European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0240OS00005.16I.1207.000
Spruch:
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und es wird in der Sache zu Recht erkannt:
***** wird von dem wider sie erhobenen Vorwurf, sie habe am 8. Oktober 2014 in ***** – unter Verstoß gegen § 9 RAO iVm § 1 DSt – durch die Übernahme des Vertretungsauftrags der Christa H*****, welcher sich auf den Sachverhalt, der durch die Genannte anlässlich der ersten unentgeltlichen anwaltlichen Auskunft der Beschuldigten am 3. Oktober 2014 in deren Kanzlei vorgetragen wurde, bezog, die gemäß dem Statut für die Organisation der ersten unentgeltlichen anwaltlichen Auskunft in Punkt 8 normierte Verpflichtung unterlassen, die Mandantin umfassend über die Kostentragungspflicht zu belehren und sich dies von ihr auf dem von der Rechtsanwaltskammer ausgegebenen Formular schriftlich bestätigen zu lassen, freigesprochen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwältin ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung sowie der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
Danach hat sie am 8. Oktober 2014 in ***** durch die Übernahme des Vertretungsauftrags der Christa H*****, welcher sich auf den Sachverhalt der durch die Genannte anlässlich der ersten unentgeltlichen anwaltlichen Auskunft der Beschuldigten am 3. Oktober 2014 in deren Kanzlei vorgetragen wurde, bezog, die gemäß dem Statut für die Organisation der ersten unentgeltlichen anwaltlichen Auskunft in Punkt 8./ normierten Verpflichtung unterlassen, die Mandantin umfassend über die Kostentragungspflicht zu belehren und sich dies von ihr auf dem von der Rechtsanwaltskammer ausgegebenen Formular schriftlich bestätigen zu lassen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die – der Sache nach den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO relevierende – Berufung der Beschuldigten mit dem Ziel eines Freispruchs gemäß § 3 DSt.
Nach den Feststellungen des Disziplinarrats nahm die Beschwerdeführerin an der Einrichtung der „Ersten Allgemeinen Auskunft“ der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer teil, in deren Rahmen sie ihrer späteren Mandantin, Christa H*****, und deren Ehemann am 3. (richtig:) Oktober 2014 Rechtsauskunft erteilte. Im Zuge dieses Termins, an dem ihr kein Mandat erteilt wurde, informierte sie die Genannte persönlich über die Kostentragungspflicht im Falle einer Mandatserteilung. Im Rahmen eines Telefonats am 8. Oktober 2014 erteilte H***** der Beschuldigten Mandat und wurde von dieser neuerlich über die Kostentragungspflicht belehrt, worüber jedoch keine schriftliche Bestätigung erstellt wurde. Nach Ansicht des Disziplinarrats hatte ein Schuldspruch aus spezialpräventiven Gründen zu erfolgen.
Gemäß § 3 DSt ist ein Disziplinarvergehen vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Spezial- oder generalpräventive Erwägungen sind kein Kriterium für die Anwendung (RIS‑Justiz RS0114103; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO9 § 3 DSt Rz 2).
Die – aufgrund der Unterlassung der Einholung einer schriftlichen Bestätigung über die erteilte Belehrung erfüllte (vgl Punkt 8./ des Statuts der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer) – Tatbestandsmäßigkeit bedarf hier ebenso wenig einer weiteren Erörterung wie die – bereits vom Disziplinarrat im Ergebnis attestierte – Tatsache, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.
Die Prüfung der (hypothetischen) Strafzumessungsschuld hat entsprechend den Grundsätzen der §§ 32 ff StGB zu erfolgen (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek,RAO9 § 3 DSt Rz 5). Vorliegend kommen der Beschuldigten mildernd ihre Unbescholtenheit und ihre im Wesentlichen geständige Verantwortung zugute, während kein Erschwerungsgrund vorliegt. Weiters spricht für sie, dass sie die Mandantin zweimal über die Kostentragungspflicht belehrt und lediglich der Formvorschrift der Einholung einer schriftlichen Bestätigung über diese Belehrung nicht entsprochen hat. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der verletzten Norm, nämlich dem Mandanten – insbesondere aufgrund der Kostenfolgen – eine Überlegungsfrist einzuräumen, während der schriftlichen Bestätigung über die (gegenständlich wiederholt erfolgte) Belehrung im Wesentlichen – nicht nur für den Mandanten, sondern auch für den Rechtsanwalt – (bloß) Beweisfunktion zukommt, ist das Verschulden der Beschuldigten als gering zu beurteilen. Darüber hinausgehende spezialpräventive Erwägungen haben – wie ausgeführt – außer Betracht zu bleiben.
In Stattgebung der Berufung war das angefochtene Erkenntnis daher aufzuheben und die Beschuldigte von dem wider sie erhobenen Vorwurf freizusprechen.
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