Normen
ABGB §364 Abs2
WRG 1959 §30 Abs1
WRG 1959 §32 Abs1
ABGB §364 Abs2
WRG 1959 §30 Abs1
WRG 1959 §32 Abs1
Spruch:
Der Bestand einer wasserrechtsbehördlich nicht bewilligungspflichtigen Sickergrube, der nur geringfügige Einwirkungen auf das Grundwasser des Nachbargrundstücks zur Folge hat, kann nicht untersagt werden
OGH 23. 3. 1983, 1 Ob 6/83 (LG Klagenfurt 2 R 415/82; BG Villach 6 C 624/81)
Text
Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 48 KG V, zu der das Grundstück 744/1 Wald gehört. Dieser Wald hat eine Fläche von 2.829 ha. Nördlich davon liegen die im Eigentum der beklagten Partei stehenden Grundstücke 743/2 und 614 Baufläche. Die beklagte Partei betreibt auf diesen Grundstücken einen Industriebetrieb, in dem ua. galvanische Abwässer anfallen. Diese Betriebsabwässer werden in einer Auffanggrube gesammelt, von wo ein Überlauf in eine Entgiftungsgrube führt; nach einer entsprechenden Behandlung werden die Abwässer von der Entgiftungsgrube in eine Sickergrube, in die auch häusliche Abwässer gelangen, gepumpt. Diese Sickergrube liegt etwa 10 m nördlich der Grenze des Grundstückes des Klägers. Die Versickerung erfolgt über die gesamte Mantelfläche nach allen Seiten. Diese Abwasserbeseitigungsanlage ist für die Einleitung von Industrieabwässern behördlich nicht genehmigt. Das Grundstück des Klägers ist, da die Ränder überhöht sind, muldenförmig. Die höchsten Erhebungen hat es im Westen und im Süden. Das im Grundstück des Klägers enthaltene Grundwasser fließt von Nordwesten nach Südosten. Infolge Versickerung der Industrieabwässer ist auf dem Grundstück des Klägers in einem Bereich zirka 75 m südlich der Sickergrube ein negativer Einfluß auf das Wachstum von Fichten auch dadurch eingetreten, daß Natrium über das Stauwasser in den Boden eingebracht wird. Die primäre Ursache der Wachstumshemmung liegt aber darin, daß in der Geländesenke ein Kahlschlag durchgeführt wurde, der zu einem Anstieg des Stauwasserspiegels, der 50 bis über 100 cm betragen kann, geführt hat. Dadurch kam es in der Mulde zu einer oberflächennahen periodischen Vernässung und in der Folge zu einer starken Vergrasung. Auch Wildverbiß führte in Verbindung mit der Oberflächenvernässung zum Ausfall von Fichten. Hervorgerufen durch Wasserstau, Schüttepilzbefall und Verbißschäden sind auch die Kiefern in der Entwicklung stark gehemmt. Die ursprünglich relativ reichlich vorhanden gewesenen Eichen sind durch ausgedehnte Schälschäden im Wachstum stark gehemmt und verbuscht, teilweise sind sie bereits ganz abgestorben. Ohne wirksamen Zaunschutz, Minderung des Schüttepilzbefalles und Pflanzung der Fichten unter Vorwald im Bereich oberflächennah anstehenden Stauwassers auf erhöhtem Standplatz wird die Begründung einer zufriedenstellenden Forstkultur in der Geländemulde unabhängig von möglichen Einflüssen durch natrium- und chloridhältige Stauwässer in absehbarer Zeit kaum erreichbar sein. Sekundär zeigen sich bei manchen Fichten im Bereich der Geländemulde Symptome einer Schädigung durch überhöhten Natriumgehalt in den Nadeln. Mitverantwortlich für diese Schadensmerkmale ist eine Schwächung durch mangelnde Durchlüftung. Von der schädlichen, von der Sickergrube der beklagten Partei ausgehenden Beeinträchtigung des Grundwassers ist eine Teilfläche des Grundstückes des Klägers von 100 bis 500 m2 bzw., wenn man auch die Randgebiete berücksichtigt, von 1000 m2 betroffen. Würde das Stauwasser abgesenkt, fielen die schädlichen Wirkungen des Natriums weg. Ginge man von einem durch Natriumeinwirkung negativ beeinflußten Gelände von 1000 m2 aus, wäre der darauf kausal zurückzuführende Wachstumsverlust mit 0.1 fm pro Jahr anzunehmen, das bedeutete unter Zugrundelegung eines erntekostenfreien Erlöses einen Entgang von 25 S jährlich.
Der Kläger stellt das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Versickerung von Industrieabwässern in der auf dem Grundstück 743/2 errichteten Sickergrube zu unterlassen. Die in das Grundstück des Klägers versickernden Abwässer der beklagten Partei überschritten das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß bei weitem und beeinträchtigten die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich.
Die beklagte Partei wendete ein, die Immissionen überschritten nicht die im § 364 Abs. 2 ABGB gezogenen Grenzen. Der Unterlassungsanspruch stelle eine schikanöse Rechtsausübung dar, da andere Wachstumsbeeinträchtigungen bei weitem überwiegen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine unmittelbare Zuleitung liege nicht vor, da von keiner Veranstaltung gesprochen werden könne, die für eine Einwirkung gerade in Richtung auf das Nachbargrundstück hin ursächlich sei. Eine nach den örtlichen Verhältnissen das gewöhnliche Maß überschreitende Einwirkung durch natriumhältige Abwässer liege zwar vor, diese führe aber nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des Grundstückes des Klägers. Auch ohne Einwirkungen durch die Abwässer der beklagten Partei könne der Kläger durch die forstwirtschaftlich unrichtige Nutzung seines Waldgrundstückes infolge Kahlschlages nur unter größten Schwierigkeiten eine Wiederbegrünung des Waldes erreichen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 60 000 S übersteige. Eine unmittelbare Zuleitung liege nicht vor. Es handle sich um Immissionen. Eine mehr als ortsübliche Störung rechtfertige allein nicht das Verbot, wenn sie nicht zugleich die ortsübliche Benutzung wesentlich beeinträchtige.
Die Beurteilung, ob eine solche wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des Grundstückes des Klägers vorliege, sei nicht lediglich auf das direkt betroffene Teilgebiet abzustellen, vielmehr sei das gesamte Grundstück des Klägers zu berücksichtigen. So betrachtet könne selbst eine allein den galvanischen Abwässern zugeschriebene Wachstumshemmung von 25% auf einer Grundfläche von 1000 m2 die Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des Grundstückes des Klägers nicht rechtfertigen. Bezogen auf den Gesamtzuwachs betrage der Wachstumsverlust rund 0.9%. Einem erntekostenfreien Erlös für den jährlichen Zuwachs von 11.3 fm im Betrag von 2825 S stehe ein Verlust von 0.1 fm im Wert von 25 S jährlich gegenüber. Die Immissionen beeinflußten die ortsübliche Benutzung des Grundstückes des Klägers nicht wesentlich, weshalb das Unterlassungsbegehren mit Recht abgewiesen worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es entspricht ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre, daß von einer unmittelbaren Zuleitung nur gesprochen werden kann, wenn vom Nachbargrundstück aus eine Tätigkeit entwickelt wird, die geradezu auf den eingetretenen Schaden gerichtet ist, somit auf dem Nachbargrundstück eine Veranstaltung getroffen wurde, die für eine Einwirkung gerade in Richtung auf das betroffene Grundstück hin ursächlich ist (SZ 50/84; SZ 48/4; SZ 45/7; SZ 35/28 ua.; zuletzt 1 Ob 4/82; Klang[2] II 167; Ehrenzweig[2] I/2, 132). Eine unmittelbare Zuleitung liegt etwa vor, wenn Abwässer in künstlichen Gerinnen oder Röhren derart in den Nahebereich des Nachbargrundstückes gebracht wurden, daß sie sodann auf Grund der natürlichen Ablaufverhältnisse zwangsläufig auf dieses fließen müssen (JBl. 1966, 144; 1 Ob 31/82; 5 Ob 332/68). Ein solcher Sachverhalt liegt aber nicht vor. Die Sickergrube der beklagten Partei befindet sich 10 m von der Grundstücksgrenze entfernt. Die in der Sickergrube enthaltene Flüssigkeit gelangt gleichmäßig über die ganze Mantelfläche der Grube in das Erdreich und erst über dieses in das Grundwasser, was keine unmittelbare Zuleitung bedeutet, besonders wenn bedacht wird, daß eine Schädigung von Bäumen erst zirka 75 m von der Eintrittsstelle bemerkbar ist.
Da weder eine durch die zuständige Wasserrechtsbehörde gemäß § 32 Abs. 2 lit. c WRG noch durch die zuständige Gewerbebehörde gemäß § 74 Abs. 2 Z 5 GewO 1973 behördlich genehmigte Anlage iS des § 364a ABGB vorliegt, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den im § 364 Abs. 2 ABGB normierten Unterlassungsanspruch, der einen Anwendungsfall der Eigentumsfreiheitsklage darstellt (SZ 50/99; SZ 44/22 ua.; zuletzt 1 Ob 31/82, 1 Ob 4/82; Koziol - Welser[6] II 35), gegeben sind. Dies wurde von den Vorinstanzen zutreffend verneint. Voraussetzung eines jeden auf § 364 Abs. 2 ABGB gestützten Unterlassungsanspruches ist die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung (Klang[2] II 172). Die Bestimmungen der §§ 364, 364a und 364b ABGB regeln Interessenkollisionen zwischen gleichrangigen Eigentumsrechten (JBl. 1981, 371; Koziol - Welser aaO 34; Jabornegg - Strasser, Nachbarrechtliche Ansprüche als Instrument des Umweltschutzes 25; Säcker in Münchener Kommentar § 906 BGB Rdz. 1). Für das Gründeigentum ist es geradezu typisch, daß die durch das Eigentumsrecht vermittelten Nutzungsbefugnisse auf die Nutzungsmöglichkeit benachbarter Grundstücke Rückwirkungen haben (Jabornegg - Strasser aaO 22; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB 10). Das Gesetz löst diese Kollision zwischen Abwehrfunktion und Freiheitsfunktion des Eigentums damit, daß es einen Mittelweg wählt: Direkte Immissionen ohne Rechtstitel kann der Nachbar unter allen Umständen abwehren, indirekte Einwirkungen hat er in einem bestimmten Ausmaß zu dulden. Stellt sich die Frage, ob eine wesentliche Beeinträchtigung von Nutzungsbefugnissen durch Abwässer hervorgerufen wurde, sind auch die Vorschriften des III. Abschnittes des Wasserrechtsgesetzes, der von der Reinhaltung und dem Schutz der Gewässer handelt, heranzuziehen. Diese Vorschriften schützen, wie sich aus § 30 Abs. 1 und § 32 Abs. 2 lit. c WRG ergibt, auch die Reinhaltun g des Grundwassers (Krzizek, Kommentar zum WRG 151). Nicht jede Einwirkung auf die Beschaffenheit eines Gewässers wird aber vom Gesetz bereits als bewilligungspflichtige Beeinträchtigung behandelt. Bloß geringfügige Einwirkungen gelten bis zum Beweis des Gegenteils nicht als Beeinträchtigung (§ 32 Abs. 1 WRG). Damit wird zwar ein ähnlich unbestimmter Gesetzesbegriff verwendet wie der der Wesentlichkeit der Nutzungsbeeinträchtigung im § 364 Abs. 2 ABGB, beiden Formulierungen liegt aber der Gedanke des "minima non curat praetor" zugrunde (Ehrenzweig[2] I/2, 133; Grabmayr - Rossmann, Das österreichische Wasserrecht[2] 177 Anm. 4 zu § 32 WRG). Dafür, was noch als geringfügig angesehen werden kann, gibt das Gesetz selbst Anhaltspunkte, behandelt es doch bis zum Beweis des Gegenteils Einwirkungen auf Grund des Gemeingebrauches und der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung, zu der auch künstliche Düngung, die sehr wohl zur Veränderung der Qualität des Grundwassers führen kann, zählt (Grabmayr - Rossmann aaO 181 Anm. 6), nicht als Beeinträchtigungen der Beschaffenheit von Gewässern. Ähnliches ergibt sich aus dem im § 30 Abs. 1 WRG aufgezählten Schutzzweck der Vorschriften über die Reinhaltung von Gewässern: Während die Gesundheit von Mensch und Tier schlechthin nicht gefährdet werden darf, werden Pflanzen nur insoweit geschützt, als "fühlbare" Schädigungen vermieden werden müssen. Auch Sickergruben sind ohne wasserrechtsbehördliche Bewilligung zulässig, wenn eine Einwirkung auf Gewässer geringfügig ist (Grabmayr - Rossmann aaO 178 Anm. 5 lit.c).
Geht man vom Zusammenhang dieser Vorschriften und von der Erwägung aus, daß bei Beurteilung der Wesentlichkeit einer Nutzungsbeeinträchtigung im besonderen Maß die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (Jabornegg - Strasser aaO 31), ist der Lösung der Rechtsfrage durch die Vorinstanzen beizupflichten. Der Maßstab der Wesentlichkeit ist in erster Linie ein objektiver, auf die Benutzung der Nachbargrundstücke abgestellter (Seufert in Staudinger[11] Rdz. 22 zu § 906 BGB). Berücksichtigt man, daß tatsächliche Einwirkungen höchstens auf einer Fläche von 500 m2 festgestellt werden könnten und mögliche Auswirkungen sich nur bis auf eine Fläche von 1000 m2 erstrecken können und selbst dann der jährliche Schaden nur etwa 25 S beträgt, muß gesagt werden, daß das vom Gesetz für einen Untersagungsanspruch geforderte Tatbestandsmerkmal der Wesentlichkeit der Nutzungsbeeinträchtigung nicht erfüllt ist.
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