Normen
HGB §142
HGB §142
Spruch:
Die Übernahme des Geschäftes nach § 142 Abs. 1 HGB. durch einen von zwei öffentlichen Gesellschaftern kann nur als äußerste Notmaßnahme und nur unter der Voraussetzung genehmigt werden, daß es sich um besonders schwere Verfehlungen des anderen Gesellschafters handelt.
Entscheidung vom 24. November 1954, 1 Ob 844/54.
I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Das Erstgericht sprach dem Klagebegehren entsprechend aus, daß die auf Grund des Gesellschaftsvertrages vom 11. Oktober 1951 zwischen den Streitteilen errichtete offene Handelsgesellschaft "H. und St., Eisenhandlung in M." mit Rechtskraft des Urteils aufgelöst (Punkt 2) und der Kläger berechtigt sei, das Geschäft dieser Firma ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven zu übernehmen (Punkt 1). Außerdem sei der Beklagte schuldig, die Fortführung der Firma "H. und St., Eisenhandlung in M." durch den Kläger zu dulden. Der Beklagte sei seit dem Jahre 1938 Alleininhaber einer Eisenwarenhandlung in M. gewesen, zu deren Betrieb er vom Hauseigentümer mehrere Geschäftsräumlichkeiten gemietet habe (Verkaufsladen, zwei Magazine und eine Fünf-Zimmer-Wohnung). In den Jahren nach dem letzten Krieg sei der Beklagte in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Deshalb habe er am 11. Oktober 1951 mit dem kapitalskräftigen Kläger einen Gesellschaftsvertrag zur Gründung einer offenen Handelsgesellschaft mit dem früher erwähnten Firmenwortlaut geschlossen. Von vornherein sei beabsichtigt gewesen, das Gesellschaftsunternehmen in den vom Beklagten gemieteten Räumen zu führen. Am Gewinn und Verlust sollte der Kläger mit 70% und der Beklagte mit 30% beteiligt sein. Je der von ihnen sollte das Recht haben, als Abschlagszahlung auf den erhofften Gewinn aus der Gesellschaftskasse monatlich höchstens 1800 S zu entnehmen. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, daß darüber hinausgehende Entnahmen erst nach Anfertigung der Bilanz zulässig sein sollten. Obwohl der Kläger den Beklagten aufmerksam gemacht habe, daß er über die 1800 S hinaus keine Beträge entnehmen dürfe, habe er in den Jahren 1951 und 1952 mehr abgehoben, als seinem Gewinnanteil entsprochen habe. Er habe nämlich um 55.100 S mehr als die monatlich zulässigen 1800 S für sich verwendet. In derselben Zeit habe zwar auch der Kläger die zulässigen Entnahmen um 17.400 überschritten, jedoch keineswegs seinen Gewinnanteil überzogen. Ende 1952 habe das Gesellschafterkonto des Klägers ein Guthaben von 123.700 S, das des Beklagten aber einen Abgang von rund 32.000 S aufgewiesen. Von März bis September 1952 hätten umfangreiche Verhandlungen über die Auflösung der Gesellschaft und die Fragen der Geschäftsfortführung und der Auseinandersetzung stattgefunden, weil infolge der übermäßigen Entnahmen des Beklagten eine zunehmende Verschuldung der Gesellschaft und eine Anspannung der Liquidität eingetreten sei. Die Verhandlungen hätten jedoch zu keinem Ergebnis geführt. Am 22. April 1953 habe der Beklagte hinter dem Rücken des Klägers in einem vom Hauseigentümer angestrengten Kündigungsprozeß einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, in dem er sich verpflichtet habe, eines der beiden Magazine der Firma bis 31. Mai 1953 zu räumen, obwohl ihm bekannt gewesen sei, daß dieses Magazin für den Betrieb der Eisenwarenhandlung sehr wichtig sei. Als dann den Hauseigentümer am 5. November 1953 dem Beklagten die gesamten Geschäftsräumlichkeiten aufgekundigt habe, seien von diesem Einwendungen unterlassen worden, obwohl nicht einmal die vereinbarte Kündigungsfrist eingehalten worden sei. Nachträgliche Schritte des Klägers gegen diese hinter seinem Rücken vorgenommenen Rechtshandlungen des Beklagten seien bisher erfolglos geblieben. Der Beklagte sei mit dem Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 8. Mai 1953 wegen der Mehrentnahmen von 32.000 S, in denen das Verbrechen der Untreue nach § 205c StG. erblickt wurde, zu einer schweren Kerkerstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Unterdessen ist dieses Urteil rechtskräftig geworden. Der Beklagte habe durch den äußerst sorglos vorgenommenen Entzug flüssiger Mittel und durch die dolose Preisgabe der von ihm in die Gesellschaft eingebrachten Mietrechte die Gesellschaft schwerstens geschädigt, die Grundlagen des Gesellschaftsunternehmens zutiefst erschüttert und damit wesentliche aus dem Gesellschaftsverhältnis entspringende Verpflichtungen zum Teil grobfahrlässig, zum Teil vorsätzlich verletzt. Ein ersprießliches Zusammenarbeiten der Gesellschafter sei völlig unmöglich geworden. Gemäß § 133 Abs. 1 und 2 HGB. liege ein wichtiger Grund vor, der das Recht des Klägers begrunde, die Auflösung der Gesellschaft und nach § 140 Abs. 1 HGB. an deren Stelle die Ausschließung des Beklagten zu verlangen. Die Verfehlung, die sich der Kläger selbst habe zuschulden kommen lassen, trete hinter den Verfehlungen des Beklagten so weit zurück, daß das Ausschließungsrecht jedenfalls nur dem Kläger zugebilligt werden könnte. Die Ausschließung des Beklagten sei zulässig. Damit liege die wichtigste Voraussetzung dafür vor, daß dem Kläger das Recht eingeräumt werde, gemäß § 142 HGB. das Eisenwarengeschäft ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven zu übernehmen. Demgegenüber könne der Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, daß der Kläger keine Gewerbeberechtigung und kein Mietrecht besitze, um das Unternehmen fortführen zu können. Denn einerseits sei im Rechtsstreit des Kreisgerichtes Leoben noch nicht rechtskräftig festgestellt worden, ob dem Kläger gegenüber dem Hauseigentümer Mietrechte an den Geschäftsräumlichkeiten zustunden. Anderseits sei ein Geschäft, eine Sachgesamtheit, auch unabhängig vom Bestand eines Mietverhältnisses und einer Gewerbeberechtigung vorhanden und sei es allein Sache des Klägers, nach der Übernahme des Geschäftes die für die Fortführung des Handelsgewerbes allenfalls fehlenden Voraussetzungen zu schaffen. Das Recht des Klägers, die Firma fortzuführen, ergebe sich aus der im § 1 des Gesellschaftsvertrages enthaltenen Zustimmung des Beklagten und der Bestimmung des § 24 Abs. 2 HGB.
Infolge Berufung des Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und im wesentlichen auch dessen rechtliche Beurteilung der Streitsache. Dem Begehren des Beklagten, an Stelle der Übernahme des Geschäftes durch den Kläger die bloße Auflösung der offenen Handelsgesellschaft zu verfügen, habe nicht stattgegeben werden können. Denn einerseits lägen die Voraussetzungen des § 142 Abs. 1 HGB. vor und andererseits sei die vom Kläger nicht beantragte bloße Auflösung der Gesellschaft mit darauffolgender Liquidation etwas anderes als die abwicklungslose Übernahme des Geschäftes durch den Kläger.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In rechtlicher Beziehung vertritt der Revisionswerber die Meinung, daß in seiner Person keineswegs so wichtige Gründe (§ 133, 140 HGB.) eingetreten seien, daß der Kläger ermächtigt werden könnte, nach § 142 Abs. 1 HGB. das Geschäft der offenen Handelsgesellschaft ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven zu übernehmen. Insbesondere fielen die beiden vom Beklagten nicht weiter bekämpften Kündigungen der Geschäftslokale durch den Hauseigentümer in das Jahr 1953, also in eine Zeit, zu der für den Beklagten kein Zweifel mehr bestanden habe, daß die Aufrechterhaltung der Gesellschaft für keinen der Streitteile mehr in Frage komme. Die Übermäßigkeit der Entnahmen aus der Geschäftskasse sei auf die schwere und langdauernde Erkrankung der Gattin des Revisionswerbers, somit auf einen ethisch berechtigten Beweggrund zurückzuführen. Wenn bedacht werde, daß auch der Kläger der Kasse mehr als ihm gebührt hätte, entnommen und den Gesellschaftsvertrag verletzt habe, höben die beiderseitigen Verfehlungen einander auf und liege kein Grund vor, nach § 142 Abs. 1 HGB. vorzugehen.
Dem Revisionswerber ist zuzubilligen, daß beiderseitige Verfehlungen der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft auf Antrag des einen nur dann zur Ausschließung des anderen und zum Recht auf Übernahme des Geschäftes ohne Liquidation führen können, wenn die gegenseitige Abwägung ergibt, daß die Verfehlungen des einen durch die des anderen völlig in den Hintergrund gedrängt werden und gar nicht mehr als wichtiger Grund im Sinne des § 133 HGB. angesehen werden könnten (SZ. XXIV/269). Wenn den Kläger auch der Vorwurf trifft, die zulässigen Entnahmen um 17.400 S überschritten zu haben, hielten sich seine Mehrabhebungen mit Rücksicht auf das Beteiligtenverhältnis von 70% (Kläger) zu 30% (Beklagter) doch in mäßigen Grenzen und gingen über seine Gewinnanteile keineswegs hinaus. Der Beklagte hingegen hat um 55.100 S mehr für sich verwendet, als ihm nach dem Gesellschaftsvertrag vom 11. Oktober 1951 erlaubt gewesen wäre. Er hat nicht nur die Gewinnbeteiligung verbraucht, sondern sein Konto noch mit 32.000 S belastet und die Liquidität der Firma schwerstens in Frage gestellt. Der Revisionswerber ist wegen seines Vorgehens nach § 205c StG. zu sechs Monaten schweren Kerkers (nunmehr rechtskräftig) verurteilt worden. Er kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß ihn die schwere Erkrankung seiner Gattin gezwungen habe, so hohe Abhebungen vorzunehmen. Denn der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft ist ohne Rücksicht auf private Hinderungsumstände verpflichtet, den Gesellschaftsvertrag einzuhalten (vgl. OHG.-E. v. 13. Mai 1953, JBl. S. 573, am Ende), und muß die Rechtsfolgen einer Verletzung von Vertragsbestimmungen jedenfalls hinnehmen. Maßgebend kann im zivilrechtlichen Verhältnis nur das Ausmaß der dem anderen Gesellschafter zugefügten Schädigungen sein.
Der Revisionswerber könnte auch nicht geltend machen, daß er zum Kläger schon kurz nach dem Beginn des Gesellschaftsverhältnisses das Vertrauen verloren habe, weil dieser sich einem Kunden, der Sch.'schen Gutsverwaltung, gegenüber unredlich benommen habe. Denn nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes war der Beklagte bei der Ausstellung der fingierten Rechnung über den wahren Sachverhalt im Bilde und stellte trotzdem die Rechnung aus. Er kann daher dem Kläger nicht vorwerfen, hinter seinem Rücken eine Betrügerei begangen zu haben.
Im Gegensatz zum Kläger hat der Revisionswerber nicht nur durch seine übermäßigen Geldabhebungen die Gesellschaft und damit den an ihr überwiegend beteiligten Kläger benachteiligt, sondern auch den Weiterbetrieb des Eisenwarenhandels dadurch in Frage gestellt, daß er, ohne dem Kläger etwas zu sagen, in den vom Hauseigentümer angestrengten Kündigungen der Geschäftsräume und der vom Kläger benützten beiden Wohnräume submittierte. In der erstgenannten Kündigungssache schloß der Revisionswerber nämlich den Vergleich vom 22. April 1953, womit er sich zur Räumung eines der beiden Magazine verpflichtete. Gegen die am 5. November 1953 eingebrachte zweite Kündigung unterließ der Revisionswerber Einwendungen überhaupt. Nach dem Gesellschaftsvertrag mag der Beklagte als bisheriger Mieter der Geschäftsräume in dieser Stellung zwar verblieben sein. Er war aber nach § 13 dieses Vertrages ohne Zweifel verpflichtet, die Mietrechte, wenn schon nicht an die Gesellschaft zu übertragen, so doch ihr zur Verfügung zu stellen, da der Hauseigentümer gegen die Änderung des Mieters Einspruch erhoben hatte. Dadurch, daß der Revisionswerber der Gesellschaft die Betriebsräume entzog, ohne andere als etwa eigennützige Zwecke für sein Vorgehen zu haben, verging er sich schwer gegen die Gesellschaft und den Kläger. Er kann sich nicht darauf berufen, daß er schon nach den im Jahre 1952 geführten Verhandlungen mit dem Kläger damit gerechnet habe, das Gesellschaftsverhältnis werde aufgelöst werden. Auch wenn dies angenommen wird, hatte der Revisionswerber nicht das Recht, wesentliche Betriebsmittel hinter dem Rücken des anderen Gesellschafters der Gesellschaft zu entziehen und dadurch nicht nur eine allfällige Liquidation zu erschweren, sondern auch die mögliche Übernahme des Geschäftes durch den Kläger zu behindern. Daß etwas Derartiges in Frage komme, mußte der Revisionserwerber beim Abschluß des Vergleichs vom 22. April 1953 und beim Unterlassen der Einwendungen gegen die Kündigung vom November 1953 wissen, weil damals die am 27. November 1952 eingebrachte vorliegende Klage bereits längst im Laufen war.
Das von den Untergerichten festgestellte Verhalten des Revisionswerbers verstieß schwerstens gegen seine Pflichten als Gesellschafter und muß in Übereinstimmung mit der Ansicht der Untergerichte als ein wichtiger Grund für die Auflösung der Gesellschaft nach § 133 Abs. 1 und 2 HGB. angesehen werden. Die vom Kläger gesetzte weit geringfügigere Vertragsverletzung fällt nicht in die Waagschale. Da der Kläger zum Beklagten mit Rücksicht auf dessen absichtlich schädigendes Verhalten kein Zutrauen mehr haben kann und der wichtige Auflösungsgrund nur die Person des Beklagten betrifft, stunde dem Kläger an sich das Recht zu, nach § 140 HGB. an Stelle der Auflösung der Gesellschaft die Ausschließung des Beklagten aus der Gesellschaft zu verlangen.
Was die vom Kläger beantragte Übernahme des Geschäftes der offenen Handelsgesellschaft nach § 142 Abs. 1 HGB. betrifft, kann eine solche allerdings nur als äußerste Notmaßnahme und nur unter der Voraussetzung genehmigt werden, daß es sich um besonders schwere Verfehlungen eines Gesellschafters handelt (OGH.-E. v. 9. Juni 1954, 1 Ob 340/54, DBGH.-E. v. 30. November 1951, NJW. 1952, S. 461 f). Das Unterbleiben der Liquidation ist ja auch ein Vorteil für den Kläger über den Ausspruch der Auflösung der Gesellschaft hinaus. Wie aber die Dinge im vorliegenden Fall liegen, war es der Kläger, der das Geschäft, das im Jahre 1951 verschuldet war, durch seinen Eintritt als Gesellschafter und die Beistellung erheblicher Geldmittel wieder in die Höhe brachte und zum überwiegenden Teil in seine Hände bekam. Im Gegensatz zum Beklagten, der als alter Mann am Geschäftsbetrieb keinerlei Interesse mehr hat, trachtet der Kläger, sich durch die Weiterführung des Geschäftes eine Existenzgrundlage zu schaffen. Es wäre unbillig, wenn diese Möglichkeit dem Kläger durch die Auflösung und Abwicklung des Geschäftes genommen würde. Durch sein grob gesellschaftswidriges Vorgehen hat der Beklagte das Recht verscherzt, sich dem Übernahmsbegehren des Klägers, das die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, zu widersetzen.
Was schließlich die vom Kläger gewünschte Weiterführung der Firma H. und St. unter Mitbenützung des Namens des Beklagten anbelangt, kann der Meinung des Revisionswerbers nicht gefolgt werden, die im § 1 des Gesellschaftsvertrages enthaltene generelle Zustimmung zur Weiterführung der Firma im Falle des Ausscheidens des Revisionswerbers beziehe sich nicht auf einen Fall nach § 142 Abs. 1 HGB. Denn in dieser Vertragsbestimmung wurde "für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters aus irgendeinem Gründe sowie für den Fall sonstiger Veränderungen" die beiderseitige Zustimmung zur Fortführung der Firma durch den verbleibenden Gesellschafter erteilt. Der Einwand des Revisionswerbers, es sei an die Möglichkeit der durch das Ausscheiden eines der beiden Gesellschafter verursachten Auflösung der Gesellschaft nicht gedacht worden, ist nicht zutreffend. Denn wenn bei einer Zweimanngesellschaft des Ausscheidens des einen Gesellschafters gedacht wird, mußte den Beteiligten klar sein, daß in diesem Fall die Gesellschaft nicht weiter bestehe, sondern das Geschäft durch den verbleibenden Gesellschafter allein fortgesetzt werden würde. Die Untergerichte haben daher den richtigen Standpunkt vertreten, daß schon im § 1 des Gesellschaftsvertrages vom Beklagten die Zustimmung zur Weiterführung der Firma durch den Kläger erteilt worden ist (§ 24 Abs. 2 HGB., vgl. OHG.-E. v. 27. August 1952, 2 Ob 426/52).
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