European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0280DS00010.19P.0211.000
Spruch:
Der Berufung wird nicht
Folge gegeben.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der disziplinarbeschuldigte Rechtsanwalt ***** vom Vorwurf freigesprochen, er habe gegen das Doppelvertretungsverbot verstoßen, weil er in materiell zusammenhängenden Rechtssachen vertreten habe, [nämlich] im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien den Kläger Ernst K***** und im zeitlichen Zusammenhang den – im vorgenannten Zivilverfahren Beklagten – Daniel G***** im Ermittlungsverfahren AZ ***** der Staatsanwaltschaft Wien.
Rechtliche Beurteilung
[2] Gegen diesen Freispruch richtet sich die Berufung des Kammeranwalts (dSn allein wegen Nichtigkeit [§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO]). Ihr kommt jedoch aus nachstehenden Erwägungen keine Berechtigung zu:
[3] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet ohne nähere Begründung (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0099620 sowie Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584 f und 588 ff), dass aufgrund des festgestellten Sachverhalts sehr wohl vom Vorliegen einer materiellen, jedenfalls aber formellen Doppelvertretung auszugehen sei. Sie nimmt dabei jedoch der Verfahrensordnung zuwider (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584) nicht an der Gesamtheit der in der Begründung des Erkenntnisses getroffenen Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats Maß und ignoriert insbesondere die – teilweise dislozierten, jedoch expliziten – (Negativ‑)Feststellungen, wonach nicht angenommen werden konnte (ES 4 und 7),
[4] - dass der Disziplinarbeschuldigte bereits bei der (im Juli 2018 im Ermittlungsverfahren erfolgten) Übernahme des Mandats für Daniel G***** über die diesem konkret „zur Last gelegten“ strafbaren Handlungen Bescheid wusste,
[5] - ab welchem Zeitpunkt der Disziplinarbeschuldigte davon Kenntnis hatte, dass ua auch das im Zivilverfahren verfahrensgegenständliche Fahrzeug Thema im Ermittlungsverfahren ist (wobei – nach den weiteren Erkenntnisannahmen – der Disziplinarbeschuldigte spätestens am 20. Oktober 2018 davon erfuhr),
[6] - dass der Disziplinarbeschuldigte durch Übernahme der Vertretung des Daniel G***** seine ihn dem Mandanten (Ernst K*****) gegenüber treffende Treuepflicht vorsätzlich verletzte,
[7] - dass einer der in „§ 12a RL-BA [1977]“ (richtig: § 10 Abs 1 RL-BA 2015, wobei diese Norm inhaltlich identisch ist mit der vom Disziplinarrat irrig herangezogenen Vorschrift) genannten Tatbestände erfüllt ist und
[8] - dass das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien am 4. Oktober 2018 von der zuvor zustande gekommenen Ruhensvereinbarung aufgrund eines am 19. September 2018 geschlossenen endgültigen Vergleichs verständigt wurde.
[9] Nach diesen Konstatierungen konnte vom Disziplinarrat nicht auf ein – dem inkriminierten Vorwurf eines Verstoßes gegen die in § 10 Abs 1 RAO oder § 10 Abs 1 RL-BA 2015 (früher § 12a RL-BA 1977) normierte Verpflichtung entsprechendes – disziplinäres Fehlverhalten des Disziplinarbeschuldigten im Sinn einer materiellen oder formellen Doppelvertretung erkannt werden, weil weder eine Vertretung oder ein sonstiges Tätigwerden in der selben oder in zusammenhängenden Sachen noch der Eintritt einer der in § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 genannten (konkreten) Gefahren angenommen wurde (vgl zum Ganzen: Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 10 Rz 9 ff, 19 f sowie Engelhart in ebendort § 10 RL‑BA 2015 Rz 8, 10, 14 ff und 21).
[10] Damit reicht es aber für die – vom Kammeranwalt ausschließlich geltend gemachte – Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht aus, auf Basis der getroffenen Konstatierungen eine andere Lösung der Rechtsfrage zu reklamieren, sondern wäre nach ständiger Rechtsprechung erforderlich gewesen, hinsichtlich der (fehlenden, aber für einen Schuldspruch unabdingbaren) Feststellungen zu den obgenannten Voraussetzungen (einer zumindest fahrlässig gesetzten [vgl RIS‑Justiz RS0096651]) materiellen oder formellen Doppelvertretung unter Berufung auf derartige Feststellungen indizierende Verfahrensergebnisse einen Feststellungsmangel geltend zu machen (RIS‑Justiz RS0127315, 25 Ds 2/17m).
[11] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war der Berufung demnach ein Erfolg zu versagen.
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