Spruch:
Satz 2 und 3 des § 1105 ABGB. gilt auch für gewerbliche Pachtungen
Entscheidung vom 4. Februar 1965, 2 Ob 11/65
I. Instanz: Bezirksgericht Baden; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt
Text
Die klagende Partei hat mit Pachtvertrag vom 23. August bzw. 3. September 1958 eine vom Beklagten an der Bundesstraße 17 in M. errichtete, ihm gehörige Tankstellenanlage bis einschließlich Oktober 1966 unkundbar gegen Bezahlung eines monatlichen Pachtzinses von 15.000 S in Bestand genommen.
Mit der am 6. August 1964 erhobenen Klage beantragte sie, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr auf den monatlichen Bestandzins ab August 1964 einen Nachlaß von 7500 S je Monat zu gewähren und anzuerkennen, daß der Bestandzins ab August 1964 lediglich 7500 S monatlich betrage. Hiezu brachte sie vor, daß zwei völlig unerwartete Ereignisse zu einem empfindlichen Rückgang des Umsatzes geführt hatten, der im Ergebnis mehr als 50% betrage: Am 1. Jänner 1961 sei die behördliche Preisregelung für Dieselkraftstoff geändert worden, wodurch der Anreiz, Dieselöl in der Umgebung von Wien zu kaufen, weggefallen sei. Im Mai 1962 habe die unfertig eröffnete Süd-Autobahn einen beträchtlichen Teil des Verkehrs an sich gezogen. Diese außerordentlichen Zufälle rechtfertigen gemäß § 1105 ABGB. die Herabsetzung des Bestandzinses auf eine ortsübliche und angemessene Höhe. Schließlich machte die klagende Partei noch geltend, da der Bestandvertrag nicht als Pacht-, sondern als Mietvertrag zu beurteilen sei.
Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung von Beweisen ab. Im § 1105 ABGB. sei ein Pachtzinserlaß nur bei höchstens einjähriger Pachtdauer vorgesehen, und zwar ohne Unterschied zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Pacht. Folgte man jedoch der gegenteiligen Ansicht Klangs (Komm.[2] V 84), dann fehle es für die gewerbliche Pacht an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung und es wäre in Anwendung des § 7 ABGB. die für die landwirtschaftliche Pacht im § 1105 ABGB. getroffene Ordnung anzuwenden. Wollte man mit der klagenden Partei annehmen, es läge kein Pacht-, sondern ein Mietverhältnis vor, so könne jedenfalls nicht gesagt werden, daß durch die behaupteten umsatzsenkenden Ereignisse der Gebrauch des Mietgegenstandes, nämlich der Liegenschaft samt Zubehör, beeinträchtigt sei. Schließlich seien diese Ereignisse auch nicht als außerordentliche Zufälle im Sinne des § 1104 ABGB. zu beurteilen. Die Klage sei aber auch nicht schlüssig, weil die klagende Partei gar nicht behauptet habe, daß und um wieviel der Pachtzins den Ertrag übersteige. Einen Zinsnachlaß auf das ortsübliche Maß zu gewähren, sei weder der Vermieter noch der Verpächter verpflichtet.
Das Berufungsgericht bestätigte. Gründe für eine Begünstigung eines gewerblichen Pächters gegenüber einem landwirtschaftlichen seien weder dem Gesetz zu entnehmen, noch sonst zu finden. Im Hinblick auf die vertragliche Bestanddauer sei § 1105 ABGB. nicht anwendbar. Der Beurteilung des Bestandvertrages als Mietvertrag stehe u. a. entgegen, daß die klagende Partei sich verpflichtet habe, den Bestandgegenstand mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu behandeln und zu nutzen sowie aktiv beizutragen, daß der Kundenstock erhalten und wenn möglich vermehrt werde. Als bloße Mieterin könnte die klagende Partei dem Beklagten keinesfalls Vorgänge des Wirtschaftslebens als außerordentliche Zufälle oder Fälle höherer Gewalt entgegenhalten, zumal dies auf eine gesetzlich nicht vorgesehene Umwandlung des Bestandverhältnisses in einen Gesellschaftsvertrag hinausliefe. Auch die mangelnde Schlüssigkeit des Klagebegehrens liege im Sinn der Darlegungen der ersten Instanz vor.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Den Ausführungen der Revisionswerber, daß und warum die Frage des Zinsnachlasses für Unternehmenspachtungen gesetzlich überhaupt nicht geregelt sei, kann nicht gefolgt werden. Auch wenn der Gesetzgeber des Jahres 1811 bei der Formulierung des § 1105 ABGB. - entsprechenden gegebenen wirtschaftlichen Erfordernissen - nur landwirtschaftliche Pachtungen im Auge gehabt haben sollte, ja sogar wenn er die Unternehmenspachtungen von der in der genannten Gesetzesstelle getroffenen Regelung hätte ausschließen wollen, so hat dies jedenfalls im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden. Maßgebend ist der kundgemachte Gesetzestext. Der Umstand, daß die Unternehmenspacht im Urentwurf und in den Beratungsprotokollen zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch nicht ausdrücklich erwähnt ist, rechtfertigt daher nicht den mit dem kundgemachten Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbarenden Schluß, daß § 1105 Satz 2 und 3 ABGB. für Unternehmenspachtungen keine Geltung haben sollen. Auch Klang (a. a. O.) schließt ihre Anwendung auf Unternehmenspachtungen nicht schlechthin aus, er meint nur, daß sie in diesen Fällen zu wirtschaftlich ungerechten Lösungen führe. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine derartige Möglichkeit auch in Fällen landwirtschaftlicher Pachtungen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Unterfallen aber auch Unternehmenspachtungen schon ex lege der zitierten gesetzlichen Regelung, dann erübrigt es sich zu prüfen, ob und aus welchen Gründen sich deren analoge Anwendung auf Pachtungen dieser Art verbiete.
Gegenüber der Ansicht der Revision, die im § 1105 Satz 2 und 3 ABGB. enthaltene gesetzliche Regelung sei durch die Reichspachtschutzordnung derogiert, genügt der Hinweis auf § 1 (1) dieser Verordnung, wonach ihren Vorschriften nur Landpachtverträge und Fischereipachtverträge unterliegen.
Für die von der Revision angestrebte analoge Anwendung des ersten Satzes des § 1105 ABGB., der den Zinsnachlaß für Mietverhältnisse zum Gegenstand hat, besteht kein Anlaß.
Die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht begegnet somit keinen Bedenken. Daraus folgt aber, daß es auch der Aufnahme der von der Revision vermißten Beweise nicht bedurfte. Wenn das Berufungsgericht auf Grund der ihm vorgelegenen Vertragsurkunde zu der Überzeugung gelangte, daß die rechtliche Beurteilung des Vertrages als Pacht-(und nicht als Miet-)vertrag richtig sei, dann konnte die Vernehmung des Zeugen Dr. M. über diese reine Rechtsfrage unterbleiben, ohne daß dies einen Feststellungsmangel begrundete. Dasselbe gilt für die unterbliebene Vernehmung der von der klagenden Partei angebotenen Zeugen Dr. Se. und Dr. Si., welche hätten bekunden sollen, daß die Aufhebung der Dieselpreiszone und die Eröffnung der Südautobahn außerordentliche Zufälle darstellten.
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