Spruch:
Der Einwand, der Geschädigte habe seine Schadenminderungspflicht verletzt, berührt nur dann den Grund des Anspruchs, wenn behauptet wird, daß dadurch der Schadenersatz völlig ausgeschlossen werde
OGH 20. 4. 1972, 2 Ob 114/71 (OLG Wien 9 R 179/70; LGZ Wien 37 a Cg 139/69)
Text
Franz S wurde am 21. 10. 1966 bei einem vom Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Die Klägerin gewährt ihm auf Grund eines Urteils des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien ab 23. 6. 1967 wegen dauernder Invalidität eine Pension. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten ersetzt der Klägerin die dem Franz S erbrachten Pensionsleistungen für die Zeit vom 23. 6. 1967 bis 30. 9. 1967 zur Gänze und für die Zeit vom 1. 10. 1967 bis 30. 6. 1969 zum Teil.
Die Klägerin begehrte vom Beklagten den Ersatz ihres restlichen Pensionsaufwandes für die Zeit bis 30. 6. 1970 in der unbestrittenen Höhe von S 80.444.20 und die Zahlung einer Rente für die Zeit vom 1. 7. 1970 bis 31. 3. 1980 in der ebenfalls unbestrittenen Höhe der dem Franz S zu erbringenden Pensionsleistungen und Sonderzahlungen. Darüber hinaus begehrte die Klägerin die Feststellung, daß der Beklagte im Rahmen des Forderungsüberganges nach § 332 ASVG zum Ersatz der Leistungen, die sie dem Franz S erbringen werde, verpflichtet sei.
Der Beklagte wendete ein, daß Franz S zwar nicht den erlernten Maurerberuf ausüben, aber leichte Arbeiten verrichten könne und die Klägerin daher nur Anspruch auf Ersatz der Differenz zwischen dem Verdienstentgang eines Maurers und dem Lohn habe, den Franz S durch eine ihm zumutbare Arbeit verdienen könnte. Ein Rentenbegehren sei wegen der Pensionsdynamik und der gleichzeitig erhobenen Feststellungsklage überflüssig.
Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und entschied mit Zwischenurteil, richtig Teil- und Zwischenurteil, daß der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der an Franz S bezahlten Invaliditätspensionsbeträge einschließlich Sonderzahlungen und Wohnungsbeihilfe dem Beklagten gegenüber für die Zeit vom 1. 10. 1967 bis 31. 3. 1980 dem Gründe nach zu Recht bestehe, soweit er die Lohnbezüge eines qualifizierten Hilfsarbeiters aus einer dem Franz S zumutbaren Ersatzbeschäftigung übersteige. Mit dieser Einschränkung gab das Erstgericht auch dem Feststellungsbegehren statt.
Die Berufung des Beklagten, mit der dieser die Ergänzung des Urteilsspruches durch Anführung der nach den Feststellungen des Erstgerichtes in Betracht kommenden Ersatzbeschäftigungen erreichen wollte, blieb ohne Erfolg. Hingegen gab das Berufungsgericht der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß das Leistungsbegehren sowie das Rentenbegehren der Klägerin für die Zeit vom 1. 7. 1970 bis 31. 3. 1980 dem Gründe nach zu Recht bestehe und die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz aller von der Klägerin dem Franz S aus Anlaß des Unfalles wegen Invalidität zu erbringenden Leistungen, soweit diese in den dem Franz S gegen den Beklagten ohne den Forderungsübergang nach § 332 ASVG zustehenden Ersatzansprüchen Deckung finden, festgestellt werde.
Der Oberste Gerichtshof gab weder der Revision der klagenden noch jener der beklagten Partei Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht stellte fest, daß Franz S den erlernten Beruf eines Maurers infolge der unfallbedingten Verletzungen nicht mehr ausüben könne, aber in der Lage sei, einer Beschäftigung als qualifizierter Hilfsarbeiter nachzugehen. Franz S könne an Maschinen und Halbautomaten in der metall- und kunststoffverarbeitenden Industrie arbeiten, Holzbearbeitungsmaschinen bedienen, Arbeiten bei der Herstellung von Kleinleder- und Plastikwaren verrichten und den Beruf eines Portiers oder Betriebswächters ausüben. Die Vermittlung solcher Ersatzbeschäftigungen sei nach der Lage des Arbeitsmarktes möglich. Franz S sei jedoch nicht bereit, einer solchen Ersatzbeschäftigung nachzugehen.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß Franz S durch die Weigerung, einer ihm möglichen und auch zumutbaren Beschäftigung als qualifizierter Hilfsarbeiter nachzugehen, der Verpflichtung zur Schadensminderung zuwiderhandle und die Klägerin daher nur den Ersatz jenes Pensionsaufwandes verlangen könne, der in der Differenz zwischen dem Verdienst eines Maurers und dem eines qualifizierten Hilfsarbeiters Deckung findet. Die Einwendung der Verletzung der Schadensminderungspflicht betreffe den Grund des Anspruches und reduziere diesen grundsätzlich. Diese Einwendung sei daher im Verfahren über den Anspruchsgrund zu erledigen.
Das Berufungsgericht war der Auffassung, daß die nach bürgerlichem Recht zu beurteilende Rechtsfrage, ob Franz S einer ihm zumutbaren Beschäftigung nachzugehen habe, nicht Gegenstand eines Feststellungsurteiles sein könne und sich auch nicht auf den Grund des Anspruches, sondern auf dessen Höhe beziehe.
Zur Revision der Klägerin:
Die Klägerin hat im Zwischenurteil obsiegt und ist auch durch die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nicht beschwert, da sie die Ansicht, daß die Einwendung der Verletzung der Schadensminderungspflicht im fortgesetzten Verfahren zu erledigen sei, nicht bekämpft und das Berufungsgericht ansonst eine für die Klägerin nachteilige Rechtsansicht, an die das Erstgericht bei der Entscheidung über die Höhe des Anspruches gebunden wäre, nicht geäußert hat. Die Revision ist dennoch zulässig, weil sie die Zulässigkeit des Zwischenurteiles bekämpft, indem sie ausführt, daß die vom Erstgericht vorgenommene Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruches nicht aufrechtzuerhalten gewesen wäre und daß das Berufungsgericht wegen Spruchreife nach Grund und Höhe über das Leistungs- und Rentenbegehren iS der Klagsstattgebung hätte entscheiden müssen. Mit diesem in der Rechtsrüge enthaltenen Vorbringen behauptet die Klägerin eine Verletzung der Verfahrensgesetze (§ 393 Abs 1 ZPO), macht also einen Mangel des Berufungsverfahrens geltend, der jedoch nicht vorliegt. Prozessuale Verstöße sind nur auf Grund einer ausdrücklichen Rüge einer Partei, nicht aber von Amts wegen wahrzunehmen (SZ 37/96). Die Berufung der Klägerin hat die Zulässigkeit des Zwischenurteils nicht in Frage gestellt, sondern dessen Aufhebung oder Abänderung aus anderen Gründen beantragt. Für das Berufungsgericht hat daher keine Möglichkeit bestanden, die Fällung eines Zwischenurteils durch das Erstgericht auf seine Zulässigkeit nach den Prozeßgesetzen zu prüfen, diesen Vorgang als verfehlt anzusehen und das Zwischenurteil aus diesem Gründe aufzuheben. Die in der Berufung versäumte Rüge der behaupteten prozessualen Unzulässigkeit des Zwischenurteiles kann im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeholt werden. Im übrigen könnte ein ohne die Voraussetzungen des § 393 Abs 1 ZPO gefälltes Zwischenurteil nur aufgehoben, aber nicht in ein der Klage stattgebendes Endurteil abgeändert werden.
Eine Stellungnahme zu den übrigen Revisionsausführungen ist aus den eingangs angeführten Gründen nicht erforderlich.
Zur Revision des Beklagten:
Mit der Rechtsrüge macht der Beklagte geltend, daß im Urteilstenor zu entscheiden gewesen wäre, ob und inwieweit der Geschädigte verpflichtet ist, zur Schadensminderung eine ihm zumutbare Ersatzbeschäftigung anzunehmen. Diese Frage betreffe den Grund des Anspruches. Die Fällung eines Zwischenurteils sei bei Einwendung einer Gegenforderung (Schadensminderungspflicht) unzulässig.
Dieser Ansicht ist nicht beizupflichten. Die Verletzung der dem Geschädigten obliegenden Schadensminderungspflicht ist kein Fall der Aufrechnung. Sie hindert oder mindert selbständig das Entstehen eines Schadenersatzanspruches, ist also nur ein Faktor bei der Schadensberechnung, während die Aufrechnungseinrede den Schadenersatzanspruch an sich bestehen läßt. Der Einwand, daß der Geschädigte seine Schadensminderungspflicht verletzt habe, berührt nur dann den Grund des Anspruches, wenn behauptet wird, daß dadurch der Schadenersatz völlig ausgeschlossen wird. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Nach dem Vorbringen des Beklagten würde Franz S als qualifizierter Hilfsarbeiter weniger verdienen als in seinem erlernten und bis zum Unfall ausgeübten Beruf. Der Klägerin steht daher auch nach dem Standpunkt des Beklagten jedenfalls der Ersatz eines Teiles ihres Pensionsaufwandes, nämlich die Differenz zwischen dem Verdienst eines Maurers und dem eines qualifizierten Hilfsarbeiters zu. Der Antrag des Beklagten, die Klage zur Gänze abzuweisen, ist durch das Prozeßvorbringen nicht gedeckt und kann nicht dazu führen, daß die eingewendete Verletzung der Schadensminderungspflicht im Zwischenurteil endgültig abgesprochen werden müßte. Vielmehr ist der Ansicht des Berufungsgerichtes beizutreten, daß dieser Einwand erst im Nachverfahren zu erledigen ist.
Unberechtigt sind auch die Revisionsausführungen, mit denen sich der Beklagte gegen das Feststellungserkenntnis wendet. Die Schadenersatzpflicht des Beklagten ist an sich unbestritten. Es steht außerdem fest, daß der Geschädigte auch im Falle der Zumutbarkeit einer Ersatzbeschäftigung als qualifizierter Hilfsarbeiter einen, wenn auch geringeren als den von der Klägerin behaupteten Verdienstentgang erleidet. Ein Deckungsfonds ist daher zumindest für einen Teil der Pensionsleistungen der Klägerin vorhanden. Die Höhe des Deckungsfonds ist bei der Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin nicht zu prüfen. Das Berufungsgericht hat daher die Ersatzpflicht des Beklagten für die künftigen Leistungen der Klägerin nach Maßgabe des Forderungsüberganges gemäß § 332 ASVG mit Recht festgestellt.
Die Revision erweist sich somit als unbegrundet, sodaß ihr der Erfolg zu versagen war.
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