Normen
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334 (2)
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334 (2)
Spruch:
§ 334 (2) ASVG. schließt nicht aus, daß bei der Beurteilung der Frage, ob der auf Ersatz in Anspruch Genommene grob fahrlässig gehandelt habe, das Verhalten des Versicherten mitberücksichtigt wird.
Entscheidung vom 21. April 1967, 2 Ob 104/67.
I. Instanz: Kreisgericht Korneuburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Am 12. November 1960 verunglückte der auf dem Gut W. beschäftigte Franz H. tödlich. Er war damals einem Traktorführer als Hilfskraft beim Maisdrusch zugeteilt. Dieser schmierte eben einen im Leerlauf laufenden Mähdrescher ab. Franz H. wollte sich vermutlich im Windschatten eine Zigarette anzunden. Dabei näherte er sich der rotierenden Gelenkswelle, die der Kraftübertragung von der Zapfwelle des Traktors zum Mähdrescher dient und über der sich keine Schutzvorrichtung befand. Er wurde offensichtlich von einem am Kreuzgelenk der Gelenkswelle angeordneten Schmiernippel erfaßt und durch die drehende Welle zwischen dieser und der Anhängevorrichtung eingeklemmt. Er erlitt einen Bruch der Wirbelsäule mit Zerreißung des Halsmarkes sowie Serienrippenbrüche.
Der Beklagte als Verwalter des Gutes W. wurde aus diesem Anlaß wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. rechtskräftig verurteilt.
Die beiden Klägerinnen erbringen für die Witwe des tödlich Verunglückten Rentenleistungen. Mit der Behauptung, der Beklagte als ein dem Dienstgeber gemäß § 333 (4) ASVG. Gleichgestellter habe den Arbeitsunfall des Franz H. durch grobe Fahrlässigkeit verursacht, begehren sie, gestützt auf die Bestimmung des § 334 (1) ASVG., die Verurteilung des Beklagten zum Ersatz ihrer bisherigen und künftigen Leistungen. Mit dem Zahlungsist ein Feststellungsbegehren verbunden.
Der Beklagte bestritt nach Grund und Höhe.
Das Erstgericht verband beide Klagen zur gemeinsamen Verhandlung, beschränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches und wies beide Klagen ab. Es beurteilte den nach umfangreichen Beweiserhebungen festgestellten Sachverhalt rechtlich dahin, daß das Verhalten des Beklagten wohl als fahrlässig, jedoch nicht als grob fahrlässig zu werten sei.
Das Berufungsgericht hob infolge Berufung beider Klägerinnen das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf. Es war der Ansicht, daß bereits die im Strafurteil bindend festgestellten Unterlassungen des Beklagten in ihrer Gesamtheit und im Zusammenhang mit dem Unfallsgeschehen die rechtliche Beurteilung als grobe Fahrlässigkeit rechtfertigen, ohne daß es einer Erörterung des zu den übrigen Berufungsgrunden Vorgebrachten im einzelnen bedürfte. Nach dem Strafurteil habe der Beklagte als verantwortlicher Gutsverwalter die Vorschriften über die Schutzvorrichtungen bei Zapfwellen nicht beachtet, Schutzvorrichtungen nicht anbringen lassen, die Prüfung unterlassen, ob beanstandete fehlende Schutzvorrichtungen nachträglich eingebaut worden seien, Bedienungspersonal bezüglich einzuhaltender Schutzvorschriften nicht belehrt und keine Person namhaft gemacht, die die Einhaltung der Schutzvorschriften überwachen sollte, obwohl er von den zuständigen Stellen entsprechendes Aufklärungsmaterial erhalten hatte. Er habe sich überdies jahrelang um die Einhaltung der Schutzvorschriften nicht gekümmert und dies auch bei der ihm neu zugeteilten Maschine an der sich der Unfall ereignete, unterlassen. Der Beklagte habe unabhängig vom Verschuldensgrad Grund und Höhe der Klagsansprüche bestritten. Es fehle an Feststellungen, um ein Zwischenurteil zu fällen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht auf, über die Berufungen der klagenden Parteien neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Grobe Fahrlässigkeit im Sinn des § 334 ASVG. ist der auffallenden Sorglosigkeit des § 1324 ABGB. gleichzusetzen. Diese ist anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar ist (EvBl. 1967 Nr. 20). Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften begrundet nicht in allen Fällen eine grobe Fahrlässigkeit (EvBl. 1963 Nr. 278), wohl aber deren Nichtbeachtung trotz wiederholter Beanstandung (EvBl. 1963 Nr. 209). Eine strafgerichtliche Verurteilung an sich zwingt nicht dazu, ein Verhalten als grob fahrlässig zu beurteilen (EvBl. 1961 Nr. 504). Immer ist jedoch nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt (JBl. 1963 S. 622 = Arb. 7871).
Im Hinblick auf die Bestimmung des § 268 ZPO. ist zwar zutreffend davon auszugehen, daß die im Strafurteil festgestellten schuldhaften Unterlassungen des Beklagten auch für den tödlichen Unfall des Franz H. ursächlich waren. Sie rechtfertigen aber nicht die Annahme, der Beklagte habe diesen oder auch nur einen Unfall dieser Art als wahrscheinlich vorhersehen können.
Das Erstgericht hat unbekämpft festgestellt, daß die Vornahme der Arbeitseinteilung und die Regelung des Einsatzes des gesamten Personals in den Tätigkeitsbereich des Beklagten fiel, ferner, daß es sich bei dem Traktorführer, der den geplanten Arbeiten beigezogen wurde, um eine anerkannt verläßliche Kraft handelte. Es steht weiter fest, daß der Traktorfahrer die ihm zugeteilten Hilfskräfte nach der Ankunft an der Arbeitsstelle vom Traktor absitzen ließ und sie sodann aufmerksam machte, sie sollten zur Seite gehen, wenn er die Maschine schmiere, d. h. sie in Gang setze. Es steht weiters unbekämpft fest, daß der tödlich Verunglückte die Aufgabe hatte, während des geplanten, jedoch noch nicht begonnenen Maisdrusches, die Zuführung des Maises zum Maisgebiß zu regeln. Daß er bei dieser Tätigkeit auch nur in die Nähe der zwischen Traktor und Mähdrescher befindlichen Gelenkswelle hätte kommen müssen, wurde nicht behauptet und kann auch den vorliegenden Feststellungen nicht entnommen werden. Unfallsverhütungsvorschriften dienen dem Zweck, Beschädigungen zu verhüten, die unter bestimmten Voraussetzungen leicht eintreten, aber vermieden werden können, wenn die Vorschriften strikte eingehalten werden. Dabei handelt es sich aber doch in erster Linie darum, den Arbeitsbereich als solchen zu sichern, also Gefahren auszuschalten, denen der Arbeitende nach der Natur seiner Tätigkeit durch diese selbst ausgesetzt ist. Erst in zweiter Linie wird je nach der Art des Arbeitsvorganges auch die Sicherung des Verkehrsbereiches, d. h. der sonst zugänglichen Stellen mehr oder weniger bedeutsam sein. Dem Berufungsgericht kann aber auch nicht gefolgt werden, wenn es, offenbar um den Hinweis des Erstgerichtes auf das Mitverschulden des tödlich Verunglückten zu widerlegen, auf die Bestimmung des § 334 (2) ASVG. verweist. Denn diese besagt lediglich, daß durch ein Mitverschulden des Versicherten die Haftung gemäß Abs. 1, also für ein als grobe Fahrlässigkeit beurteiltes Verhalten, weder aufgehoben noch gemindert wird, nicht aber, daß bei der Beurteilung der Frage, ob der auf Ersatz in Anspruch Genommene grob fahrlässig gehandelt habe, das Verhalten des Versicherten nicht mitberücksichtigt werden solle.
Zweifellos wäre der Unfall zu vermeiden gewesen, wenn der Beklagte all das getan hätte, was ihm das Strafgericht als schuldhafte Unterlassung anlastete. Die unbekämpft feststehenden Umstände des Falles reichen jedoch bereits zur abschließenden rechtlichen Beurteilung in dem Sinn aus, daß eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten nicht vorliegt. Die Sache ist daher im Sinn der Bestätigung des Ersturteils spruchreif.
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