Spruch:
Einem in Österreich zu Schaden gekommenen Ausländer gebührt Schmerzengeld nach österreichischem Recht. Bei der Schmerzengeldbemessung ist nicht darauf Bedacht zu nehmen, ob die Kaufkraft der in seinem Staate geltenden Währung der des österreichischen Schillings entspricht
OGH 9. 12. 1971, 2 Ob 143/71 (OLG Wien 9 R 213/70; KG Wr Neustadt 1 Cg 278/70)
Text
Die Klägerin wurde am 29. 7. 1969 bei einem vom Erstbeklagten als Lenker seines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten LKW schwer verletzt. Sie begehrten von den Beklagten zur ungeteilten Hand an Heilungskosten DM 1115.- und S 7287.20, an Schmerzengeld DM 10.000.- und für Verhinderung des besseren Fortkommens sowie seelische Schmerzen infolge Entstellung DM 5000.-, insgesamt also die Zahlung von DM 16.115.- und S 7287.50. Mit dem Leistungsbegehren verband sie ein Feststellungsbegehren.
Die Beklagten anerkannten ein Schmerzengeld von S 20.000.- und beantragten die Abweisung des darüber hinausgehenden Begehrens.
Das Erstgericht stellte die Solidarhaftung der Beklagten für künftig entstehende Schäden der Klägerin fest und verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von DM 7916.- samt 4% Zinsen seit 15. 9. 1969 sowie eines Betrages von S 7287.20. Das Mehrbegehren von DM 8199.- samt 4% Zinsen seit 15. 9. 1969 wurde abgewiesen.
Infolge Berufung beider Parteien bestätigte das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Im Revisionsverfahren stehen nur mehr die Bemessung des Schmerzengeldes und das Begehren auf Zuerkennung einer Entschädigung für Verhinderung des besseren Fortkommens zur Erörterung. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen erlitt die Klägerin eine Prellung des Kopfes und des Rumpfes, zahlreiche Rißquetschwunden im Gesicht, eine Verrenkung des rechten Hüftgelenkes mit temporärer Schädigung des Wadennervs, eine Rißquetschwunde am linken Knie, einen Sprung im linken Schienbeinkopf und einen Bruch des Grundgliedes der linken großen Zehe. Die primäre Behandlung erfolgte im Krankenhaus Baden, wo die Klägerin bis 20. 8. 1969 blieb. Die Wundheilung war im wesentlichen komplikationslos. Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus trug die Klägerin wegen der Verletzung des linken Schienbeinkopfes einen Oberschenkelgips, der etwa sieben Wochen nach dem Unfall abgenommen wurde. Danach folgte eine physikalische Behandlung. Die Klägerin benötigte bis zirka November 1969 zur Fortbewegung einen Stock und war bis Ende 1969 noch so bewegungsbehindert, daß sie Hausarbeiten nur mit fremder Hilfe verrichten konnte. Durch den Unfall wurden die Kanten der vier oberen Schneidezähne abgeschlagen. Die bis dahin gesunden Zähne mußten durch die Anbringung von Jacketkronen saniert werden. Von den Weichteilwunden blieben mehrere bis auf eine Entfernung von zirka 1 1/2 m sichtbare Narben zurück, nämlich eine bogenförmige, zirka 5 cm lange Narbe unter dem Kinn, mit der eine 3 cm lange Narbe am linken Kinn zusammenläuft, eine zirka 4 cm lange, vom linken Mundwinkel weg verlaufende Narbe, eine zirka 1 cm lange halbkreisförmige Narbe, die vom linken Auge ausgeht, und eine waagrechte Narbe über dem linken Nasenflügel in der Länge von etwa 1 1/2 cm, ferner eine Narbe von einigen Millimetern am Nasenrücken zwischen den Augenbrauen und eine punktförmige Narbe auf der Stirn. Alle Narben sind hautfarben und etwas erhaben; bei niedriger Außentemparatur werden sie rot. Diese Narben sind zum Teil auffällig, insbesondere die Narbe am Kinn, wenn auch nicht in dem Maße wie auf den in den Akten erliegenden Lichtbildern. Am linken Knie findet sich eine waagrecht verlaufende, bläuliche Narbe von etwa 15 cm Länge. Eine kosmetisch-chirurgische Behandlung würde aller Voraussicht nach eine Besserung des Narbenbildes mit sich bringen. Die damit verbundenen Schmerzen können derzeit nicht abgeschätzt werden, weil die Art der Behandlung noch nicht feststeht. Dauerfolgen im Sinne einer Funktionsstörung bestehen nicht. Die Klägerin hat beim Bücken noch Schmerzen und leidet häufig an Kopfschmerzen. Sie empfindet die Narben als Entstellung und fühlt sich in Gesellschaft unsicher. Die Klägerin will sich daher einer kosmetischen Operation unterziehen. Ohne Bedachtnahme auf den Zahnschaden hatte die Klägerin zusammengefaßt zwei Wochen starke, vier Wochen mittelstarke und zwölf Wochen leichte Schmerzen. Die 31jährige, im Haushalt tätige Klägerin ist Mutter von zwei Kindern im Alter von sechs und acht Jahren. Vor ihrer Verehelichung war sie Verkäuferin, hat jedoch derzeit nicht die Absicht, wieder einem Beruf nachzugehen. Die Klägerin wirkt auf ihren 35jährigen Mann nicht abstoßend oder entstellt. Dieser zieht eine Scheidung nicht in Erwägung.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß ein Anspruch auf Entschädigung nach § 1326 ABGB nicht bestehe, weil die von der Klägerin gar nicht beabsichtigte Ausübung des früheren Berufes einer Verkäuferin durch die Entstellung nicht gefährdet wäre und weil der Ehegatte der Klägerin nicht an Scheidung denke. Das Schmerzengeld bemaß das Erstgericht unter Bedachtnahme auf Dauer und Intensität der Schmerzen, den teilweisen Verlust und die Lockerung der Zähne, Alter und Beruf der Klägerin sowie die seelische Beeinträchtigung durch das Minderwertigkeitsgefühl wegen der Narben mit DM 7000.-.
Das Berufungsgericht billigte die Schmerzengeldbemessung und auch die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Entschädigung wegen Verhinderung des besseren Fortkommens habe. Die Möglichkeit eines künftigen Vermögenschadens iS des § 1326 ABGB könne mit hinlänglicher Sicherheit verneint werden, weil die Klägerin einen Wiedereintritt in das Berufsleben nicht beabsichtige und ihr Mann ausreichend für sie sorge.
Zu Unrecht rügt die Revision, soweit ihren Ausführungen entnommen werden kann, als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, daß die mit der behaupteten Gehirnerschütterung verbundenen Kopfschmerzen und die Schmerzen der Zahnbehandlung, die antragsgemäß durch Fachärzte für Neurologie und Zahnheilkunde zu begutachten gewesen wären, bei der gebotenen Globalbemessung des Schmerzengeldes nicht "beurteilt" worden seien.
Das Erstgericht hat das Vorbringen der Revisionswerberin bei der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 3. 11. 1970, daß sie infolge einer unfallbedingten Gehirnerschütterung auch Kopfschmerzen erlitten habe und daß durch die Zahnbehandlung zusätzliche Schmerzen entstanden seien, als Klagsänderung beurteilt und wegen des Widerstandes der Beklagten nicht zugelassen, weil die Klägerin damit neue anspruchsbegrundende Tatsachen behauptet habe, durch deren Zulassung das Verfahren erheblich verzögert würde. Der von der Klägerin gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes erhobene Rekurs blieb ohne Erfolg; das Rekursgericht billigte die Ansicht der ersten Instanz, daß dieses Vorbringen der Klägerin eine unzulässige Klagsänderung darstelle. Der bestätigende Beschluß der zweiten Instanz ist gemäß § 528 Abs 1 ZPO unanfechtbar, seine Überprüfung durch das Revisionsgericht ausgeschlossen. Die Nichtberücksichtigung des nicht zugelassenen Vorbringens und die Ablehnung der dafür angebotenen Beweise durch die Untergerichte kann daher weder als Mangelhaftigkeit des Verfahrens noch als unrichtige rechtliche Beurteilung mit Erfolg geltend gemacht werden.
Die Rechtsrüge ist, soweit sie sich gegen die Schmerzengeldbemessung richtet, nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht von dem von den Untergerichten festgestellten Sachverhalt ausgeht, sondern geltend macht, daß bei einer Globalbemessung aller Schmerzen, dh bei Berücksichtigung der behaupteten, aber nicht festgestellten weiteren Schmerzen das begehrte Schmerzengeld von DM 10.000.- angemessen wäre.
Auf der Grundlage der Feststellungen der Vorinstanzen ist ein Schmerzengeld von DM 7000.-, das sind rund S 50.000.-, auch nach Ansicht des Revisionsgerichtes den erhobenen Umständen angemessen. Auf das Vorbringen der Revisionswerberin, daß nicht vom reinen Wechselkurs, sondern von der inneren Kaufkraft ausgegangen werden müsse, ist zu erwidern, daß Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall nach dem am Unfallsort geltenden Recht zu beurteilen sind (ZVR 1960/371 ua) und einem in Österreich zu Schaden gekommenen Ausländer Schmerzengeld daher nach österreichischem Recht gebührt (Piegler, Das Schmerzengeld, 83). Bei der Schmerzengeldbemessung ist daher nicht darauf Bedacht zu nehmen, ob die Kaufkraft der Deutschen Mark der des Schillings entspricht.
Die Revision wendet sich auch gegen die Ansicht, daß die Klägerin keinen Anspruch auf eine Verunstaltungsentschädigung habe. Nach ständiger Rechtsprechung genüge für die Begründung eines solchen Anspruches die Möglichkeit der Verhinderung des besseren Fortkommens. Das Berufungsgericht habe nicht darauf Bedacht genommen, daß die Klägerin ihren Mann durch Unfall oder Scheidung verlieren könne. Schließlich müsse auch in Betracht gezogen werden, daß die Revisionswerberin durch Scheidung oder Krankheit zur Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit gezwungen sein könnte.
Richtig ist, daß nach der Rechtsprechung für die Zuerkennung der Entschädigung nach § 1326 ABGB bereits die abstrakte Möglichkeit der Verhinderung des besseren Fortkommens des Beschädigten durch die Verunstaltung genügt (SZ 25/268; ZVR 1970/138 ua). Der Begriff der "abstrakten Möglichkeit" einer Verhinderung des besseren Fortkommens geht jedoch nicht so weit, daß jede nur im Bereiche des Denkbaren gelegene Möglichkeit umfaßt würde. Ein wenn auch geringer Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintrittes ist unerläßliches Erfordernis. Dieses ist nicht erfüllt, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände auch ohne die Verunstaltung mit einem besseren Fortkommen praktisch nicht zu rechnen gewesen wäre (ZVR 1970/138; 2 Ob 16/71). Bei den festgestellten Umständen haben die Vorinstanzen mit Recht eine qualifizierte Unwahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes angenommen, sodaß die Abweisung des Begehrens auf Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung frei von Rechtsirrtum ist.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)