OGH 2Ob150/67

OGH2Ob150/6711.5.1967

SZ 40/72

Normen

ABGB §1385
ABGB §1387
ABGB §1385
ABGB §1387

 

Spruch:

Eine nachträgliche Änderung der Beweislage berechtigt nicht zur Anfechtung eines Vergleiches.

Entscheidung vom 11. Mai 1967, 2 Ob 150/67.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Am 11. Mai 1965 gegen 19.10 Uhr kam es auf dem F.-Platz in Klagenfurt zwischen dem ein Fahrrad benützenden Kläger und einem im Eigentum des Erstbeklagten stehenden und vom Zweitbeklagten gelenkten, aus der V.-Straße in Richtung S.-Straße fahrenden PKW. zum Zusammenstoß; hiebei erlitt der Kläger schwere Verletzungen, darunter eine Gehirnerschütterung mit retrograder Amnesie (Erinnerungslücke). Er war von einer mit dem Zeichen "Achtung Vorrang" versehenen Straße kommend - trotz Vorhandenseins eines gekennzeichneten Abbiegefahrstreifens nach links, die für den Geradeausverkehr bestimmte Fahrbahn benützend - nach links in die Fahrbahn des Zweitbeklagten abgebogen. Der Kläger machte dem Haftpflichtversicherer des Erstbeklagten gegenüber durch den Rechtsanwalt Dr. G. Schadenersatzansprüche in der Höhe von 20.000 S geltend. Am 16. Mai 1966 nahm Dr. G., der u. a. eine Vollmacht des Klägers vom 27. Oktober 1960, die ihn auch zum Abschluß von Vergleichen berechtigte, besaß, im Namen des Klägers einen Abfindungsvorschlag des Haftpflichtversicherers an, mit dem sich der Kläger gegen Erhalt einer einmaligen Entschädigung von 1500 S wegen aller Ansprüche aus dem Schadensfall vom 11. Mai 1965 - vorhersehbarer und nichtvorhersehbarer Art - für jetzt und auch für die Zukunft auch gegenüber sonstigen Personen und Firmen vollständig abgefunden erklärte. Mit der Behauptung, mit dem Vergleich nie einverstanden gewesen zu sein und ihn wegen Irrtums anzufechten, begehrt der Kläger nunmehr ein Schmerzengeld von 30.000 S s. A.

Ein Strafverfahren wurde nicht eingeleitet.

Beide Unterinstanzen wiesen die Klage ab, weil der Kläger nicht berechtigt sei, den abgeschlossenen Abfindungsvergleich wegen Irrtums anzufechten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sieht der Kläger darin, daß weder der von ihm namhaft gemachte Tatzeuge Josef St. von den Unterinstanzen vernommen, noch ein Ortsaugenschein vorgenommen, auch kein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt und keine Parteienvernehmung durchgeführt worden sei. Durch diese Beweise hätte sich ergeben, daß den Zweitbeklagten das Alleinverschulden an dem Unfall treffe.

Die Frage, wen das Verschulden an dem gegenständlichen Verkehrsunfall trifft, gewinnt erst dann Bedeutung, wenn sich der Abfindungsvergleich als unverbindlich erweist. Nur unter dieser Voraussetzung könnten die vom Kläger gerügten angeblichen Mängel, allerdings unter dem Gesichtspunkte von Feststellungsmängeln und daher als Rechtsrüge verstanden, beachtlich sein.

Die unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt die Revision in der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Voraussetzungen für die Anfechtung des Vergleiches wegen Irrtums nicht gegeben seien. Es liege nämlich ein Irrtum "über die Wesenheit des Gegenstandes" (§ 1385 ABGB.) vor, weil der Kläger den Vergleich nicht geschlossen hätte, wenn er damals schon die nachträglich von ihm ausfindig gemachten Zeugen August S. und Josef St. zur Verfügung gehabt, hätte. Die Abfindungsvereinbarung sei daher auf der Grundlage zustandegekommen, daß beide Seiten vom Alleinverschulden des Klägers ausgegangen seien. In dieser Vereinbarung werde nur die Geltendmachung allfälliger weiterer Unfallsfolgen ausgeschlossen, nicht aber eine Anfechtung wegen einer späteren günstigeren Beweislage. Der Vergleich sei also dem Gründe und der Höhe nach ungültig.

Daß sich der Kläger mit einem geringen Betrag abfertigen ließ, hatte seinen Grund darin, daß er meinte, es werde ihm der Nachweis, daß die Gegenseite an dem Verkehrsunfall schuld sei, schwerlich gelingen. Auf der anderen Seite war der Haftpflichtversicherer nur deswegen bereit, überhaupt etwas zu bezahlen, weil er Unkosten durch eine Prozeßführung des Klägers im Armenrecht ausschließen wollte. Die Vergleichspartner haben also das Abkommen aus verschiedenen Motiven geschlossen, deren Richtigkeit aber bedeutungslos ist. Keineswegs gingen beide Teile davon aus, daß ein Anspruch des Klägers sicher nicht bestehe, sondern es sollte eine strittige Rechtslage dem Gründe und der Höhe nach endgültig bereinigt werden.

Nun ist aber nach Lehre und ständiger Rechtsprechung ein Vergleich nur dann anfechtbar, wenn eine Partei über einen wesentlichen Umstand geirrt hat, den die Vergleichschließenden als feststehend angenommen haben (Wolff in Klang[2] VI 280; JBl. 1950 S. 530, JBl. 1964 S. 369 u. a.). Hier aber wurde ein immerhin möglicher Schadenersatzanspruch abgegolten. Wie weiters aus § 1387 ABGB. hervorgeht, kann eine nachträgliche Änderung der Beweislage nicht zur Anfechtung eines Vergleiches führen (Wolff a. a. O. S. 282).

Die Revision erweist sich daher als unberechtigt.

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