Spruch:
Unter Behinderung des besseren Fortkommens im Sinne des § 1326 ABGB ist nicht nur der mögliche Entgang eines beruflichen Aufstieges, sondern überhaupt die Gefahr zu verstehen, daß durch eine nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage entfallen könnte, z. B. die Möglichkeit einer vorteilhaften Eheschließung für einen Mann
OGH 9. Mai 1974, 2 Ob 149/74 (OLG Linz 5 R 13/74; KG Wels 2 Cg 184/72)
Text
Der Kläger begehrte von den Beklagten zur ungeteilten Hand unter anderem eine Verunstaltungsentschädigung von 60.000 S samt Anhang, welche allein noch strittig ist. Er behauptet, durch die schwere und bleibende Verunstaltung, die vor allem durch die Amputation beider Unterschenkel gegeben sei, in seinem besseren Fortkommen behindert zu sein. Er sei vor dem Unfall Installateurgeselle gewesen und habe die Absicht gehabt, in diesem Handwerk die Meisterprüfung abzulegen und in einen größeren Betrieb als Werkmeister einzutreten. Dieser Beruf sowie alle damit verbundenen technischen Berufe seien ihm in Hinkunft verschlossen. Die Verunstaltung sei geeignet, auf seine Berufs- und Standeswahl einen nachteiligen Einfluß auszuüben. Auch die Aussichten auf eine standesgemäße Heirat oder Einheirat seien auf ein Minimum herabgesetzt.
Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens und behaupteten, der Kläger sei auf Grund seines Aussehens in seinem beruflichen Fortkommen nicht beeinträchtigt
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens.
Die Berufung der Beklagten, die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens anstrebten, blieb erfolglos.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Auszugehen ist von folgendem Sachverhalt, den das Erstgericht unbekämpft festgestellt hat:
Der zur Zeit des Unfalles (29. September 1971) 24 Jahre alte Kläger erlitt schwerste und lebensbedrohende Verletzungen, als deren Folge beide Unterschenkel etwa 16 cm unterhalb des inneren Kniegelenksspaltes abgesetzt werden mußten. Er erlitt ferner einen Bruch des Schlüsselbeines rechts, einen offenen Oberarmbruch links, einen Beckenbruch beidseits mit Bruch des oberen und unteren Schambeinastes und Lösung der Kreuz- und Darmbeinfuge, einen Kreuzbeinbruch, einen doppelten Bruch des linken Oberschenkels, einen Bruch der rechten Kniescheibe, die dann deshalb entfernt werden mußte, einen offenen Unterschenkel-Trümmerbruch links mit Quetschung des linken Fußes (und folgender Amputation), einen Bruch des rechten Wadenbeines, einen offenen Bruch des rechten Sprungbeines und des Fersenbeines mit Durchtrennung der Gefäße und Nerven (mit folgender Amputation des rechten Unterschenkels). An leichten Verletzungen erlitt der Kläger kleinere Schnittwunden im Gesicht. Er war insgesamt 416 Tage in stationärem Aufenthalt des Krankenhauses Wels und im Rehabilitationszentrum Tobelbad. als Unfallsfolge besteht eine Schulterverkürzung um 1 cm. Die Ellenbogenbeweglichkeit des linken Armes ist eingeschränkt; der linke Oberarm ist um drei bis vier cm verkürzt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt wegen der Ellbogengelenksverletzung 15%.
Spätschäden sind arthrotische Veränderungen in den Gelenken und damit eine weitere Einschränkung der Beweglichkeit. Wegen des Beckenbruches können arthrotische Veränderungen in den Kreuz-Darmbeingelenken als Spätschäden entstehen. Spätschäden am linken Unterschenkelstumpf sind arthrotische Veränderungen im Kniegelenk. Die Kniegelenksbeweglichkeit ist eingeschränkt; eine Besserung ist nicht mehr zu erwarten. Auch im rechten Knie ist die Kniegelenksbeweglichkeit eingeschränkt.
Die Dauer der Erwerbsminderung war bei der Untersuchung am 15. September 1972 100%. Unter Berücksichtigung der Bewegungseinschränkungen des linken Oberarmes mit Verkürzung des Armes und der Bewegungseinschränkung beider Kniegelenke ist die Erwerbsminderung mit 85 bis 90% anzusetzen.
Zur Zeit des Unfalles war der Kläger Installateurgeselle im Installationsunternehmen seines Bruders. Er hatte das Installationsgewerbe gelernt und war bis zum Unfall etwa vier Jahre in dem Unternehmen seines Bruders beschäftigt. Er wollte im Jahre 1972 die Meisterprüfung ablegen, um als Meister im Untermehmen seines Bruders weiterzuarbeiten. Er wäre dann auch am Gewinn des Unternehmens beteiligt worden.
Der Kläger ist seit 1. August 1973 beim Bundesheer als Vertragsbediensteter beschäftigt. Er verrichtet Kanzleiarbeiten, weil er auf Grund der unfallsbedingten Verletzungen den Beruf eines Installateurs nicht ausüben kann. Er kann auch in einem anderen Berufszweig nur mehr Kanzleiarbeiten, somit nur eine Tätigkeit im Sitzen ausüben.
Im Unternehmen seines Bruders verdiente er zur Zeit des Unfalles monatlich 4000 S netto. Jetzt verdient er monatlich 3500 netto. Den nunmehrigen Arbeitsplatz wählte er selbst aus.
Der Kläger stand kurze Zeit vor dem Unfall vor der Verlobung mit Katharina S. Er beabsichtigte, sie zu heiraten. Anfang April 1973 erklärte ihm dieses Mädchen, ihn nicht mehr heiraten zu wollen.
Der Kläger geht derzeit mit zwei Beinprothesen. Er verwendet dabei einen Stock. Sein Gang ist hinkend.
Das Erstgericht würdigte diesen Sachverhalt dahin, daß die Unfallsverletzungen beim Kläger eine wesentliche nachteilige Veränderung seiner äußeren Erscheinung bewirkt haben und daß er dadurch in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt sein könne; auch seine Heiratsaussichten seien reduziert. Wegen des besonderen Ausmaßes der Verunstaltung sei die begehrte Entschädigung von 60.000 S angemessen.
Das Berufungsgericht billigte diese Erwägungen. Es hielt den von den Beklagten gemachten Einwand, der Kläger sei als Vertragsbediensteter des Bundesheeres allfälligen Schwankungen der wirtschaftlichen Lage weit weniger ausgesetzt als im Falle einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit im Installateurgewerbe, weder für zutreffend noch für wesentlich; maßgebend sei vielmehr, daß er infolge der Verunstaltung in der freien Erwerbs- und Berufswahl erheblich benachteiligt sei und daß seine Möglichkeiten, eine gehobene Stellung zu erreichen oder durch eine Heirat zu einer Verbesserung seiner Lebens- und Wirtschaftslage zu gelangen, beträchtlich gemindert seien. Gegen die Höhe der Entschädigung bestunden in Hinblick auf in ähnlichen Fällen zuerkannte Beträge keine Bedenken.
In der Revision bringen die Beklagten, im wesentlichen in Wiederholung ihres Berufungsvorbringens, zunächst vor, es sei nirgends ausgeführt und unter Beweis gestellt worden, daß der Kläger als selbständiger Installateunmeister im Betriebe seines Bruders hätte mehr verdienen können, als er derzeit im Kanzleidienst als Vertragsbediensteter des Bundesheeres verdiene. Dem ist entgegenzuhalten, daß vom Kläger zur Begründung eines Anspruches nach § 1326 ABGB ein solcher Beweis nicht zu verlangen ist. Wie bereits die Vorinstanzen unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung ausgeführt haben, rechtfertigt die - hier unbestrittenermaßen vorliegende - Verunstaltung allein noch nicht den Anspruch auf eine Entschädigung nach § 1326 ABGB, sondern es ist hiezu weitere Voraussetzung, daß durch die nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung das bessere Fortkommen des Verletzten verhindert werden kann. Es genügt die Möglichkeit eines solchen Nachteiles, die allerdings nicht abstrakt, sondern nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist. Doch genügt es, wenn solche Nachteile nur in einem geringen Grad wahrscheinlich sind, wobei es ungewiß bleiben kann, ob der Schaden überhaupt einmal eintreten wird. Der Eintritt des Schadens darf nur praktisch nicht ausgeschlossen sein (vgl. JBl. 1960, 192; ZVR 1973/36). Unter Behinderung des besseren Fortkommens im Sinne des § 1326 ABGB ist aber nicht nur der mögliche Entgang eines beruflichen Aufstieges, sondern überhaupt die Gefahr zu verstehen, daß durch eine nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage entfallen könnte (ZVR 1971/54). Mag im vorliegenden Fall die allein durch die nachteilige Veränderung des Aussehens des Klägers bedingte Einschränkung seiner beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten gesondert betrachtet nicht allzusehr ins Gewicht fallen, so tritt doch bei dem zur Zeit des Unfalles erst 24 Jahre alten und noch unverehelichten Kläger die durch die Verunstaltung bedingte wesentliche Einschränkung der Möglichkeit, eine passende Ehepartnerin zu finden, in den Vordergrund. Im Gegensatz zu der in der Revision vertretenen Auffassung kann auch einem Mann die verminderte Heiratsaussicht nach § 1326 ABGB abgegolten werden (ZVR 1974/70 u. a. m.). Es kann nicht bezweifelt werden, daß auch für einen Mann die Verehelichung eine Verbesserung seiner Lebenslage bedeuten kann. Es ist hiebei in erster Linie an den von der Ehegattin zu leistenden Beistand zu denken, aber auch die Möglichkeit einer materiellen Besserstellung, etwa durch Einheirat, die einen beruflichen Aufstieg mit sich bringen kann, nicht außer Betracht zu lassen.
Bei richtiger Betrachtung des Wesens der Verunstaltungsentschadigung als Ersatz für entgangene Chancen erweist sich somit auch das weitere Revisionsvorbringen, es hätte die Unsicherheit des Berufes eines Installateurs gegenüber der Sicherheit, die eine Beschäftigung im Staatsdienst gebe, abgewogen werden müssen, als nicht stichhaltig. Ganz abgesehen davon, daß von Sicherheit der Existenz eines Vertragsbediensteten mit Rücksicht auf die Kundbarkeit des Vertragsverhältnisses, wohl nicht gesprochen werden kann, stehen den mit der Ausübung einer freien wirtschaftlichen Tätigkeit, wie etwa der Führung eines Handwerksbetriebes, verbundenen Risiken eben entsprechende Gewinnmöglichkeiten gegenüber, die auch in wirtschaftlich weniger günstigen Zeiten erfahrungsgemäß nicht verloren gehen. Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe die Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Rückschrittes, der einen "staatsangestellten" weniger betreffe, außer acht gelassen, geht somit ebenfalls ins Leere.
Die Vorinstanzen haben somit den Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung nach § 1326 ABGB mit Recht bejaht.
Auch gegen die Bemessung dieser Entschädigung mit 60.000 S bestehen im Hinblick auf das Ausmaß der Verunstaltung und die Wahrscheinlichkeit des Verlustes der sonst gebotenen Chancen keine Bedenken.
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