OGH 2Ob119/89

OGH2Ob119/8914.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christa M***, Angestellte, 6143 Navis, Unterweg 10, vertreten durch Dr. Guido Liphart, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien

  1. 1.) Gottfried L***, Angestellter, 6143 Pfons, Schöfens Nr. 4,
  2. 2.) W*** A*** Versicherungs-AG, 1010 Wien, Opernring, beide vertreten durch Dr. Gert F. Kastner und Dr. Hermann Tscharre, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Leistung und Feststellung (Streitwert insgesamt 479.238,32 S), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 5. Juli 1989, GZ 3 R 205/89, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 26. April 1989, GZ 41 Cg 206/88-18, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 9.513,90 S (darin keine Barauslagen und 1.585,65 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6. Juni 1985 kam es um ca. 4,40 Uhr auf der Brenner-Bundesstraße im Ortsgebiet von Matrei am Brenner bei km 21,6 zu einem Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Fußgängerin und der Erstbeklagte als Lenker und Halter des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs mit dem Kennzeichen T 682.087 beteiligt waren. Die Klägerin wurde vom Fahrzeug des Erstbeklagten auf der Fahrbahn erfaßt und erlitt schwere Kopfverletzungen. In dem zu 10 U 797/85 beim Bezirksgericht Innsbruck behängenden Strafverfahren wurde der Erstbeklagte rechtskräftig wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB verurteilt. Nach Inhalt des Schuldspruchs liegt ihm zur Last, daß er den Unfall durch mangelnde Aufmerksamkeit und Vorsicht im Straßenverkehr sowie nicht gehörige Beachtung der vor ihm liegenden Fahrbahn verschuldete.

Mit der am 3. Juni 1988 überreichten Klage begehrte die Klägerin nach mehreren Klagseinschränkungen und -ausdehnungen zuletzt die Zahlung von 429.238,32 S sA und die mit 50.000 S bewertete Feststellung der Haftung der Beklagten - der Zweitbeklagten bis zur Höhe der Haftungssumme auf Grund des Versicherungsvertrags - für alle "kausalen Schäden" aus dem Unfall vom 6. Juni 1985.

Die Klagsforderung setzte sich zuletzt wie folgt zusammen:

Schmerzengeld 710.000 S zuzüglich Verdienstentgang vom 10. Juni 1985 bis 20. Oktober 1988: netto 266.131,40 S; insgesamt 976.131,40 S; davon 2/3 = 650.754,26 S minus die Teilzahlungen sowie den PB-Zuspruch von insgesamt 214.095 S; sohin 429.238,32 S (rechnerisch richtig allerdings: 436.659,26 S).

Die Klägerin brachte vor, daß der Erstbeklagte wegen seiner gänzlichen Unaufmerksamkeit das weitaus überwiegende Mitverschulden am Unfall zu vertreten habe.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Das Mitverschulden der Klägerin am Unfall sei mit 2/3 zu bewerten, da sie den Fahrzeugverkehr auf der Bundesstraße nicht beobachtet und das Beklagtenfahrzeug nicht wahrgenommen habe. Mit den geleisteten Teilzahlungen sei der Schade der Klägerin einschließlich des Schmerzengeldes abgegolten worden. Das Feststellungsbegehren werde mit der Einschränkung der Haftung für alle künftigen Schäden zu 1/3 anerkannt. 2/3 der insgesamt 23.858 S betragenden Reparaturkosten des Beklagtenfahrzeuges, sohin ein Betrag von 15.905,33 S, wurde aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung eingewendet. Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren der Klägerin im Ausmaß von 1/3 Folge und wies sowohl das Zahlungsbegehren von 429.238,32 S sA als auch das Feststellungsmehrbegehren ab, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde legte:

Die Klägerin fuhr zunächst mit ihrem PKW auf der Brennerstraße durch Matrei am Brenner in Richtung Steinach. Als an ihrem Fahrzeug im Ortsgebiet von Matrei ein Defekt auftrat, den sie nicht selbst beheben konnte, verließ sie den Wagen und ging in Richtung Bahnhof. Sie hielt dann den in Richtung Steinach fahrenden Motorradfahrer Eberhard B*** an. Sodann lief sie zur Fahrbahnmitte zu dem in der Mitte seines Fahrstreifens angehaltenen Motorrad und erklärte B*** ihre Situation. B*** erklärte sich bereit, der Klägerin behilflich zu sein, und wollte mit seinem Motorrad umkehren. Die Klägerin ihrerseits drehte sich um und wollte mit einer Geschwindigkeit von ca. 5 bis 6 km/h zum östlichen Fahrbahnrand gelangen, als sich mit eingeschaltetem Abblendlicht das in Richtung Innsbruck fahrende Beklagtenfahrzeug näherte. Der Erstbeklagte "verringerte, als er das Abblendlicht des Motorradscheinwerfers sah, seine Geschwindigkeit von 50 km/h auf 40 km/h und zwar, als er bemerkte, daß das Motorrad, dessen Scheinwerferlicht er bereits gesehen hatte, steht, wobei die Lenkung des Motorrades in seine - des Erstbeklagten - Richtung gedreht war". Der Erstbeklagte wollte am Motorrad vorbeifahren und stieß mit der rechten Vorderseite seines PKWs gegen die Klägerin, die bis zum Kollisionsort 1,5 bis 2,5 m zurückgelegt hatte. Die Klägerin fiel auf die Motorhaube und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und wurde dann in südliche (richtig wohl: nördliche) Richtung auf die Straße geschleudert, wo sie ca. 14 m nach der Anstoßstelle am östlichen Fahrbahnrand liegen blieb. Der Erstbeklagte, der die Klägerin vor der Kollision nicht bemerkt hatte, bremste sein Fahrezug ab und stellte es nördlich der Unfallstelle außerhalb der Fahrbahn ab.

Auch der Erstbeklagte war mit Abblendlicht gefahren, zumal am Unfallstag um 4,32 Uhr die Morgendämmerung begonnen hatte. Der Erstbeklagte hätte bei Annäherung an den Unfallsbereich die zu diesem Zeitpunkt in der Fahrbahnmitte stehende Klägerin bereits aus einer Entfernung von rund 100 m vor dem Kollisionsort wahrnehmen können, was ausgehend von einer Geschwindigkeit von 40 km/h einem Zeitraum von 9 Sekunden entspricht. Die in einer Höhe von 5 bis 6 m installierten Straßenlaternen brannten mit einer Lichtstärke von jeweils 80 Watt und leuchteten das betreffende Straßenstück nur gering aus.

Die Bewegungsstrecke der Klägerin im deutlichen Auffälligkeitsbereich des Erstbeklagten von der Fahrbahnmitte bis zum Kollisionsort betrug 2,5 m. Ca. 1,8 Sekunden vor der Kollision, als der Erstbeklagte noch ca. 20 m vom Kollisionsort entfernt war, war der Bewegungsvorgang der Klägerin für den Erstbeklagten deutlich auffällig. Es ergibt sich daher für den Erstbeklagten ein Reaktionsverzug von ca. 0,8 Sekunden, was bei einer Fehlbremsstrecke des Fahrzeuges des Erstbeklagten ausgehend von einer Kollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h einer Strecke von 11 m entspricht. Der Erstbeklagte hätte den Unfall nur dann verhindern können, wenn er um eine Sekunde früher als tatsächlich, demnach zwei Sekunden vor der Kollision, bereits durch Bremsen reagiert hätte. Der Erstbeklagte hätte also auch bei sofortiger Reaktion nach Auffälligkeit der Klägerin den Unfall "wegmäßig" nicht mehr verhindern können, wobei aber eine mögliche Verminderung der Geschwindigkeit auf 20 km/h einen geringeren Verletzungsumfang bei der Klägerin zur Folge gehabt hätte. Der Erstbeklagte hätte den Unfall nur dann verhindern können, wenn er bei erster reeller Sichtmöglichkeit auf den Unfallsbereich und die im Fahrbahnbereich stehenden Personen, also aus einer Entfernung von 40 bis 50 m, im Hinblick auf eine unklare Verkehrssituation einen Blickkontakt durch ein akustisches Signal erzwungen und darüberhinaus seine Fahrgeschwindigkeit auf unter 30 km/h vermindert hätte. Im Unfallsbereich ist die Fahrbahn durchschnittlich 6,2 m breit und beschreibt in Fahrtrichtung Innsbruck (Norden) eine leichte, übersichtliche Linkskurve. Für den Unfallsbereich gilt die im Ortsgebiet vorgeschriebene allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h. Zum Zeitpunkt des Unfalls herrschte in beiden Fahrtrichtungen geringes Verkehrsaufkommen. Der Himmel war wolkenlos oder nur gering bewölkt und die Fahrbahn trocken.

Wenn die Klägerin stehen geblieben wäre, wäre der Erstbeklagte mit einem Abstand von ca. 1 m an ihr vorbeigefahren. Die Klägerin erlitt beim Unfall neben multiplen Abschürfungen und Prellungen vor allem ein scwerstes Schädel-Hirn-Trauma, wobei es in diesem Zusammenhang zur Entwicklung eines massiven Hirnödems und eines atypischen Mittelhirnsyndroms IV kam. Darüberhinaus wurden Herdzeichen als Ausdruck einer zusätzlichen kortikalen kontusionellen Schädigung festgestellt. Die Klägerin mußte mehrere Wochen hindurch intensiv-medizinisch behandelt und konnte schließlich Ende Juli 1985 wiederum in häusliche Pflege entlassen werden, wobei bei der Entlassung noch eine deutliche "linkshirnige" Herdsymptomatik bestand, weiters eine psychisch-organische Veränderung und eine Hirnstammsymptomatik. Bis zum Sommer 1986 wurde eine ambulante Physikotherapie erforderlich. Die Klägerin blieb bis Sommer 1987 im Krankenhaus. Als Restfolgen nach dem Schädel-Hirn-Trauma finden sich noch erhebliche neurologische Ausfälle, insbesondere eine leichte Halbseitenschwäche rechts, eine rechtsseitig betonte Ataxie mit Gang- und Standunsicherheit, Koordinationsstörungen sowie ein leicht- bis mittelgradiges organisches Psychosyndrom frontaler Prägung. Die derzeitige neurologische Defektssymptomatik bedingt eine Teilinvalidität im Ausmaß von 70 %, wobei eine Befundänderung nicht mehr zu erwarten ist. Die Klägerin hat sich nach dem Unfall auch psychisch verändert und wurde schwieriger, launisch und manchmal depressiv. Unter Berücksichtigung der anfänglichen Bewußtlosigkeit und Bewußtseinstrübung hatte die Klägerin 25 Tage lang schwere Schmerzen, 25 Tage lang mittelstarke Schmerzen und - bis 16. Mai 1988 - 100 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. Dazu kommen noch in der Zukunft leichtgradige Schmerzen im - komprimiert - Ausmaß von 25 bis 30 Tagen pro Jahr, vor allem bedingt durch Kopfschmerzen und seelische Beschwerden.

Die Klägerin hatte am Tag des Unfalles die einjährige kaufmännische Privatschule Dr. W*** abgeschlossen und hätte in der Woche nach dem Unfall ihren Dienst beim Wirtschaftsberater Erich Z*** in Igls antreten sollen. Hinsichtlich des der Klägerin unfallsbedingt entstandenen Verdienstentgangs, den das Erstgericht für die Zeit vom 10. Juni 1985 bis 20. Oktober 1988 mit netto 240.000 S und für die Zeit vom 21. Oktober 1988 bis 20. März 1989 mit weiteren netto 15.000 S errechnete, wird auf die diesbezüglichen Feststellungen im Ersturteil S. 10 bis 11 verwiesen. Die Zweitbeklagte leistete an die Klägerin am 28. Juni 1988 eine Teilzahlung von 132.095 S und am 7. Dezember 1988 eine solche von 80.000 S.

Mit dem Strafurteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 21. September 1987, 10 U 797/85-29, wurde der Klägerin ein Teilschmerzengeld von 2.000 S zugesprochen.

Der Schade am Beklagtenfahrzeug betrug - inklusive Mehrwertsteuer - 23.858 S, wobei der Erstbeklagte diesen nicht zur Gänze reparieren ließ. Er bezahlte an Reparaturkosten nur ca. 14.000 S. In rechtlicher Hinsicht lastete das Erstgericht dem Erstbeklagten an, daß er seine Geschwindigkeit nicht weiter herabgesetzt und keinen Kontakt durch Licht- oder Hupzeichen mit der Klägerin hergestellt habe. Der Erstbeklagte habe es auch an der nötigen Aufmerksamkeit fehlen lassen, wodurch er die auf der Fahrbahn stehende Klägerin übersehen habe. Aber auch die Klägerin trage ein Mitverschulden, da sie sich entgegen der Bestimmung des § 76 Abs. 5 StVO mitten auf der Fahrbahn aufgehalten und die Fahrbahnhälfte des Erstbeklagten überquert habe, ohne auf das herannahende Fahrzeug zu achten. Das Verschulden sei im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten der Klägerin zu teilen.

Der Höhe nach erscheine ein Schmerzengeld von 450.000 S sowie ein Verdienstentgang von 255.000 S angemessen, weshalb sich der gesamte Schade mit 705.000 S errechne. Die Klägerin habe Anspruch auf Ersatz von 1/3 dieses Schadens, wobei dieses Drittel "aber von zwei Drittel ihrer Forderung zu berechnen sei, da die Klägerin, ohne ein Mitverschulden anzuerkennen, aus prozeßökonomischen Gründen nur zwei Drittel ihrer Ansprüche geltend gemacht habe". Ausgehend vom Schaden von 705.000 S errechne sich deshalb ein der Klägerin zustehender Betrag von 163.553,94 S, welche Forderung aber bereits durch die von den beklagten Parteien geleisteten Zahlungen in Höhe von 212.095 S abgedeckt sei. Das Zahlungsbegehren sei deshalb abzuweisen gewesen.

Infolge Berufung der Klägerin änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichts dahin ab, daß unter Einbeziehung des unangefochten gebliebenen und des bestätigten Teils der Entscheidung die Klagsforderung mit 205.905 S als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung mit 11.929 S ebenfalls als zu Recht bestehend erkannt und der Klägerin daher 193.976 S sA zugesprochen wurden sowie die Haftung der Beklagten für die künftigen Unfallsschäden der Klägerin im Umfang von 50 % unter Beschränkung der Haftung der Zweitbeklagten auf die Haftpflichtversicherungssumme für den PKW des Erstbeklagten festgestellt wurde; das Mehrbegehren von 235.262,32 S sA sowie das Feststellungsmehrbegehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten zu einem weiteren Sechstel wurden abgewiesen; das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, 15.000 S, der von der Bestätigung betroffene Teil 60.000 S und der Wert des Streitgegenstands insgesamt 300.000 S übersteigt; es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich, gelangte jedoch hinsichtlich der Teileinklagung des Schadens unter bzw. ohne Einräumung eines Mitverschuldens, hinsichtlich der Schadensteilung und der Höhe des Schmerzengeldes zu einer anderen Beurteilung.

Zur Frage der Einräumung eines Mitverschuldens der Klägerin bei der Teileinklagung des Schadens führte das Berufungsgericht aus, das Erstgericht sei davon ausgegangen, daß die Klägerin eine Teileinklagung ihres Anspruchs ohne Einräumung einer Mithaftung vorgenommen habe. Dementsprechend habe es den errechneten Teilschaden um die von der Klägerin zu tragende Mitverschuldensquote gekürzt. Mit Recht wende sich die Klägerin gegen diese Auffassung. Sie habe zwar in ihrer Klage "aus prozeßökonomischen Gründen derzeit 2/3" ihrer Gesamtforderung begehrt. Zu berücksichtigen sei jedoch auch, daß die Klägerin bereits in ihrer Klageschrift nur das "weitaus überwiegende Verschulden des Erstbeklagten am Unfall behauptete" und in ihrem vorbereitenden Schriftsatz ON 5 ausgeführt habe, daß das Verschulden des Erstbeklagten "wesentlich schwerer wiege". Diese Ausführungen in Verbindung mit der Begrenzung des Feststellungsbegehrens auf 2/3 der Unfallschäden könnten nur so verstanden werden, daß die Klägerin ein Eigenverschulden bzw. eine Mithaftung von 1/3 eingeräumt habe. Damit kämen aber die für die Teileinklagung eines Schadens ohne Einräumung eines Mitverschuldens aufgezeigten Grundsätze nicht zum Tragen und es sei der Berechnung der Klagsforderung der gesamte der Klägerin entstandene Schade zugrundezulegen.

Hinsichtlich der Schadensteilung führte das Berufungsgericht aus, entscheidend für die Verschuldensteilung sei nicht eine Gegenüberstellung der von den einzelnen Verkehrsteilnehmern begangenen Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen, sondern der Grad ihrer Fahrlässigkeit, die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Straßenverkehrs und die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch ihr schuldhaftes Verhalten bewirkten Gefahr. Die im § 268 ZPO normierte Bindungswirkung des Strafurteils des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 21. September 1987, 10 U 797/85-29, habe zur Folge, daß das Zivilgericht keine vom Straferkenntnis abweichenden Feststellungen bezüglich des Nachweises der strafbaren Handlung, ihrer Zurechnung und des Kausalzusammenhangs zwischen der Straftat und deren Folgen treffen dürfe. Es sei deshalb davon auszugehen, daß dem Erstbeklagten eine mangelnde Aufmerksamkeit und Vorsicht sowie die nicht gehörige Beobachtung der vor ihm liegenden Fahrbahn anzulasten sei, was dazu führte, daß er die auf der Fahrbahn befindliche Klägerin trotz früherer Wahrnehmbarkeit erst durch den Aufprall bemerkt habe. Dem Erstgericht sei zwar grundsätzlich darin beizupflichten, daß der Erstbeklagte angesichts der für ihn gegebenen Verkehrssituation im Falle der Wahrnehmung der Klägerin in der Fahrbahn gemäß § 22 StVO zur Abgabe eines Warnzeichens verpflichtet gewesen wäre. Der allenfalls daraus abzuleitende Verkehrsverstoß gehe aber im Vorwurf der Unachtsamkeit auf, zumal der Erstbeklagte die Klägerin vor dem Unfall überhaupt nicht wahrgenommen und damit keinen Grund für Kontaktaufnahme hatte. Umgekehrt habe die Klägerin, wie sie in ihrem Rechtsmittel selbst einräume, die Fahrbahn entgegen den Bestimmungen der §§ 76 Abs. 1, Abs. 4 lit. b, Abs. 5 und 6 StVO zu überqueren versucht, obwohl sich das herannahende Beklagtenfahrzeug bereits in bedrohlicher Nähe befunden habe. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte sie leicht erkennen können, daß sie die Bundesstraße nicht mehr gefahrlos überqueren werde können. Der Unfallsablauf zeige somit deutlich, daß es auch die Klägerin an der unter den festgestellten Umständen gebotenen Vorsicht und Aufmerksamkeit beim Überqueren der Fahrbahn fehlen ließ. Die Abwägung des beiderseitigen Verschuldens ergebe nach Auffassung des Berufungsgerichtes kein eindeutiges überwiegendes Verschulden eines der Unfallsbeteiligten und es erscheine deshalb eine Teilung im Verhältnis von 1 : 1 angemessen. Zur Schmerzengeldbemessung schließlich wies das Berufungsgericht darauf hin, im vorliegenden Fall sei insbesondere zu berücksichtigen, daß die Klägerin schwerste Verletzungen erlitten habe, lang andauernde Schmerzen zu erdulden hatte und auch in Zukunft noch zu ertragen haben werde. Ins Gewicht falle auch, daß mehrfache und gravierende Dauerfolgen zurückgeblieben seien, und zwar insbesondere neurologische Ausfälle und das Psychosyndrom, die auf Dauer eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % bewirkten. Auf Grund dieser Umstände, verbunden mit den nachteiligen psychischen Veränderungen der Klägerin, seien ihr sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft beträchtliche seelische Schmerzen zuzubilligen. Unter Berücksichtigung der Tendenz der neueren Rechtsprechung, besonders schwere Verletzungen mit höheren als den bisher üblichen Schmerzengeldern abzugelten, trage das vom Erstgericht mit 450.000 S bemessene Schmerzengeld den obigen Erwägungen nicht voll Rechnung und es erscheine der von der Berufungswerberin begehrte Betrag von - ungekürzt - 600.000 S angemessen.

Ausgehend von einem gleichteiligen Verschulden und den erörterten Schadenspositionen sowie den Zahlungen der Zweitbeklagten errechne sich die zu Recht bestehende Klagsforderung deshalb wie folgt:

Schmerzengeld S 600.000,--

Verdienstentgang für die Zeit vom

10. Juni 1985 bis 20. Oktober 1988 S 240.000,--

S 840.000,--

davon 50 % S 420.000,--

Teilzahlungen der

Zweitbeklagten S 132.095,--

S 80.000,--

PB-Zuspruch im

Strafverfahren S 2.000,--

S 214.095,--

Die Klagsforderung errechne sich

deshalb mit S 205.905,--,

demgegenüber betrage die Gegen-

forderung 50 %

der Reparaturkosten von

S 23.858,--, d.s. S 11.929,--.

Dem Zahlungsbegehren sei daher mit S 193.976 sA stattzugeben

gewesen; ebenso sei der Ausspruch über das Feststellungsbegehren der geänderten Schadensteilung anzupassen gewesen

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionsgründe nach § 503 Z 2 und 3 ZPO liegen nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs. 3 ZPO). In der Rechtsrüge bekämpfen die Beklagten die Verschuldensteilung und führen aus, die Klägerin treffe ein besonders grobes Verschulden, weil sie in der Fahrbahnmitte ein Gespräch mit einem Motorradfahrer geführt habe, der ungefähr in der Mitte seiner Fahrbahnhälfte sein Motorrad angehalten habe. Während dieses Gesprächs habe die Klägerin zum Motorradfahrer geblickt und sich nach Beendigung des Gesprächs umgedreht. Ein derart grobes Fehlverhalten der Klägerin rechtfertige eine Verschuldensteilung von 2 : 1 zu ihren Lasten. Hinsichtlich der Höhe des Schmerzengeldes wird in der Revision vorgebracht, die Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Höhe des Schmerzengeldes seien weitgehend richtig. Dennoch sei im Hinblick auf die Verletzungen der Klägerin ein ungekürztes Schmerzengeld von 600.000 S überhöht. Zu Recht habe das Erstgericht vielmehr den Anspruch der Klägerin - ungekürzt - mit 450.000 S bemessen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung entscheidet bei der Verschuldensteilung vor allem der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers, die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Verkehrs im allgemeinen und im konkreten Fall (ZVR 1984/43; ZVR 1975/162 ua). Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß die Klägerin die Fahrbahn entgegen den Bestimmungen des § 76 Abs. 1, 4 lit. b, 5 und 6 StVO zu überqueren versuchte, obwohl sich das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug bereits in bedrohlicher Nähe befand und sie bei Anwendung der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit leicht hätte erkennen können, daß sie die Bundesstraße nicht mehr gefahrlos werde überqueren können.

Bezüglich des Verschuldens des Erstbeklagten ist auf Grund des für den Zivilrichter gemäß § 268 ZPO bindenden verurteilenden Straferkenntnisses davon auszugehen, daß dem Erstbeklagten mangelnde Aufmerksamkeit und Vorsicht sowie die nicht gehörige Beobachtung der vor ihm liegenden Fahrbahn anzulasten ist, was zur Folge hatte, daß er die auf der Fahrbahn befindliche Klägerin trotz früherer Wahrnehmbarkeit erst beim Aufprall wahrnahm.

Werden die der Klägerin und die dem Erstbeklagten zur Last fallenden Verstöße gegen die Straßenverkehrsvorschriften einander gegenübergestellt, kann unter Anwendung der oben dargestellten Grundsätze und unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles entgegen der Auffassung der Revision ein Überwiegen der der Klägerin anzulastenden Verstöße gegen die Verkehrsvorschriften gegenüber den dem Erstbeklagten anzulastenden nicht angenommen werden. In der Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 kann somit keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden.

Auch hinsichtlich der Bekämpfung der Höhe des Schmerzengeldes kann der Revision nicht gefolgt werden. Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und an Stelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen (ZVR 1983/200 ua). Hieraus folgt einerseits, daß bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, anderseits aber zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl. Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht5 175 ff, ZVR 1982/392; ZVR 1987/93 ua). Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin bei dem Unfall neben multiplen Abschürfungen und Prellungen vor allem ein schwerstes Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat, wobei es in diesem Zusammenhang zur Entwicklung eines massiven Hirnödems und eines atypischen Mittelhirnsyndroms IV kam. Darüberhinaus wurden Herdzeichen als Ausdruck einer zusätzlichen kortikalen kontusionellen Schädigung festgestellt. Die Klägerin mußte mehrere Wochen hindurch intensiv-medizinisch behandelt werden und konnte schließlich Ende Juli 1985 wiederum in häusliche Pflege entlassen werden, wobei bei der Entlassung noch eine deutliche "linkshirnige" Herdsymptomatik bestand, weiters eine psychisch-organische Veränderung und eine Hirnstammsymptomatik. Bis zum Sommer 1986 wurde eine ambulante Physikotherapie erforderlich. Die Klägerin blieb bis Sommer 1987 im Krankenhaus. Als Restfolgen nach dem Schädel-Hirn-Trauma finden sich noch erhebliche neurologische Ausfälle, insbesondere eine leichte Halbseitenschwäche rechts, eine rechtsseitig betonte Ataxie mit Gang- und Standunsicherheit, Koordinationsstörungen sowie ein leicht- bis mittelgradiges organisches Psychosyndrom frontaler Prägung. Die derzeitige neurologische Defektssymptomatik bedingt eine Teilinvalidität im Ausmaß von 70 %, wobei eine Befundänderung nicht mehr zu erwarten ist. Die Klägerin hat sich nach dem Unfall auch psychisch verändert und wurde schwieriger, launisch und manchmal depressiv.

Unter Berücksichtigung der anfänglichen Bewußtlosigkeit und Bewußtseinstrübung hatte die Klägerin 25 Tage lang schwere Schmerzen, 25 Tage lang mittelstarke Schmerzen und - bis 16. Mai 1988 - 100 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. Dazu kommen noch in der Zukunft leichtgradige Schmerzen im - komprimiert - Ausmaß von 25 bis 30 Tagen pro Jahr, vor allem bedingt durch Kopfschmerzen und seelische Beschwerden. Bei Bedachtnahme auf das Gesamtausmaß der unfallbedingten physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin kann entgegen der Ansicht der Revision im Zuspruch eines Schmerzengeldes in der rechnerischen Höhe von insgesamt 600.000 S keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts erblickt werden. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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