OGH 1Ob850/54

OGH1Ob850/5410.11.1954

SZ 27/284

Normen

ABGB §1499
ABGB §1500
ABGB §1499
ABGB §1500

 

Spruch:

Zur Ersitzung ist Redlichkeit des Besitzers während der ganzen Ersitzungszeit erforderlich.

Entscheidung vom 10. November 1954, 1 Ob 850/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Lilienfeld; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Das Erstgericht hat dem Klagebegehren, daß die Klägerin die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes an einem Teil des Grundstückes Nr. 19/1 der Kat.-Gemeinde T. ersessen habe, stattgegeben und folgenden Sachverhalt als erwiesen angenommen:

Die Klägerin ist Eigentümerin der EZ. 19 Grundbuch T., bestehend aus den Grundstücken Nr. 19/2, Baufläche mit Haus Nr. 20, und Nr. 31/3, Garten, während die EZ. 63 Grundbuch T., bestehend aus den Grundstücken Nr. 19/1, Baufläche mit Haus Nr. 65, und Nr. 32/1, Garten, im Eigentum der Beklagten steht. Die Klägerin und ihre Mieter gingen und fuhren seit mindestens 30 Jahren über den Grund der Beklagten. Im Zusammenhang mit der Benützung des Gründes kam es wiederholt zu Streitigkeiten, die aber nur deshalb entstanden, weil hiebei das Mauerwerk oder die Dachrinne beschädigt wurden. Ein ausdrückliches Verbot, über die Grundstücke der Beklagten zu gehen und zu fahren, erging nie. Die Beklagte gebrauchte wiederholt, wenn über ihren Grund gefahren wurde, die Äußerung: "Das geht ja nicht daß man da fahren kann." Mit dem an die Klägerin gerichteten Brief vom 20. November 1935 verwies die Beklagte darauf, daß der Klägerin und ihren Mietern nicht das Recht zustehe, über die Grundstücke zu fahren und zu gehen, sondern daß diese Personen nur zum Zweck des Wasserholens den Grund betreten dürfen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Klägerin durch redlichen und echten Besitz während mindestens 30 Jahren die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes ersessen habe.

Der Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht Folge gegeben und in Abänderung des erstinstanzlichen Urteiles das Klagebegehren abgewiesen.

Unter Übernahme der erstrichterlichen Feststellungen führte das Berufungsgericht folgendes aus:

Gemäß § 1477 ABGB. erfordere die 30jährige Ersitzung neben dem Ablauf der Zeit die Redlichkeit und Echtheit des Besitzes. Von einer Ersitzung könne nicht gesprochen werden, da die Voraussetzungen der Redlichkeit nicht gegeben seien. Die Beklagte habe wiederholt, wenn über ihren Grund gefahren worden sei, die Äußerung gemacht, das gehe ja nicht, daß man da fahren könne. In dieser Äußerung müsse aber im Gegensatz zur Rechtsansicht des Erstgerichtes ein durch die Beklagte erlassenes Verbot, über ihren Grund zu fahren, erblickt werden, da es der ländlichen Ausdrucksweise entspreche, an Stelle des Ausdruckes "darf nicht" das Wort "kann nicht" zu gebrauchen. Wie sich aus dem Brief vom 20. November 1935 ergebe, habe die Beklagte die Liegenschaft mit dem Vertrag vom 29. April 1912 erworben; in diesem Vertrag habe die Beklagte das Bestehen der im Grundbuch schon seit 5. April 1887 eingetragenen Dienstbarkeit der Mitbenützung des auf dem Grundstück Nr. 32/1 Garten befindlichen Brunnens durch die Eigentümer der Liegenschaft EZ. 19 Grundbuch T. zur Kenntnis genommen. Aus diesem Umstand gehe aber hervor, daß der Klägerin klar sein mußte, daß ihr nur diese Dienstbarkeit, nicht aber die in der Klage angeführte Servitut zustehe. Im übrigen habe die Beklagte im Schreiben vom 20. November 1935 ausdrücklich der Klägerin mitgeteilt, daß ihr nur das Recht der Mitbenützung des Brunnens zukomme, und ihr bei diesem Anlaß ausdrücklich verboten, zu anderen Zwecken ihren Grund zu betreten. Aus diesem Sachverhalt ergebe sich, daß von einem redlichen Besitz der Klägerin nicht die Rede sein könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Ersitzung im Sinne des § 1477 ABGB. erfordert, daß der Besitz redlich und echt ist. Ein redlicher Besitzer ist aber nur derjenige, der eine Sache, die er besitzt, für die seinige hält, während als unredlicher Besitzer der gilt, welcher weiß oder aus den Umständen vermuten muß, daß die in seinem Besitz befindliche Sache einem anderen zugehört (§ 326 ABGB.). Die Ersitzung erfordert weiters, daß der gute Glaube des Besitzers nicht nur beim Besitzerwerb, sondern während der ganzen Ersitzungszeit vorhanden ist. Der selbst beim Erwerb vorhandene gute Glaube fällt weg, wenn der bisherige gutgläubige Besitzer positiv davon Kenntnis erlangt, daß sein Besitz nicht rechtmäßig ist.

Wird von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen dann hat das Berufungsgericht das Vorliegen der Ersitzung der behaupteten Servitut infolge Fehlens der Redlichkeit während der geforderten Ersitzungszeit mit Recht verneint. Denn seit dem Erhalt des Briefes vom 20. November 1935 mußte die Klägerin Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Besitzes hegen, da ihr die Beklagte ausdrücklich außerhalb des Rahmens der eingetragenen Dienstbarkeit jedes anderweitige Betreten und Befahren der Grundstücke verboten hat.

Da somit der Beklagten der Beweis dafür gelungen ist, daß die Klägerin zumindestens seit 20. November 1935 sich im schlechten Glauben befunden habe, hat die zweite Instanz die Annahme einer Ersitzung mit Recht abgelehnt.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

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