OGH 1Ob661/86

OGH1Ob661/8622.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ehelichen Kinder mj. Paul Philipp L***, geboren 28. Dezember 1978, und mj. Christiane Annette L***, geboren 17. September 1980, infolge Revisionsrekurses der Mutter Ulrike L***, Hausfrau, Wien 22., Markomannenstr. 83, vertreten durch Dr. Hanspeter Herle, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 21. August 1986, GZ. 47 R 549/86-31, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 23. Juni 1986, GZ. P 10/85-27, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Eltern heirateten im Jahre 1977. Im Februar 1985 verließ die Mutter erstmals den in Klosterneuburg gelegenen ehelichen Haushalt. Damals stellte der Vater den Antrag, ihm im Sinn des § 177 ABGB die beiden Kinder zuzuweisen, die Mutter, ihr an den Kindern vorläufig mit sofortiger Wirkung die alleinige Pflege und Erziehung zu übertragen. Das Erstgericht holte eine Stellungnahme des Bezirksjugendamtes ein, der ein Befund und ein Gutachten des Psychologischen Dienstes der MA 11-Jugendamt angeschlossen waren; über Bestellung durch das Gericht erstattete der Sachverständige Dr. Erwin S*** einen Befund und ein Gutachten über die möglichen Vor- und Nachteile der Unterbringung der Kinder bei Vater oder Mutter. Über Anraten des Erstgerichtes befanden sich während der Zeit der Trennung der Eltern die Kinder teils beim Vater, teils bei der Mutter. Zu Weihnachten 1985 kehrte die Mutter in die eheliche Wohnung zurück. Da die Eltern nicht mehr getrennt lebten, wies das Erstgericht mit Beschluß vom 20. Februar 1986, ON 24, deren widerstreitende Anträge rechtskräftig ab. Im Februar 1986 verließ die Mutter erneut den gemeinsamen Haushalt und zog zu Ing. Erwin A***, mit dem sie eine Lebensgemeinschaft einging und von dem sie ein Kind erwartet. Am 6. Mai 1986 stellten beide Eltern wieder Anträge, ihnen allein das Sorgerecht an den Kindern zuzuerkennen. Aufgrund der über die ersten Anträge eingeholten Beweise wies das Erstgericht die Kinder in Pflege, Erziehung und gesetzliche Vertretung des Vaters ein. Es stellte fest, die Kinder seien gefühlsmäßig gut ansprechbar und sozial geordnet. Sie seien beiden Elternteilen zugetan und durch deren Trennung in einen seelischen Zwiespalt geraten, der sich bei dem Mädchen unter Anzeichen einer Präferenz für den Vater als Bezugsperson stärker und störender auswirke als beim Knaben. Die Eltern hätten ihre Kinder gerne, seien jedoch nach Charakterstruktur und Ansichten selbst in pädagogischen Belangen sehr verschieden. Nach dem endgültigen Zerfall der ehelichen Gemeinschaft sei es ihnen nicht möglich, eine gemeinsame Linie in der Betreuung der Kinder zu finden; es erscheine unbedingt angezeigt, das gemeinsame Heranwachsen der Geschwister zu gewährleisten und die Zuteilung in Pflege und Erziehung eines Elternteiles auszusprechen. Die Mutter biete durch ihre neue Lebensgemeinschaft den Kindern eine zweite Vatergestalt an, die nach den Ergebnissen des Gutachtens von den Kindern nicht angenommen werde. Die Eltern gingen von verschiedenen Erziehungsmaßstäben aus:

Die Mutter verwöhne die Kinder mit großzügigen Geschenken, sei in ihrem pädagogischen Vorgehen unkonventionell und mehr auf Laissez-faire ausgerichtet; der Vater sei auf Ordnung in der Alltagsroutine bedacht, wolle die Kinder zur Sparsamkeit anregen und handle eher autoritär. Für den Vater spreche, daß die Kinder in der vertrauten Umgebung blieben; während seiner Berufstätigkeit würden die Kinder von der väterlichen Großmutter beaufsichtigt werden. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Die behauptete Mangelhaftigkeit, die die Mutter darin erblickte, daß über die neu gestellten Anträge keine weiteren Erhebungen durchgeführt worden seien und sie keine Gelegenheit gehabt habe, zum Antrag des Vaters Stellung zu nehmen, liege nicht vor. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei nicht gegeben, wenn die Partei Gelegenheit habe, ihrem Standpunkt wegen einer solchen Verletzung im Rechtsmittel Geltung zu verschaffen. Der vom Erstgericht aufgrund des Gutachtens Dr. Erwin S*** zugrunde gelegte

Sachverhalt habe sich im großen und ganzen nach dem neuen Vorbringen der Eltern nicht wesentlich geändert, wenn man davon absehe, daß die Mutter nach vorübergehender Rückkehr in die eheliche Gemeinschaft ein Kind von ihrem nunmehrigen Lebensgefährten erwarte und mit diesem nun dauernd zusammenlebe. Auch im Rekurs werde von der Mutter kein neues Sachvorbringen erstattet, das die Ergänzung des Sachverständigengutachtens und die ergänzende Anhörung der beiden Eltern erforderlich mache. Neu im Rekurs sei nur die Behauptung der Mutter, die Kinder akzeptierten nun ihren Lebensgefährten als zweiten Vater. Selbst wenn sich aber die Beziehung der Kinder zum Lebensgefährten der Mutter in der letzten Zeit positiv entwickelt haben sollte, wäre dies für eine Zuteilung der Elternrechte an die Mutter noch nicht ausreichend. Vergleiche man die Lebensverhältnisse beider Eltern, so sei dem Erstgericht zu folgen, daß dem Bedürfnis der beiden Kinder nach Ordnung und Geborgenheit in ihrem Leben doch eher beim Vater Rechnung getragen werde. Daß die Bindung der beiden Kinder an ihren Vater nach Erstattung des Gutachtens Dr. Erwin S*** nachgelassen hätte, sei nicht einmal behauptet worden. Bedenke man, daß die Mutter im Herbst dieses Jahres ein Kind von ihrem Lebensgefährten erwarte und damit naturgemäß ihre Zuwendung zum neugeborenen Kind in erhöhtem Maße notwendig sein werde, so erscheine es auch unter diesem Aspekt mehr im Interesse des Wohls der beiden Kinder gelegen, in der vertrauten Umgebung bei ihrem Vater, der eine gewisse Kontinuität in Pflege und Erziehung verspreche, als Bezugsperson zu verbleiben. Wenn auch nach wie vor betont werden müsse, daß an sich beide Eltern zur Übernahme der Pflege und Erziehung der Kinder geeignet wären, so sei doch der Konstanz und Verläßlichkeit bei Ausübung der Elternrechte durch den Vater der Vorzug zu geben. Der Aufrechterhaltung der Beziehung der Kinder zur Mutter werde durch ein entsprechendes Besuchsrecht Rechnung getragen werden müssen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist unzulässig.

Da eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes vorliegt, ist die Rechtsmittelwerberin auf die Anfechtungsgründe des § 16 AußStrG (offenbare Gesetz- oder Aktenwidrigkeit, Nullität) beschränkt.

Mit der Behauptung, das Rekursgericht habe übersehen, daß nach dem Gutachten Dr. Erwin S*** allein die Ablehnung des Lebensgefährten der Mutter durch die Kinder für die Zuweisung zum Vater entscheidend gewesen sei, wird zwar die rechtliche Beurteilung bekämpft, aber nicht eine Aktenwidrigkeit im Sinne des Wesens dieses Anfechtungsgrundes dargelegt. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur in jenen Fällen unrichtiger rechtlicher Beurteilung vor, in denen entweder ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde oder in denen das Gericht gegen ein Grundprinzip des Rechts wie etwa gegen das Wohl des Kindes verstoßen hat (EFSlg. 47.208, 44.648, 42.327, 42.328 uva.). Wurden im Fall einer Entscheidung nach § 177 Abs. 2 ABGB alle nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Kriterien, insbesondere das Kindeswohl, in die Ermessenserwägungen einbezogen, kann schon begrifflich keine offenbare Gesetzwidrigkeit vorliegen (EFSlg. 44.656, 44.657, 42.340 uva.). Das Rekursgericht ging auf die einzige im Rekurs der Mutter vorgebrachte Neuerung, ihr Lebensgefährte werde nunmehr von den Kindern als Bezugsfigur anerkannt, ein und kam selbst für den Fall der Richtigkeit dieses Vorbringens nach Prüfung aller Umstände und darauf gegründeter Prognose zum abschließenden Ergebnis, daß es dem Wohl der Kinder eher entsprechen werde, wenn sie beim Vater verblieben. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt daher nicht vor. Soweit im Revisionsrekurs erstmals behauptet wird, der Vater sei Alkoholiker, handelt es sich um im außerordentlichen Revisionsrekurs unzulässige Neuerungen (EFSlg. 47.205, 44.637, 42.326 uva.). Die Mutter ließ im Rekurs an die zweite Instanz ungerügt, von ihr erstattetes Vorbringen sei bei der Entscheidung durch das Erstgericht nicht berücksichtigt worden.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.

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