OGH 1Ob659/76

OGH1Ob659/767.7.1976

SZ 49/95

Normen

AußStrG §14 Abs2
ZPO §502
AußStrG §14 Abs2
ZPO §502

 

Spruch:

Die Rüge der aktenwidrigen Nichtberücksichtigung einer wesentlichen Komponente der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen stellt keine Frage der Unterhaltsbemessung dar

OGH 7. Juli 1976, 1 Ob 659/76 (LGZ Graz 4 R 114/76; BG Voitsberg 1 P 93/71)

Text

Die Ehe der Eltern des minderjährigen Dieter G wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 7. Juli 1971 geschieden. Mit einem am gleichen Tag geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Vater, für den Minderjährigen einen monatlichen Unterhalt von 600 S zu bezahlen; dieser Vergleich wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 24. November 1971, mit dem die Mutter auch zum besonderen Sachwalter bestellt wurde, pflegschaftsbehördlich genehmigt. Am 2. Jänner 1976 beantragte die Mutter eine Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung auf 900 S monatlich und brachte vor, daß der Vater noch für seine Gattin aus zweiter Ehe und für ein weiteres eheliches Kind im alter von zirka sechs Monaten zu sorgen habe; die Familienbeihilfe beziehe sie selbst.

Das Erstgericht gab dem Unterhaltserhöhungsantrag statt. Es stellte fest, daß der Vater noch für seine Gattin und ein eheliches Kind im Alter von sechs Monaten zu sorgen habe und in seinem Haushalt noch drei Stiefkinder im Alter von 14, 12 und 11 Jahren lebten. Der Vater verdiene 9 847.80 S netto monatlich abzüglich 2557.50 S Familienbeihilfe zuzüglich 1 236 S aliquoter Teil der Sonderzahlungen und damit 8 526.30 S netto plus einer Familienbeihilfe für sein eheliches Kind. Der Vater sei bei diesem Einkommen ohne Gefährdung seiner und seiner Familie Existenzgrundlage zur Bezahlung des beehrten Unterhaltsbetrages in der Lage. Im Rekursverfahren wurde noch, wie auch schon vom Erstgericht angenommen, geklärt, daß der Vater drei Familienbeihilfen für die in seinem Haushalt lebenden drei Kinder seiner zweiten Ehegattin aus deren erster Ehe erhält.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters, der nur 700 S monatlich bezahlen will, nicht Folge. Die drei von seiner Gattin in die Ehe gebrachten Stiefkinder seien bei der Unterhaltsbemessung nicht zu berücksichtigen, weil es ausschließlich Sache des Vaters dieser drei Kinder sei, für deren Unterhalt zu sorgen. Es sei daher, wie vom Erstgericht richtig festgestellt worden sei, lediglich von einer Unterhaltsverpflichtung des Vaters für seine nicht berufstätige Ehefrau und den minderjährigen Dieter auszugehen. Unter diesen Umständen sei der Vater ohne weiteres in der Lage, den begehrten Unterhalt von 900 S monatlich zu leisten, wozu noch komme, daß er für den minderjährigen Dieter (neben seinen Stiefkindern) die Familienbeihilfe beziehe, so daß er zu dessen Unterhalt aus eigenem monatlich ohnehin nur rund 500 S beitrage.

Über Revisionsrekurs des Vaters hob der oberste Gerichtshof den Beschluß des Rekursgerichtes auf und trug ihm die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Vaters gegen den Beschluß des Erstgerichtes auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 14 Abs. 2 AußStrG sind Rekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche unzulässig. Es ist daher zunächst die Frage der Zulässigkeit des Revisionsrekurses zu prüfen. Nach dem Judikat 60 neu (SZ 27/177) gehört zur Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes die Beurteilung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der zur Deckung dieser Bedürfnisse vorhandenen Mittel, die vor der Leistung des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen sind, sowie der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Das Judikat 60 neu ging dabei davon aus, daß ein Revisionsrekurs immer dann unzulässig ist, wenn lediglich aus den festgestellten Verhältnissen nach dem Ermessen des Gerichtes auf die Höhe des Anspruches zu schließen ist (ebenso EFSlg. 23587; EvBl. 1973/112 u. v. a.) und nur geltend gemacht wird, daß sich bei entsprechender Berücksichtigung der erwähnten Umstände ein höherer oder niedrigerer Unterhaltsbetrag ergebe als der, den die zweite Instanz bestimmt hat. Es kann keine Frage sein, daß der OGH dabei nicht aktenwidrig festgestellte Verhältnisse im Auge hatte. Der OGH hat bereits ausgesprochen, daß von einem Bemessen nicht gesprochen werden kann, wenn es darum geht, ob es nur auf die Bedürfnisse des Kindes oder auch auf die Lebensverhältnisse der Eltern ankomme; eine bloße Bemessung liege nur vor, wenn die Untergerichte alle für die Bemessung maßgeblichen Umstände berücksichtigten (SZ 45/87; SZ 39/96 u. a.). Es läge gewiß keine Bemessungsfrage vor, wenn ein Rekursgericht etwa in unrichtiger Rechtsanwendung die Auffassung verträte, die Sorgepflicht für ein zweites eheliches Kind sei nicht zu berücksichtigen, obwohl der Vater verpflichtet ist, für den Unterhalt (aller) seiner ehelichen Kinder zu sorgen (§ 141 ABGB). Es kann dann aber auch keine Bemessungsfrage sein, wenn gerügt wird, daß das Rekursgericht aktenwidrig die Existenz eines zweiten ehelichen Kindes nicht berücksichtigte und die Sorgepflicht für dieses Kind aus diesem Grund nicht in seine Ermessenserwägungen einbezogen hat. Ebensowenig ist es eine Bemessungsfrage, wenn dem Rekursgericht vorgeworfen wird, es hätte entgegen der Aktenlage die Unterhaltsleistung erleichternden Umstände, wie den Bezug der Familienbeihilfe für das Kind durch den Vater angenommen, obwohl dies nicht richtig sei. Diese Rügen betreffen nicht die Bemessung des Unterhaltes im Rahmen des richtig festgestellten Sachverhaltes, sondern die tatsächlichen Voraussetzungen der Bemessung und sind daher gemäß § 14 Abs. 2 AußStrG von der Geltendmachung in einem Revisionsrekurs nicht ausgeschlossen. Die gelegentlich vertretene Ansicht, daß die Anfechtung einer vorinstanzlichen Entscheidung über die Unterhaltsbemessung grundsätzlich ausgeschlossen sei, welcher Fehler immer dem Rekursgericht unterlaufen sein mag (EFSlg. 12 686), wurde vom OGH in dieser allgemeinen Form als zu weitgehend schon mehrfach abgelehnt (EFSlg. 23 600; EvBl. 1973/112). Der erkennende Senat kann insbesondere der manchmal ohne Bedachtnahme auf die Begründung des Judikates 60, dessen Beachtlichkeit an sich nie in Zweifel gezogen wurde, vertretenen Auffassung, auch Aktenwidrigkeiten im Unterhaltsfestsetzungsverfahren seien als zum Bemessungskomplex gehörig anzusehen (4 Ob 517/76; 7 Ob 51/75; 5 Ob 147/74 u. a.), zumindest für einen Fall wie den vorliegenden, in dem gerügt wird, die Lebensverhältnisse des Vaters seien so wenig berücksichtigt worden, daß die Unterhaltspflicht für ein weiteres Kind und der Nichtbezug einer Familienbeihilfe unbeachtet blieben, nicht beitreten.

Da das Rekursgericht die Entscheidung der ersten Instanz bestätigte, können allerdings nur die Anfechtungsgrunde des § 16 Abs. 1 AußStrG geltend gemacht werden. Zu diesen gehört auch die Geltendmachung offenbarer Aktenwidrigkeit. Eine Aktenwidrigkeit des § 16 Abs. 1 AußStrG liegt vor, wenn das Rekursgericht in seiner Entscheidung den Inhalt einer Parteienbehauptung oder eines Beweismittels unrichtig wiedergegeben hat (EvBl. 1950/13 u. a.) und infolgedessen zur Feststellung eines fehlerhaften Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt gelangt ist (NZ 1969, 154 u. a.). Offenbar aktenwidrig in diesem Sinne ist die Annahme des Rekursgerichtes, daß nur von einer Unterhaltsverpflichtung des Vaters für seine nicht berufstätige Ehefrau und den minderjährigen Dieter auszugehen sei. Bereits die Mutter hatte vielmehr in ihrem Unterhaltserhöhungsantrag vorgebracht, daß der Vater auch für ein Kind aus seiner zweiten Ehe zu sorgen hat; dies stellte auch das Erstgericht fest. Eine weitere Aktenwidrigkeit liegt in der Annahme des Rekursgerichtes, daß der Vater auch für den minderjährigen Dieter die Familienbeihilfe erhalte; die Mutter hat in ihrem Antrag auch erklärt, selbst die Familienbeihilfe zu beziehen; wenn der Vater nun vier Familienbeihilfen erhält und davon drei für seine Stiefkinder bestimmt sind, steht es auch außer Frage, daß er die vierte Familienbeihilfe für sein 1975 geborenes zweites eheliches Kind, das in seinem Haushalt lebt, bezieht. Bei seiner Entscheidung ist das Rekursgericht dann aber von einer mit der Aktenlage im Widerspruch stehenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen und hat damit seiner Unterhaltsbemessung unrichtige Tatsachen zugrundegelegt. Das muß die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Folge haben. Die endgültige Unterhaltsbemessung auf richtiger Tatsachengrundlage wird allerdings das Rekursgericht vorzunehmen haben, da der OGH zu einer solchen Unterhaltsbemessung nicht berufen ist und die im Gesetz vorgesehenen Instanzen nicht verändert werden dürfen.

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