Spruch:
Erkrankungen des Rechtsanwaltes sind kein Unterbrechungsgrund gemäß § 160 ZPO
OGH 15. 4. 1971, 1 Ob 84/71 (OLG Linz 4 R 102/70; KG Steyr 1 Cg 364/69)
Text
Der Kläger begehrt die Scheidung seiner Ehe mit der Beklagten wegen mehr als dreijähriger Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft und tiefgreifender unheilbarer Zerrüttung der Ehe, wogegen die Beklagte Widerspruch erhob.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob die untergerichtlichen Urteile auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zunächst ist zu beachten, daß die Revision nicht von dem mittels Vollmacht ausgewiesenen Klagevertreter Dr Hans H, sondern von Dr Hans Sch gefertigt wurde, der sich als "bestellter mittlerweiliger Stellvertreter" des Dr Hans H bezeichnete. Ein mittlerweiliger Stellvertreter kann gemäß § 28 Abs 1 lit h RAO vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für einen Rechtsanwalt bestellt werden, der mit Tod abgegangen ist, oder für einen erkrankten oder abwesenden Rechtsanwalt, der nicht selbst einen Substituten namhaft gemacht hat oder namhaft machen konnte. Die Bestellung zum mittlerweiligen Stellvertreter durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer begrundet aber noch kein Vollmachtsverhältnis zwischen dem Vertreter und dem Klienten des vertretenen Anwalts, da der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer keine Vollmacht der Partei hat und sie daher auch nicht übertragen kann (SZ 24/39; ZBl 1917/299; ZBl 1916/311; ZBl 1915/394; Fasching II 783, Anm 2 zu § 160 ZPO; Lohsing- Braun, Österreichisches Anwaltsrecht[2] 224; Pollak, System[2] 442). Dr Hans Sch war damit nicht berechtigt, nur auf Grund seiner Bestellung zum mittlerweiligen Stellvertreter des Klagevertreters für diesen einzuschreiten, sondern mußte, selbst wenn er nur in dieser Eigenschaft einschreiten wollte, eine eigene Vollmacht vorlegen, was jedoch trotz der gegenteiligen Hinweise im Akt offenbar nicht geschehen ist, da in diesem keine auf Dr Hans Sch lautende Vollmacht liegt.
Aus der vorliegenden Vollmacht für Dr Hans H ergibt sich allerdings, daß dieser Dr Hans Sch zu seinem Substituten bestellt hatte. Ein solcher ist grundsätzlich berechtigt, für einen anderen Rechtsanwalt einzuschreiten (§ 14 RAO; § 31 Abs 2 ZPO), solange der Substituent selbst noch den Anwaltsberuf auszuüben fähig und berechtigt ist.
Die Tatsache, daß ein mittlerweiliger Stellvertreter durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer bestellt wurde, deutete nun aber wegen der Ähnlichkeit der Rechtslage auf die Möglichkeit hin, daß eine der Voraussetzungen des § 160 Abs 1 ZPO eingetreten sein könnte, das Verfahren also kraft Gesetzes, also ohne daß es hiezu eines Gerichtsbeschlusses bedurft hätte, unterbrochen wurde (2 Ob 111/50; Neumann[4] 732; Holzhammer, Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 187; Petschek-Stagel, Zivilprozeß 198 f, Pollak aaO, 439; Wolff, Zivilprozeßrecht 246), was auch noch im Rechtsmittelverfahren (Fasching II 754) - und im Ehescheidungsprozeß, in dem nur im Rechtsmittelverfahren die Vertretung durch Rechtsanwälte gesetzlich geboten ist (§ 27 ZPO), nur in letzterem - möglich ist. Da die Aufnahme eines unterbrochenen Verfahrens nur über Gerichtsbeschluß erfolgen kann (§ 165 Abs 2 ZPO), ein solcher aber nicht gefaßt wurde, könnte also das Verfahren immer noch unterbrochen sein, was die Berechtigung zur Erhebung von Rechtsmitteln ausschlösse und daher zur Zurückweisung der Revision führen müßte (EvBl 1971/59). Die bloße Vorlage einer Vollmacht durch Dr Hans Sch könnte die Unzulässigkeit der Erhebung der Revision durch ihn noch nicht beseitigen. Es ist daher zu prüfen, ob das Verfahren gemäß § 160 Abs 1 ZPO unterbrochen wurde.
Eine Anfrage des Revisionsgerichtes bei der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich ergab, daß sich Dr Hans H im Krankenstand befindet; die Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters erfolgte vorsichtsweise zur Wahrnehmung der Interessen des Klagevertreters und seiner Klienten. Eine der Voraussetzungen, unter denen die Unterbrechung des Verfahrens nach § 160 Abs 1 ZPO eintritt, lag damit nicht vor. Nach der genannten Gesetzesstelle wird das Verfahren nämlich nur unterbrochen, wenn der Rechtsanwalt stirbt oder unfähig wird, die Vertretung der Partei fortzuführen. Die Meinungen darüber, welche Umstände diese Unfähigkeit begrunden, gehen allerdings auseinander. Nach Fasching II 782 f, Anm 2 zu § 160 ZPO, tritt "Unfähigkeit" nur bei Erlöschen der Rechtsanwaltschaft und bei Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft aus den von ihm näher angeführten Gründen, zu denen Krankheit nicht gehört, ein. Es wird aber auch die Auffassung vertreten, daß schon eine tatsächliche Unfähigkeit, die die Bestellung eines Substituten unmöglich macht, eine Unterbrechung des Verfahrens herbeiführt (Stagel in MGA ZPO[12] 578, FN 1 zu § 160 ZPO; Neumann[4] 743; in diesem Sinne wohl auch Holzhammer aaO 187, Petschek-Stagel aaO 442, der bei FN 18 auf die Ansicht Sperls, daß auch eine plötzliche schwere Erkrankung eine Unterbrechung des Verfahrens herbeiführt, verweist, ohne sie allerdings ausdrücklich zu teilen). Sperl, Lehrbuch, 279, führt in diesem Sinne aus, daß eine geistige oder körperliche Erkrankung, die so rasch und schwer erfolgt, daß der Anwalt weder zu vertreten noch für einen Stellvertreter zu sorgen vermag (zB "schwere Verunglückung"), eine Unterbrechung des Verfahrens herbeiführt. Der Oberste Gerichtshof kann sich jedoch diesen letzteren Ausführungen nicht anschließen. Da eine Unterbrechung des Verfahrens mit ihren einschneidenden Folgen ohne Gerichtsbeschluß eintritt, muß ihr Beginn voraussetzungsmäßig und zeitlich klar bestimmbar sein. Er darf daher nicht wie bei Erkrankungen von Umständen abhängen, die - was deren Art, Intensität und Dauer betrifft - in vielen Fällen nicht einfach zu beurteilen sind und sogar vom Ergebnis eines erst später einzuholenden ärztlichen Sachverständigengutachtens abhängen können. Als unfähig, die Vertretung einer Partei fortzuführen, ist daher nur ein Rechtsanwalt anzusehen, dessen Rechtsanwaltschaft iS des § 34 Abs 1 RAO erloschen ist oder dem die Ausübung der Rechtsanwaltschaft iS des § 34 Abs 2 RAO oder aus anderen Gründen eingestellt wurde. Nur unter diesen Voraussetzungen tritt, neben dem Tode des Rechtsanwaltes, eine Unterbrechung des Verfahrens ein. Plötzliche Erkrankungen, die die Vertretung der Partei durch den Rechtsanwalt und die Bestellung eines Substituten unmöglich machen, sind hingegen nur als unvorhergesehene bzw unabwendbare Ereignisse zu betrachten, für die die Bestimmungen der 146 ff ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Platz greifen.
Im vorliegenden Falle ist der Klagevertreter erkrankt. Eine Unterbrechung des Verfahrens ist daher nicht eingetreten. Die von ihm unterzeichnete Substitutionsvollmacht für Dr Hans Sch ist somit aber auch nach wie vor wirksam, so daß dieser mangels Vorlage einer Vollmacht des Klägers zwar nicht als mittlerweiliger Stellvertreter, wohl aber als Substitut des Klagevertreters einschreiten konnte. Es widersprach dann auch das gleichartige Vorgehen Dr Hans Sch bei Einbringung der Berufung - in der Berufungsverhandlung intervenierte Dr Hans H selbst - nicht dem Gesetz.
Die demnach zulässigerweise erhobene Revision ist auch berechtigt.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)