd war u.a., daß das Ehepaar N*** wußte, daß sie mit einem alkoholisierten Lenker unterwegs sind.
Die Klägerin begehrte an Schadenersatz Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Sachschaden sowie Kosten für die Entschädigung des Sachwalters und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Folgen aus diesem Verkehrsunfall, mit der Einschränkung der Haftung der Zweitbeklagten auf die Haftpflichtversicherungssumme für das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug. Sie brachte vor, sie hätte durch den Unfall eine schwere Gehirnerschütterung und Gehirnquetschung erlitten, sei mehrere Monate lang bewußtlos gewesen und habe eine Schädeloperation über sich ergehen lassen müssen. Durch die Gehirnschäden seien Lähmungen der linken Körperhälfte und des linken Augenmuskels und Sprachstörungen aufgetreten. Als Verletzungsfolge leide sie an einem hochgradigen organischen Psychosyndrom, das bis heute nicht vollständig zurückgebildet sei, dadurch sei die Klägerin in ihrem Wesen tiefgreifend verändert worden. Als Dauerfolgen bestünden bei der Klägerin ein Psychosyndrom, Narben am Kopf sowie an der Hüfte, ein deutlicher Muskelschwund am linken Bein und hinkender Gang; sie begehre daher an Schmerzengeld S 1,000.000,--, eine Verunstaltungsentschädigung von S 100.000,-- sowie den Ersatz der Sachschäden.
Die Beklagten bestritten das Begehren der Klägerin dem Grunde und der Höhe nach und wendeten ein, es treffe die Klägerin ein Mitverschulden im Ausmaß von einem Viertel, da der Erstbeklagte den Unfall im alkoholisierten Zustand verschuldet habe und die Klägerin trotz Kenntnis dieses Umstandes mit dem Erstbeklagten mitgefahren sei.
Zuletzt begehrte die Klägerin nach einer Teilzahlung der Beklagten in der Höhe von S 376.500,-- S 766.200,--. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Schmerzengeldbegehren von S 1,000.000,--, Verunstaltungsentschädigung von S 100.000,--, Entlohnung für den Sachwalter S 40.700,-- und Sachschaden von S 1.000,--, abzüglich einer Teilzahlung von S 376.500,--, also S 766.200,--, dazu die Feststellung der Haftung der Beklagten unter der Annahme des Alleinverschuldens des Erstbeklagten. Das Erstgericht gab der Klage, ausgehend von einem Mitverschulden der Klägerin von einem Viertel und einem Schmerzengeld von S 800.000,-- sowie unter Berücksichtigung der Teilzahlung der Beklagten von S 376.500,-- mit einem Teilbetrag von S 330.525,-- s.A. statt, weiters dem Feststellungsbegehren mit der Einschränkung der Haftung der Beklagten zu drei Vierteln für alle Folgen aus diesem Unfall bezüglich der Zweitbeklagten, weiters mit der Beschränkung auf die Haftpflichtversicherungssumme des mit dem Erstbeklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrages. Das Erstgericht traf folgende für das Revisionsverfahren noch relevante Feststellungen:
Die Klägerin und ihr Ehegatte fuhren am Abend des 31.8.1985 gemeinsam mit dem Erstbeklagten, einem Bruder der Klägerin, in dessen von ihm gelenkten PKW zum Blumenfest nach Tulln, wo sie sich ab etwa 20,00 Uhr aufhielten. Sie blieben dort ständig beisammen. Während des Aufenthaltes bei dem Fest trank der Erstbeklagte zumindest drei (wahrscheinlich mehr) Flaschen Bier. Anschließend fuhren die drei in eine Discothek nach Judenau, wo der Erstbeklagte eine weitere Flasche Bier trank. Bei diesem Alkoholkonsum war die Klägerin nicht anwesend, sie war jedoch dabei, als ihr Ehegatte die Zeche für den Erstbeklagten bezahlte. Franz N***, der tödlich verunglückte Ehegatte der Klägerin, hatte die Absicht, in Heiligenkreuz eine Discothek zu besuchen. Der Erstbeklagte weigerte sich mitzugehen, weshalb nach kurzem Anhalten die Fahrt fortgesetzt wurde. Wenige Kilometer nach Heiligenkreuz kam es zu dem Unfall gegen 1,00 Uhr früh, wobei der Erstbeklagte mit seinem PKW im Auslauf einer Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abkam und frontal gegen einen Baum stieß. Dem Erstbeklagten wurde am 1.9.1985 um 2,35 Uhr Blut abgenommen; zum Zeitpunkt der Blutabnahme betrug der Blutalkoholwert 1,4 %o. Bereits vor dem Unfall lag bei der Klägerin eine anlagebedingte bzw. angeborene intellektuelle Minderleistung vom Grade einer Debilität vor, doch bestanden keinerlei Hinweise auf psychische Störungen im Sinne eines Psychosyndroms organischer Art. Die Klägerin hatte acht Klassen allgemeiner Sonderschule bewältigt, sie verfügte zwar nur über eine reduzierte schulische, aber gute praktische Intelligenz und war in ihrer Arbeitsweise keinesfalls verlangsamt. Nach Absolvierung eines Berufvorbereitungskurses im Landesjugendheim Hollabrunn arbeitete sie ab 5.7.1981 zwei Jahre lang zur vollsten Zufriedenheit in einer Schule mit Internat.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, der Erstbeklagte hatte vor Fahrtantritt in Gegenwart der Klägerin eine größere Menge Bier getrunken, und zwar jedenfalls so viel, daß er einschließlich einer weiteren Flasche, von deren Konsum durch den Erstbeklagten die Klägerin gleichfalls Kenntnis erlangte, noch rund 1 1/2 Stunden nach dem Unfall einen Blutalkoholwert von 1,4 %o aufwies. Da dieser Wert doch erheblich über dem in § 5 Abs 1 StVO für die Fahrtauglichkeit festgelegten Grenzwert von 0,8 %o liegt, habe die Klägerin selbst dann, wenn sie den Alkoholgenuß ihres Bruders nicht streng beobachtete und überwachte, bei Fahrtantritt erkennen müssen, daß der Erstbeklagte alkoholische Getränke in einem Ausmaß zu sich genommen hatte, auf Grund dessen seine Fahrtüchtigkeit jedenfalls beeinträchtigt war. Die Klägerin müsse sich daher ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB in Anrechnung bringen lassen, für welches die von den Beklagten geltend gemachte Quote von 1/4 gerechtfertigt erscheine. Die Klägerin habe daher gegen die Beklagten Anspruch auf Ersatz von lediglich 3/4 ihres unfallsbedingten Schadens. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos; das Gericht zweiter Instanz übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne des Zuspruches eines weiteren Betrages von S 235.675 s.A. und Stattgebung des Feststellungsbegehrens im Umfang eines weiteren Viertels, somit zur Gänze.
Die Beklagten beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
In der Rechtsrüge führt die Klägerin aus, die Beklagten hätten beweisen müssen, daß sie Kenntnis von der vom Erstbeklagten konsumierten Alkoholmenge gehabt hatte und daher Zweifel an dessen Fahrtüchtigkeit hätte haben müssen. Es hieße den Sorgfaltsmaßstab, der an die Klägerin gelegt werden kann, zu überspannen und ihre "gute praktische Intelligenz" zu überfordern, wenn man auf Grund der Tatsache, daß sie Stunden vor Fahrtantritt miterlebt hatte, daß der Erstbeklagte drei Flaschen Bier getrunken hatte, Bedenken hinsichtlich seiner Fahrtüchtigkeit hegen mußte. "Gute praktische Intelligenz" bedeute im Fall der Klägerin doch offensichtlich nur, daß sie sich trotz ihrer intellektuellen Minderausstattung nach Absolvierung der Sonderschule im Berufsleben, wo offensichtlich nur einfache Arbeitsabläufe von ihr zu bewältigen waren, recht gut bewährt hatte. In anderen Lebensbereichen als in der Schule und bei der Arbeit dürften an die Einsicht der Klägerin in die mit gewissen Situationen verbundenen Gefahren aber sicherlich nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an normal begabte Menschen. Selbst wenn daher der Klägerin die vom Erstbeklagten konsumierte Biermenge bekannt gewesen sein sollte, werde man in ihrem Fall im Hinblick auf ihre Minderbegabung, auf den bis zum Antritt der letzten Fahrt verstrichenen Zeitraum von mehreren Stunden, weiters im Hinblick darauf, daß über Auffälligkeiten im Verhalten des Erstbeklagten nichts bekannt sei und daß er die Fahrten von Tulln nach Judenau und von Judenau nach Heiligenkreuz offenbar anstandslos hinter sich gebracht hatte, der Klägerin nicht den Vorwurf eines Mitverschuldens machen können.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Nach ständiger Rechtsprechung trifft den Fahrgast, der sich einem infolge Alkoholgenusses fahruntüchtigen Lenker anvertraut und bei einem von diesem verschuldeten oder mitverschuldeten Unfall Schaden erleidet, nur dann ein Mitverschulden, wenn er von der die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholisierung Kenntnis hatte oder aus den Umständen Kenntnis haben mußte (vgl. ZVR 1968/37; ZVR 1969/294; ZVR 1976/10 uva). Die Frage, ob jemand Kenntnis von einem bestimmten Sachverhalt hat, ist eine Tatfrage. Ob die Alkoholisierung des Fahrers durch den Fahrgast bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkannt werden müssen, ist hingegen eine Rechtsfrage. Die Erkennbarkeit einer derartigen Alkoholisierung kann sich für den Fahrgast entweder aus dem wahrnehmbaren Verhalten des Lenkers oder daraus ergeben, daß ihm die vom Lenker genossenen Alkoholmengen bekannt waren. Es ist nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob der Fahrgast bei Berücksichtigung der Erfahrungen des täglichen Lebens damit rechnen mußte, daß sich der Lenker durch den Alkoholgenuß in einem seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Zustand befinde (vgl. ZVR 1969/294, ZVR 1970/33; ZVR 1978/306 ua). Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes waren die Klägerin, ihr Ehegatte und der Erstbeklagte ab 20,00 Uhr beim Blumenfest in Tulln ständig beisammen, wobei der Erstbeklagte zumindest drei Flaschen Bier trank. Anschließend fuhren die drei genannten Personen in eine Discothek nach Judenau, wo der Erstbeklagte eine weitere Flasche Bier trank. Bei diesem Alkoholkonsum war die Klägerin zwar nicht anwesend, sie war jedoch dabei, als ihr Ehegatte die Zeche für den Erstbeklagten bezahlte.
Bei Anwendung der oben dargelegten Grundsätze auf den festgestellten Sachverhalt ist aber in der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin ungeachtet ihrer in gewissem Maße eingeschränkten Intelligenz bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit hätte damit rechnen müssen, daß sich der Erstbeklagte infolge des Alkoholgenusses in einem seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Zustand befinde, keine unrichtige rechtliche Beurteilung zu erblicken. Unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles kann daher in der Bemessung des Mitverschuldens der Klägerin mit einem Viertel keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes erkannt werden (vgl. SZ 52/84 ua). Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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