Normen
ABGB §1017
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §530 Abs2
ABGB §1017
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §530 Abs2
Spruch:
Der Vollmachtgeber (hier: Haftpflichtversicherter) kann eine Tatsache, die seinem Bevollmächtigten (hier: Haftpflichtversicherer) zu einer Zeit bekannt war, zu der sie im Prozeß noch hätte geltend gemacht werden können, nicht als Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geltend machen, auch wenn sie ihm selbst erst später bekannt wurde
OGH 19. 10. 1972, 2 Ob 146/72 (LG Klagenfurt 2 R 204/72; BG Bleiburg C 114/71 )
Text
Mit der zu C 18/70 des BG Bleiburg eingebrachten Klage verlangte Hans S von Paul Sch Zahlung von S 6282.- sA als Ersatz des bei einem Verkehrsunfall vom 5. 10. 1969 erlittenen Schadens, wobei er das Alleinverschulden des Paul Sch behauptete. Dieser bestritt nicht, daß ihn an dem Unfall ein Verschulden treffe, er wendete jedoch ein Mitverschulden des Hans S im Ausmaß von 50% ein und bestritt die behaupteten Ansprüche der Höhe nach.
Mit Urteil vom 21. 5. 1970, GZ C 18/70 -4, erkannte das Erstgericht iS des Klagebegehrens. Paul Sch focht dieses Urteil mit Berufung nur insoweit an, als es über den Zuspruch von S 2791.- hinausging. Er vertrat den Standpunkt, Hans S treffe ein gleichteiliges Mitverschulden und er habe daher nur Anspruch auf Ersatz der Hälfte seines Schadens, der nicht mehr als S 5582.- betrage.
Am 26. 6. 1970, zwischen der Einbringung dieser Berufung und der Berufungsentscheidung, langte beim Postsparkassenamt Wien ein Auftrag der Wiener Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft als Haftpflichtversicherer des Paul Sch ein, an Rechtsanwalt Dr F als Vertreter des Hans S den Betrag von S 2791.- zu überweisen, wobei als Zahlungszweck "Entschädigung zum Autohaftpflichtschaden vom 5. 10. 1969 Sch-S" angegeben war. Dieser Auftrag wurde ausgeführt, es wurden hievon aber weder Paul Sch noch sein Prozeßvertreter Dr M, sei es von der Wiener Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft, sei es dem Gegenvertreter Dr F, verständigt.
Das LG Klagenfurt gab der Berufung des Paul Sch mit Beschluß vom 26. 8. 1970, ON 10, Folge. Es hob das angefochtene Urteil ohne Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück, wobei eine Beschränkung der Aufhebung auf den angefochtenen Teil des Ersturteiles nicht vorgenommen wurde.
Im fortgesetzten Verfahren beantragte Paul Sch Abweisung des Klagebegehrens. Er hielt an dem Mitverschuldenseinwand fest und wendete nunmehr eine Gegenforderung von S 3000.- aufrechnungsweise ein. Das Verfahren wurde am 7. 5. 1971 geschlossen. Mit dem folgenden Urteil vom 18. 6. 1971, GZ C 18/70 -16, wurde Paul Sch zur Zahlung von S 5582.- sA verurteilt. Diesem Urteil liegt zugrunde, daß Paul Sch den Unfall allein verschuldet hat, daß deshalb die Gegenforderung nicht zu Recht besteht und daß das frühere Urteil ONr 4 vom Berufungsgericht zur Gänze aufgehoben wurde. Dieses Urteil wurde nicht weiter angefochten.
Mit Schreiben vom 30. 6. 1971 teilte Dr F als Vertreter des Hans S dem Dr M als Vertreter des Paul Sch mit, daß er im Hinblick auf die oben erwähnte Teilzahlung von S 2791.- vom Urteil des BG Bleiburg vom 18. 6. 1971, GZ C 18/70 -16, hinsichtlich des genannten Betrages und der darauf entfallenden anteiligen Zinsen keinen Gebrauch machen werde. In einem weiteren Schreiben vom 2. 7. 1971 teilte Dr F dem Dr M mit, daß er auf S 322.10 an Kosten verzichte, weil auch bei einer Einschränkung des Klagebegehrens um S 2791.- nur um jenen Betrag weniger Kosten zugesprochen worden wären.
Gestützt auf die Behauptung, er habe von der Teilzahlung seines Haftpflichtversicherers erst nach dem 7. 5. 1971 erfahren und sie daher im Verfahren C 18/70 nicht mehr einwenden können, begehrt Paul Sch die Wiederaufnahme dieses Verfahrens, die Aufhebung des in dieser Sache am 18. 6. 1971 ergangenen Urteiles, soweit es über einen Zuspruch von S 2791.- samt 4% Zinsen aus S 5582.- vom 5. 10. 1969 bis 19. 6. 1970 und 4% Zinsen aus S 2791.- ab 20. 6. 1970 und S 1344.20 an Kosten hinausgeht, sowie die Fällung des Urteiles, die Klagsforderung bestehe in diesem Umfange zu Recht, mit S 3491.- samt 4% Zinsen aus S 700.- seit 5. 10. 1969 und 4% Zinsen aus S 2791.- seit 20. 6. 1970 nicht zu Recht, die Gegenforderung des Paul Sch von S 3000.- bestehe nicht zu Recht, Paul Sch sei daher schuldig, Hans S S 2791.- samt 4% Zinsen aus S 5582.- vom 5. 10. 1969 bis 19. 6. 1970, 4% Zinsen aus S 2791.- seit 20. 6. 1970 und die mit S 1344.20 bestimmten Prozeßkosten zu bezahlen, und es werde das oben bezeichnete Mehrbegehren abgewiesen.
Der im Wiederaufnahmeverfahren Beklagte Hans S beantragte, die Wiederaufnahmsklage abzuweisen. Er machte geltend, ein Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO liege nicht vor, weil die Kenntnis des Haftpflichtversicherers einer Kenntnis des Haftpflichtversicherten Paul Sch gleichzuhalten sei. Ferner habe Paul Sch das Ersturteil ON 4 hinsichtlich des Betrages von S 2971.- gar nicht angefochten und es habe sich die Zahlung des Haftpflichtversicherers eben auf diesen rechtskräftig zuerkannten Teilbetrag bezogen. Das Erstgericht habe nach Aufhebung seiner Entscheidung durch das Berufungsgericht nur mehr über den noch strittigen Teil der Klagsforderung verhandeln und entscheiden können, so daß es einer Einschränkung des Begehrens um die erhaltene Teilzahlung nicht bedurft habe. Wenn das Erstgericht mit dem Urteil ON 16 versehentlich auch über den bereits erledigten Teil des Klagebegehrens entschieden habe, dann hätte sich Paul Sch dagegen mit Rechtsmittel der Berufung zur Wehr setzen müssen. Abgesehen davon fehle dem Begehren mit Rücksicht auf die Erklärungen des Dr F vom 30. 6. 1971 und vom 2. 7. 1971 jedes Rechtsschutzinteresse.
Das Erstgericht erkannte iS des Klagebegehrens. Es ging dabei im wesentlichen von folgenden rechtlichen Erwägungen aus:
Haftpflichtversicherer und Haftpflichtversicherter seien trotz der Bestimmung des § 7 Abs 5 AKB nicht als ident anzusehen. Die Erlangung der Kenntnis von der vom Haftpflichtversicherer geleisteten Zahlung stelle daher einen Wiederaufnahmsgrund iS des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO dar. Paul Sch hätte bei früherer Kenntnis dieser Tatsache die geleistete Zahlung einwenden können, in welchem Falle es zu einer für ihn günstigeren Entscheidung in der Hauptsache gekommen wäre. Das Berufungsgericht habe nämlich das Ersturteil zur Gänze aufgehoben und das Erstgericht habe demzufolge über den gesamten Klagsbetrag neuerlich verhandelt und entschieden, so daß die Einwendung der geleisteten Zahlung durchaus möglich gewesen wäre. Daß Paul Sch die Möglichkeit gehabt hätte, das Urteil ON 16 wegen des Verstoßes des Berufungsgerichtes gegen die Teilrechtskraft mit Berufung anzufechten, stehe der Wiederaufnahmsklage nicht entgegen. Eine verschuldete Unkenntnis der zum Gegenstand der Wiederaufnahmsklage gemachten Tatsache liege nicht vor. Die Wiederaufnahmsklage sei jedenfalls rechtzeitig erhoben, weil die Frist des § 534 ZPO nicht vor der Zustellung des für den Wiederaufnahmskläger ungünstigen Urteiles zu laufen beginne.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Hans S Folge. Es hob das angefochtene Urteil auf und wies die Wiederaufnahmsklage mit Beschluß zurück, wobei es Paul Sch mit seinem Kostenrekurs auf diese Entscheidung verwies. In rechtlicher Beziehung führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus:
Die Unterlassung der Anfechtung des Urteiles ON 16 hindere die Wiederaufnahme nicht, zumal in einer Berufung die geleistete Teilzahlung wegen des Neuerungsverbotes nicht mit Erfolg hätte geltend gemacht werden können. Auch das Rechtsschutzinteresse an der Wiederaufnahme sei zu bejahen. Dieses würde selbst durch einen Verzicht des Gegners, der dem Standpunkt des Wiederaufnahmsklägers Rechnung trägt, nicht beseitigt werden, weil bei Rechtsgestaltungs- und Wiederaufnahmsklagen das Rechtsschutzinteresse allein durch den betreffenden Tatbestand begrundet werde.
Es liege jedoch ein Wiederaufnahmsgrund iS des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO überhaupt nicht vor. Die Kenntnis des Machthabers oder des gesetzlichen Vertreters der Prozeßpartei sei der Partei selbst zuzurechnen, so wie die Kenntnis eines Teilgenossen einer einheitlichen Streitpartei dieser gegenüber wirke. Das zwischen dem Wiederaufnahmskläger (Paul Sch) und der Wiener Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft bestehende hier relevante Rechtsverhältnis resultiere aus einer Haftpflichtversicherung, für das auf Grund des § 60 Abs 2 Z 5 lit a KFG 1967 die Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen vom 14. 12. 1967, BGBl 401, über die Festsetzung von allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (AKHB 1967) gelte. Art 9 Abs 1 AKHB sehe vor, daß der Versicherer - außer im Falle der Freiheit von der Verpflichtung zur Leistung - bevollmächtigt sei, die ihm zur Befriedigung oder zur Abwehr der Entschädigungsansprüche des geschädigten Dritten zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers im Rahmen der Versicherungssumme und der übernommenen Gefahr abzugeben. Trete die Versicherungsanstalt bei Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Geschädigten betreffend die Befriedigung seiner Entschädigungsansprüche kraft dieser allgemeinen Bedingungen als Machthaber des Versicherungsnehmers auf, so sei die Kenntnis der Versicherungsanstalt der Kenntnis des Versicherungsnehmers gleichzuhalten, soweit es sich um Angelegenheiten handle, die in die Versicherungspflicht fallen. Habe der Haftpflichtversicherer des Paul Sch nach dessen Vorbringen aus dem Versicherungsfall am 19. 6. 1970 an den Rechtsvertreter des geschädigten Dritten den Betrag von S 2791.- überwiesen und damit eine "Erklärung" iS der zitierten Bestimmung abgegeben, dann könne sich diese Tatsache für Paul Sch nicht als neue Tatsache iS des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO darstellen.
Zu demselben Ergebnis gelange man auch auf Grund der Bestimmung des § 63 Abs 1 KFG 1967, aus der die Rechtsprechung den Satz abgeleitet habe, daß Versicherer und Versicherungsnehmer, wenn sie gemeinsam geklagt werden, eine einheitliche Streitpartei darstellen. Daß sich die Kenntnis eines Streitgenossen einer einheitlichen Streitpartei auf diese selbst auswirke, müsse aber auch dann gelten, wenn die Streitgenossen nicht gemeinsam belangt werden, weil sich für eine unterschiedliche Behandlung in dieser Hinsicht keine Erklärung finden lasse.
Da somit ein gesetzlicher Wiederaufnahmsgrund nicht geltend gemacht worden sei, wäre die Wiederaufnahmsklage schon im Vorprüfungsverfahren mit Beschluß zurückzuweisen gewesen. Da das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage trotz Fehlens eines gesetzlichen Wiederaufnahmsgrundes zugelassen habe, sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage mit Beschluß zurückzuweisen gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Paul Sch nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Rekurswerber bekämpft die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß das Wissen seines Haftpflichtversicherers von der in Rede stehenden Teilzahlung ihm selbst zuzurechnen sei, mit der Behauptung, die Bestimmungen der AKHB wirkten nur im internen Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer und es gebe keine gesetzliche Bestimmung, aus der abgeleitet werden könnte, daß ihm unbekannte Zahlungen seines Versicherers rechtlich als auch ihm bekannt zu gelten haben. Dieses Vorbringen ist nicht stichhältig.
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat und wie auch vom Rekurswerber nicht verkannt wird, ist der Versicherer, außer im Falle der Freiheit von der Verpflichtung zur Leistung, bevollmächtigt, die ihm zur Befriedigung oder zur Abwehr der Entschädigungsansprüche des geschädigten Dritten zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers und der mitversicherten Personen im Rahmen der Versicherungssumme und der übernommenen Gefahr abzugeben (Art 9 Abs 1 AKHB). In diesem Umfange stellt der Haftpflichtversicherer den Haftpflichtversicherten dar (§ 1017 ABGB). Aus dieser Vollmacht ergibt sich aber, wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 13. 2. 1963, 7 Ob 39/63 EvBl 1963/271 = SZ 36/25 = VersR 1964, 1059) ausgesprochen hat, daß der Versicherungsnehmer ähnlich wie bei einem sonstigen Bevollmächtigten die Erklärungen und die Kenntnis des Bevollmächtigten für und gegen sich gelten lassen muß, daß also die Kenntnis des Bevollmächtigten (Versicherers) der Kenntnis des Vollmachtgebers (Versicherungsnehmers) gleichzuhalten ist, soweit es sich um Angelegenheiten handelt, die in die Versicherungspflicht fallen (vgl auch Stiefel - Wussow, Kraftfahrversicherung[7] 378, Anm 24 zu § 10 Abs 5 AKB). Von diesen Grundsätzen abzugehen, gibt auch die Kritik Wahles an der genannten Entscheidung in VersR 1964, 1060, soweit sie sich in der bezeichneten Richtung bewegt, keinen Anlaß.
Diese Zurechnung der Kenntnis des Bevollmächtigten von Rechtshandlungen im Rahmen des Vollmachtsverhältnisses in der Person des Vollmachtgebers findet, wie in SZ 13/39 zum Ausdruck kommt, auch im Bereich des Prozeßrechtes statt (vgl dazu auch Fasching IV, 512, 513, Anm 21 zu § 530 ZPO). Der Vollmachtgeber kann somit eine Tatsache, die seinem Bevollmächtigten, der nicht unbedingt auch Prozeßvertreter sein muß, zu einer Zeit bekannt war, zu der sie im Prozeß noch hätte geltend gemacht werden können, nicht als Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geltend machen, auch wenn sie ihm erst später bekannt wurde.
Das Berufungsgericht hat daher das Vorliegen eines gesetzlichen Wiederaufnahmsgrundes mit Recht verneint und es hat daher zutreffend das angefochtene Urteil aus Anlaß der Berufung aufgehoben und die Klage mit Beschluß zurückgewiesen (JBl 1957, 270). Dem dagegen erhobenen Rekurs war schon auf Grund obiger Erwägungen ein Erfolg zu versagen, ohne daß es noch erforderlich gewesen wäre, auf die Eventualbegründung des angefochtenen Beschlusses einzugehen.
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