European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0200DS00003.17X.0425.000
Spruch:
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird nicht Folge gegeben.
Dagegen wird in Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts die Geldbuße auf 6.000 Euro erhöht.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 1. und 2. Fall DSt schuldig erkannt und hierfür zu einer Geldbuße von 4.500 Euro verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Danach hat er entgegen § 3 RL‑BA 1977 (§ 4 RL‑BA 2015) und entgegen der gefestigten Standesauffassung
1. fällige Bewirtschaftungskosten (für die Monate Juni 2015 bis Jänner 2016) für eine ihm gehörige Eigentumswohnung bei Fälligkeit nicht bezahlt, sondern unzulässigerweise versucht, mit Rückforderungsansprüchen aufzurechnen, sodass die Eigentümergemeinschaft genötigt war, eine Mahnklage über ursprünglich 4.113,12 Euro sA einzubringen; und
2. einen offenen Honoraranspruch des Rechtsanwalts ***** aus einem Substitutionsauftrag über 257,40 Euro trotz Fälligkeit im August 2015 nicht bezahlt, sodass ***** am 8. Februar 2016 Klage einbringen musste.
Dagegen richten sich die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten wegen des den Schuldspruch 1. betreffenden Ausspruchs über die Schuld (in der Sache auch wegen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO – zur Berücksichtigung von Nichtigkeitsgründen im Rahmen der Schuldberufung RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwalts-kammer wegen des Ausspruchs über die Strafe. Der Kammeranwalt hat darüber hinaus zur Berufung des Disziplinarbeschuldigten eine Gegenausführung mit dem Antrag, der Berufung nicht Folge zu geben, erstattet.
Mit dem erkennbaren Standpunkt, die von ihm geltend gemachten Bereicherungs‑ und Schadenersatzansprüche hätten den Disziplinarbeschuldigten zur Erhebung von Einwendungen und zur Aufrechnung gegen die vom Hausverwalter vorgeschriebenen monatlichen Bewirtschaftungskosten (Vorauszahlungen nach § 32 Abs 9 WEG) für die gemeinsame Liegenschaft berechtigt, verfehlt der Disziplinarbeschuldigte in seiner Berufung wegen Nichtigkeit (Z 9 lit a) die gebotene methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116569).
Der Rechtsanwalt hat nach § 3 RL‑BA 1977, erster Teilsatz (nunmehr § 4 RL‑BA 2015) eine von ihm übernommene Verbindlichkeit zu erfüllen. Wie der daran anschließende zweite Teilsatz dieser Bestimmung zeigt („… jedenfalls dürfen Einwendungen gegen eine solche Forderung Ehre und Ansehen seines Standes nicht beeinträchtigen.“), gilt diese Verpflichtung nicht ohne jegliche Einschränkung. Berechtigte Einwendungen und Gegenforderungen stehen auch dem Rechtsanwalt zu. Wenn er somit nicht unbegründet, sondern seiner sorgfältig erwogenen Rechtsüberzeugung entsprechend die Erfüllung einer übernommenen Verpflichtung verweigert, stellt das kein Disziplinarvergehen dar. Über den Wortlaut des zweiten Teilsatzes des § 3 RL‑BA 1977 hinaus handelt der Rechtsanwalt aber nicht nur dann disziplinär, wenn seine Einwendungen oder Gegenforderungen gegen Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes verstoßen, also etwa mutwillig sind, sondern auch dann, wenn der Einwand auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht (RIS‑Justiz RS0120583, VfSlg 14.906 ua).
Die Rechtsansicht des Disziplinarbeschuldigten war unvertretbar. Nach § 32 Abs 1 WEG sind die Aufwendungen für die (gemeinsame) Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage von den Wohnungseigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile bei Ende der Abrechnungsperiode zu tragen. Auf diese sind – mangels anders lautender Vereinbarung – durch die einzelnen Miteigentümer monatliche Vorauszahlungen zu leisten (§ 32 Abs 9 WEG). Diese Vorauszahlungen decken daher nicht einen Rückstand ab, sondern dienen der Bezahlung laufender Aufwendungen der Eigentümergemeinschaft auf die Liegenschaft. Dabei handelt es sich um eine Forderung der Eigentümergemeinschaft, zu deren Geltendmachung – auch im Wege der Klage – der gemeinsam bestellte Verwalter berechtigt und verpflichtet ist (§ 18 Abs 3 Z 1 lit a, § 20 Abs 1 WEG; RIS‑JustizRS0083581). Die vom Hausverwalter gegenüber dem Disziplinarbeschuldigten vorerst außergerichtlich und dann gerichtlich geltend gemachten Forderungen haben solche Vorauszahlungen betroffen.
Die herrschende Lehre (Prader, WEG 20024, § 34, E 110 und E 113; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht23, § 32 WEG, Rz 16 mwN) und ständige Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0109647; RS0119211) unterstellen, dass die Wohnungseigentümer mit ihrem Eintritt in die Eigentümergemeinschaft generell darauf verzichten, eigene Ansprüche gegen die Beitragsforderungen aufzurechnen, weil dies mit den Liquiditätserfordernissen der Gemeinschaft nicht vereinbar ist. Ließe man nämlich Aufrechnungen einzelner Miteigentümer, sei es auch mit Guthaben aus Vorperioden, deren Berechtigung in der Regel strittig ist und die sich oft erst nach einem Rechtsstreit klären lassen, gegen die monatlichen Vorschreibungen zu, würde dies zu einer empfindlichen Einschränkung der für die Abdeckung der laufenden Verbindlichkeiten notwendigen Liquidität der Eigentümergemeinschaft führen.
Dieses Aufrechnungsverbot gilt sowohl für Guthaben einzelner Wohnungseigentümer aus früheren Abrechnungsperioden als auch für Ansprüche, die sich auf §§ 1035 und 1042 ABGB stützen. Selbst Einwendungen gegen die Jahresabrechnung oder gegen die Höhe der einzelnen Vorauszahlungen berechtigen nicht zur Zurückhaltung oder Aufrechnung, auch wenn die Vorschreibung Aufwendungen umfasst, die bereits abgerechnet, aber strittig sind (RIS‑Justiz RS0083521; RS0112884; RS0109647; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht23, § 32, Rz 16 ff). Sogar der Einwand der vertragswidrigen Vorschreibung von Bewirtschaftungskosten (wenn etwa bereits abgerechnete, aber strittige Kosten Einfluss auf die zukünftigen Vorauszahlungen haben) hindert nicht die Fälligkeit der Akontoforderung und hemmt nicht die Pflicht, sie zu zahlen, weil auch solche Fragen der Richtigkeit und Vertragsgemäßheit in der Regel erst in einem Rechtsstreit geklärt werden können (5 Ob 103/00h).
Der Disziplinarbeschuldigte stützt – vom Erkenntnissachverhalt abweichend, somit prozessual unzulässig (RIS‑Justiz RS0099810) – seine Zahlungsverweigerung vor allem auf ein angeblich (straf‑)gesetzwidriges Verhalten der Hausverwaltung, die unberechtigte Forderungen eines Dienstleisters anerkannt (und auch bezahlt) hat und die es trotz seiner gegenteiligen Weisung unterließ, Überzahlungen der Gemeinschaft zurückzufordern. Aufgrund dieser Überzahlungen stünde ihm ein die eingemahnten Bewirtschaftungskosten übersteigendes Guthaben zu.
Selbst wenn diese Vorwürfe berechtigt wären, vermögen sie aber nur Ansprüche gegen den Verwalter, nicht aber gegenüber der Eigentümergemeinschaft zu begründen. Die von ihm vorgenommene einseitige Aufrechnung scheitert damit bereits an der fehlenden Gegenseitigkeit (KBB,ABGB4 § 1441, Rz 1; Holly in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 1441 Rz 1 ff). Es ist Sache der Eigentümergemeinschaft, solche Forderungen gegenüber der Hausverwaltung durch entsprechende Weisungen, durch Auflösung des Verwaltungsvertrags oder durch die Geltendmachung von Schadenersatz (§ 20 Abs 8 WEG) durchzusetzen. Es wäre am Disziplinarbeschuldigen gelegen, innerhalb der Eigentümergemeinschaft eine derartige Willensbildung herbeizuführen.
Mangels Bezugs zu entscheidenden Tatsachen (nämlich der zumindest theoretischen Rechtfertigung eines Zurückbehaltungs‑ oder Aufrechnungsrechts des Disziplinarbeschuldigten) geht demgemäß auch der Vorwurf ins Leere, der Disziplinarrat habe es unterlassen, Feststellungen zum Anerkenntnis des Dienstleisters, einzelne in Rechnung gestellte Leistungen gar nicht durchgeführt zu haben, zu treffen oder den Abschluss eines Generalvergleichs der Hausverwaltung mit diesem festzustellen. Selbst wenn die Rechnungen überhöht gewesen wären und wenn sich die Hausverwaltung zu Unrecht verglichen hätte, könnten daraus abgeleitete Schadenersatzansprüche der Eigentümer-gemeinschaft den Disziplinarbeschuldigten nicht zur Zurückhaltung seiner Zahlungen berechtigen.
Sonstige Umstände, die geeignet wären, Zweifel an der nachvollziehbaren Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken, lassen sich weder der Berufung noch den Verfahrensergebnissen entnehmen.
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld war daher – in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Generalprokuratur – nicht Folge zu geben.
Die Berufung des Kammeranwalts gegen die Höhe der verhängten Geldbuße ist demgegenüber berechtigt. Nach § 16 Abs 6 DSt ist bei der Verhängung der Strafe auf die Größe des Verschuldens und die daraus entstandenen Nachteile, vor allem für die Recht suchende Bevölkerung, bei Bemessung der Geldbuße auch auf die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Disziplinarbeschuldigten Bedacht zu nehmen. Dabei gelten die maßgebenden Grundsätze der §§ 32 ff StGB, es sind sohin spezial‑ und generalpräventive Bedürfnisse bei der Strafzumessung auch im Disziplinarrecht zu berücksichtigen (Lehner in Engelhart et al, RAO9 § 16 Rz 17 mwN).
Als erschwerend wertete der Disziplinarrat den Umstand, dass über den Disziplinarbeschuldigten (richtig) bereits in den Jahren 2014 und 2015 wegen einschlägiger Vergehen Geldbußen in nicht unerheblicher Höhe verhängt worden waren. Dazu habe der Disziplinarbeschuldigte die Zahlungspflicht zu Schuldspruch 1. – trotz der erkennbaren Unrichtigkeit seiner Rechtsauffassung – über einen längeren Zeitraum negiert. Andererseits hätten beide Zahlungsverweigerungen lediglich auf Fahrlässigkeit beruht, die nicht geleistete Zahlung zu Schuldspruch 2. habe außerdem nur einen geringen Betrag ausgemacht, der sofort nach Einbringung der Klage bezahlt worden sei.
Nach §§ 16 Abs 6 DSt und 32 Abs 2 StGB ist bei der Strafbemessung vor allem zu berücksichtigen, ob die Tat auf einer gegenüber den rechtlich geschützten Werten ablehnenden oder gleichgültigen Einstellung des Täters beruht oder ob sie auf äußere Umstände und Beweggründe zurückzuführen ist, durch die auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch straffällig werden könnte (Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 7 ff). Zutreffend weist der Kammeranwalt in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Disziplinarbeschuldigte bereits vor den hier inkriminierten Handlungen mehrere einschlägige Vortaten begangen hat und dass diesen nicht einmal die Verhängung von drei nicht unerheblichen Geldbußen zur Bezahlung offener Verbindlichkeiten verhalten konnte. Aufgrund der Höhe der Einnahmen, die der Disziplinarbeschuldigte angegeben hat, scheidet ein nicht in zumindest gleichgültiger Einstellung gegenüber Zahlungspflichten gelegenes Motiv, etwa eine kurzfristige Zahlungsstockung oder Zahlungsschwäche, aus. Da der Rechtsirrtum zu Schuldspruch 1. nicht vertretbar war, hat der Disziplinarbeschuldigte – entgegen der Ansicht des Disziplinarrats – recht besehen vorsätzlich gehandelt (§ 9 Abs 3 StGB). Allerdings stellt der – wenn auchunvertretbare – Rechtsirrtum einen Strafmilderungsgrund dar (§ 34 Abs 1 Z 12 StGB).
Was die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Disziplinarbeschuldigten angeht, ist – dessen Angaben folgend – von monatlichen Einkünften von mehr als 9.000 Euro auszugehen und bei der Ausmessung der Geldbuße entsprechend zu berücksichtigen.
Unter Abwägung dieser Umstände war der Berufung des Kammeranwalts Folge zu geben und die Geldbuße entsprechend zu erhöhen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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