OGH 1Ob698/77

OGH1Ob698/775.4.1978

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger, Dr. Schragel, Dr. Schubert und Dr. Winklbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T*, Rechtsanwalt, *, wider die beklagte Partei Ing. O*, Konstrukteur, *, vertreten durch Dr. Gert Paulsen, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Herausgabe oder Schadenersatz (Streitwert S 300.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 8. Juli 1977, GZ 6 R 19/77‑28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 13. Dezember 1976, GZ 19 Cg 484/74‑23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1978:0010OB00698.77.0405.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.448,64 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.880,-- Barauslagen und S 560,64 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Herausgabe eines näher beschriebenen Stenoblocks mit sieben Seiten (Format DIN A 5) stenographischer Notizen des Klägers über den Inhalt einer Besprechung vom 15. Juni 1972 im Hotel R* oder die Zahlung eines Betrages von S 300.000,-- s.A. mit der Behauptung, er habe seinen Stenoblock mit den für ihn wertvollen Aufzeichnungen – wie sich nachträglich herausstellte – in der Kanzlei Dris. S* vergessen. Die Aufzeichnungen seien dem Beklagten von dessen Anwalt übersendet worden. Der Beklagte verweigere ohne triftigen Grund die Herausgabe.

Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, es handle sich bei den stenographischen Notizen um eine gemeinschaftliche Urkunde, in welche er nur Einsicht gewähren, die er aber nicht herausgeben müsse. Überdies seien die Aufzeichnungen während des Prozesses bei einer Übersiedlung in Verlust geraten; der Beklagte besitze sie nicht mehr.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ausgehend von der Feststellung ab, daß der fragliche Stenoblock, der sich im Besitze des Beklagten befunden habe, beim Umräumen in ein anderes Zimmer abhanden gekommen und sein weiteres Vorhandensein im Besitz des Beklagten ausgeschlossen sei. Hinsichtlich des Herausgabeanspruches liege daher Unmöglichkeit der Leistung vor. Das alternative Zahlungsbegehren entbehre der erforderlichen Konkretisierung und damit der Schlüssigkeit.

Das Berufungsgericht gab nach teilweiser Beweiswiederholung dem auf Herausgabe des Stenoblocks gerichteten Klagebegehren statt. Es nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Der Kläger hat B* in Prozessen über die Verwertung von Erfindungen und Patenten gegen den Beklagten vertreten. Um diese Streitigkeiten zu bereinigen, fand am Nachmittag des 15. Juni 1972 im Hotel R* eine Besprechung statt, an welcher der Kläger mit B* und der Beklagte mit Dr. G* teilnahmen. Der Kläger machte sich während dieser Verhandlung stenographische Notizen, die ihm bei der am Abend desselben Tages erfolgten Niederschrift des Verhandlungsergebnisses in der Kanzlei Dris. S* als Gedächtnisstütze dienten. Ungefähr ein dreiviertel Jahr später erhielt der Beklagte von Dr. S* einen Brief, welchem die sieben streitgegenständlichen Notizblätter beigelegt waren. Der Beklagte wußte zunächst nicht, um was es sich handelte, schloß aber dann aus dem Aufdruck am Notizblock, daß es Aufzeichnungen des Klägers seien. Er fertigte dann, ohne irgendwelche Manipulationen vorzunehmen, Fotokopien an. Sein Versuch, die Notizen zu entziffern, mißlang. Der Beklagte übermittelte die Originale der sieben Notizblockseiten deshalb nicht an den Kläger, weil ihn dieser schon oft geärgert habe, und auch er den Kläger ärgern wollte. In zwei Schreiben vom 12. und 14. Oktober 1974 an B* verwies der Beklagte darauf, daß er sich im Besitz der streitgegenständlichen stenographischen Aufzeichnungen des Klägers befinde, und legte zum Beweis für seine Behauptung dem ersten Brief auch eine Ablichtung der ersten Seite der Aufzeichnungen bei (Beilagen ./F und ./B). Daraufhin forderte der Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 21. Oktober 1974 zur Herausgabe der Notizen auf, da er erst jetzt erfahren habe, wohin diese von ihm vermißten Aufzeichnungen gekommen seien. Die Behauptung des Beklagten, daß die Originale dieser Notizen beim Umräumen von Akten von einem Zimmer seiner Wohnung in ein anderes im November 1974 abhanden gekommen seien, und daß auszuschließen sei, daß sie sich noch in seinem Besitz befänden, nahm das Berufungsgericht nicht als erwiesen an.

Auf dieser Feststellungsgrundlage erachtete das Berufungsgericht den Herausgabeanspruch des Klägers für begründet. Dieser beruhe nicht nur auf seinem Eigentum am Notizblock, sondern auch auf der widerrechtlichen Erziehung desselben, die darin gelegen sei, daß der Beklagte die Herausgabe unberechtigterweise verweigert und sich eine ihm nicht zustehende Verfügungsmacht über den Gegenstand des Rechtsstreites angemaßt habe. In diesem Falle treffe den Beklagten die Beweislast dafür, daß die Sachen tatsächlich nicht mehr vorhanden und auch nicht mehr beschaffbar seien. Dieser Beweis sei ihm mißlungen.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern oder es aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Aktenwidrig ist nach Ansicht des Beklagten das Urteil des Berufungsgerichtes, weil es von der Annahme ausgehe, daß er eine Behauptung, wonach die Notizen tatsächlich nicht mehr vorhanden und auch nicht mehr beschaffbar seien, nicht aufgestellt habe. Eine Aktenwidrigkeit kann aber nur dann vorliegen, wenn wesentliche Feststellungen im Widerspruch zur Aktenlage getroffen werden, wenn also bei der Wiedergabe des Akteninhaltes ein aus dem Akte selbst erkennbarer Fehler unterlaufen ist und infolgedessen ein unrichtiges Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde. (Fasching IV, 318, JBl 1954, 73, EFSlg 7267, 8978 u.v.a.). Da das Parteivorbringen in der Regel keine Feststellungsgrundlage darstellt, scheidet eine Aktenwidrigkeit, die bei der Wiedergabe des Parteivorbringens unterlaufen sein soll, von vornherein als Revisionsgrund nach § 502 Z 3 ZPO aus (vgl. JBl 1968, 624, 4 Ob 530/74 u.a.). Im übrigen ist der Vorwurf auch inhaltlich nicht berechtigt. Das Berufungsgericht hat nämlich das Prozeßvorbringen des Beklagten AS 82 im Urteil (S. 10 = AS 160) richtig zitiert. Es hat lediglich das Vorbringen, dass die fraglichen Notizen in Verstoß geraten seien und sie der Beklagte nicht mehr besitze, nicht in dem weiten Sinn verstanden, wie der Beklagte dann die Sache in seiner Parteienvernehmung darstellte, daß nämlich die Notizen überhaupt nicht mehr vorhanden seien und auch nicht mehr beschafft werden könnten. Da aber das Berufungsgericht die Behauptung des Beklagten über das Verschwinden des Notizblocks, wie immer sie gemeint gewesen sein mag, zur Gänze als unglaubwürdig erachtete, ist eine solche angebliche Diskrepanz der Auffassungen über die Tragweite der Behauptungen des Beklagten jedenfalls bedeutungslos. In Wahrheit stellen die Ausführungen des Revisionswerbers zur behaupteten Aktenwidrigkeit nur den unzulässigen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes zu bekämpfen. Das Berufungsgericht hat entgegen den Revisionsbehauptungen die Erwägungen dargelegt, die es veranlaßten, den Angaben des Beklagten über das Verschwinden des fraglichen Notizblocks keinen Glauben zu schenken. Daß es hiebei gegen die Lebenserfahrung oder die Gesetze der Logik verstoßen hätte, vermag der Beklagte nicht zu behaupten. Eine weitergehende Überprüfung der für die getroffenen Feststellungen maßgeblichen Erwägungen in Bezug auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit ist in diesem Zusammenhang ausgeschlossen (vgl. RZ 1967, 105, JBl 1972, 426, Arb 7588 u.a.). Aus den obigen Ausführungen ergibt sich auch, daß es keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens darstellen kann, wenn das Berufungsgericht den Beklagten nicht zu einer Klarstellung seines Prozeßvorbringens über das Verschwinden des Notizblocks in dem von ihm verstandenen Sinn veranlaßte. Das dem Beklagten bei der mündlichen Berufungsverhandlung vom 25. April 1977 bekannt gegebene Thema der Beweiswiederholung – über die Behauptung des Beklagten, daß die streitgegenständlichen Notizen in Verstoß geraten seien – war umfassend unklar genug, um dem Beklagten die Stellung weiterer Beweisanträge zu ermöglichen. Wenn er dies unterlassen hat, kann er nicht jetzt nachträglich das Berufungsverfahren als mangelhaft rügen.

Der rechtliche Einwand des Beklagten gegen den vorliegenden Herausgabeanspruch geht wie bereits zu Beginn des Prozesses vornehmlich dahin, daß es sich bei den Notizen um eine gemeinschaftliche Urkunde handle, die er nicht herauszugeben verpflichtet sei. Dabei läßt der Beklagte jedoch wesentliche Feststellungen unberücksichtigt. Der Kläger hat an der Besprechung vom 15. Juni 1972 als Vertreter seines Mandanten B*, der auch selbst anwesend war, teilgenommen. Auch der Beklagte war anwaltlich vertreten. Ohne von irgend jemandem hiezu beauftragt zu sein, hat der Kläger lediglich für sich als Gedächtnisstütze während der Verhandlung stenographische Notizen gemacht, die offenbar auch nur er zu entziffern in der Lage war. Bei der am Abend dieses Tages erfolgten Niederschrift des Verhandlungsergebnisses benützte er die Notizen im wesentlichen nur als eigene Gedächtnisstütze. Von einer gemeinschaftlichen Urkunde spricht man aber in der Regel nur dann, wenn sie für mehrere Personen deren gegenseitige Rechtsverhältnisse beurkundet oder im Interesse mehrerer Personen errichtet wurde (Fasching II, 99, III, 390). Weder das eine noch das andere ist hier im Verhältnis zwischen den Streitteilen der Fall. Die Aufzeichnungen wurden vom Kläger weder für noch im Interesse des ohnehin auch anwaltlich vertretenen Beklagten gemacht. Die Notizen sind vielmehr im wesentlichen als private Aufzeichnungen anzusehen, da sie ohne fremden Auftrag, vorwiegend im eigenen Interesse und mit eigenen Mitteln gemacht wurden (vgl. Fasching III, 391). Ob allenfalls im Hinblick darauf, daß der Kläger die Notizen zur besseren Erfüllung des ihm erteilten Mandates als Vertreter des B* machte und sie dessen Rechtsverhältnisse zum Gegenstand hatten, eine dem Kläger und B* gemeinschaftliche Urkunde angenommen werden müßte, kann hier dahingestellt bleiben. Denn dies würde nichts daran ändern, daß trotz des gemeinschaftlichen Urkundeninhaltes die Urkunde selbst angesichts der über ihr Zustandekommen getroffenen Feststellungen jedenfalls im Eigentum des Klägers steht. Gemeinschaftlicher Urkundeninhalt sagt nämlich nichts darüber aus, wem die Urkunde selbst gehört. Daher geht auch die Frage, ob die gegenständlichen Notizen eine den Streitteilen gemeinschaftliche Urkunde darstellen, am Kern der Sache vorbei. Die Gemeinschaftlichkeit des Urkundeninhaltes ist nur für die prozessuale Vorlagepflicht nach Art XLIII EGzZPO bzw. § 304 ZPO von Bedeutung. Die Berechtigung des Begehrens nach Ausfolgung der Urkunde ist hingegen allein nach bürgerlichem Recht zu beurteilen.

Als Rechtsgrund für das gestellte Herausgabebegehren kommt hier der Sachlage nach in erster Linie das nach obigen Ausführungen gegebene Eigentumsrecht des Klägers an den fraglichen sieben beschrifteten Notizblockblättern in Betracht. Die Eigentumsklage nach § 366 ABGB setzt den Besitz oder die Innehabung der geforderten Sache durch den Beklagten voraus. Das ergibt sich – vom Fall der Hauptinterventionsklage abgesehen – sowohl aus § 366 ABGB, wonach der Eigentümer die ihm vorenthaltene Sache von jedem Inhaber gerichtlich fordern kann, wie auch aus § 369 ABGB, wonach der Eigentumskläger den Beweis führen muß, daß der Beklagte die eingeklagte Sache in seiner „Macht“ habe. Die Eigentumsklage erfordert daher die Gewahrsame des Beklagten oder wenigstens seinen sogenannten mittelbaren Besitz (Innehabung durch einen Dritten im Namen des Beklagten), und zwar im Zeitpunkt der Zustellung der Klage oder des Schlusses der mündlichen Verhandlung (Klang in Klang2 II 217 f, 228, Ehrenzweig, System2, I/2, 289, Koziol-Welser, Grundriß3 II 69, EvBl 1955/375, 1 Ob 204/75). Hier steht fest, und wurde auch vom Beklagten nie bestritten (s. ON 3) daß er sich bei Klagszustellung (31. Oktober 1974) im Besitz der streitgegenständlichen Aufzeichnungen befunden hat. Seine nicht bewiesene Behautpung, daß die Notizen später in Verstoß geraten seien (AS 82), vermag den Herausgabeanspruch des Klägers nicht zu beeinträchtigen, weil der Verlust der Streitsache nach Klagszustellung grundsätzlich ohne Einfluß auf die zwischen den Streitteilen bestehende Rechtslage ist (vgl. Klang aaO 241, Ehrenzweig aaO 290, SZ 7/166). Der Kläger trägt in diesem Falle bloß die Gefahr, daß seine Exekutionsführung auf die herauszugebenden Sachen ergebnislos bleiben könnte. Nur der Nachweis des gänzlichen Unterganges der Sache würde nach § 1447 ABGB zum Erlöschen des Herausgabeanspruches (nicht auch des nach anderen gesetzlichen Bestimmungen, etwa § 378 ABGB, an dessen Stelle tretenden Ersatzanspruches) führen und damit eine Verurteilung des Beklagten zur Herausgabe der fraglichen Aufzeichnungen hindern (vgl. SZ 24/96, JBl 1956, 366 und 1923, 27). Da diese Voraussetzung aber hier nicht gegeben ist, erweist sich der auf das Eigentumsrecht gestützte Herausgabeanspruch des Klägers als berechtigt. Der Erörterung weiterer Rechtsgründe bedurfte es somit nicht mehr.

Der Revision des Beklagten war der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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