Spruch:
Gegen eine an Stelle einer Naturalforderung tretende Interessenforderung ist eine andere Geldforderung aufrechenbar.
Entscheidung vom 17. Oktober 1951, 1 Ob 653/51.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Kläger begehrt, die Verlassenschaft zur Herausgabe von 22.507.59 S zu verurteilen. Er behauptet, daß er mit seiner verstorbenen Gattin die Vereinbarung getroffen habe, daß das unter ihrem Namen betriebene Geschäft beiden Ehegatten je zur Hälfte gehören und im Falle des Todes eines der beiden Ehegatten das Unternehmen dem Überlebenden zufallen solle. Stella B. ist am 13. Dezember 1947 gestorben. Das Unternehmen wurde verkauft, der Kauferlös befindet sich in Verwahrung des Verlassenschaftskurators. Die beklagte Verlassenschaft hat den Klagsanspruch bestritten und eine Gegenforderung von 19.773.90 S compensando eingewendet.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als zu Recht bestehend, während es - die Gegenforderung nicht anerkannte.
Das Berufungsgericht hat in der Hauptsache bestätigt, dagegen die Entscheidung über die Gegenforderung abgelehnt. Es meint, daß dem Erstgerichte bei seiner Entscheidung über die Gegenforderung insoferne eine unrichtige rechtliche Beurteilung unterlaufen sei, als es davon ausgegangen sei, daß die Gegenforderung der beklagten Partei überhaupt aufrechenbar sei. Die Gegenforderung sei ein auf Geld gerichteter Anspruch auf Rückzahlung ungebührlich bezogener Entnahmen aus dem Ertrag des Unternehmens, während die Forderung des Klägers auf Herausgabe einer bestimmten Sache, des Unternehmens, gerichtet sei, woran der Umstand nichts ändere, daß das Unternehmen wegen der von der Beklagten verweigerten Herausgabe verkauft werden mußte und an die Stelle der herauszugebenden bestimmten Sache der verbliebene Verkaufserlös getreten sei, der in Geld bestehe. Diese gegenseitigen Forderungen entbehren der ursprünglichen Gleichartigkeit und können, selbst wenn man eine derzeitige Gleichartigkeit annehmen wollte, nicht aufgerechnet werden. Der Ausspruch über die Gegenforderung habe daher zu entfallen.
Der Oberste Gerichtshof hat rücksichtlich der Gegenforderung die Entscheidung des Berufungsgerichtes aufgehoben und dem Berufungsgerichte die neuerliche Verhandlung und Entscheidung über diesen Punkt aufgetragen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Dagegen ist die Revision begrundet, soweit sie sich dagegen wendet, daß das Berufungsgericht die Entscheidung über den Bestand der Gegenforderung abgelehnt hat, weil sie nicht aufrechenbar sei. Der Oberste Gerichtshof kann sich der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß gegen die an Stelle einer Forderung auf Naturalleistung tretende Interessenforderung eine Geldforderung nicht aufgerechnet werden kann, nicht anschließen. Geldforderungen sind nach § 1438 ABGB. kompensabel. Ein Rechtssatz, daß gegen eine Geldforderung, die an Stelle einer Naturalforderung tritt, nicht aufgerechnet werden darf, ist in keinem Gesetz enthalten. Ein solcher Rechtssatz ist vom Obersten Gerichtshof niemals aufgestellt worden; die Entscheidungen GlUNF. 2705 und SZ. VII/239, auf die sich ein Schriftsteller zum Nachweis dieser Theorie beruft, besagen nicht mehr, als daß § 1440 ABGB. auch auf in Verwahrung oder Depot gegebenes Geld anwendbar ist. Der vom Berufungsgericht vertretene Rechtssatz, daß gegen eine Interessenanforderung Geldforderungen nicht aufrechnungsweise eingewendet werden sollen, ist falsch. So kann z. B. die Versicherungsgesellschaft, die ihrer Verpflichtung, eine Glasscheibe in natura zu ersetzen, nicht nachgekommen ist und daher vom Versicherungsnehmer auf das Interesse geklagt wird, nachdem er sich anderweitig eingedeckt hat, zweifellos nach § 35b VersVG. mit einer rückständigen Prämienforderung kompensieren usw.
Das Berufungsgericht war demnach nicht berechtigt, die Entscheidung über die Gegenforderung abzulehnen. Es mußte daher der Revision in diesem Punkte Folge gegeben werden.
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