OGH 27Os6/15g

OGH27Os6/15g26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 26. Jänner 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Mag. Vas, LL.M., und Dr. Hausmann als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 9. April 2015, AZ D 68/14, nach nichtöffentlicher mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Kammeranwalts Dr. Meyenburg und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0270OS00006.15G.0126.000

 

Spruch:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem schuldig sprechenden Teil und demzufolge auch im Strafausspruch sowie im Kostenausspruch aufgehoben und ***** von dem wider ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 38 Abs 1 DSt iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen – auch einen unbekämpft gebliebenen Freispruch enthaltenden – Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 9. April 2015, AZ D 68/14, wurde ***** (richtig:) der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts ***** im Schriftsatz vom 22. Jänner 2014 ein gegen die dort beklagte Partei *****, Rechtsanwalt in *****, beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten anhängiges Disziplinarverfahren öffentlich gemacht und dem Gericht die diesem Disziplinarverfahren zugrundeliegende Anzeige vorgelegt.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt und eine Kostenersatzpflicht ausgesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO; RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und über die Strafe.

Der Rechtsrüge (der Sache nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) kommt Berechtigung zu:

Vorweg ist festzuhalten, dass nach einhelliger Judikatur ein Verstoß gegen § 21 der (mit Ablauf des 31. Dezember 2015 außer Kraft getretenen, aber auf bis zu diesem Tag vorliegende Sachverhalte weiterhin anzuwendenden [§ 59 Abs 2 und Abs 3 RL‑BA 2015]) Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes 1977 keine Berufspflichtenverletzung, sondern eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes darstellt (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 21 RL‑BA 1977 Rz 5; in diesem Sinne auch die Gegenäußerung des Kammeranwalts zur Berufung des Disziplinarbeschuldigten vom 22. März 2016).

Weiters ist vorauszuschicken, dass das dem Rechtsanwalt ***** in der (an die Rechtsanwaltskammer für Kärnten gerichteten) Sachverhaltsdarstellung vorgeworfene (und somit den Gegenstand des gegen diesen geführten Disziplinarverfahrens bildende) Verhalten auch Gegenstand des Verfahrens AZ ***** des Landesgerichts ***** war, in dem die angelastete Offenbarung stattfand, zumal in diesem Gerichtsverfahren die Klage auf Unterlassung, Widerruf und Feststellung unter anderem auf die Verletzung des Umgehungsverbots nach § 18 RL‑BA 1977 gestützt worden war.

Gemäß § 21 RL‑BA 1977 hat der Rechtsanwalt Disziplinarangelegenheiten geheim zu halten, sofern nicht eine sachliche Notwendigkeit deren Offenbarung rechtfertigt, wobei auch bereits die Disziplinaranzeige selbst zu den Disziplinarangelegenheiten gehört (RIS‑Justiz RS0101383).

Der Kläger im Zivilverfahren handelt zur Durchsetzung einer von ihm geltend gemachten zivilrechtlichen Forderung in Ausübung des Rechts, alle für seinen Standpunkt sprechenden sachlichen und rechtlichen Argumente vollständig vorzubringen. Dies ergibt sich bereits aus dem aus Art 6 Abs 1 EMRK verbrieften Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dies ist darüber hinaus aus der in § 178 ZPO für die Parteien des Zivilverfahrens normierten Pflicht ableitbar, alle zur Begründung ihrer Anträge erforderlichen tatsächlichen Umstände der Wahrheit gemäß vollständig und bestimmt anzugeben. Dem Kläger steht daher jedes Vorbringen zu, das – ohne Anlegen eines strengen Maßstabs aus der Sicht eines verständigen Beobachters in Rolle der Prozesspartei – der Aufklärung der Sache dienlich und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zweckmäßig sein kann, wobei von einer ex ante-Betrachtung auszugehen ist. Dabei bleibt unmaßgeblich, ob sich das Vorbringen ex post tatsächlich als notwendig erweist (vgl 15 Os 85/07z, EvBl 2008/30, 156 = SSt 2007/67 zum Beklagten sowie zum Angeklagten).

Die sachliche Notwendigkeit der Offenbarung einer Disziplinarangelegenheit durch die Partei eines Zivilverfahrens (oder den Angeklagten im Strafverfahren) ist daher eher anzunehmen als in anderen, nicht von Art 6 Abs 1 EMRK erfassten Fällen.

Nach den getroffenen Feststellungen ist bei der gegebenen Sachlage die Notwendigkeit der Offenbarung der Disziplinarangelegenheit im Sinne des § 21 RL‑BA 1977 schon deshalb zu bejahen, weil – wie bereits angeführt – der in der Disziplinaranzeige und in der Klage erhobene Vorwurf gegen ***** denselben Sachverhalt betrafen. Bei dieser Konstellation ist es geradezu naheliegend, dass allenfalls vorliegenden Erhebungsergebnissen des Disziplinarverfahrens im Zivilverfahren Beweisrelevanz zukommen kann (vgl dazu 25 Os 7/15i).

Der Berufung war somit ohne Eingehen auf das übrige Rechtsmittelvorbringen Folge zu geben, das angefochtene Erkenntnis, welches im freisprechenden Teil unberührt zu bleiben hatte, in seinem schuldig sprechenden Teil und demzufolge auch im Strafausspruch sowie im Kostenausspruch aufzuheben und ***** von dem wider ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 38 Abs 1 DSt iVm § 54 Abs 3 DSt freizusprechen.

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