OGH 1Ob661/89

OGH1Ob661/8915.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Schlosser und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard H***, Angestellter, Amstetten, Gutenbergstraße 18 b, vertreten durch Dr.Johannes Riedl, Dr.Gerold Ludwig, Rechtsanwälte in Stadt Haag, Nebenintervenient auf Seiten der klagenden Partei Dr.Gustav T***, Rechtsanwalt in Wien 1., Ebendorferstraße 7, wider die beklagte Partei Luise Charlotte M***, Inhaberin der Gerüstbaufirme Felix M***, Linz-Urfahr, Leonfeldner Straße 289, vertreten durch Dr.Heinz Oppitz und Dr.Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 330.000,-- samt Anhang infolge Revisionen der klagenden Partei und des auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13.April 1989, GZ 6 R 35/89-24, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und des auf ihrer Seite beigetretenen Nebeninterventienten das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 7.November 1988, GZ 2 Cg 2/88-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.364,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.060,70 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war Dienstnehmer der Firma I*** AG. Er stürzte am 23.7.1985 von einem Gerüst, das von der beklagten Partei fehlerhaft aufgestellt worden war und verletzte sich schwer.

In der von ihm am 10.12.1986 beim Erstgericht zu 3 a Cg 421/86 gegen die beklagte Partei eingebrachten Klage begehrte er ua die Feststellung, daß die beklagte Partei dem Kläger für alle Folgen des Unfalles vom 23.7.1985 hafte sowie die Leistung eines Schmerzengeldes von S 120.000 samt Anhang. Zum Schmerzengeldbegehren führte der Kläger aus: "Ich erlitt durch diesen Sturz schwerste Verletzungen, nämlich Lendenwirbelbrüche, einen Halswirbelbruch, Brüche an beiden Händen und am rechten Fuß und befand mich in der Zeit vom 23.7.1985 bis 9.9.1985, 15.10.1985 bis 25.10.1985, 27.10.1985 bis 31.10.1985 und 3.11.1985 bis 12.11.1985 in Anstaltspflege. Dieser Unfall zog auch schwerste Dauerfolgen nach sich, sodaß ich nicht mehr in der Lage sein werde, meinen Beruf als Baufacharbeiter auszuüben. Zur Zeit beziehe ich eine Invaliditätspension und eine Versehrtenrente. Die Invaliditätspension wurde mit vorerst bis 31.12.1986 zuerkannt. Danach werde ich mich einer Umschulung durch die Arbeitsmarktverwaltung unterziehen.......Für mehrere Lendenwirbelbrüche, einen Halswirbelbruch, Brüche an beiden Händen und am rechten Fuß beantrage ich den Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 120.000. Sollte sich nach Untersuchungen durch ärztliche Sachverständige ein anderer Schmerzengeldbetrag ergeben, werde ich diese Forderung ausdehnen bzw angemessen einschränken.". Die beklagte Partei erstattete keine Klagebeantwortung. Über Antrag des Klägers erging am 17.2.1987 ein stattgebendes Versäumungsurteil. Dieses wurde rechtskräftig. Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung im Vorprozeß war dem Kläger schon bekannt, daß ihm eine Kahnbeinschraube entfernt werden müsse. Ein Termin dafür war bereits mit März 1987 vereinbart. Tatsächlich wurde diese Schraube im Rahmen eines Spitalsaufenthaltes des Klägers vom 22. bis 24.4.1987 entfernt. Nunmehr begehrt der Kläger den Zuspruch eines weiteren Schmerzengeldbetrages von S 330.000 samt Anhang. Im Verfahren 3 a Cg 421/86 des Erstgerichtes habe sich der Kläger die Ausdehnung vorbehalten, es sei nur ein Teilschmerzengeld eingeklagt worden. Zum damaligen Zeitpunkt seien die dem Kläger auf Grund des Unfalles vom 23.7.1985 verursachten Schmerzen noch nicht völlig vorhersehbar gewesen.

Die beklagte Partei wendete ein, über die Höhe des Schmerzengeldes sei bereits im Vorprozeß abschließend und rechtskräftig abgesprochen worden. Der Kläger habe nicht nur einen Teil des Schmerzengeldes geltend gemacht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, der Kläger wäre schon im Vorprozeß in der Lage gewesen, ein höheres Schmerzengeld zu begehren. Zum damaligen Zeitpunkt wären die überwiegenden Schmerzperioden von einem medizinischen Sachverständigen bereits abzuschätzen gewesen. Spätere Komplikationen, auch solche durch Entfernung der Kahnbeinschraube, seien nicht aufgetreten. Der Heilungsverlauf habe sich wie erwartet entwickelt.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, eine Teileinklagung von Schmerzengeldansprüchen sei nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn die Folgen der Verletzung noch nicht voll überblickt werden könnten. Da zum Zeitpunkt der Fällung des Versäumungsurteiles dem Kläger bereits sämtliche wesentlichen Schmerzen und Schmerzperioden bekannt gewesen und auch die Restbeschwerden bereits völlig überblickbar gewesen seien, sei mit dem Betrag von S 120.000 die gesamte Schmerzengeldforderung des Klägers pauschal abgegolten worden. Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers und des auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten nicht Folge. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen. Die von der Rechtsprechung geforderten besonderen Umstände, die die Geltendmachung bloß eines Teilbetrages an Schmerzengeld zulässig machten, seien nicht vorgelegen. Die aus einer Nachoperation resultierenden Schmerzen seien insoweit abschätzbar gewesen, weil schon eine durchschnittliche forensische Erfahrung ausreichte, um beurteilen zu können, daß aus einer Nachoperation zur Entfernung von Fixationsmaterial resultierende Schmerzen kein wesentliches Ausmaß mehr erreichen werden. Der Kläger wäre bei atypischem Verlauf der Nachoperation durch das Feststellungsurteil ohnedies abgesichert gewesen. Auch durch ein Gesamtschmerzengeld werden nur die vorhersehbaren Schmerzen abgegolten, nicht aber ein atypischer Operationsverlauf, der zusätzliche Schmerzen bedinge. Der Heilungsverlauf und insbesondere auch die Nachoperation seien aber nicht atypisch verlaufen. Das Erstgericht habe zu Recht das Klagebegehren auf Zuspruch eines weiteren Schmerzengeldes abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen des Klägers und des auf seiner Seite dem Verfahren beigetretenen Nebenintervenienten sind nicht berechtigt. Schmerzengeld ist global zu bemessen. Künftige, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende und überschaubare Schmerzen sind in die Beurteilung miteinzubeziehen (ZVR 1988/56; SZ 58/118; ZVR 1986/5; ZVR 1981/169; ZVR 1980/19 uva, Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 138; Danzl, Das Schmerzengeld in der Rechtsprechung des OLG Innsbruck, ZVR-Sonderheft, Jänner 1987, 11; Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 182, 186 f; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 49 zu § 1325; Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 62, 73 zu § 1325). Eine zeitliche Begrenzung des Schmerzengeldes oder die Geltendmachung bloß eines Teilbetrages ist nur aus besonderen, vom Kläger darzulegenden Gründen zulässig (ZVR 1983/345; ZVR 1979/308; JBl 1970, 93; Danzl aaO 12; Koziol aaO; Harrer aaO Rz 73; Jarosch-Müller-Piegler, aaO 187), so etwa wenn das Ausmaß künftiger Schmerzen nicht so weit abgeschätzt werden kann, daß eine Globalbeurteilung möglich wäre (JBl 1988, 250; ZVR 1985/48). Gegen diese einheitliche Rechtsprechung und Lehre werden in den Revisionen keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht. Die bis zur Klagseinbringung erlittenen Schmerzen waren dem Kläger aus eigenem Erleiden bekannt. Die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge (dies auch unter Berücksichtigung der Entfernung der Kahnbeinschraube) zu erwartenden waren für den Fachmann beurteilbar. Sollte der Klagevertreter nicht in der Lage gewesen sein, die Unfallsfolgen zu beurteilen, wäre es seine Sache gewesen, vor Einbringung der Klage fachmännischen Rat einzuholen, um abschätzen zu können, welches Schmerzengeld angemessen sei, oder, wie dies schließlich auch bei Einbringung dieser Klage geschah, eine Überklagung in Kauf zu nehmen. Die nunmehr aufgestellte Behauptung des Klägers, er habe im Vorprozeß nur ein Teilschmerzengeld geltend gemacht, ist aktenwidrig. Nach den Feststellungen traten in der Folge auch keine Schmerzen auf, die damals nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwarten waren.

Auch Versäumungsurteilen kommen alle Urteilswirkungen zu (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1394). Sie erwachsen in materielle Rechtskraft (SZ 48/113; Fasching, Kommentar III 625). Nur gegen nachträgliche Tatbestandsänderungen hält die materielle Rechtskraft nicht stand (EvBl 1987/18; EvBl 1986/5; JBl 1978, 539; SZ 48/113; SZ 41/179 uva; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1531, 1535). Liegt aber keine nachträgliche Sachverhaltsänderung vor, beruft sich die beklagte Partei zu Recht darauf, daß nach dem materiell rechtskräftig gewordenen Zuspruch eines global ausgemessenen Schmerzengeldes von S 120.000 ein weiteres global gestelltes Schmerzengeldbegehren schon an der Präklusionswirkung der Vorentscheidung scheitert (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1531, 1535). Dies gilt auch dann, wenn der Zuspruch durch ein rechtskräftig gewordenes Versäumungsurteil erfolgte (SZ 15/175). Soweit in der Revision erstmals behauptet wird, die beklagte Partei habe sich rechtsmißbräuchlich verhalten, sie habe in Kenntnis, das begehrte Schmerzengeld wäre den erlittenen Schmerzen nicht adäquat, keine Klagebeantwortung erstattet, handelt es sich um eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung. Im übrigen ist der rechtskräftig gewordene Zuspruch eines Schmerzengeldes von nur S 120.000 deshalb erfolgt, weil der Kläger den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteiles stellte und nicht etwa, was er ohne Schaden hätte tun können, das Schmerzengeldbegehren ohne Verzicht auf den Anspruch (§ 237 Abs 1 ZPO) zurückzog.

Den Revisionen ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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