OGH 26Ds6/21p

OGH26Ds6/21p13.10.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 13. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Kalivoda sowie die Anwaltsrichter Mag. Stolz und Dr. Broesigke in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Scheichel in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 21. Jänner 2020, AZ D 85/94, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleitner, des Kammeranwalt‑Stellvertreters Mag. Steiner und des Beschuldigten ***** zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0260DS00006.21P.1013.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird dahingehend Folge gegeben, dass über den Beschuldigten eine Geldbuße von 800 Euro verhängt wird.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *****, Rechtsanwalt in W*****, des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung schuldig erkannt.

[2] Demnach hat er als Vertragserrichter und Treuhänder des Kaufvertrags vom 7. März 2017 ohne Abschluss einer schriftlichen Nachtragsvereinbarung zu der im Kaufvertrag aufgenommenen Treuhandvereinbarung einen Teil des Kaufpreises über die Wohnung in ***** in Höhe von 1.550.000 Euro am 27. September 2017 ausbezahlt und dadurch gegen Pkt 7.2 des Treuhandstatuts 2010 verstoßen und damit Berufspflichten verletzt.

[3] Hierfür wurde der Beschuldigte zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe.

[5] Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

[6] Gemäß § 10a Abs 1 RAO sind die vom Rechtsanwalt im Rahmen der Treuhandschaft zu besorgenden Aufgaben in dem schriftlich abzuschließenden Treuhandauftrag vollständig festzulegen. Gemäß Pkt 7.2 des zum Zeitpunkt der Übernahme der verfahrensgegenständlichen Treuhandschaft in Geltung gestandenen Statuts 2010 der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer Wien ist der Treuhandvertrag schriftlich mit allen Vertragsparteien abzuschließen. Der Berufungsargumentation, wonach (nur) der ursprüngliche Treuhandvertrag, nicht aber auch nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des Treuhandvertrags schriftlich festzulegen wären, ist schon durch den Wortlaut des Gesetzes („Aufgaben … vollständig festzulegen“) der Boden entzogen.

[7] Der schriftliche Treuhandauftrag ist die Grundlage für die Verpflichtungen des Rechtsanwalts als Treuhänder. Sämtliche Handlungen des Rechtsanwalts als Treuhänder müssen aufgrund der schriftlichen vertraglichen Vereinbarung a priori bestimmbar sein und ex post überprüft werden können. Die dem Schutz der Vertragsparteien, letztlich aber auch des Treuhänders selbst dienende Formvorschrift wäre ihres Sinnes und ihrer Schutzwirkung entkleidet, müssten spätere – bei Einvernehmen aller Parteien durchaus zulässige – Abänderungen des Treuhandvertrags nicht mehr schriftlich festgelegt werden. Sowohl dem Beweiszweck als auch dem Zweck des Schutzes vor Übereilung durch das Schriftlichkeitsgebot wäre nicht mehr Genüge getan, müssten im Sinn der Berufungsargumentation beliebige nachträgliche Abänderungen der Treuhandvereinbarung nicht mehr schriftlich vereinbart werden.

[8] Nach den vom Beschuldigten unbestritten gebliebenen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses hat er anlässlich der Errichtung des Kaufvertrags einen schriftlichen Treuhandvertrag mit den Parteien abgeschlossen, ist aber im Zug der Vertragsabwicklung von den schriftlich vereinbarten Bedingungen dahingehend abgewichen, dass er einen erheblichen Teilbetrag auszahlte, obwohl die schriftlich festgelegten Bedingungen für die Auszahlung (Vorliegen von Übergabeprotokollen hinsichtlich Wohnung und Garage im vereinbarten Zustand) nicht gegeben waren und auch der Teilbetrag der Höhe nach nicht dem im Treuhandvertrag schriftlich Vereinbarten entsprach. Dass dieser Vorgangsweise des Beschuldigten gemäß den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses die telefonisch eingeholte Zustimmung der Vertragsparteien vorangegangen ist, vermag ihn zwar vom Vorwurf des Verstoßes gegen den Treuhandauftrag selbst zu exkulpieren, nicht aber auch von jenem des Verstoßes gegen das gesetzliche und statutengemäße und somit eine Berufspflicht normierende Gebot des schriftlichen Abschlusses der Treuhandvereinbarung.

[9] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist zu erwidern, dass dem geltend gemachten Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB vom Disziplinarrat bei Bemessung der verhängten Geldbuße im untersten Bereich bereits Rechnung getragen wurde.

[10] Bei der Ausmessung der Geldbuße war auch ins Kalkül zu ziehen, dass es nach gefestigter Standesauffassung zu den grundlegenden Pflichten eines Rechtsanwalts gehört, Treuhandvereinbarungen strikt einzuhalten. Nicht nur Treue, sondern auch Gewissenhaftigkeit zählt zu den Säulen des Vertrauens der rechtsuchenden Bevölkerung. Die Abwicklung von Treuhandschaften ist jenem Zentralbereich anwaltlichen Wirkens zuzuordnen, der geradezu begriffsessentiell und unabdingbar von ungetrübtem allgemeinen Vertrauen in die absolute Verlässlichkeit, Korrektheit und Konsequenz der solcherart qualifiziert erwarteten Wahrnehmung sämtlicher Treugeberinteressen abhängt (AnwBl 2000/7644, 97).

[11] Zum Ausgleich für die durch die unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien entstandene Konventionsverletzung (Art 6 Abs 1 MRK) war von der tat- und schuldangemessenen Geldbuße von 1.000 Euro ein Teil von 200 Euro abzuziehen.

[12] Die beantragte bedingte Nachsicht der Geldbuße war mangels gesetzlicher Grundlage ausgeschlossen (AZ 20 Ds 3/21b).

[13] Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 DSt.

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