OGH 1Ob78/00b

OGH1Ob78/00b28.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Stephanie E*****, geboren am *****, infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Dr. Herwig P*****, vertreten durch Dr. Adolf Concin und Dr. Heinrich Concin, Rechtsanwälte in Bludenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 26. Jänner 2000, GZ 1 R 23/00s-17, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Montafon vom 29. Dezember 1999, GZ 2 P 29/99y-14, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der erstgerichtliche Beschluss wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die am ***** geborene Stephanie wird im Haushalt ihrer Mutter betreut. Sie ist ein uneheliches Kind. Deren Vater, ein Amtsarzt, verpflichtete sich am 12. November 1997 zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrags von 4.500 S monatlich. Er arbeitet seit Februar 1999 auf eigenen Wunsch "nur mehr eingeschränkt im Ausmaß von 60 %" - also 24 Wochenstunden - und erzielt seither als Amtsarzt ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 24.670 S monatlich. Im Falle einer Vollbeschäftigung bezöge er ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 37.800 S monatlich ohne Haushalts- und Kinderzulage. Aufgrund selbständiger Tätigkeit hatte er 1999 ein Zusatzeinkommen von etwa 4.000 S. Überdies fließen ihm als Vermieter einer Wohnung noch Mietzinseinnahmen von 6.160 S monatlich zu. Er hat jedoch "für diese Wohnung" Darlehensrückzahlungen von 5.899 S monatlich zu leisten und weitere Sorgepflichten für zwei Töchter aus einer geschiedenen Ehe (Claudia, geboren am 23. Juli 1982, und Laura, geboren am 21. Juni 1990). Für Claudia leistete er 1997 einen Unterhaltsbeitrag von 5.000 S, für Laura eine solchen von 4.000 S monatlich.

Mit dem an die Bezirksverwaltungsbehörde gerichteten Schreiben vom 27. Jänner 1999, das beim Erstgericht am 24. März 1999 einlangte, beantragte der Vater wegen der aus gesundheitlichen Gründen erfolgten Einschränkung seiner vollen unselbständigen Erwerbstätigkeit auf eine Teilzeitbeschäftigung von 60 % die "Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung ab 1. Februar 1999".

Die Minderjährige sprach sich gegen eine Unterhaltsherabsetzung aus.

Das Erstgericht gab dem (betragsmäßig unbestimmten) Herabsetzungsbegehren statt. Danach hat der Vater für seine mj. Tochter Stephanie ab 1. Februar 1999 nur mehr einen Unterhaltsbeitrag von 3.900 S monatlich zu leisten. Der Bemessung sei ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 29.610 S monatlich zugrunde zu legen. Unter Berücksichtigung der weiteren Sorgepflichten des Vaters habe die Minderjährige einen Unterhaltsanspruch von 13 %. Das ergebe gerundet 3.900 S monatlich. Da die Finanzierung des Durchschnittsbedarfs eines Kind von drei Jahren 2.000 S monatlich erfordere und die angemessenen Unterhaltsbedürfnisse der Minderjährigen mit 3.900 S monatlich gedeckt werden könnten, bestehe kein "Raum für eine Anspannung" des Vaters "auf das bei voller Berufstätigkeit erzielbare Einkommen".

Das Rekursgericht wies den Herabsetzungsantrag ab und sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Diesen Ausspruch änderte es mit Beschluss vom 24. Februar 2000 dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs nach § 14 Abs 1 AußStrG angesichts der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 21/98i, auf die bereits in der Rekursentscheidung Bezug genommen worden sei, doch zulässig sei, weil geklärt werden müsse, "ab wann eine Anspannungsüberprüfung einzusetzen" habe, "wenn ein Unterhaltsbeitrag geleistet" werde, "der zwar nicht die 'Luxusgrenze' des 2 1/2-fachen des Durchschnittsbedarfs" erreiche, "aber deutlich" darüber liege. Im angefochtenen Beschluss hatte das Rekursgericht erwogen, der Leistungspflichtige sei zwecks Unterhaltsbemessung auf das real erzielbare Einkommen anzuspannen, wenn die aufgrund des tatsächlichen Einkommens mögliche Leistung den angemessenen Unterhaltsanspruch des Berechtigten nicht decke. Solange jedoch der Unterhaltsbeitrag den für die Finanzierung des Durchschnittsbedarfs des Berechtigten erforderlichen Aufwand erheblich übersteige, habe der Schuldner einen "Gestaltungspielraum bei der Befriedigung seiner eigenen Lebensinteressen". Im Anlassfall erreiche die vom Vater übernommene Unterhaltsverpflichtung von 4.500 S monatlich noch nicht die Luxusgrenze des 2 1/2-fachen des Durchschnittsbedarfs, sodass der Vater auf das bei einer Vollerwerbstätigkeit als Amtsarzt erzielbare Einkommen von 37.800 S monatlich anzuspannen sei. Danach könne er aber weiterhin einen Unterhaltsbeitrag von 4.500 S monatlich leisten.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Gericht zweiter Instanz von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abwich.

Rechtliche Beurteilung

1. Der erkennende Senat sprach in der Entscheidung 1 Ob 21/98i (= EvBl 1998/109 = ÖA 1998, 204) aus, dass es dem Unterhaltsschuldner jedenfalls solange, als der angemessene Unterhalt seines Kindes durch die zuerkannte Leistung erheblich über dem Durchschnittsbedarf gedeckt werde, unbenommen bleiben müsse, zur Befriedigung seines persönlichen Erholungs- bzw Freizeitbedürfnisses Zeitausgleich anstelle eines Überstundenentgelts zu wählen; auch das Unterhaltsrecht verwehre dem Leistungspflichtigen einen angemessenen Gestaltungsspielraum bei der Befriedigung seiner eigenen Lebensinteressen nicht, auch wenn eine solche Selbstverwirklichung einer sonst bis zur Luxusgrenze möglichen Unterhaltsmaximierung entgegenstehe.

Dieser Rechtssatz bezog sich auf die Alimentierung einer Minderjährigen im Alter von vier Jahren, die zur Finanzierung des "fast zweifachen" Durchschnittsbedarfs gleichaltriger Kinder ausreichte.

2. Im Revisionsrekurs wird zutreffend hervorgehoben, dass der hier zu beurteilende Sachverhalt jenem Sachverhalt gleicht, der der Entscheidung 1 Ob 21/98i zugrunde lag. Dort wurde klargestellt, dass dem Schuldner bei der Gestaltung seiner persönlichen Lebensverhältnisse nicht erst bei der Alimentierung über der "Luxusgrenze" ein Spielraum eingeräumt sei, weil § 140 ABGB nicht etwa die Unterhaltsmaximierung bis zur Luxusgrenze, sondern nur die Deckung der angemessenen Bedürfnisse des Kindes bezwecke. Im Lichte dieser Rechtsprechung bleibt die auf Wunsch des Vaters bewilligte Umwandlung seiner Vollerwerbstätigkeit in eine Teilzeitbeschäftigung von 60 % für seine Unterhaltsverpflichtung ohne Auswirkung, weil die Minderjährige unter Heranziehung des verbleibenden väterlichen Einkommens als Bemessungsgrundlage auch bei einem Unterhaltsbeitrag von 3.900 S monatlich immer noch angemessen alimentiert wird.

Die Umwandlung der Vollerwerbstätigkeit in eine Teilzeitbeschäftigung kann daher im Anlassfall gegenüber dem Kind nicht als Rechtsmissbrauch des Vaters beurteilt werden. Erst ein solcher Missbrauch könnte dessen Anspannung auf das real erzielbare Einkommen als Grundlage für die Unterhaltsbemessung rechtfertigen.

Somit ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts - antragsgemäß - wiederherzustellen, hat dieses doch von einer Anwendung der Anspannungstheorie zu Recht Abstand genommen und nur das tatsächliche Einkommen des Schuldners als Unterhaltsbemessungsgrundlage herangezogen.

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