OGH 1Ob7/71

OGH1Ob7/7111.3.1971

SZ 44/29

Normen

ZPO §208
ZPO §235
ZPO §258
ZPO §208
ZPO §235
ZPO §258

 

Spruch:

Eine in einem vorbereitenden Schriftsatz enthaltene Klagsausdehnung wird erst mit dem Vortrag des Schriftsatzes in der mündlichen Verhandlung wirksam

OGH 11. 3. 1971, 1 Ob 7/71 (LGZ Wien 43 R 628/70; BG Döbling 4 C 9/70)

Text

Die Klägerin lebt von ihrem Gatten, dem Beklagten, faktisch getrennt und begehrt von ihm Geldunterhalt.

Der Erstrichter hat den Beklagten schuldig erkannt, der Klägerin ab 1. 1. 1968 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 4000.- zu bezahlen, das Mehrbegehren hat er abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Urteil in teilweiser Stattgebung der Berufungen beider Streitteile dahin abgeändert, daß der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. 1. 1968 bis 15. 5. 1969 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 3500.- und ab 16. 5. 1969 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 5000.- zu bezahlen habe; das Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren Unterhaltsbetrages von S 1500.- für die Zeit ab 1. 1. 1968 bis 15. 5. 1969 hat es abgewiesen.

Hinsichtlich des Unterhaltsanspruches für die Zeit vom 1. 1. 1968 bis 15. 5. 1969 führte das Berufungsgericht unter Bedachtnahme auf den Grundsatz "nemo pro praeterito alitur" aus, es sei zwar die von der Klägerin vorgenommene Klagsausdehnung auf S 5000.- monatlich an fortlaufendem Unterhalt in dem am 28. 3. 1969 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz erklärt worden, doch sei dieser Schriftsatz erst in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 16. 5. 1969 vorgetragen worden. Für die Zeit vorher hätte im Hinblick auf die Vorschrift des § 1418 ABGB mangels einer wirksamen Klagsausdehnung kein höherer Unterhaltszuspruch erfolgen dürfen, als er vorher geltend gemacht worden war, nämlich in der Höhe von S 2400.- monatlich. Da aber der Berufungsantrag des Beklagten nur auf Festsetzung der ihm obliegenden Unterhaltsleistung mit S 3500.- monatlich ab 1. 1. 1968 gerichtet gewesen sei, sei das erstgerichtliche Urteil über das gestellte Unterhaltsbegehren für die Zeit vom 1. 1. 1968 bis 15. 5. 1969 iS eines monatlichen Unterhaltszuspruches von S 3500.- und der Abweisung des Mehrbegehrens abzuändern gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin gegen die erwähnte Abweisung des Mehrbegehrens nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit sich die Revision gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes wendet, daß nach dem Grundsatz "nemo pro praeterito alitur" Unterhalt für die Vergangenheit nicht begehrt werden kann, ist sie zulässig, dies gilt auch für die im Vordergrund stehende Frage, ab wann die Klagsausdehnung wirksam war (5 Ob 58/69, 5 Ob 295/69); sie ist jedoch nicht gerechtfertigt.

Es kann der Klägerin zunächst darin nicht gefolgt werden, daß ihrem mit Schriftsatz erweiterten Begehren schon ab 1. 1. 1968 stattzugeben gewesen wäre, denn dieser Schriftsatz ist erst am 28. 3. 1969 bei Gericht eingelangt. Damit wird ohne Zweifel Unterhalt - wenn auch nur ein höherer als bisher in der Klage - für die Vergangenheit begehrt. Ein solches Begehren ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, von der abzugehen die Revisionsausführungen keinen Anlaß geben, unberechtigt (vgl hiezu die zahlreichen unter Z 2 zu § 1418 ABGB MGA[28] abgedruckten Entscheidungen sowie Gschnitzer in Klang[2] IV/1 359f zu § 904 ABGB). Der Umstand, daß sich der Beklagte in die Verhandlung über das erweiterte Klagebegehren eingelassen hat, ohne dagegen Einwendungen zu erheben, hatte lediglich zur Folge, daß das erweiterte Begehren Gegenstand des Verfahrens wurde (§ 235 Abs 2 ZPO); dies besagt aber noch nicht, daß der erweiterte Anspruch auch gerechtfertigt sein muß. Da der Beklagte seine Berufung auf unrichtige rechtliche Beurteilung der Streitsache stützte, hatte das Berufungsgericht vielmehr die Entscheidung des Erstrichters nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen.

Der Revisionswerberin kann auch darin nicht beigepflichtet werden, daß ihr der Anspruch auf Unterhalt nach dem erweiterten Klagebegehren zumindest ab dem Zeitpunkt des Einlangens des Schriftsatzes bei Gericht, mit dem die Klagsausdehnung "vorgenommen" wurde, also ab 28. 3. 1969 zusteht.

Der Oberste Gerichtshof hat schon in seiner Entscheidung vom 4. 5. 1960, 6 Ob 118/60, den Standpunkt eingenommen, daß eine bei einer vom Beklagten nicht besuchten Streitverhandlung erklärte Klagsänderung wirkungslos ist. Er begrundete dies mit der Erwägung, daß das grundsätzliche Verbot einer Klagsänderung nach Streitanhängigkeit (§ 235 Abs 2 ZPO) im Interesse des Beklagten normiert ist und daß es nicht angängig ist, ihn ungehört aus einem anderen Grund oder zu einem Mehr zu verurteilen, wogegen er sich, falls die Tagsatzung besucht worden wäre, hätte verteidigen können. Der Oberste Gerichtshof hat sich damals auf die Lehre Neumanns (Bd II, 910 f) berufen und - was nun für den gegenständlichen Fall von besonderer Bedeutung ist - dem noch hinzugefügt, daran ändere auch der Umstand nichts, daß die bei der vom Beklagten nicht besuchten Tagsatzung erklärte Klagsänderung diesem schon vor der Tagsatzung mit Schriftsatz bekanntgegeben wurde.

Es soll nun nicht übersehen werden, daß der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 22. 6. 1962, SZ 35/68, den Standpunkt eingenommen hat, daß bei einer mit Schriftsatz vorgenommenen Klagserweiterung die Verjährung des damit geltend gemachten Anspruches schon in dem Zeitpunkt unterbrochen werde, in dem der Schriftsatz bei Gericht einlangt. Er wendete hiebei die Bestimmung des § 1497 ABGB analog an und berief sich auf die Lehre Sperls (Lehrbuch, 326), nach der die Wirkung der Klagsänderung bzw Klagsausdehnung an den Zeitpunkt geknüpft sei, zu dem der sie mitteilende Schriftsatz eingebracht oder ihre Erklärung mündlich in der Streitverhandlung geschehen sei. Der Vollständigkeit halber sei auch noch erwähnt, daß der Oberste Gerichtshof erst unlängst in seiner Entscheidung vom 23. 2. 1971, 4 Ob 304/71, unter Heranziehung der Entscheidung SZ 35/68 und der bereits zitierten Lehrmeinung Sperls die Auffassung vertreten hat, mit dem Einlangen eines die Klagserweiterung erklärenden Schriftsatzes bei Gericht sei bereits die Zuständigkeit des Prozeßgerichtes zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung des erweiterten Anspruches gegeben.

Dessenungeachtet kommt der erkennende Senat zum Ergebnis, daß an der schon in der Entscheidung vom 4. 5. 1960, 6 Ob 118/60, zum Ausdruck gebrachten Auffassung festzuhalten ist, weil nur diese dem die Zivilprozeßordnung beherrschenden Grundsatz der Mundlichkeit der Verhandlung entsprechend Rechnung trägt. Auch schriftliches Vorbringen im Lauf des Prozesses wird - soweit es überhaupt gestattet ist - erst durch den mündlichen Vortrag desselben in der Verhandlung zum Gegenstand des Verfahrens. Ohne Geltendmachung bei der mündlichen Verhandlung kann daher auch ein noch nicht in der Klage enthaltener Anspruch nicht streitanhängig werden (§ 232 Abs 2 ZPO). In dieser Beziehung sieht § 235 ZPO keine Ausnahme vor (vgl hiezu auch Stagel - Michlmayr[12], Anm 4 zu § 232 ZPO, Fasching III, Anm 4 zu § 232 ZPO). Die in SZ 35/68 und 4 Ob 304/71 zitierte Meinung Sperls (Lehrbuch, 326), scheint übrigens mit der Meinung Sperls (aaO 325) in Zusammenhang zu stehen, daß auch die Zustimmung zur Klagsänderung vom Beklagten mit Schriftsatz erklärt werden könne, was schon von Pollak (System des Österreichischen Zivilprozeßrechtes[2], 403. bei Anm 36) mit der Begründung abgelehnt wurde, ein derartiger vorbereitender Schriftsatz des Beklagten entspreche nicht jenem "Verhandeln", das § 235 Abs 2 ZPO fordert. Was die Entscheidung 4 Ob 304/71 betrifft, besteht jedenfalls auch das Bedenken, daß dann, wenn die Klagsänderung am Widerspruch des Beklagten und an einer negativen Entscheidung des Gerichtes scheitert eine vom Prozeßgericht erlassene einstweilige Verfügung vorliegt, die vom ursprünglichen Klagebegehren, bei dem es dann ja geblieben ist, gar nicht gedeckt ist. Ein näheres Eingehen auf die sich daraus ergebenden Probleme ist jedoch entbehrlich, weil es sich diesmal nicht um eine einstweilige Verfügung handelt. Was aber die in der Entscheidung SZ 35/68, die sich übrigens mit der Entscheidung 6 Ob 1 18/60 ebensowenig auseinandergesetzt hat wie 4 Ob 304/71, bezüglich der Unterbrechung der Verjährung vertretene Ansicht betrifft, bestehen gegen ihre Richtigkeit doch erhebliche Bedenken, denen gegenüber das Argument, dem Kläger könne die Gefahr einer verspäteten Anberaumung einer Tagsatzung nicht treffen, schon deshalb nicht durchschlägt, weil dem Kläger jedenfalls die Möglichkeit offensteht, eine weitere Klage einzubringen. Ehrenzweig (System[2], I/1, 323 bei Z 4) vertritt nämlich ausdrücklich die Rechtsansicht, daß die Geltendmachung eines Anspruches in einem vorbereitenden Schriftsatz zur Unterbrechung der Verjährung nicht genügt, sondern dazu das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung erforderlich ist. Er verweist dabei beispielsweise auch auf Art 3 EVWG, eine Bestimmung, die sich schon im § 6 EGWG 1932 bzw vor Inkrafttreten des letzteren unter Zitierung des § 232 Abs 2 ZPO (als Ergänzung zu Art 80 WO) in Art XLV EGZPO fand und seither in Art 71 Abs 2 WG 1955 aufgegangen ist. Dort wird - soweit diese Bestimmung hier von Interesse ist - ausdrücklich normiert, daß der Anbringung der Klage in bezug auf die Unterbrechung der wechselrechtlichen Verjährung die Geltendmachung des Anspruches in der mündlichen Verhandlung gleichgestellt ist. Dazu kommt noch weiters, daß die Einbringung eines vorbereitenden Schriftsatzes - die Eingabe der Klägerin kann, soweit in ihr außer dem Antrag auf Fortsetzung des ruhenden Verfahrens (§ 169 ZPO) die Klagserweiterung "erklärt" wurde, nur als vorbereitender Schriftsatz gewertet werden - im Stadium des Verfahrens, in dem diese Eingabe einlangte, zufolge der Bestimmungen der §§ 258, 431, 440 Abs 3 ZPO nicht zulässig war. Wenn nun auch diese Eingabe mit Rücksicht darauf, daß sie auch den Antrag auf Fortsetzung des ruhenden Verfahrens enthielt, der Klägerin nicht zurückgestellt werden konnte (vgl hiezu die bei Stagel - Michlmayr[12] zu § 258 ZPO unter Nr 1 angeführten Entscheidungen), kann die Bestimmung über die Unzulässigkeit eines vorbereitenden Schriftsatzes in diesem Stadium des Verfahrens nicht dadurch umgangen werden, daß die darin erklärte Klagsausdehnung als bereits wirksam erfolgt angesehen wird. Im übrigen ergibt sich aus dem Wortlaut des § 258 Abs 1 ZPO, daß selbst ein zulässiger vorbereitender Schriftsatz lediglich eine Mitteilung an den Gegner darüber darstellt, welche in der Klage oder Klagebeantwortung noch nicht enthaltenen Anträge, Angriffs- und Verteidigungsmittel, Behauptungen und Beweise die Partei in der Streitverhandlung geltend machen will. Diese Mitteilung ist also noch nicht die Antragstellung selbst, worauf auch die Entscheidung 6 Ob 118/60 beruhte. Damit stimmt auch die auf das vorbereitende Verfahren bezügliche Bestimmung des § 252 Abs 1 ZPO überein, die darauf hinausläuft, daß vor dem beauftragten Richter nicht einmal unter den Voraussetzungen einer Klagsänderung über den ursprünglichen Anspruch hinausgegangen werden kann (vgl hiezu Stagel - Michlmayr[12], Anm 1 zu § 252 und Fasching III 190 f). Maßgebend ist eben grundsätzlich die Streitverhandlung. Es entspricht auch der Lehre Faschings (III Anm 9 zu § 235 ZPO), daß gemäß § 208 Abs 1 Z 1 ZPO die Änderung des Klagebegehrens im Protokoll über die mündliche Streitverhandlung festzustellen ist und daß bei Zustimmung des Beklagten zur Klagserweiterung, welche - wie im gegenständlichen Fall - auch dann anzunehmen ist, wenn der Beklagte, ohne gegen die Abänderung Einwendung zu erheben (§ 235 Abs 2 ZPO), über die geänderte Klage verhandelt, die Klagsänderung erst mit dem Zeitpunkt der Zustimmung (bzw mit dem Zeitpunkt der widerspruchslosen "Verhandlung" durch den Beklagten), dann allerdings ipso facto, wirksam wird.

Aus allen diesen Erwägungen hält der erkennende Senat daran fest, daß die von der Klägerin beabsichtigte Klagsausdehnung erst mit dem Vortrag des Schriftsatzes bei der Tagsatzung vom 16. 5. 1969 ex nunc wirksam wurde.

Es war daher der Revision ein Erfolg zu versagen.

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