Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.088,83 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 66,43 Umsatzsteuer und S 192,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Eigentümerin des Hauses Graz, M*****gasse 27, in dem die am 13. 9. 1979 verstorbene Hildegard L***** die im ersten Stock gelegene Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Vorzimmer, Speis, WC, als Haupmieterin bewohnte. Die Tochter der Verstorbenen Hilde E***** ist zu drei Viertel Anteilen Miteigentümerin des Hauses L*****, D*****straße 22. Vom Jahre 1945 bis zu ihrer Verehelichung im Jahre 1955 wohnt Hilde E***** bei ihrer Mutter. Sie zog dann mit ihrem Gatten in das Haus L*****, M*****gasse 9, in dem die Ehegatten auch ein Geschäft betrieben. Hilde E***** wohnte in diesem Haus auch nach dem Tode ihres Gatten. Im Jahre 1975 wurde diese Liegenschaft enteignet. Hilde E***** hatte im Jahre 1974 gegen August K*****, den Mieter einer Wohnung im Hause L*****, D*****straße 22, eine gerichtliche Aufkündigung eingebracht, in der sie als Kündigungsgrund Eigenbedarf wegen Enteignung der Liegenschaft M*****gasse 9 geltend machte. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, wonach sich August K***** verpflichtete, die Wohnung bis 15. 8. 1974 zu räumen und geräumt zu übergeben. Hilde E***** adaptierte im Jahre 1975 die leer gewordene Wohnung, zog aber nicht in diese ein, sondern zog zu ihrer Mutter in die aufgekündigte Wohnung, wo sie sich seither überwiegend aufhielt. Sie führte mit ihrer Mutter einen gemeinsamen Haushalt und betreute ihre Mutter, die an Parkinsonismus litt. Manchmal nächtigte Hilde E***** aber auch in ihrer Wohnung in L*****. Hilde E***** blieb auch nach dem Tod ihrer Mutter in der aufgekündigten Wohnung. Die Wohnung der Hilde E***** in L***** ist 80 m2 groß und zum Bewohnen eingerichtet.
Die Klägerin kündigte der beklagten Partei die gemietete Wohnung, gestützt auf den Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 11 MG, auf; die Verstorbene habe die Wohnung allein bewohnt, eintrittsberechtigte Personen seien nicht vorhanden.
Die beklagte Partei beantragte die Aufhebung der Aufkündigung. Die Tochter der Verstorbenen, Hilde E*****, habe seit November 1970 mehr oder weniger ständig mit ihrer Mutter in der aufgekündigten Wohnung gelebt und habe ihren Lebensschwerpunkt in diese Wohnung verlegt. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es stellte noch fest, daß Hilde E***** nach dem Auszug aus dem Hause G*****, M*****gasse 9, nicht in das Haus D*****straße 22, sondern sofort zu ihrer Mutter in die aufgekündigte Wohnung gezogen sei. In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, im Zeitpunkt des Todes der Hildegard L***** habe Hilde E***** mit ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt gewohnt, auch ein dringendes Wohnungsbedürfnis der Hilde E***** sei zu bejahen, weil sie ihren Lebensschwerpunkt seit Jahren in Graz habe und sich dort ihre Freunde und Bekannten befänden.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin Folge und änderte es dahin ab, daß es der Aufkündigung Folge gab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 2.000 übersteigt.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des angefochtenen Urteils und stellte ergänzend fest, Hilde E***** sei Grazerin und fühle sich in L***** nicht wohl; sie bekomme dort Angstzustände. Sie fühle sich mit der aufgekündigten Wohnung verbunden, in der ihre Mutter gewohnt habe; sie sei gewohnt, in Graz zu sein. Seit dem Tod ihrer Mutter leide Hilde E***** an Herzrythmusstörungen und konsultiere in Graz drei Ärzte. Sie sei auch seit zwei Jahren bei einem Grazer Orthopäden und seit 30 Jahren bei einem Grazer Frauenarzt in Behandlung. Seit dem Tod ihrer Mutter betreue Hilde E***** deren alte Freundinnen und sei seit diesem Zeitpunkt auch caritativ tätig. Hilde E***** wolle deshalb nicht in L***** wohnen, weil sie Differenzen mit dem Eigentümer des Viertelanteils des Hauses habe.
Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, daß ein dringendes Wohnungsbedürfnis der Hilde E***** zu verneinen sei, sodaß der Aufkündigung Berechtigung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen dieses Urteil erhobenen Revision der beklagten Partei kommt Berechtigung nicht zu.
Gemäß § 19 Abs 2 Z 11 MG ist es als wichtiger Grund, der die Aufkündigung des Bestandverhältnisses rechtfertigt, anzusehen, wenn die vermieteten Wohnräume nach dem Tod des bisherigen Mieters nicht mehr einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen dienen. Eintrittsberechtigt sind nach der zitierten Gesetzesstelle nahe Angehörige wie insbesondere Verwandte in gerader Linie des bisherigen Mieters, die schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebten. Entscheidende Bedeutung kommt im vorliegenden Fall dem Umstand zu, ob von einem dringenden Wohnbedürfnis der Tochter Hilde E***** gesprochen werden kann. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ist ein dringendes Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen nur dann anzuerkennen, wenn die Belassung des beim Tod des bisherigen Mieters bestandenen Zustandes unabweislich notwendig ist (MietSlg 31.411, 24.329). Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob die Wohnung des verstorbenen Mieters einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter naher Angehöriger dient, nach den gleichen Gesichtspunkten zu beurteilen wie der dringende Eigenbedarf des Vermieters nach § 19 Abs 2 Z 5 und 6 MG (MietSlg 31.411, 26.290, 23.404, 22.409, 17.491). Ein dringendes Wohnbedürfnis ist demnach aber dann zu verneinen, wenn dem nahen Angehörigen eine andere ausreichende Unterkunft zur Verfügung steht (MietSlg 31.411, 28.342, 26.291, 24.335, 24.329). Mit dieser Rechtsprechung scheinen jene Entscheidungen in Widerspruch zu stehen, die davon ausgehen, daß ein dringender Bedarf im Sinne des § 19 Abs 2 Z 11 MG nur dann zu verneinen sei, wenn dem Eintrittsberechtigten eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehe (vgl MietSlg 31.414, 26.290, 24.329, 23.404 u.a.). Zum Teil handelte es sich freilich um Fälle, wo dem Eintrittsberechtigten lediglich eine Wohnung im Ausland, wo er sich nur vorübergehend aufhielt, zur Verfügung stand, sodaß von einer dauernden Wohnversorgung überhaupt nicht gesprochen werden konnte (MietSlg 31.414, 26.290). Überwiegend war mit dem weiteren Erfordernis der Gleichwertigkeit aber nur die rechtliche Gleichwertigkeit der dem Eintrittsberechtigten zur Verfügung stehenden anderen Wohnung gemeint. So darf ein Eintrittsberechtigter nicht auf eine familienrechtliche Wohnmöglichkeit verwiesen werden, weil es an einem den Verbleib sichernden familienrechtlichen Anspruch nach Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit fehlt (MietSlg 25.326); oder es steht eine rechtlich gleichwertige Wohnmöglichkeit auch dem Ehemann bei zerrütteter Ehe nicht zur Verfügung, wenn zwar die Ehefrau die Rückkehr in die eheliche Wohnung nicht gerade verweigert, von einem gemeinschaftlichen Zusammenleben aber nichts mehr wissen will (MietSlg 19.350); oder es müßte der Eintrittsberechtigte erst eigene Mittel aufwenden, um in den Besitz einer anderen Wohnung zu gelangen (MietSlg 19.349). Die rechtliche Gleichwertigkeit wird auch dann zu verneinen sein, wenn dem Eintrittsberechtigten anderwärts lediglich ein zeitlich begrenztes Wohnungsrecht zusteht; hingegen wird beim Vorhandensein einer Wohnung im eigenen Haus, einer Eigentumswohnung oder einer anderen kündigungsgeschützten Mietwohnung die (rechtliche) Gleichwertigkeit jedenfalls im Regelfall zu bejahen sein. Dem in der Rechtsprechung gelegentlich vertretenen Standpunkt, daß selbst bei Vorhandensein einer rechtlich gesicherten anderen Wohnmöglichkeit die faktische Gleichwertigkeit der Wohnung zu prüfen ist (MietSlg 24.329), kann der erkennende Senat nicht beipflichten. Er hält vielmehr mit der überwiegenden Rechtsprechung daran fest, daß ein Eintrittsrecht gemäß § 19 Abs 2 Z 11 MG nur dann zusteht, wenn die unabweisliche Notwendigkeit besteht, den anderwärts in rechtlich gleichwertiger Weise nicht gedeckten Wohnbedarf des Eintrittsberechtigten zu befriedigen. Der Umstand allein, daß der eintrittsberechtigte nahe Angehörige seinen Lebensmittelpunkt in der aufgekündigten Wohnung hat und am Orte dieser Wohnung einen Freundes- und Bekanntenkreis erworben hat, vermag die Annahme eines dringenden Wohnbedürfnisses im aufgezeigten Sinn nicht zu rechtfertigen. Besondere Umstände, welche eine unabweisliche oder doch dringende Notwendigkeit begründeten, daß Hilde E***** in Graz wohnhaft bleibt, wurden nicht dargetan.
Wenn die Revisionswerberin darauf verweist, daß nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes der Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 13 MG bei Vorhandensein zweier Wohnungen nicht stets als gegeben erachtet, sondern schon dann von einem schutzwürdigen Interesse des Mieters ausgegangen wird, wenn sich der wirtschaftliche oder familiäre Schwerpunkt wenigstens zum Teil in der aufgekündigten Wohnung befindet (MietSlg 29.356, 28.357, 24.353, 24.352), ist ihr zu erwidern, daß diese Grundsätze bei einer auf § 19 Abs 2 Z 11 MG gestützten Aufkündigung nicht zur Anwendung gelangen können. Im Falle des Kündigungsgrundes nach § 19 Abs 2 Z 13 MG ist der Gekündigte immerhin Mieter der aufgekündigten Wohnung und wird in diesem Mietrecht geschützt, solange noch ein wesentliches schutzwürdiges Interesse an der Benützung der Wohnung besteht, was auch bei Vorhandensein einer Zweitwohnung nicht stets zu verneinen ist. Im Falle der Kündigung nach § 19 Abs 2 Z 11 MG hingegen ist zu entscheiden, ob einem nahen Angehörigen nach dem Tode des bisherigen Mieters erst der Eintritt in ein geschütztes Bestandverhältnis geboten werden muß. In einem solchen Fall ist die Anlegung eines strengeren Maßstabes gerechtfertigt und das Eintrittsrecht nur anzuerkennen, wenn die unbedingte Notwendigkeit besteht, die Wohnungsversorgung des nahen Angehörigen zu sichern. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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