Spruch:
Der Beweis der relativen Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft (§ 163 Abs. 2 ABGBaF) kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nur im Streit um die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind in Betracht
OGH 18. April 1974, 2 Ob 121/74 (OLG Linz 1 R 161/73; KG Steyr 2 Cg 113/73)
Text
Der Kläger begehrt den Ausspruch daß das beklagte Kind nicht aus der zwischen ihm und Pauline T bestehenden Ehe stamme, sondern unehelicher Abstammung sei. Er behauptete, das Kind sei von einem gewissen Raimund H gezeugt. Zum Beweis dafür, daß er nicht der Vater des beklagten Kindes sein könne, berief er sich auf Sachverständigengutachten über die Bluteigenschaften und die erbbiologisch-anthropologischen Merkmale. Gemäß § 182 Abs. 1 ZPO befragt brachte der Kläger vor, die Beziehungen des Raimund H zu Pauline T hatten bis Oktober 1971 gedauert. Nach diesem Zeitpunkt sei Raimund H nicht mehr gekommen. Von da an habe er seiner Ehefrau wieder regelmäßig beigewohnt. Vorher sei es einen Monat hindurch zu keinem ehelichen Verkehr gekommen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus:
Das beklagte Kind wurde am 30. Juni 1972 von der Ehegattin des Klägers geboren. Zwischen ihr und Raimund H kam es zweimal zu einem Geschlechtsverkehr, und zwar einmal im Frühjahr 1971 und einmal im November 1971, möglicherweise am 11. November 1971. Mit dem Kläger hatte Pauline T wegen der Bewirtschaftung einer weiteren Liegenschaft Meinungsverschiedenheiten. Deswegen hielt sich der Kläger zeitweilig auch auf dieser anderen Liegenschaft auf. Es kam daher nur selten zum ehelichen Verkehr. Pauline T meint, es sei in der Zeit von September 1971 bis etwa Mitte Dezember 1971 überhaupt zu keinem ehelichen Verkehr gekommen. Sie ist sich dessen jedoch nicht sicher, weil der Kläger auch während des genannten Zeitraumes zeitweilig auf dem von ihr bewohnten Hof übernachtete. Sie ist der Meinung, daß das beklagte Kind bei dem Verkehr mit Raimund H am 11. November 1971 gezeugt wurde, weil ihr nach diesem Verkehr die monatliche Regel ausblieb. Sie ließ Raimund H von ihrer Schwangerschaft Mitteilung zukommen.
Die vorgenommene Untersuchung der Bluteigenschaften der Eheleute Wolfgang und Pauline T sowie des beklagten Kindes ergab, daß nach der Konstellation der Bluteigenschaften dieser Person eine Ausschlußchance von 91.64% für Nichtväter besteht. Der Kläger ist als Vater des beklagten Kindes jedoch nicht auszuschließen. Die Wahrscheinlichkeit der natürlichen Vaterschaft des Klägers zum beklagten Kind beträgt nach Essen - Möller 95%.
Das Erstgericht war daher der Ansicht, daß dem Kläger der Beweis seiner Nichtvaterschaft nicht gelungen sei. Den Antrag auf Einholung eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens lehnte das Erstgericht ab, weil das beklagte Kind zur Zeit des Schlusses der Verhandlung erster Instanz erst 15 Monate alt war und in diesem Alter die vererblichen körperlichen Merkmale noch nicht so gut ausgeprägt seien, daß aus ihnen ein verläßliches Abstammungsgutachten abgeleitet werden könne. Auf die Vernehmung des Klägers als Partei wurde einvernehmlich verzichtet, weil er keine genauen Angaben über den ehelichen Verkehr innerhalb der in Betracht kommenden Zeit machen konnte.
Diese Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Berufungsgericht ging von der unbekämpft gebliebenen Rechtsansicht des Erstgerichtes aus, daß es nur darauf ankomme, ob die Vaterschaft des Klägers zu dem beklagten Kind ausgeschlossen werden könne.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision Folge. Die Urteile der Untergerichte wurden aufgehoben und die Rechtssache an das Prozeßgericht zu ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Für das beklagte Kind, das nach geschlossener und derzeit noch aufrecht bestehender Ehe von der Ehefrau Pauline T am 30. Juli 1972 geboren wurde, streitet gemäß § 138 Abs. 1 ABGB die Vermutung der ehelichen Geburt. Diese Vermutung kann durch den Beweis der Unmöglichkeit oder der an Gewißheit grenzenden Unwahrscheinlichkeit, daß das Kind vom Ehemann der Mutter gezeugt wurde, entkräftet werden (Gschnitzer, Familienrecht, 77). Daran hat sich durch das Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes (BGBl. 342/1970) nichts geändert. Der danach nunmehr zulässige Beweis der relativen Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft (§ 163 Abs. 2 ABGB idF des genannten Gesetzes) kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nur im Streit um die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind in Betracht. Demgemäß ziehen auch Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes, 2. Aufl. Bd. II, 128, eine Rückwirkung des Bundesgesetzes BGBl. 342/1970 auf die Möglichkeit der Widerlegung der Vaterschaftsvermutungen des § 138 ABGB nicht in Betracht, sondern gehen in ihrer Darstellung (Koziol - Welser, 128 und 129) von einer in der Gesetzeslage begrundeten Verschiedenheit der Möglichkeiten zur Widerlegung der Vaterschaftsvermutungen bei ehelich geborenen und unehelichen Kindern aus. Im vorliegenden Fall kann daher der Kläger die auf ihn zutreffende Vaterschaftsvermutung des § 138 ABGB nicht durch den Beweis widerlegen, daß die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft eines anderen Mannes zu dem beklagten Kind größer wäre als die auf ihn zutreffende. Die Einbeziehung des Raimund H als allenfalls in Betracht kommenden Vaters in die naturwissenschaftlichen Abstammungsuntersuchungen konnte daher unterbleiben.
Die Einholung eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens wäre mit Rücksicht auf das geringe Alter des Kindes von derzeit noch nicht einmal zwei Jahren nicht zielführend gewesen, weil verläßliche Ergebnisse noch nicht zu erwarten gewesen wären (siehe die in der MAG des ABGB 29. Aufl., bei § 163 unter 17. abgedruckten Entscheidungen).
Zu der in der Revision aufgeworfenen Frage, ob das Erstgericht die Einholung eines Tragzeitgutachtens von Amts wegen hätte verfügen müssen, ist auf folgendes zu verweisen:
Im Abstammungsverfahren gelten gemäß § 6 Abs. 1 Z. 1 der FamRAngl V vom 6. Feber 1943, DRGBl I, S. 80, die Bestimmungen der §§ 183 Abs. 2, 482, 483 und 504 Abs. 2 ZPO nicht. Es herrscht also im Rechtsmittelverfahren in Abstammungssachen kein Neuerungsverbot. Es dürfen daher sowohl die Tatsachen und Beweismittel, die schon bei Schluß der Verhandlung erster Instanz vorhanden waren, als auch solche, die erst nachher entstanden oder benützbar geworden sind, vorgetragen werden. Die Parteien können daher auch noch in 2. und 3. Instanz Sachanträge stellen, ändern, ergänzen und auch entsprechende Behauptungen ergänzen und vorbringen (Fasching IV, 155, 297 und 346). Nun hat der Kläger aber schon in der Berufung in Ergänzung seines bisherigen Vorbringens neu behauptet, er habe mit seiner Ehefrau in der Zeit vom Oktober bis etwa Mitte Dezember 1971 nicht geschlechtlich verkehrt. Dabei hat er sich auf seine Vernehmung als Partei berufen und auch eine Begründung dafür gegeben, warum er in den früheren Verfahrensstadien weniger konkrete Behauptungen aufgestellt hat. Damit hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Nun hat der Kläger dieses Vorbringen auch in der Revision in der Form wiederholt und erweitert, daß er nunmehr behauptete, er habe seiner Gattin in der Zeit vom September 1971 bis etwa kurz vor Weihnachten nicht beigewohnt. Sollte diese Behauptung, mit deren Glaubwürdigkeit sich die Revisionsinstanz nicht auseinanderzusetzen hat, erwiesen werden, dann läge auch ein Ausschluß der Vaterschaft des Klägers zu dem beklagten Kind im Bereich des Möglichen, und zwar etwa dann, wenn ein auf dem Inhalt der Geburtsgeschichte des beklagten Kindes beruhendes Tragzeitgutachten zu dem Ergebnis käme, daß das beklagte Kind innerhalb des Zeitraumes, in dem der Kläger mit seiner Ehegattin nicht geschlechtlich verkehrt hat, mit Sicherheit oder an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gezeugt worden sein muß.
Damit erweist sich, daß die Sache auf Grund des in der Berufung und der Revision enthaltenen neuen Vorbringens noch nicht spruchreif ist. Da zur Herstellung der Spruchreife eine Verhandlung in erster Instanz offenbar notwendig ist, waren die Urteile der Untergerichte aufzuheben und es war die Sache an das Gericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
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