Spruch:
Kann der Verletzte auf Grund der ihm bekannten Umstände zumutbarerweise ohne nennenswerte Mühe Name und Anschrift des Ersatzpflichtigen in Erfahrung bringen, so gilt die Kenntnisnahme als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie dem Berechtigten bei einer entsprechenden Erkündigung zuteil geworden wäre
OGH 8. 7. 1971, 2 Ob 11/71 (OLG Graz 2 R 120/70; LGZ Graz 18 Cg 161/69)
Text
Am 6. 6. 1966 stießen ein VW-Bus, dessen Halter und Lenker der Kläger war, und ein vom Erstbeklagten gelenkter und vom Zweitbeklagten gehaltener LKW zusammen. Mit seiner am Montag, dem 9. 6. 1969. bei Gericht eingelangten Klage begehrte der Kläger wegen Alleinverschuldens des Erstbeklagten Schadenersatz im Betrage von S 23.000.-.
Die Beklagten beantragten Klagsabweisung; sie wendeten insbesondere Verjährung ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil hinsichtlich des Erstbeklagten insoweit, als das Teilbegehren von S 7000.- sA und in Ansehung des Zweitbeklagten insoweit, als das Teilbegehren von S 3000.- sA abgewiesen worden war; im übrigen hob es das Ersturteil auf und wies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und verwies die Rechtssache im Umfang dieser Aufhebung an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Erstgericht hat zur Verjährungsfrage folgendes festgestellt:
Über die Bezahlung des Schadens wurde zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten nicht gesprochen. Dem erhebenden Gendarmen gab der Erstbeklagte an Ort und Stelle an, er fühle sich auf keinen Fall allein schuldig. Den Namen und die Adresse des LKW-Halters, also des Zweitbeklagten, hat sich der Kläger an Ort und Stelle nach dem Unfall nicht notiert. Dies tat er erst am nächsten Tag beim Gendarmerieposten K. Beide Türen des LKW wiesen den Namen und die Anschrift des Zweitbeklagten auf. Der LKW war bei der D-Versicherungsaktiengesellschaft haftpflichtversichert. Zufolge Auftrages des Haftpflichtversicherers vom 8. 6. 1966 erstattete der Sachverständige Dipl-Ing D am 10. 6. 1966 ein Gutachten über den Schaden am Fahrzeug des Klägers. Dann wurden dem Haftpflichtversicherer vom Kläger Reparaturrechnungen vorgelegt. Mietwagenkosten machte der Kläger gegenüber dem Haftpflichtversicherer nicht geltend. Als Ergebnis der Erhebungen des Haftpflichtversicherers machte dieser am 25. 8. 1966 dem Kläger ein schriftliches Anbot für die Schadensliquidierung. Vergleichsverhandlungen wurden nicht geführt. Es langte auch keine Antwort auf das Anbot vom 25. 8. 1966 ein. Am 6. 6. 1969 wurde der Haftpflichtversicherer vom Klagevertreter telefonisch um die Abgabe einer Verjährungsverzichtserklärung ersucht. Dies wurde abgelehnt.
Das Erstgericht meinte, der Kläger hätte sich schon am Unfallstage Name und Anschrift des Zweitbeklagten notieren können, weil beides für ihn schon wegen der Aufschrift auf den Türen des LKW offensichtlich war. Es handle sich nicht um den Fall der bloßen Möglichkeit der Kenntnisnahme. Für den Beginn des Fristenlaufes könne nur die objektive Gelegenheit, den Namen des Fahrzeughalters zur Kenntnis zu nehmen, entscheidend sein, sonst könnte der Geschädigte den Beginn der Verjährungsfrist beliebig hinausschieben. Vergleichsverhandlungen seien nicht geführt worden, eine Anerkennung im Laufe dieser Verhandlungen sei nicht einmal behauptet worden. Die Ersatzansprüche des Klägers gegen beide Beklagte seien daher verjährt.
Die Feststellungen des Erstgerichtes beurteilte das Berufungsgericht dahin, daß für den Beginn der Verjährung die Kenntnis der Person des Ersatzpflichtigen und nicht die bloße Möglichkeit dieser Kenntnis maßgebend sei. Hinsichtlich des Erstbeklagten sei die Klage erst nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist eingebracht worden. Im Verhalten des Haftpflichtversicherers (Schadenserhebung durch einen Sachverständigen, Stellung eines schriftlichen Anbots) sei jedoch ein stillschweigendes Anerkenntnis zu erblicken, durch das die Verjährung unterbrochen worden sei, allerdings nur hinsichtlich der Reparaturkosten und nur im Rahmen der vom Haftpflichtversicherer anerkannten Verschuldensquote. Von welcher Verschuldensquote der Haftpflichtversicherer in seinem schriftlichen Anbot ausgegangen,sei, stehe aber nicht fest. Erst nach Feststellungen hierüber werde beurteilt werden können, inwieweit der Anspruch des Klägers dem Erstbeklagten gegenüber hinsichtlich der Reparaturkosten gerechtfertigt sei. Hinsichtlich der Mietwagenkosten sei der Anspruch dem Erstbeklagten gegenüber auf jeden Fall verjährt, weil dieser Anspruch dem Haftpflichtversicherer gegenüber vor Klagseinbringung nicht geltend gemacht worden sei und daher auch von der Anerkennung nicht umfaßt sein könne.
Hinsichtlich des Zweitbeklagten sei entscheidend, ob der Kläger tatsächlich erst am 7. 6. 1966 von dessen Person Kenntnis erlangt habe. Das Erstgericht habe die für diese Behauptungen angebotenen Beweise nicht aufgenommen und keine Feststellungen dazu getroffen. Aus dem Namen und der Anschrift auf den LKW-Türen folge keineswegs zwingend, daß die dort angeführte Person der Halter des Fahrzeuges sei. Außerdem könne es dem Kläger nicht zum Nachteil angerechnet werden, wenn er im Schock des Unfalls nicht sofort an die Feststellung des Kraftfahrzeughalters gedacht habe. Hätte der Kläger den Namen und die Anschrift des Zweitbeklagten tatsächlich erst am 7. 6. 1966 zur Kenntnis bekommen, dann hätte die dreijährige Verjährungsfrist dem Zweitbeklagten gegenüber erst am Samstag, dem 7. 6. 1969, geendet und es wäre die am Montag, dem 9. 6. 1969, bei Gericht eingebrachte Klage hinsichtlich Reparaturkosten und Mietwagenkosten noch rechtzeitig erhoben. Andernfalls würde dasselbe gelten wie beim Erstbeklagten. Das Erstgericht werde daher ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
Die Rekurswerber machen geltend, daß der Kläger ein Anerkenntnis durch den Haftpflichtversicherer des Zweitbeklagten gar nicht behauptet habe; es fehle auch eine Behauptung, daß der Haftpflichtversicherer in einem bestimmten oder doch bestimmbaren Umfang zu erkennen gegeben habe, verpflichtet zu sein. Ein Anbot zur Schadensliquidierung, das übrigens abgelehnt worden sei, sei keine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Anerkenntnisses. Ein solches Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers hätte auch keine Unterbrechungswirkung gegenüber den Beklagten gehabt. Das Verfahren sei nicht gehörig fortgesetzt worden, weil erst 2 Jahre und 9 1/2 Monate nach Erstellung des ausgeschlagenen Anbots die Klage eingebracht worden sei. Der gegen den Erstbeklagten erhobene Anspruch sei daher verjährt. Hinsichtlich des Zweitbeklagten liege kein Feststellungsmangel vor. Das Erstgericht sei zum Erkenntnis gelangt, daß dem Kläger schon am 6. 6. 1966 die Haltereigenschaft des Zweitbeklagten bekannt gewesen sei. Wenn sich der Kläger auch den Namen und die Anschrift des Zweitbeklagten erst am 7. 6. 1966 notiert habe, so ändere dies nichts daran, daß die Kenntnisnahme von der Person des Ersatzpflichtigen schon am Vortag erfolgt sei. Der Kläger habe nicht nur auf Grund der Aufschrift auf beiden LKW-Türen, sondern auch auf den ihm vom Zeugen Hans B jun vorgewiesenen Fahrzeugpapiere Name und Anschrift des Zweitbeklagten ersehen. Wenn er diese möglicherweise vergessen habe, ändere das nichts an der am 6. 6. 1966 erfolgten Kenntnisnahme. Daß der Kläger einen Schock hatte, sei nicht aktenkundig. Eine Unterbrechung der Verjährung durch ein Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers liege auch hinsichtlich des Zweitbeklagten nicht vor.
Wie sich aus den Akten ergibt, hat der Kläger im vorbereitenden Schriftsatz vom 1. 9. 1969 behauptet, er habe die Anschrift des Zweitbeklagten erst am 7. 6. 1966 durch Erkündigung beim Gendarmeriepostenkommando K ausforschen können; die Verjährung sei durch Vergleichsverhandlungen mit dem bevollmächtigten Haftpflichtversicherer der beklagten Parteien unterbrochen worden. Diese Vergleichsverhandlungen seien mehrere Wochen hindurch geführt worden.
Die Beklagten erwiderten in der Tagsatzung vom 2. 9. 1969, die Anschrift des Zweitbeklagten sei dem Kläger schon am Unfallstag bekannt gewesen. Vergleichsverhandlungen seien überhaupt nicht erfolgt. Der Haftpflichtversicherer habe lediglich schriftlich ein unpräjudizielles anbot gestellt, das der Kläger abgelehnt habe. Die Klage sei nicht mehr in angemessener Frist eingebracht worden.
Der Kläger hat demnach selbst nicht behauptet, daß ihm die Beklagten aus einem Anerkenntnis ihres Haftpflichtversicherers dem Gründe oder der Höhe nach zur Zahlung verpflichtet seien oder daß durch ein solches Anerkenntnis die Verjährung unterbrochen worden sei. Er hat lediglich behauptet, daß durch Vergleichsverhandlungen die Verjährung unterbrochen worden sei.
Das Erstgericht stellte in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt fest, daß der Haftpflichtversicherer des Zweitbeklagten dem Kläger am 25. 8. 1966 ein Anbot für die Schadensliquidierung stellte, das nicht beantwortet wurde. Vergleichsverhandlungen seien nicht geführt worden.
Unter diesen Umständen ist für die vom Berufungsgericht angestellten rechtlichen Erwägungen kein Raum, da der Kläger selbst nie behauptet hat, der Haftpflichtversicherer habe ihm gegenüber eine bestimmte Verschuldensquote der Beklagten endgültig zugestanden (was auch nicht üblich wäre). Der vorliegende Fall unterscheidet sich dadurch grundlegend von dem zu 2 Ob 385, 386/70 entschiedenen, da dort bereits eine Teilzahlung auf Grund einer vereinbarten Verschuldensquote erfolgt war. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß eine vom Schuldner geäußerte Vergleichsbereitschaft nicht als ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis zu werten ist (JBl 1960, 640, SZ 40/40). Ein bloßes Vergleichsanbot, das nicht einmal beantwortet wurde, stellt aber auch keine "Vergleichsverhandlungen" dar, die die Verjährung hemmen könnten, sodaß die Ausführungen der Entscheidung SZ 38/72 hier nicht anwendbar sind. Es bleibt vielmehr dabei, daß durch ein Vergleichsanbot die laufende Verjährung nicht gehemmt wird (EvBl 1958/320; JBl 1960, 640) und daß selbst ein konkretes Vergleichsanbot kein Anerkenntnis darstellt (VersR 1967, 95).
Was die Frage der Kenntnis des Klägers von der Person des Zweitbeklagten anlangt, ist folgendes zu erwägen:
§ 852 Abs 1 BGB läßt ebenso wie der ihm durch die 3. TN nachgebildete § 1489 ABGB die dreijährige Verjährungsfrist mit der Kenntnis des Beschädigten vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen beginnen. Hier wie dort wird aus dieser Textierung abgeleitet, daß es auf das Kennen und nicht auf das Kennenmüssen ankomme (vgl DREvBl 1940/4I2). Dennoch darf der Beschädigte sich nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, ob die Kenntnis der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig an ihn herangetragen wird, oder sich gar dieser Kenntnisnahme verschließen, denn die Absicht des Gesetzgebers geht offensichtlich dahin, Schadenersatzansprüche im Interesse aller Beteiligten möglichst rasch einer Klärung zuzuführen. Die deutsche Rechtsprechung löst das Problem durch entsprechende Auslegung des Begriffes "Kenntnis der Person des Ersatzpflichtigen". Diese Kenntnis bedeutet danach nicht, daß dem Beschädigten Name und Anschrift des Schädigers bekannt sein müssen, sondern lediglich, daß ihm klar ist, gegen wen sich seine Ansprüche zu richten haben (also zB gegen den Halter eines bestimmten Kraftwagens, dessen Nummer er weiß), daß ihm also Umstände bekannt sind, die ohne besondere Mühe die Feststellung der Person des Ersatzpflichtigen ermöglichen (so bereits RG JW 1907, 302; BGH LM Nr 4 zu § 852 BGB; RGR-Komm[11] Anm 10 zu § 852; Palandt[29] Anm 2b zu § 852; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[10] Anm 1325; Geigel, Haftpflichtprozeß [14] II, 2; BGH NJW 1955, 706, VersR 1959, 1040). Kann also der Verletzte auf Grund der ihm bekannten Umstände zumutbarerweise ohne nennenswerte Mühe Name und Anschrift des Ersatzpflichtigen in Erfahrung bringen oder sich die zur Identitätsfeststellung erforderlichen Angaben verschaffen, so gilt die Kenntnisnahme als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie dem Berechtigten bei einer entsprechenden Erkündigung zuteil geworden wäre (Soergel - Siebert[10], Anm 13 zu § 852).
Es besteht kein Bedenken, diese Grundsätze zur Auslegung des mit § 852 Abs 1 BGB gleichlautenden § 1489 ABGB heranzuziehen. Die in der Entscheidung EvBl 1958/163 ausgedrückte Ansicht, der Halter könne selbst die Ungewißheit über seine Person durch eine Mitteilung an den Beschädigten beseitigen, ist zutreffend, umfaßt aber nur eine Möglichkeit, die Frist des § 1489 ABGB in Lauf zu setzen. Sie wird insbesondere dann praktische Bedeutung haben, wenn die Klärung, wer als Ersatzpflichtiger in Frage komme, besondere Schwierigkeiten bereitet, was hier nicht der Fall ist. Dann aber hätte der Kläger bereits am 6. 6. 1966 - wenn ihm schon die Aufschrift am LKW der Beklagten nicht auffiel oder nicht genügte - durch eine Frage an den Erstbeklagten oder an den einschreitenden Gendarmeriebeamten Name und Anschrift des Zweitbeklagten mühelos erfahren können. Diese sofortige Identitätsfeststellung wäre dem Kläger auch zumutbar gewesen, denn die Frage nach dem Halter eines Unfallswagens ist die naheliegendste. Der Kläger wurde nicht verletzt und es kann ihm daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht zugute gehalten werden, er habe sich in einem Schock darum nicht gekümmert. Der Kläger hat doch als Partei angegeben, er habe sich den Namen des Fahrzeughalters nicht notiert, weil er dachte, in der Verhandlung werde sich ohnedies alles klären. Es bedarf also gar nicht der ausdrücklichen Feststellung, ob tatsächlich der Sohn des Beklagten am Unfallsort dem Kläger die Wagenpapiere gezeigt hat, wie Hans B jun als Zeuge vor dem Erstgericht angegeben hatte.
Somit zeigt sich aus rechtlichen Überlegungen, daß das Verfahren nicht ergänzungsbedürftig ist, sondern daß die Sache gegenüber beiden Beklagten im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens spruchreif ist. Der Aufhebungsbeschluß war deshalb zu beheben und dem Berufungsgerichte die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
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