OGH 2Ob135/62

OGH2Ob135/625.7.1962

SZ 35/75

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §324 (3)
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §324 (3)

 

Spruch:

§ 324 (3) ASVG. hindert den Fürsorgeträger nicht, von dem Pflegling oder seinen unterhaltspflichtigen Anverwandten den Ersatz des durch den Versicherungsträger nicht gedeckten Aufwandes zu begehren.

Entscheidung vom 5. Juli 1962, 2 Ob 135/62.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien: II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Gatte der Beklagten, Franz F., befindet sich seit 23. April 1950 in der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof". Dortselbst betragende Pflegegebühren 40 S täglich. Franz F. bezieht als Rentner (Pensionist) der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine Rente (Pension); seit 1. Februar 1960 hat diese Rente einschließlich der Kinderbeihilfe monatlich 793.20 S betragen; ab 1. Dezember 1960 beträgt die Rente nach Wegfall der Kinderbeihilfe 678.20 S. Von dieser Rente sind jeweils 50% der Klägerin (Anstaltenamt) und die restlichen 50% an die Beklagte gezahlt worden, wozu bei der Beklagten noch die Wohnungsbeihilfe und - zunächst - die Kinderbeihilfe gekommen ist. Die Beklagte hat außer dieser Teilrente ein Einkommen von monatlich 1800 S; außer für ihren Gatten hat sie für niemand zu sorgen. Der Sohn des Pfleglings ist zur Leistung von 170 S monatlich an die Klägerin verpflichtet worden. Die Klägerin verlangt von der Beklagten gemäß der Fürsorgepflichtverordnung teilweisen Ersatz der ungedeckten Verpflegskosten, ausgehend vom Betrage von 220 S monatlich für die Zeit vom 1. April 1960 bis einschließlich September 1961; sie begehrt unter Berücksichtigung erhaltener Zahlungen restlich 3330 S samt 4% Zinsen seit 12. Juli 1961. Die Beklagte hat den Anspruch bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Der Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht Folge gegeben und in Abänderung des Ersturteils dem Klagsbegehren stattgegeben. Wenn durch die volle Rente (100%) zuzüglich eines allfälligen Hilflosenzuschusses die Verpflegskosten nicht gänzlich gedeckt werden könnten, sei eine Unterhaltsverpflichtung dritter Personen anzunehmen. Aus der Bestimmung des § 324 (3) ASVG. könne - entgegen der Meinung der ersten Instanz - nicht abgeleitet werden, daß die Differenz zwischen der vollen Rente und der Verpflegskosten vom Fürsorgeträger schlechthin ohne Anspruch auf Ersatz gegenüber den unterhaltspflichtigen Verwandten des Pfleglings zu leisten sei. Die Vorschrift des § 148 Z. 5 ASVG. sei eine Sonderbestimmung, die argumento e contrario die Auslegung des Berufungsgerichtes decke. Eine Schlechterstellung des unterhaltspflichtigen Verwandten sei nicht gegeben; sollte dieser lediglich den ihm nach dem ASVG. zustehenden Rententeil erhalten, werde wohl in der Regel seine Leistungsfähigkeit zum Ersatze an den Fürsorgeträger nicht anzunehmen sein. Die Beklagte sei infolge Dürftigkeit des Ehemannes verpflichtet, diesem den mangelnden anständigen Unterhalt zu gewähren. Denn die volle Rente betrage selbst bei Berücksichtigung zweier Sonderzahlungen im Jahre nach Abzug der nur eine Durchlaufpost darstellenden Kinderbeihilfe im Monatsdurchschnitt

791.23 S. Auch wenn der vom Sohn des Pfleglings geleistete Betrag von 170 S monatlich dazugerechnet werde, verbleibe ein ungedeckter Rest, der den nunmehr von der Beklagten eingeforderten Monatsbetrag übersteige. Demnach sei die Klägerin zur Forderung des Ersatzes berechtigt. Der Ersatzbetrag entspreche auch dem Einkommen der Beklagten; neben dem 50%igen Teilbetrag der Rente ihres Gatten habe sie noch ein weiteres Einkommen von 1800 S monatlich; der Beitrag von 220 S monatlich sei also angemessen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionsausführungen sind nicht geeignet, die Beurteilung des Berufungsgerichtes zu widerlegen. Denn die Bestimmungen des § 324

(3) ASVG. normieren nur die Legalzession zugunsten des Fürsorgeträgers und den Umfang dieser Legalzession, lassen aber die sonstigen fürsorgerechtlichen Vorschriften unberührt (Abschnitt II des Fünften Teils des ASVG. behandelt die Beziehungen der Versicherungsträger zu den Fürsorgeträgern). Zutreffend hat das Berufungsgericht auf das Gutachten des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. November 1958, Jv. 12045-2/58, JBl. 1959 S. 45 ff., über die Voraussetzungen des Ruhens des Hilflosenzuschusses aus der Pensionsversicherung Bedacht genommen. Denn darin ist das hier zur Erörterung stehende Problem eingehend untersucht und eindeutig im Sinne der Auffassung der Berufungsinstanz gelöst worden, und es besteht kein Anlaß, vorliegendenfalls in Widerspruch zu der Auffassung des bezogenen Gutachtens zu entscheiden. Nur dann hat der Fürsorgeträger den Verpflegskostenrest aus eigenen Mitteln zu tragen, wenn der Rentner nicht selbst anderweitige Einkünfte oder sonstiges Vermögen hat oder wenn keine dritte Person vorhanden ist, die dem Rentner den Unterhalt zu leisten verpflichtet ist. Den Gesetzesmaterialien zum ASVG. (vgl. S. 99 der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates - VII. GP.) läßt sich keineswegs die Absicht des Gesetzgebers entnehmen, durch die Bestimmungen des § 324 ASVG. die bestehenden fürsorgerechtlichen Vorschriften dahin zu ändern, daß dem Fürsorgeträger ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Pfleglings oder seiner unterhaltspflichtigen Angehörigen die endgültige Tragung des seitens des Versicherungsträgers nicht gedeckten Aufwandes auferlegt werde. Richtig ist, daß nach der Rechtsprechung des Revisionsgerichtes (SZ. XXXIII 57) der Fürsorgeverband gemäß § 148 Z. 6 ASVG. - nunmehr § 148 Z. 5 ASVG. in der Fassung der 9. Novelle zum ASVG. - die Hälfte der Kosten für die Pflege eines in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke untergebrachten Kranken endgültig zu tragen hat; dabei handelt es sich jedoch um eine Sonderbestimmung, deren Auslegung auf die vorausgegangenen Erlässe abgestellt worden ist, zumal die Absicht des Gesetzgebers des ASVG. in diesem Punkte - vgl. S. 58 der obenbezogenen Erläuternden Bemerkungen - eindeutig auf die Regelung eines endgültigen Lastenausgleichs zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Fürsorgeverbänden gerichtet war. Aus SZ. XXXIII 57 läßt sich demnach für den Standpunkt der Revisionswerberin nichts ableiten. Mit Rücksicht auf die Novellierung des § 324 (3) ASVG. durch die 9. Novelle zum ASVG. war auch auf die Materialien zu dieser Novelle Bedacht zu nehmen; die Begründung des Initiativantrages der Abgeordneten Uhlir und Gen., betreffend eine 9. Novelle zum ASVG. (S. 95 zu 517 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, IX. GP.), ergibt aber keinerlei Hinweis für die Lösung des vorliegenden Problems. Da schließlich auch die Darlegungen der Berufungsinstanz hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen des Ersatzanspruches des Fürsorgeträgers zutreffend sind, muß der Revision jedweder Erfolg versagt bleiben.

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