Spruch:
Keine bindende Wirkung des über den Grund des Anspruches im Vorprozeß ergangenen Zwischenurteils im Verfahren über eine neue Klage.
Entscheidung vom 24. März 1961, 2 Ob 104/61.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Im Vorprozeß machte die Klägerin gegen das beklagte Land Schadenersatzansprüche in der Höhe von 1.255.330 S 50 g geltend, weil sie infolge einer intralumbalen Novalgin - Injektion, die ihr ein Oberarzt des Landeskrankenhauses K. am 2. Juli 1946 verabreicht hatte, gelähmt wurde. Mit Teil- und Zwischenurteil vom 6. Oktober 1954 wurde der Klägerin ein Betrag von 100.000 S an Schmerzengeld zuerkannt und ausgesprochen, daß der Klageanspruch auch im übrigen zu Recht bestehe. Das Gericht kam auf Grund seiner Tatsachenfeststellungen zu dem Ergebnis, daß die Injektion für die Lähmung und deren Folgen ursächlich war, daß dem Arzt ein Versehen zur Last zu legen sei und daß die beklagte Partei für das Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen hafte. Das Urteil wurde vom Oberlandesgericht Graz am 1. Februar 1955 und dessen Entscheidung vom Obersten Gerichtshof am 8. Juni 1955 bestätigt. In der Folge wurde das Klagebegehren um weitere Behandlungskosten und weiteren Verdienstentgang erweitert. Mit dem das erstgerichtliche Endurteil vom 28. November 1956 abändernden, vom Obersten Gerichtshof am 19. Februar 1958 bestätigten Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 16. Oktober 1957 wurde die beklagte Partei schuldig erkannt, der Klägerin 100.000 S und eine monatliche Rente von 3000 DM bis 1. August 1969 zu zahlen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin unter Hinweis auf den Inhalt und die Ergebnisse des Vorprozesses und insbesondere auch auf das dort ergangene Zwischenurteil den Ersatz weiterer, seit 1957 entstandener Krankheits- und Heilungskosten. Nachdem die beklagte Partei den Anspruch nach Grund und Höhe bestritten hatte, stellte die Klägerin den Zwischenantrag auf Feststellung, daß die beklagte Partei für alle der Klägerin aus der am 2. Juli 1946 durchgeführten Injektion entstandenen Schäden zu haften habe.
Das Erstgericht erkannte, nachdem es das Verfahren auf die Verhandlung über diesen Zwischenantrag beschränkt hatte, mit Zwischenurteil gemäß dem Antrag. Das im Vorprozeß ergangene Zwischenurteil habe bindende Wirkung nicht nur hinsichtlich der im selben Verfahren vorgenommenen Erweiterungen des Klagebegehrens, sondern, da damit über alle auch für das gegenwärtige Verfahren bedeutsamen Anspruchsmerkmale mit materieller Rechtskraft entschieden worden sei, auch hinsichtlich der mit selbständiger Klage geltend gemachten Ansprüche.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das erstgerichtliche Zwischenurteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück; zugleich sprach es aus, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft seiner Entscheidung fortzusetzen sei. Der das österreichische Prozeßrecht beherrschende Dispositionsgrundsatz könne zugunsten prozeßökonomischer Erwägungen nicht so weit durchbrochen werden, daß dem Zwischenurteil nach § 393 Abs. 1 ZPO. eine über den Prozeß hinaus wirkende Rechtskraft für mit späterer Klage erhobene Ansprüche zuerkannt werden könne. Dafür bestehe auch im Hinblick auf die Möglichkeit eines Zwischenurteils nach § 393 Abs. 2 ZPO. kein hinreichender Grund. Auch mit Rücksicht auf das Institut der Rechtskraft selbst sei nur einem Zwischenurteil nach § 393 Abs. 2 ZPO. über den eingeklagten Anspruch hinaus Rechtskraftwirkung zuzuerkennen, weil ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruches keine weitere Rechtskraftwirkung haben könne als das über den Anspruch gefällte Endurteil. Die Klägerin habe es im Vorprozeß versäumt, einen über den damaligen Anspruch hinaus wirkenden Zwischenfeststellungsantrag nach § 393 Abs. 2 ZPO. zu stellen oder ein eigenes Feststellungsbegehren über die Ersatzpflicht für künftige Schäden zu erheben. Das im Vorprozeß über den Grund des Anspruches ergangene Zwischenurteil übe keine Rechtskraftwirkung hinsichtlich des nun gestellten Zwischenfeststellungsantrages aus, so daß die Klägerin die Berechtigung ihres Zwischenfeststellungsbegehrens in bezug auf die Haftung der beklagten Partei neuerlich beweisen müsse. Das Urteil im Vorprozeß begrunde bezüglich des nun erhobenen, auf den Ersatz späterer und künftiger Schäden gerichteten Anspruches auch keine Tatbestandswirkung.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Klägerin verweist zur Begründung ihres Standpunktes, daß sich die Rechtskraftwirkung eines Zwischenurteils über den Grund des Anspruches von der eines Urteils auf Grund eines Feststellungsantrages gemäß § 393 Abs. 2 ZPO. nicht unterscheide, vor allem auf die höchstgerichtliche Entscheidung JBl. 1960 S. 21 und auf die in ihr enthaltenen Hinweise auf die Lehrmeinungen Neumanns (Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 4. Aufl. II S. 1123) und Sperls (Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 503, 824). Gegenüber der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht, die Klägerin habe es versäumt, im Vorprozeß einen Zwischenfeststellungsantrag nach § 393 Abs. 2 ZPO. oder ein Feststellungsbegehren zu stellen, macht sie geltend, daß in jedem Schadensfall neben dem Leistungsbegehren hinsichtlich der fälligen Forderungen ein Zwischenantrag auf Feststellung wegen der künftig fällig werdenden Ansprüche gestellt werden müßte, was im Gesetz nicht begrundet sei.
Schon das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß der vorangeführten höchstgerichtlichen Entscheidung der Fall zugrunde lag, daß nach Bejahung des Rechtsbestandes des Klagsanspruches durch ein rechtskräftiges Zwischenurteil nach § 393 Abs. 1 ZPO. Klageerweiterungen vorgenommen wurden, die sich im Rahmen des bereits rechtskräftig bejahten Anspruchsgrundes hielten. Nur unter diesem Gesichtspunkt wurden in dieser Entscheidung auch die Lehrmeinungen angeführt, ohne daß dort die hier zu entscheidende Frage der bindenden Wirkung eines über den Grund des Anspruches ergangenen Zwischenurteils über den Prozeß hinaus für mit besonderer Klage erhobene Ansprüche ausdrücklich erörtert worden wäre. Hingegen hat der Oberste Gerichtshof in der - bisher nicht veröffentlichten - Entscheidung 2 Ob 430/60 die bindende Wirkung des Zwischenurteils über den Grund des Anspruches zwischen den Parteien außerhalb des Rechtsstreites im Hinblick auf die Unmöglichkeit, ein solches Zwischenurteil der Bestimmung des § 411 ZPO. unterzuordnen, verneint und die in dieser Richtung liegenden Lehrmeinungen Sperls und Neumanns abgelehnt. Hieran hält der Oberste Gerichtshof auch im vorliegenden Fall fest. Das Gericht ist in einem neuen Verfahren nicht an den Inhalt des formell rechtskräftigen Zwischenurteils über den Grund des Anspruches aus dem vorangegangenen Verfahren gebunden. Über den im vorliegenden Fall von der Klägerin gemäß § 236 Abs. 1 ZPO. gestellten Zwischenantrag auf Feststellung ist daher neu zu verhandeln.
Was den letzten Einwand der Klägerin anlangt, so läßt die ständige Rechtsprechung ein Feststellungsbegehren hinsichtlich künftiger Ansprüche neben einem Begehren auf Leistung bereits fälliger Ansprüche in allen Fällen zu, in denen in Zukunft Ansprüche zu erwarten sind. Der Klägerin stand es frei, im Vorprozeß ein Feststellungsbegehren zu stellen. Unterließ sie es, dann nahm sie es auf sich, gegebenenfalls alle Voraussetzungen für das Zurechtbestehen später entstandener Ansprüche neuerlich darzutun.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)