OGH 25Ds2/20s

OGH25Ds2/20s9.3.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. März 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Niederleitner und Mag. Dorn als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Strobl in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Kärntner Rechtsanwaltskammer vom 17. Februar 2020, AZ D 19/18‑30, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Dr. Tschurtschenthaler und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0250DS00002.20S.0309.000

 

Spruch:

 

Der Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehobenund die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Kärntner Rechtsanwaltskammer verwiesen.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Beschuldigte auf die Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – unter Verstoß gegen das Verbot der Doppelvertretung (§ 10 RAO) – „als Rechtsvertreter im Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex 'H*****-Platz' und damit zusammenhängender Themenkomplexe vom Frühjahr 2017 bis Ende 2017“ einerseits die H***** GmbH gegen deren „Mehrheitsgesellschafterin“ (richtig: Minderheitsge-sellschafterin; ES 3), die A***** GmbH und andererseits die R***** GmbH gegen die F***** GmbH „im Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex 'H*****-Platz'“ vertreten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a und b StPO relevierende (vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) Berufung des Beschuldigten gegen den Ausspruch über die Schuld sowie gegen den Ausspruch über die Strafe.

[4] Ersterer kommt schon aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zu.

[5] Nach den wesentlichen (teils disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nachgetragenen) Feststellungen des Disziplinarrats ist der Disziplinarbeschuldigte zunächst im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Klagenfurt als Vertreter der beklagten Partei H***** GmbH (im Folgenden kurz: H***** GmbH) eingeschritten. Gegenstand des Verfahrens war eine Klage vom 16. Mai 2017 der Minderheitsgesellschafterin (ES 3, vgl aber ES 1) A***** GmbH „auf Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen“ (ES 3; vgl §§ 41, 42 Abs 1 GmbHG). Die A***** GmbH wird von Mag. F***** S***** und DI Fr***** S***** als Geschäftsführer vertreten; Letzterer ist – neben Dr. A***** S***** – zudem auch deren Gesellschafter (ES 3).

[6] Am 4. Juli 2017, 15. September 2017 und 18. Dezember 2017 nahm ***** „als rechtlicher Vertreter“ der H***** GmbH auch an drei außerordentlichen Generalversammlungen dieser Gesellschaft teil (ES 4).

[7] Am 17. November 2017 brachte er als Klagsvertreter eine Klage der R***** GmbH gegen die – im Eigentum (ua) des DI Fr***** S***** und Mag. F***** S***** stehende – F***** GmbH auf Zahlung von 300.000 Euro aus einem außergerichtlichen Vergleich beim Landesgericht Klagenfurt (AZ *****) ein (ES 3 f).

[8] Vor Einbringen dieser Klage hatte der Disziplinarbeschuldigte Vergleichsvorschläge erarbeitet, in denen „die rechtlichen Interessen der R***** GmbH, F***** GmbH, die Rechtsverhältnisse der 'HGB9' mit den Gesellschaftern ausgearbeitet wurden“, womit „sämtliche wechselseitigen Ansprüche auch insbesondere zwischen der Gruppe S***** [...] vereinbart werden sollte“ (ES 4).

[9] Durch seine Teilnahme an den Generalversammlungen der H***** GmbH verfügte der Disziplinarbeschuldigte über ein „Spezialwissen“, das er in beiden Verfahren eingebracht hat, wobei in der Klage der R***** GmbH „ausdrücklich auf Insiderwissen Bezug genommen“ wird (ES 6).

[10] Der Disziplinarbeschuldigte hat zu keinem Zeitpunkt Herbert W***** vertreten (ES 5), dem – im Erkenntnis nicht näher konkretisiert – die R***** GmbH zuzurechnen ist (vgl ES 6: „W***** Gruppe“) und der auch – im Erkenntnis gleichfalls ohne konkrete zeitliche Angaben – als Geschäftsführer der H***** GmbH fungierte (ES 3). Auch bestand kein Vertretungsverhältnis in Bezug auf den Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer der H***** GmbH (ES 3) Mag. ***** G***** (ES 5).

[11] Auf dieser Basis vertrat der Disziplinarrat die Auffassung, dass „die Vertretung im Verfahren R***** GmbH gegen die F***** GmbH“ eine (unzulässige) echte Doppelvertretung darstelle, wobei „hier“ in der Klage „ausdrücklich auf Insiderwissen Bezug genommen“ wurde und auch die „außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen“ auf eine Doppelvertretung hinweisen würden, „zumal hier ein Vergleich im Themenkomplex H*****‑Platz einerseits als auch W***** als auch wechselseitige Ansprüche der Gesellschafter untereinander verglichen werden sollten“ (ES 6 f).

[12] Der Rechtsanwalt ist gemäß § 9 Abs 1 erster Satz RAO verpflichtet, die übernommene Vertretung dem Gesetz gemäß zu führen und (ausschließlich) die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten (Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek,RAO10§ 10RAO Rz 5). Aus dieser Treuepflicht zum eigenen Mandanten resultiert für den Anwalt unter anderem das Verbot der Doppelvertretung, wobei zwischen echter (materieller) und unechter (formeller) Doppelvertretung zu unterscheiden ist.

[13] Materielle Doppelvertretung liegt nach § 10 Abs 1 RAO vor, wenn der Rechtsanwalt eine Vertretung übernimmt und auch nur einen Rat erteilt, er in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache aber auch die Gegenpartei vertritt oder vertreten hat. § 10 Abs 1 RAO untersagt demnach jede anwaltliche Tätigkeit (zunächst) für und (dann) gegen einen Klienten in derselben oder damit zusammenhängenden Sache, wobei der Begriff „zusammenhängende Sache“ weit zu verstehen ist. Erfasst sind demnach alle Konstellationen, in denen Interessenskollisionen zweier Parteien vorliegen oder auch nur die Gefahr einer derartigen Interessensüberschneidung besteht (RIS‑Justiz RS0117715, RS0055534; vgl auch Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 1 DSt Rz 37/1 ff).

[14] Wie der Berufungswerber auf dieser Basis zutreffend aufzeigt, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen, dass er zunächst für eine und dann (in einer zusammenhängenden Sache) gegen diese Partei anwaltlich tätig geworden ist. Vielmehr ist er danach einerseits als Vertreter der H***** GmbH (in einem Verfahren gegen deren Minderheitsgesellschafterin A***** GmbH sowie im Rahmen von Generalversammlungen) und andererseits als Vertreter der R***** GmbH in einem gegen die F***** GmbH geführten Verfahren eingeschritten.

[15] Eine – vom Disziplinarrat gleichwohl angenommene – (uneigentliche) materielle Doppelvertretung im Sinne des § 10 Abs 1 RAO käme vorrangig bei Vertretung einer Partei gegen die (juristische Person) H***** GmbH (in einer zusammenhängenden Sache) in Betracht, was nach den Sachverhaltsannahmen gerade nicht der Fall war. Zwar ist die Definition des Begriffs „Gegenpartei“ nicht nur auf die formal prozessbeteiligten (juristischen oder physischen) Personen beschränkt (vgl RIS‑Justiz RS0117715). Für die F***** GmbH oder deren Gesellschafter ist der Disziplinarbeschuldigte jedoch nie eingeschritten, vielmehr waren Letztere (mittelbar im Wege der A***** GmbH) schon im Rahmen der Vertretung der H***** GmbH „Gegenpartei“.

[16] Ob der Disziplinarbeschuldigte eine „formelle“ Doppelvertretung (§ 10 RL‑BA 2015; zur Abkehr von der vormaligen „Anscheinsjudikatur“ und dem Erfordernis der Prüfung anhand materieller Kriterien vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 DSt § 1 Rz 39 ff) zu verantworten hat, lässt sich anhand des Erkenntnisses nicht abschließend beurteilen. Denn dazu mangelt es – wie vom Berufungswerber im Ergebnis ebenfalls zutreffend beanstandet – an einer hinreichenden Feststellungsbasis, dass es sich bei den ihm von der H***** GmbH anvertrauten Angelegenheiten oder im Zuge deren Vertretung sonst erlangten Informationen um Umstände handelte, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Mandantin gelegen war (vgl Ansaloni/Aumüllner/Kutschera, Die anwaltliche Konfliktprüfung unter besonderer Berücksichtigung des § 12a RL-BA, Jahrbuch Anwaltsrecht 2013, 218 f; Engelhart in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 RL-BA 2015 § 10 Rz 16).

[17] Die Konstatierungen, wonach der Disziplinarbeschuldigte aufgrund seiner Teilnahme an den Generalversammlungen der H***** GmbH über ein – nicht spezifiziertes – „Spezialwissen“ verfügt und dieses in „beiden“ Verfahren eingebracht habe, wobei in der Klage der R***** GmbH „ausdrücklich auf [gleichfalls nicht konkretisiertes] Insiderwissen Bezug genommen“ werde, reicht für die Annahme (auch nur) der Gefahr einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf Angelegenheiten, deren Geheimhaltung im Interesse der Partei gelegen ist, nicht hin (§ 10 Abs 1 Z 1 RL‑BA 2015).

[18] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs und damit auch des Strafausspruchs, ohne dass es eines Eingehens auf das aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO erstattete Vorbringen bedürfte. In Stattgebung der Berufung des Beschuldigten war daher das angefochtene Erkenntnis zur Gänze aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten zu verweisen (§ 54 Abs 2 DSt).

[19] Mit seiner gegen den Ausspruch der Strafe gerichteten Berufung war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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