OGH 1Ob665/89

OGH1Ob665/8915.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ehelichen Kinder mj. Paul Philipp L***, geboren 28. Dezember 1978, und mj. Christiane Annette L***, geboren 17. September 1980, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter Ulrike L***, Geschäftsfrau, Wien 22., Markomannenstraße 83, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 27. Juli 1989, GZ. 47 R 469/89-106, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 20. Juni 1989, GZ. P 10/85-101, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Eltern heirateten am 25. Juni 1977. Die eheliche Lebensgemeinschaft wurde endgültig im Februar 1986 aufgehoben; die Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 4. März 1988, 1 C 2/88 , gemäß § 55 EheG rechtskräftig geschieden. Schon während aufrechter Ehe beantragten die dauernd getrennt lebenden Eltern wechselseitig, ihnen die Obsorge für beide Kinder zuzuerkennen. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 23. Juni 1986, ON 27, bestätigt mit Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 21. August 1986, 47 R 549/86, wurde ausgesprochen, daß beide Kinder in Pflege und Erziehung sowie gesetzliche Vertretung des Vaters eingewiesen werden. Ein Revisionsrekurs der Mutter wurde mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 22. Oktober 1986, 1 Ob 661/86, zurückgewiesen.

Schon am 23. September 1986 beantragte die Mutter wegen wesentlicher Änderungen, ihr die Obsorge für beide Kinder zuzuerkennen, einen Antrag, den sie in der Folge mehrmals (ON 50, 73) wiederholte.

Der Vater sprach sich gegen diese Anträge aus.

Das Erstgericht, das u.a. schriftliche Gutachten der Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Walter S*** vom 23. Jänner 1987, ON 42, und Dr. Erwin S*** vom 27. Oktober 1987, ON 55, einholte, weiters den von der Mutter beigezogenen privaten Sachverständigen Dr. Hans Z*** im Beisein des Sachverständigen Dr. Erwin S*** in der Tagsatzung vom 3. März 1988

einvernahm, dann über Vorschlag des genannten Sachverständigen eine allerdings erfolglos gebliebene Familientherapie anregte und zuletzt am 5. Juni 1989 beide Eltern einvernahm sowie am 12. Juni 1989 beide Kinder anhörte, wies den Antrag der Mutter ab. Es führte aus, das durchgeführte Beweisverfahren habe keine wichtigen Gründe zutage gebracht, die wegen Gefährdung des Wohles der Kinder eine Änderung der getroffenen Regelung rechtfertigen würden. Beide Elternteile wären geeignet, die Obsorge für die Kinder durchzuführen. Die Sachverständigen hätten allerdings die Ansicht vertreten, daß eine Änderung der derzeitigen Situation nicht zu empfehlen wäre. Im langjährigen Ringen um das Sorgerecht liege die Hauptursache psychischer Schäden von Scheidungskindern. Wenn nun von der Mutter vorgebracht werde, insbesondere der Knabe habe auf Grund der familiären Situation bereits körperliche Beeinträchtigungen wie Kleinwuchs und Magenbeschwerden davongetragen, so seien diese psychosomatischen Erkrankungen darauf zurückzuführen, daß es den Eltern nicht gelungen sei, ihre Partnerschaftskonflikte von den Kindern fernzuhalten. Insbesondere sollte der nicht sorgeberechtigte Elternteil im Interesse des Wohles der Kinder anläßlich der Ausübung des Besuchsrechtes alles unterlassen, was die Beziehung der Kinder zum sorgeberechtigten Elternteil stören könnte. Dies nicht getan zu haben, sei der Mutter vorzuwerfen. Im Interesse der psychischen Entwicklung der Kinder müsse sie dringend ersucht werden, alles zu unterlassen, was die Kinder in einen schweren Loyalitätskonflikt bringe. Aber auch der Vater sei darauf hinzuweisen, daß er alles vorzukehren habe, damit die Kinder zu ihrer Mutter und deren Lebensgefährten ein normales Verhältnis aufbauen und erhalten können. Das Wohl der Kinder sei entscheidend davon abhängig, daß sich der nicht sorgeberechtigte Elternteil damit abfinde, nicht sorgeberechtigt zu sein.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Eine Entziehung der Elternrechte sei gemäß § 176 Abs 1 ABGB nur dann zulässig, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährdeten. Eine Gefährdung des Kindeswohles setze nicht geradezu einen Mißbrauch der elterlichen Befugnisse voraus, es genüge, daß die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt werden oder die Eltern sonst durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährden. Maßnahmen nach § 176 ABGB seien aber nicht schon dann gerechtfertigt, wenn die Erziehung bei einem Elternteil besser wäre als die an sich ordnungsgemäße Erziehung bei dem anderen Elternteil. Bei den Elternrechten handle es sich um höchste Werte. Sie seien als solche auch neben den Kindesrechten bedeutsam. Eingriffe in diese Rechte dürften nicht leichtfertig vorgenommen werden. Nur wenn die Ausübung eine Gefährdung des Kindeswohles mit sich bringe, sei ein solcher Eingriff zulässig. Unrichtig sei, daß das Erstgericht seiner Entscheidung nicht den aktuellen Sachverhalt zugrunde gelegt habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist unzulässig.

Dem Vater steht auf Grund des rechtskräftigen Beschlusses vom 23. Juni 1986, ON 27, die Obsorge für die Kinder zu. Die einem Elternteil zuerkannten rein persönlichen Rechte aus dem Eltern- und Kindschaftsverhältnis dürfen nur dann auf den anderen Elternteil übertragen werden, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB vorliegen, es muß also eine Gefährdung des Kindeswohles gegeben sein (EFSlg 54.002, 51.277, 48.397, 48.395; SZ 51/136 uva.; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 177). Eine Gefährdung des Kindeswohles liegt dann vor, wenn die elterlichen Rechte objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt worden sind (EFSlg 54.003, 43.322; SZ 53/142 uva.; Pichler aaO Rz 1 zu § 176). Die Änderung der Obsorgeverhältnisse soll eine äußerste Notmaßnahme sein (EFSlg 55.644, 54.015, 51.274, 51.280, 48.398 uva.). Maßnahmen nach § 176 ABGB wären selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn die Erziehung bei einem Elternteil besser wäre als die an sich ordnungsgemäße bei dem anderen Elternteil (EFSlg 51.284, 48.408), was hier ohnedies nicht der Fall ist; der Wunsch des Kindes kann für eine Änderung der Erziehungsverhältnisse allein nicht entscheidend sein (EFSlg 51.301). Die Vorinstanzen haben sich bei Beurteilung des Sachverhaltes an diese gesetzlichen Regeln gehalten. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt daher nicht vor.

Der außerordentliche Revisionsrekurs wirft den Vorinstanzen vor, sie hätten nicht den aktuellen Sachverhalt ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Dieser Vorwurf ist, selbst wenn man darin einen Verfahrensmangel erblicken könnte, durch den das Wohl der Kinder außer acht gelassen worden wäre (vgl. EFSlg 55.696, 55.280, 47.255 uva.), schon deshalb nicht berechtigt, weil Grundlage der erstgerichtlichen Entscheidung nach Richterwechsel maßgeblich auch die im Juni 1989 durchgeführte Einvernahme der Eltern und die Anhörung beider Kinder war.

Der Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.

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