OGH 2Ob115/88

OGH2Ob115/8827.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Johanna G***, Mittelschulprofessorin, 8732 Seckau 44, vertreten durch Dr. Max Siebenhofer, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagten Parteien

1) I*** U***- und S***-AG, p.Adr.

Raubergasse 10, 8010 Graz, und 2) "H***-B***" Walter B*** KG,

p. Adr. Grüttstraße 11, 6890 Lustenau, beide vertreten durch Dr. Gottfried Eisenberger und Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 425.668 s.A. (Revisionsstreitwert S 180.000), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 5. Mai 1988, GZ 3 R 77/88-50, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 21. Jänner 1988, GZ 8 Cg 181/86-44, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.472,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 679,30, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 18. Mai 1983 bei einem Verkehrsunfall auf der Murtal-Ersatzstraße Nr. 336 im Gemeindegebiet von Feistritz, Bezirk Knittelfeld, schwer verletzt. Die Schadenersatzpflicht der Beklagten ist dem Grunde nach nicht strittig.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 425.668 sA. Diesem Klagsbetrag liegt - unter Berücksichtigung von der Erstbeklagten geleisteter Teilzahlungen - unter anderem ein Schmerzengeldbegehren der Klägerin von S 620.000 zugrunde, welches die Klägerin darauf stützte, daß die ihr bei dem Unfall zugefügten schweren Verletzungen die Bemessung des ihr zustehenden Schmerzengeldes in dieser Höhe rechtfertigten.

Die Beklagten wendeten unter anderem ein, daß das Schmerzengeldbegehren der Klägerin überhöht sei.

Das Erstgericht verurteilte, ausgehend von einem Schmerzengeldanspruch der Klägerin von S 600.000, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 405.668 sA und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 20.000 sA gerichtete Mehrbegehren der Klägerin ab.

Es stellte, soweit für die im Revisionsverfahren allein noch umstrittene Frage der Höhe des Schmerzengeldanspruches der Klägerin von Bedeutung, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin erlitt bei dem Unfall vom 18. Mai 1983 ein schweres Schädel-Hirntrauma mit Schädelbasisbruch, eine Schleuderverletzung der Halswirbelsäule sowie eine Quetschung der Halsweichteile links, eine Innenwandschädigung der linken Hals-Hauptschlagader sowie der Arteria vertebralis links mit Lähmung des Nervus abducens beiderseits und des Nervus vagus rechts, eine Halbseitenlähmung rechts mit besonderer Betonung des rechten Armes, einen Oberschenkelschaftbruch rechts, einen offenen Bruch des linken Ellenhakens, einen geschlossenen Bruch beider Unterarmknochen links sowie mehrfache Rißquetschwunden im Gesicht, an der linken Hand, am Brustkorb links, an der linken Gesäßhälfte und am rechten Kniegelenk. Die Unfallsfolgen waren außerordentlich schwer. In der ersten Zeit und während der stationären Behandlung der Klägerin in der Intensivbehandlungsstation der Chirurgischen Universitätsklinik in Graz bestand immer wieder Lebensgefahr. In den ersten Wochen nach dem Unfall erlitt die Klägerin starke, teilweise auch qualvolle Schmerzen durch die zahlreichen verletzten Körperregionen, aber auch vor allem durch immer wieder aufgetretene Erstickungsanfälle schwere Beeinträchtigungen der Atmung. Ebenso traten starke Schmerzen im Zuge der durchgeführten operativen Maßnahmen (Oberschenkelmarknagelung, Stabilisierung des Ellenhakenbruches, Osteosynthese des linken Unterarmes, mehrfache Schieloperationen und Laseroperationen am linken Auge) auf. Zwischendurch und anschließend traten mittel- und leichtgradige Schmerzen mit abklingender Intensität auf. Während des Zeitraumes vom 18. Mai 1983 bis 14. August 1986 (Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen Dr. T***) erlitt die Klägerin zusammengerafft 10 Tage sehr starke bis qualvolle Schmerzen, 50 Tage starke Schmerzen, 90 Tage mittlere Schmerzen und 180 Tage leichte Schmerzen. Auch in Zukunft sind, vor allem durch die bestehen gebliebene Beeinträchtigung der Atmung mit möglichen Anfällen von Atemnot, durch Verspannungsbeschwerden der Hals- und Nackenmuskulatur infolge der Zwanghaltung dieses Wirbelsäulenabschnittes, aber auch durch eine Veränderung im linken Ellbogengelenk intermittierende Schmerzen zu erwarten, die zusammengerafft 30 Tagen mittleren und 90 Tagen leichten Schmerzen gleichzusetzen sind.

Die Verletzungen der Klägerin haben zu Dauerfolgen geführt, die eine Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit von 80 bis 90 % bedingen. Darüber hinaus ist auch eine schwere psychische Beeinträchtigung der Klägerin eingetreten, weil die zurückgebliebenen erheblichen Dauerfolgen die Klägerin auf Lebensdauer schwer beeinträchtigen werden. Durch zahlreiche verletzungs- und operationsbedingte Narben und die verbliebene Fehlstellung beider Augen (teilweise Schielstellung und mangelnde Beweglichkeit des linken Augapfels) ist die Klägerin entstellt.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß das der Klägerin gebührende Schmerzengeld auf Grund der festgestellten Verletzungen und ihrer Folgen mit S 600.000 zu bemessen sei.

Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 310.368 sA an die Klägerin von den Beklagten mit Berufung bekämpft.

Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil diesem Rechtsmittel der Beklagten teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von S 325.668 sA an die Klägerin verurteilte und deren auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 100.000 sA gerichtetes Mehrbegehren abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO hinsichtlich des bestätigenden wie auch des abändernden Teiles seiner Entscheidung unzulässig sei.

Das Berufungsgericht billigte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes, dessen Schmerzengeldbemessung; die teilweise Abänderung der Entscheidung des Erstgerichtes erfolgte infolge abweichender Beurteilung anderer geltend gemachter Schadenersatzansprüche der Klägerin, die nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens sind.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 180.000 sA an die Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klägerin nur ein Betrag von S 145.668 sA zugesprochen und ihr auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 180.000 sA gerichtetes Mehrbegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist gemäß § 502 Abs 4 Z 2 ZPO zulässig, weil der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld S 300.000 übersteigt. Der unzutreffende Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Unzulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ist als nicht beigesetzt anzusehen (Petrasch in ÖJZ 1983, 175, 201; EvBl 1986/138 uva). Es handelt sich somit bei dem vorliegenden Rechtsmittel um eine Vollrevision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 2 ZPO, für die die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe nicht zutrifft.

Sachlich ist dieses Rechtsmittel der Beklagten aber nicht berechtigt.

Die Beklagten versuchen in ihrer Rechtsrüge darzutun, daß der Klägerin nur ein Schmerzengeld von S 420.000 gebühre. Dem ist nicht zu folgen.

Die Klägerin hat gemäß § 1325 ABGB Anspruch auf ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld. Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für seine Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Hieraus folgt einerseits, daß bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung von Ungleichmäßigkeiten in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (ZVR 1987/124, 125 mwN uva). Die bei der Schmerzengeldbemessung gebotene Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles läßt fast immer einen Vergleich mit Zusprüchen in anderen Fällen als problematisch erscheinen. Die von beiden Streitteilen zitierten oberstgerichtlichen Entscheidungen bieten im Hinblick auf die Zeit ihrer Fällung und die Art der ihnen zugrundeliegenden Körperschäden keine wesentliche Entscheidungshilfe für den vorliegenden Fall.

Hier steht im Vordergrund, daß die Klägerin bei dem Unfall vom 18. Mai 1983 eine Vielzahl von schweren Verletzungen erlitt, die nicht nur die Klägerin in Lebensgefahr brachten und zu teilweise qualvollen Schmerzen führten, sondern auch eine Vielzahl von Operationen erforderlich machten. Die Klägerin hat sehr weitgehende gesundheitliche Dauerfolgen erlitten (nach dem Akteninhalt handelt es sich im wesentlichen um eine Schielstellung beider Augen und eine Einschränkung der Beweglichkeit des linken Auges, um eine beiderseitige Abducenslähmung rechts, eine Halbseitensymptomatik rechts mit Störung der Feinmotorik und Koordinationsstörungen, eine spastisch-ataktische Gangstörung, eine - bezüglich der Dauer fragliche - Hirnleistungsschwäche, eine Stimmband- und Gaumenlähmung rechts, die zu geringer körperlicher Belastbarkeit und Atemnot führt und um eine Bewegungseinschränkung am linken Arm) und ist körperlich durch umfangreiche Narbenbildung und die Schielstellung ihrer Augen entstellt. Diese sehr schwerwiegenden Verletzungsfolgen und die dadurch zweifellos bedingte psychische Beeinträchtigung der Klägerin können durch ein Schmerzengeld in der in der Revision der Beklagten zugestandenen Höhe von S 420.000 nicht angemessen abgegolten werden. Im Hinblick auf die Vielzahl der Verletzungen der Klägerin, den komplizierten und teilweise qualvollen Heilungsverlauf, die Vielzahl der erforderlichen Operationen, die Art und die Dauer der der Klägerin zugefügten Schmerzen und die Schwere der verletzungsbedingt verbliebenen Dauerfolgen ist vielmehr in der Bemessung des der Klägerin zustehenden Schmerzengeldes mit S 600.000 durch die Vorinstanzen ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Der Revision der Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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