European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00072.15T.0521.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Vater hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Die Ehe der Eltern ist geschieden. Der 8‑jährige Sohn steht in der Obsorge beider Eltern und wird hauptsächlich im Haushalt des Vaters betreut. Zuletzt wurde der Antrag der Mutter, den Aufenthalt des Sohnes bei Beibehaltung der Obsorge beider Eltern bei ihr zu bestimmen, rechtskräftig abgewiesen. In diesem Verfahren stellte sie im Rahmen eines Beweisantrags auch den Antrag auf Übertragung der Obsorge für den Sohn an sie. Über diesen Antrag entschied das Erstgericht nicht, ohne dass die Mutter einen Ergänzungsantrag (§ 41 AußStrG iVm § 423 ZPO) gestellt oder die Nichterledigung dieses Sachantrags im Rekursverfahren gemäß § 57 Z 3 AußStrG releviert hätte.
Nach rechtskräftigem Abschluss des Obsorgeverfahrens beantragte die Mutter, „als vorläufige Maßnahme bis zu einem neuerlichen Aufrollen der Obsorgeentscheidung“ einen Kinderbeistand für ihren Sohn zu bestellen.
Der Vater sprach sich gegen die Bestellung eines Kinderbeistands aus.
Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter „ab“. Die Bestellung eines Kinderbeistands sei nicht geboten. Der Sohn habe im Juni 2014 gegenüber dem Gericht geäußert, dass er nicht bei seiner Mutter wohnen wolle, obwohl sie immer wieder bettle, dass er dies sagen solle. Er sei sehr wohl im Stande, seine Meinung und Wünsche zu artikulieren und bedürfe keiner Unterstützung, diesen Ausdruck zu verleihen. Anhaltspunkte dafür, dass die derzeitige Obsorge‑ und Kontaktrechtsregelung dem Wohl und Interesse des Sohnes widerspreche, es diesbezüglich einer Änderung bedürfe und ein Kinderbeistand bestellt werden müsse, lägen nicht vor. Zwar stelle der Streit der Eltern für ihn natürlich eine emotionale Belastung dar, er habe jedoch bei seiner Befragung einen aufgeweckten, intelligenten Eindruck gemacht und nicht verängstigt gewirkt. Damit könne nicht von einer schwerwiegenden, massiven überdurchschnittlichen emotionalen Belastung gesprochen werden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter mit der Maßgabe nicht Folge, dass es ihren Antrag zurückwies. Rechtlich führte es aus, schon in der Regierungsvorlage zum Kinderbeistand‑Gesetz sei ausgeführt worden, dass die Bestellung von Amts wegen erfolge und ein Antragsrecht nicht vorgesehen werde. Diese Meinung werde auch in der Literatur vertreten. Ein Antragsrecht sei demnach nicht vorgesehen und „Anträge“ auf Bestellung eines Kinderbeistands seien vom Pflegschaftsgericht als Anregungen zu behandeln. Dem Rekurs der Mutter komme daher mangels Antragslegitimation kein Erfolg zu. Die Bestellung eines Kinderbeistands sei derzeit auch inhaltlich nicht erforderlich. Gemäß § 104a Abs 1 Satz 1 AußStrG dürfe ein Kinderbeistand ausschließlich im Verfahren über die Obsorge oder über die persönlichen Kontakte bestellt werden. Ein neuerliches Verfahren über die Obsorge oder über die persönlichen Kontakte sei von der Mutter aber mangels konkreten Antrags noch nicht eingeleitet worden.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 1 AußStrG zu, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Antragslegitimation der Eltern hinsichtlich der Bestellung eines Kinderbeistands fehle.
Der vom Vater beantwortete Revisionsrekurs der Mutter ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach der Rechtsprechung ist derjenige, dem im Verfahren die Parteistellung abgesprochen wurde und dessen Antrag dementsprechend zurückgewiesen wurde, grundsätzlich legitimiert, die Überprüfung dieser Rechtsansicht zu verlangen (RIS‑Justiz RS0006793; vgl auch 16 Ok 3/11 = RS0006497 [T38] = RS0006641 [T27]; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 2 Rz 259).
2. Ein Kinderbeistand ist nach § 104a Abs 1 Satz 1 AußStrG (idF KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15) in Verfahren über die Obsorge oder über die persönlichen Kontakte Minderjährigen unter 14 Jahren, bei besonderem Bedarf mit deren Zustimmung auch Minderjährigen unter 16 Jahren, zu bestellen, wenn dies im Hinblick auf die Intensität der Auseinandersetzung zwischen den übrigen Parteien zur Unterstützung des Minderjährigen geboten ist und dem Gericht geeignete Personen zur Verfügung stehen.
Der Kinderbeistand ist als ein „Vertreter“ des Kindes im Sinn des Art 12 Abs 2 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (BGBl 1993/7) zu sehen und ein Mittel zur Durchsetzung seines auch verfassungsgesetzlich verankerten Rechts auf angemessene, seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechende Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten (8 Ob 19/11v = SZ 2011/32 = iFamZ 2011/150, 201 [Fucik] = EF‑Z 2011/107, 178 [Beck] unter Bezugnahme auf Art 4 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl I 2011/4).
Voraussetzung für die Bestellung eines Kinderbeistands ist nach § 104a Abs 1 Satz 1 AußStrG ein gerichtsanhängiges Obsorge‑ oder Kontaktrechtsverfahren. Im Vorfeld und ohne ein solches Verfahren kommt die Bestellung eines Kinderbeistands ‑ anders als die Mutter in ihrem Antrag meint ‑ auch „als vorläufige Maßnahme“ von vornherein nicht in Betracht.
3. Im Rahmen eines ‑ auf Antrag oder von Amts wegen (dazu G. Kodek aaO § 8 Rz 7 und 11; vgl Rechberger in Rechberger 2 § 8 AußStrG Rz 2; Fucik/Kloiber, AußStrG § 8 Rz 1; Barth/Gröger in Barth/Deixler‑Hübner, Handbuch des Kinderbeistandsrechts [2011], 82) ‑ eingeleiteten Verfahrens über die Obsorge oder den persönlichen Kontakt stellt das Bestellungsverfahren ein in das Pflegschaftsverfahren eingebettetes „Zwischenverfahren“ dar (Deixler‑Hübner in Barth/Deixler‑Hübner, Handbuch des Kinderbeistandsrechts [2011], 238; Marchel, Die gerichtlich verordnete Begleitung von Eltern und Kind ‑ Kinderbeistand, in Bundesministerium für Justiz, KindNamRÄG 2013 [2014], 187 [188]). Da es sich bei der Bestellung eines Kinderbeistands um kein „Hauptverfahren“ handelt, kommt der Grundsatz des § 8 Abs 1 AußStrG, dass ein Verfahren nur auf Antrag einzuleiten ist, soweit nichts anderes angeordnet ist, nicht zur Anwendung.
Ein Antragsrecht der Verfahrensbeteiligten oder dritter Personen sieht das Gesetz nicht vor. Der entsprechende Wille des Gesetzgebers (ErläutRV 486 BlgNR XXIV. GP 4), dass die Bestellung nur von Amts wegen erfolgt, kommt in § 104a Abs 1 Satz 1 AußStrG hinreichend klar zum Ausdruck (arg.: „In Verfahren ... ist ... zu bestellen, wenn ...“).
4. Nach herrschender Ansicht, die demzufolge überwiegend Antragsrechte verneint (Barth/Gröger, Das neue Kinderbeistand‑Gesetz im Überblick, iFamZ 2010, 221 [222: unter Verweis auf die Rechtslage zur Einleitung eines Sachwalterbestellungsverfahrens]; dieselben in Barth/Deixler‑Hübner aaO 87 f; Beck, Kindschaftsrecht² [2013] Rz 1116; im Grundsatz ebenso dieselbe in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 104a Rz 39; Aichhorn/Holz‑Dahrenstaedt, Die Eltern lassen sich scheiden [2012], 144 [aber de lege ferenda kritisch zur fehlenden Begründungspflicht bei Absehen von der Bestellung eines Kinderbeistands: 150]; Deixler‑Hübner in Barth/Deixler‑Hübner aaO 239 und 241; vgl dieselbe in Rechberger 2 § 104a AußStrG Rz 4), sind „Anträge“ auf Bestellung eines Kinderbeistands ‑ egal ob von Verfahrensparteien oder Dritten eingebracht ‑ vom Pflegschaftsgericht als Anregungen zu behandeln. Über eine Anregung sei nicht mit Beschluss zu entscheiden; die „Nichtbestellung“ eines Kinderbeistands könne nicht bekämpft werden.
Dazu hat der erkennende Senat erwogen:
Dass nicht verfahrensbeteiligte Dritte die gerichtliche Tätigkeit nur anregen und damit keine Parteistellung erlangen, ergibt sich aus § 2 Abs 2 AußStrG.
Da § 104a Abs 1 AußStrG kein Antragsrecht vorsieht, handelt es sich bei Verfahrensteilnehmern ‑ wie der Mutter, die ausdrücklich einen Antrag stellte ‑ nicht um formelle Parteien im Sinn des § 2 Abs 1 Z 1 AußStrG (ebenso Deixler‑Hübner in Barth/Deixler‑Hübner aaO 238). Der formelle Parteibegriff dieser Bestimmung führt ohne einschränkende Auslegung zu einer vom Gesetzgeber offenkundig nicht gewünschten uferlosen Anerkennung von Verfahrensparteien. § 2 Abs 1 Z 1 AußStrG muss daher im Zusammenhang mit § 2 Abs 2 AußStrG gelesen werden, wonach derjenige nicht Partei ist, der eine Tätigkeit des Gerichts offensichtlich nur anregt (3 Ob 128/08g = RIS‑Justiz RS0123812; G. Kodek aaO AußStrG § 2 Rz 23). Die Mutter, die die Bestellung eines Kinderbeistands für ihren Sohn ausdrücklich in ihrem Namen beantragte, macht kein eigenes subjektives Recht geltend, auch wenn sie einen formellen Antrag auf meritorische Entscheidung stellt. Ein Rechtsschutzdefizit tritt dadurch nicht ein, wird doch das fehlende Antragsrecht durch ihr Anregungsrecht in Verbindung mit dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts ausreichend kompensiert (vgl zum Sachwalterschaftsverfahren RIS‑Justiz RS0124443 [T1]). Wer aber eine Tätigkeit des Gerichts bloß anregt, hat keinen Erledigungsanspruch. Findet das Gericht aufgrund einer solchen Anregung keinen Grund für die Einleitung eines Verfahrens, so bedarf dies keines Beschlusses und auch keiner Zurückweisung des „Antrags“. Das Gericht hat der Anregung pflichtgemäß nachzugehen; bietet sie jedoch keinen weiteren Anlass zur beschlussmäßigen Erledigung, so muss eine solche nicht deshalb durchgeführt werden, weil der Anreger seine Anregung formwidrig als „Antrag“ bezeichnet hat (G. Kodek aaO § 2 Rz 38 mwN; Fucik/Kloiber aaO § 2 Rz 4).
Die Zustellung eines Beschlusses begründet nach ständiger Rechtsprechung für den Empfänger noch kein Recht und verschafft weder Parteistellung noch Rechtsmittellegitimation (RIS‑Justiz RS0006882). Kommt das Pflegschaftsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ansicht, dass die Bestellung eines Kinderbeistands nicht geboten ist, und weist es (dennoch) den formellen Antrag mangels Zulässigkeit zurück (in diesem Sinn Deixler‑Hübner in Barth/Deixler‑Hübner aaO 241; vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth aaO § 104a Rz 39, die eine Entscheidungs‑ und Begründungspflicht des Gerichts bei Abstandnahme von der Bestellung eines Kinderbeistands für „überlegenswert“ hält), wird die Mutter nicht materielle Partei im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG, wird doch ihre Rechtsposition durch die Entscheidung nicht unmittelbar beeinflusst. Anders als beim Beschluss auf Bestellung eines Kinderbeistands (8 Ob 19/11v = SZ 2011/32) wird die Mutter durch diese Entscheidung nicht in ihrer „rechtlich geschützten Stellung“ unmittelbar beeinflusst. Infolge Abstandnahme von der Beiziehung eines Kinderbeistands muss sie weder für dessen Kosten aufkommen (worauf die ErläutRV aaO im Zusammenhang mit der Anfechtung des Bestellungsbeschlusses Bezug nehmen; vgl TP 12 lit h iVm § 28 Z 9 GGG), noch wäre sie zur Kooperation mit dem Kinderbeistand verpflichtet, wodurch in ihre Elternrechte eingegriffen werden könnte (so Deixler‑Hübner in Barth/Deixler‑Hübner aaO 238). Mit der Behauptung im Revisionsrekurs, ihr müsse gestattet sein, die Beiziehung eines Kinderbeistands zu beantragen, „um den wahren Willen des Kinds (zu) erforschen und dies dem Gericht mitzuteilen“, zeigt sie nicht ihre Parteistellung im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG auf. Dass die behauptete Beeinflussung des Sohnes durch den Vater durch die Bestellung eines Kinderbeistands hintangehalten werden könnte, um allenfalls im ‑ nach Erhebung des Revisionsrekurses ‑ über ihren Antrag nach § 180 Abs 3 ABGB eingeleiteten Obsorgeverfahren eine günstigere Entscheidung für sie herbeizuführen, reicht als bloße Reflexwirkung für die Begründung ihrer Parteistellung nicht aus.
Das Rekursgericht ist daher zutreffend von der fehlenden Antragslegitimation der Mutter (und dementsprechend deren mangelnder Parteistellung) ausgegangen.
5. Dem Revisionsrekurs ist somit ein Erfolg zu versagen.
Die vom Vater in der Revisions-rekursbeantwortung verzeichneten Kosten hat er selbst zu tragen, weil gemäß § 107 Abs 5 AußStrG in diesem Verfahren kein Kostenersatz stattfindet.
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