European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00097.14T.0617.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Am 17. 9. 2013 entzog der Jugendwohlfahrtsträger den Eltern im Rahmen einer vorläufigen Maßnahme die Pflege und Erziehung über die beiden Kinder, nachdem diese bereits am 27. 8. 2013 mit Zustimmung der Eltern in ein Krisenzentrum gebracht worden waren. Nach dem unbestrittenen Vorbringen des Jugendwohlfahrtsträgers wurde mit den Eltern am 17. 9. 2013 besprochen, dass eine Dauerunterbringung bis zur Klärung der Situation der Eltern und einer Stabilisierung von deren Lebenssituation befürwortet würde. Die Mutter habe der Vereinbarung der vollen Erziehung schriftlich zugestimmt, nicht aber der Vater. Mit Eingabe vom 24. 9. 2013 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger, ihn gemäß § 211 iVm § 181 ABGB wegen Gefährdung des Kindeswohls mit der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung zu betrauen. Der Vater sprach sich am 29. 10. 2013 gegen diesen Antrag aus und erklärte, er sei sehr wohl in der Lage, sich allein um die Kinder zu kümmern. Am 19. 11. 2013 beantragte er die „umgehende“ Rückführung der Kinder zu ihm; einen Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge behalte er sich vor.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf (umgehende) Rückführung der Kinder in seine Obhut ab und sprach aus, dass über den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers auf Obsorgeübertragung gesondert entschieden werde. Der Jugendwohlfahrtsträger habe am 17. 9. 2013 die Maßnahme getroffen, die Kinder im Krisenzentrum zu belassen. Nachdem er innerhalb von acht Tagen die gerichtliche Entscheidung gemäß § 211 Abs 1 ABGB beantragt habe, sei er im Umfang der getroffenen Maßnahmen vorläufig mit der Obsorge betraut. Gemäß § 107a AußStrG müsse über einen Antrag unter anderem der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde, ausgesprochen werden, ob die Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers unzulässig oder vorläufig zulässig ist, wobei ein solcher Antrag binnen vier Wochen nach Beginn der Maßnahme gestellt werden müsse. Diese Frist sei jedenfalls bereits abgelaufen. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen sei die Maßnahme auch zum jetzigen Zeitpunkt als zulässig anzusehen. Über den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers auf Obsorgeübertragung werde erst nach Abschluss der notwendigen Erhebungen gesondert entschieden werden; es sei nicht auszuschließen, dass nach weiteren Erhebungen eine Rückführung der Kinder zum Vater möglich sein werde. Zum derzeitigen Zeitpunkt sei der Antrag des Vaters jedoch abzuweisen, weil kein Anhaltspunkt vorhanden sei, dass eine Rückführung der Kinder zum Vater ihrem Wohl entsprechen würde.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung über die vom Vater beantragte (umgehende) Rückführung der Kinder mit der Maßgabe, dass der Antrag nicht ab‑, sondern zurückgewiesen werde. Ein Antrag auf Überprüfung der (vorläufigen) Zulässigkeit der Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers müsse gemäß § 107a Abs 1 AußStrG binnen vier Wochen ab Beginn der Maßnahme gestellt werden. Dieses Antragsrecht stehe in einem Obsorgeverfahren nur einmalig zu. Damit solle eine Blockierung des (Haupt‑)Verfahrens zur Beurteilung einer notwendigen Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger durch immer neue (Provisorial‑)Anträge verhindert werden. Im vorliegenden Fall habe der Vater eine gerichtliche Entscheidung über die (Un‑)Zulässigkeit der Maßnahme nicht binnen vier Wochen beantragt. Die Fristversäumnis könne nicht durch einen nach Ablauf der Frist erstmals gestellten Provisorialantrag umgangen werden. Der am 19. 11. 2013 gestellte Antrag auf Rückführung der Kinder ziele nämlich erkennbar auf die Unzulässigerklärung der Maßnahme ab. Er verfolge somit dasselbe Rechtsschutzziel wie der an die vierwöchige Frist geknüpfte Antrag auf Ausspruch der Unzulässigkeit der Maßnahme. Im Hinblick auf das Verstreichen der Frist und die noch nicht für spruchreif erachtete Entscheidung über den Hauptantrag des Jugendwohlfahrtsträgers werde nur mehr (endgültig) über dessen Antrag, ihn mit der Pflege und Erziehung zu betrauen, und den Gegenantrag des Vaters, diesen Antrag abzuweisen, zu entscheiden sein. Ein Zwischenantrag, der zu einer vom Gesetzgeber ungewünschten Verzögerung des Hauptverfahrens führte, sei hingegen unzulässig. Der Revisionsrekurs sei im Hinblick auf die bisher fehlende höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 107a AußStrG zuzulassen.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt.
Gemäß § 211 Abs 1 ABGB (idF BGBl I 2013/15) hat der Jugendwohlfahrtsträger die zur Wahrung des Kindeswohls erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen und kann diese bei Gefahr im Verzug im Bereich der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen. Wird diese Entscheidung ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ innerhalb von acht Tagen beantragt, ist der Jugendwohlfahrtsträger (bis zur gerichtlichen Entscheidung) im Umfang der getroffenen Maßnahmen vorläufig mit der Obsorge betraut. Mit § 107a Abs 1 AußStrG hat der Gesetzgeber nun ein (befristetes) Antragsrecht statuiert, mit dem unter anderem dem bisher mit der Obsorge Betrauten ‑ entgegen der bisherigen Rechtslage (s ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 40) ‑ die Möglichkeit eingeräumt wird, die Interimsmaßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers in einem beschleunigten Verfahren überprüfen zu lassen (vgl dazu nur Höllwerth in Gitschthaler , Kindschafts‑ und Namensrechts‑Änderungsgesetz 2013, 230).
Die Vorinstanzen haben zutreffend auf den Regelungsgehalt des § 107a Abs 1 AußStrG und die damit erkennbar verfolgten Gesetzeszwecke hingewiesen, sodass gemäß § 71 Abs 3 Satz 2 AußStrG auf die entsprechenden Ausführungen des Rekursgerichts verwiesen werden kann. Der Revisionsrekurswerber zieht auch nicht in Zweifel, dass sein Antrag vom 19. 11. 2013 auf eine Provisorialentscheidung gerichtet ist, mit der eine Rückführung der Kinder in seine Obhut noch vor der Entscheidung über den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers auf Obsorgeübertragung bewirkt werden soll. Er gesteht auch zu, dass die gesetzliche Befristung der Antragstellung eine „Blockade“ des Hauptverfahrens verhindern soll. Mit seiner Argumentation, bei einer Behandlung seines Antrags könne es nicht zu einer Blockierung der Entscheidung im Hauptverfahren kommen, weil über den Hauptantrag des Jugendwohlfahrtsträgers noch gar nicht entschieden worden sei, vermag er die Richtigkeit der Begründung des Rekursgerichts in keiner Weise zu erschüttern, zumal eine Blockierung (Verzögerung) des Hauptverfahrens notwendigerweise das Fehlen einer Entscheidung voraussetzt. In der angefochtenen Entscheidung wurde zutreffend darauf hingewiesen, dass die Statuierung einer bestimmten (vierwöchigen) Frist für einen Antrag der bisher obsorgeberechtigten Person auf Unzulässigerklärung der einstweiligen Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers sinnlos wäre, wenn nach Fristablauf jederzeit Anträge gestellt werden könnten, die im Ergebnis dasselbe Rechtsschutzziel verfolgen.
Auch die vom Revisionsrekurswerber ‑ wenn auch nur ansatzweise ‑ geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken vermag der erkennende Senat nicht zu teilen. Das vom Vater angesprochene verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Schutz des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK wird durch die Gewährung einer vierwöchigen Antragsfrist ausreichend beachtet. Wird die Unzulässigkeit dieser Maßnahme nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht, besteht regelmäßig keine besondere Dringlichkeit auf Seiten der antragsberechtigten Partei. Die Entscheidung des Gesetzgebers, das entsprechende Antragsrecht nur innerhalb einer gewissen Frist und damit nur einmalig einzuräumen, um zu vermeiden, dass es durch wiederholte (oder spätere) Anträge zu einer ‑ allenfalls auch nur faktischen ‑ „Blockierung“ (Verzögerung) der Entscheidung im eigentlichen Verfahren, das ohnehin der Klärung derselben Frage dient, kommt (JAB 2087 BlgNR 24. GP 2), erscheint keineswegs unsachlich oder überschießend. Daraus folgt:
Auch Anträge eines (obsorgeberechtigten) Elternteils, die auf ein umgehendes Rückgängigmachen einer Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB abzielen, müssen daher innerhalb der Frist des § 107a Abs 1 Satz 2 AußStrG gestellt werden.
Die Auffassung des Rekursgerichts, dass der Provisorialantrag des Vaters im aktuellen Verfahrensstadium unzulässig ist, steht somit im Einklang mit der klaren gesetzlichen Regelung und deren Zielsetzung.
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