OGH 2Ob106/65

OGH2Ob106/6520.5.1965

SZ 38/83

Normen

Bedingungen für die Einstellung von Privatwagen in den Wagenpark der Österreichischen Bundesbahnen Punkt 16
(CIM) Eisenbahnfrachtverkehrsabkommen Art11
RIP. (Internationale Ordnung für die Beförderung von Privatwagen) BGBl. Nr. 35/1956. Art. 13
Bedingungen für die Einstellung von Privatwagen in den Wagenpark der Österreichischen Bundesbahnen Punkt 16
(CIM) Eisenbahnfrachtverkehrsabkommen Art11
RIP. (Internationale Ordnung für die Beförderung von Privatwagen) BGBl. Nr. 35/1956. Art. 13

 

Spruch:

Im Falle einer Beschädigung eines sogenannten Privatwagens bei der Beförderung mit Frachtbrief ist der Entlastungsbeweis auch in den Fällen zulässig, in denen die eigentliche Schadensursache nicht festgestellt werden kann

Entscheidung vom 20. Mai 1965, 2 Ob 106/65

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien

Text

Ein in den Wagenpark der Österreichischen Bundesbahnen eingestellter sogenannter Privatwagen wurde bei einer Zugsentgleisung auf der Strecke Rotterdam - Utrecht vollständig vernichtet.

Die Parteien haben außer Streit gesteilt, daß die konkrete Ursache der Entgleisung des Wagens nicht feststellbar, der Wagen vor Antritt der Fahrt in Ordnung und betriebsfähig gewesen und von der klagenden Partei die Versicherungssumme von 180.000 S im August 1963 ausbezahlt worden sei.

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil erkannt, daß die Ansprüche der klagenden Partei dem Gründe nach zu Recht bestehen. Es war der Meinung, daß die beklagte Partei den ihr obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht habe und nicht erbringen habe können, weil die eigentliche Ursache des Unfalles unbekannt sei und nicht festgestellt werden könne. Zur Entlastung der beklagten Partei reiche der Nachweis nicht aus, daß alle Vorschriften eingehalten worden und Unregelmäßigkeiten bei der Beförderung des Wagens nicht eingetreten seien. Trotz alledem könne ein Verschulden der Eisenbahn nicht ausgeschlossen werden. Der Entlastungsbeweis könne überhaupt nur Erfolg haben, wenn die Schadensursache feststehe oder der Kreis bestimmter Möglichkeiten eingeschränkt sei.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zurückverwiesen. Es war der Meinung, daß die Eisenbahn nach den hier unbestrittenermaßen anzuwendenden Bestimmungen des Art. 13 § 1 RIP. und des Punktes 16.1 der BH. 506 von der Schadenshaftung dann befreit sei, wenn ihr Verschulden an der Schadensursache auszuschließen sei, nicht aber schon dann, wenn es sich nicht erweisen lasse. Es handle sich dabei um den Beweis der Schuldlosigkeit und nicht um die Frage der Verursachung. Da die Unfallsursache nicht feststellbar sei, könne sich die Eisenbahn nur durch den Nachweis von der Haftung befreien, daß als Ursache des Schadens nur bestimmte Umstände in Frage kommen, die sie nicht zu vertreten habe. Die beklagte Partei habe auch Behauptungen in dieser Richtung aufgestellt und Beweise hiefür angeboten, nämlich, daß die Zerstörung des Wagens weder durch Mängel oder Unregelmäßigkeiten der Bahnanlagen noch durch Fehler in der Betriebsführung verursacht worden seien. Wenn die behaupteten Umstände feststehen, wie richtiges Verhalten der beiden Lokführer, vorschriftsmäßige Reihung des Wagens und Kontrolle einschließlich der Bremsproben, normaler Lauf des Zuges bis zur Entgleisung und ordnungsgemäßer Zustand des Bahnoberbaues im Unfallsbereich, dann sei zu prüfen, ob die Bahn damit alle ihr zumutbaren Vorkehrungen getroffen habe. Es sei mit Hilfe eines Sachverständigen klarzustellen, ob darüber hinaus noch Möglichkeiten einer schuldhaften Verursachung des Unfalles durch die Eisenbahn gegeben seien. Die Außerstreitstellung, daß die Unfallsursache nicht feststellbar sei, mache den Entlastungsbeweis nicht unmöglich.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Über die Legitimation der beiden Parteien und über die auf den vorliegenden Schadensfall anzuwendenden Haftungsbestimmungen besteht kein Streit. Die Haftung der beklagten Partei wird von der klagenden Partei auf Grund des Art. 13 § 1 RIP., BGBl.1956 Nr. 35 in der Fassung des BGBl. 1962 Nr. 22, und auf Grund des Punktes 16.1 der BH. 506 (Bedingungen für die Einstellungen von Privatwagen in den Wagenpark der Österreichischen Bundesbahnen) in Anspruch genommen. Danach haftet die beklagte Partei für Verluste oder Beschädigungen des Privatwagens, sofern sie nicht beweist, daß der Schaden nicht durch ihr Verschulden herbeigeführt wurde. Im vorliegenden Falle geht der Streit der Parteien nur dahin, ob die beklagte Partei überhaupt den Entlastungsbeweis erbringen könne, weil die eigentliche Schadensursache nicht feststellbar sei, und wenn ihr diese Möglichkeit doch offenstunde, auf welche Weise sie diesen Beweis zu erbringen hätte.

Die klagende Partei steht in ihrem Rekurs auf dem Standpunkt, daß die beklagte Partei in erster Instanz nicht die für die Zulassung der angebotenen Beweise erforderlichen Prozeßbehauptungen vorgebracht habe. Die Ansicht des Berufungsgerichtes sei verfehlt, daß es ausreiche, wenn die beklagte Partei bestimmte Umstände als Ursachen behauptet habe, die sie nicht zu vertreten habe. Für den negativen Nachweis des Fehlens eines Verschuldens sei primär die Feststellung der Schadensursache erforderlich. Erst danach könne überhaupt die Frage gestellt werden, ob und wie der Eintritt dieser Schadensursache hätte vermieden werden können. Nach der Formulierung der Haftungsbestimmungen durch den Gesetzgeber sei von der Eisenbahn der Entlastungsbeweis in voller Schärfe zu verlangen. Bei richtiger Beurteilung wäre die Haftung der beklagten Partei anzunehmen gewesen.

Diesen Ausführungen vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Die Ansicht der klagenden Partei würde dazu führen, daß in allen den Fällen - diese sind keineswegs gering -, in denen sich die eigentliche Schadensursache nicht feststellen läßt, ein Entlastungsbeweis überhaupt unmöglich wäre. Dies würde eine Ausdehnung der Haftung der beklagten Partei bis zur Erfolgshaftung bedeuten, was nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen war. Die Haftung der Eisenbahn ist gemäß den zitierten Vorschriften eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast. Es kann auch nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, der Eisenbahn eine in der Regel überhaupt nicht zu erfüllende Beweislast aufzuerlegen. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ist daher auch in den Fällen, in denen die eigentliche Schadensursache nicht festgestellt werden kann, der Entlastungsbeweis zulässig, nur wird dieser dann in einer anderen Richtung zu führen sei. Die Art der Beweisführung richtet sich je nach der Sachlage des einzelnen Falles. So kann es, wie Rosenberg in seiner Abhandlung über die Beweislast[3] S. 360 zum Ausdruck bringt, sein, daß es dem Beklagten gelingt, die Entstehung des Schadens auf eine Art zurückzuführen, bei der sein Verschulden von vornherein ausgeschlossen ist. Es kann weiter sein, daß schon die Möglichkeit einer anderen Entstehungsursache vom Gericht als genügende Entschuldigung angesehen wird. (SZ. XXX 22 u. a.). Diese Möglichkeiten der Beweisführung müssen auch hier der beklagten Partei offenstehen, wie das Berufungsgericht bereits richtig zum Ausdruck gebracht hat. Die beklagte Partei hat in ihren Prozeßbehauptungen die verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt, durch die der Schaden entstanden sein kann, und hat gleichzeitig Beweise dafür angeboten, daß sie bei Beförderung des Privatwagens die erforderliche Sorgfalt aufgewendet und alle Vorkehrungen getroffen hat, die im Sinne der obigen Ausführungen von ihr vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehres erwartet werden konnten, um die sich aus der Beförderung des Wagens ergebenden Gefahren abzuwenden. Diese Beweise müssen durchgeführt werden, um beurteilen zu können, ob die beklagte Partei den Entlastungsbeweis erbracht hat. Hiezu wird es auch der Beiziehung eines Sachverständigen bedürfen. Sollte dieser noch andere Gefahrenquellen aufzeigen, so wird es Sache der beklagten Partei sein, diesen Möglichkeiten durch entsprechende Behauptungen und Beweisanerbieten zu begegnen. Von einem reinen Erkundungsbeweis kann in diesem Zusammenhang schon mit Rücksicht auf das bisherige Vorbringen der beklagten Partei nicht gesprochen werden, so daß diesen Beweisaufnahmen kein prozessuales Hindernis entgegensteht. Nicht wird es jedoch ausreichen, wenn der Beklagte nachweist, daß er in ähnlichen Fällen bisher sorgfältig zu Werke gegangen sei.

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