Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antrag auf Zuerkennung von Rekurskosten wird abgewiesen.
Text
Begründung
Mit Beschluß des Rekursgerichtes vom 3.2.1992, 44 R 6/92-23, bestätigt mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 24.4.1992, 1 Ob 550/92-28 = EvBl. 1992, 144, wurde aufgrund des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl. 1988/512 angeordnet, daß die beiden minderjährigen, beim Vater in Österreich befindlichen Kinder der in Ungarn wohnhaften Großmutter Ilona G***** sofort zurückzugeben seien. Ilona G***** wurde ermächtigt, die Kinder aus Österreich abzuholen. Die Entscheidungen stützten sich insbesondere darauf, daß mit Beschlüssen des Rates des XIII.Stadtbezirkes der Hauptstadt Budapest betreffend die vorläufige Übertragung des Sorgerechtes für die mj. Csenge T***** und Bestellung eines Vormundes vom 23.4.1990, Nr. 1480/9/1990, und für den mj. Koppany T***** vom 24.4.1990, Nr.III-1480/8/1990, das Sorgerecht auf die mütterliche Großmutter Ilona G***** bis zur Rechtskraft in dem beim Zentralen Stadtbezirksgericht Pest wegen der Übertragung des Sorgerechtes auf eine dritte Person anhängigen Prozesses vorläufig übertragen wurde. Sie wurde gleichzeitig zum Vormund der Kinder bestellt. Weiters wurde festgestellt, daß das elterliche Aufsichtsrecht ruhe. Eine endgültige Entscheidung über die Übertragung des Sorgerechtes ist bisher noch nicht erfolgt.
Aufgrund dieser Entscheidung beantragte die mütterliche Großmutter, gemäß § 19 AußStrG geeignete Zwangsmaßnahmen zur Übergabe der Minderjährigen zu setzen. Der Vater wiederum beantragte am 11.6.1992, Vollstreckungsmaßnahmen nach § 19 AußStrG oder nach der Exekutionsordnung zu verweigern und festzustellen, daß eine Vollstreckung der Entscheidung, mit der die Rückgabe der Kinder angeordnet wurde, vorläufig nicht durchzuführen sei. Er begründete diesen Antrag damit, das Pester Zentralbezirksgericht habe mit Urteil vom 20.2.1992, 23 P 111.057/1990/30, die gegen ihn und seine geschiedene Gattin gerichtete, auf Änderung der Unterbringung der Kinder lautende Klage des Bürgermeisteramtes Budapest XIII abgewiesen. Dieses Urteil sei allerdings noch nicht rechtskräftig; überdies sei in einem von den Eltern gegen die Großeltern eingeleiteten Vollstreckungsverfahren von den Großeltern am 11.4.1991 anerkannt worden, daß die Kinder Ende Juli 1991 in die Obsorge des Vaters zu übergeben seien. Die Übergabe sei aber auch deshalb unzulässig, weil sie mit der schwerwiegenden Gefahr sowohl eines körperlichen als auch seelischen Schadens für die Kinder verbunden wäre, die Rückgabe sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die Kinder unzumutbar.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab und trug dem Vater auf, die beiden Kinder am 22.6.1992 dem Jugendamt für den 16. Bezirk zu übergeben. Das vom Vater vorgelegte Urteil des Pester Zentralbezirksgerichtes vom 20.2.1992, das ihm nach seinen Angaben erst nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugestellt worden sei, sei laut Auskunft des Bundesministeriums für Justiz nicht rechtskräftig, sodaß auch daraus keine andere Sach- und Rechtslage abgeleitet werden könne.
Das Rekursgericht gab den gegen diese Beschlüsse erhobenen Rekursen des Vaters nicht Folge. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig. Die Argumentation des Vaters gehe an der Zielrichtung des Abkommens vorbei, Kinder so rasch wie möglich dem Obsorgeberechtigten zurückzustellen. Es sei im Rückgabeverfahren nicht zu prüfen, ob der Vater für die Kindererziehung geeignet sei und ob die Rückgabe dem Wohl des Kindes entspreche, wenn keine entsprechenden Einwände gemäß Art.13 des Abkommens erhoben worden seien. Die Entscheidung des Pester Zentralbezirksgerichtes vom 20.2.1992 sei vom Erstgericht zu Recht nicht als maßgeblich berücksichtigt worden. Den Inhalt des Protokolls vom 11.4.1991, aus dem sich ergibt, daß der Großvater mütterlicherseits sich bereiterklärt habe, die Kinder nach Ende des Schuljahres 1991 freiwillig an die Eltern auszufolgen, wäre für das Rückgabeverfahren maßgeblich gewesen, wäre diese Tatsache im Sinn des Art 13 lit a des Übereinkommens eingewendet worden. Eine der Antragstellerin zurechenbare Zustimmung zur Ausfolgung der Kinder, die sie dem Vater zurückgebracht habe, hätte die maßgeblichste Voraussetzung für eine Rückführung der Kinder, nämlich die rechtswidrige Entführung, beseitigt. Dieser Einwand sei aber nicht erhoben worden, sodaß er nicht berücksichtigt habe werden können. Selbst bei Zulässigkeit einer Wiederaufnahme im Verfahren außer Streitsachen, wie sie im konkreten Fall bei der durch das Übereinkommen stark eingeschränkten Kognition der Gerichte zumindest diskutabel wäre, läge bei analoger Anwendung der Bestimmungen der ZPO über die Wiederaufnahme kein Wiederaufnahmsgrund vor, weil die maßgebliche Tatsache der Zustimmung sich bereits am 11.4.1991, somit lang vor Antragstellung ereignet habe; da auch die Urkunde darüber bereits existiert habe, könne das Behauptungsdefizit des Vaters nicht dadurch wettgemacht werden, daß Neuerungen nun im Vollstreckungsverfahren berücksichtigt würden. Ebenso sei es unzulässig, das Kindeswohl im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen, dessen Prüfung dem Gericht sogar im Verfahren über die Rückgabe nur sehr eingeschränkt möglich sei (Art 13 lit b des Übereinkommens). Erst die bisher noch nicht eingetretene Rechtskraft der Entscheidung des Pester Zentralbezirksgerichtes vom 20.2.1992, 23 P 111.057/1990/30, ließe die Aktivlegitimation der Großmutter mütterlicherseits wegfallen, da ihr die vorläufige Obsorge nur bis zu diesem Zeitpunkt zuerkannt worden sei. Das Rekursgericht erachte es zwar für zulässig, im Rahmen der gemäß § 19 AußStrG zu setzenden Maßnahmen das Kindeswohl so weit zu berücksichtigen, als es auch im Hauptverfahren zu berücksichtigen wäre, doch müßte auch hier der sich der Rückgabe Widersetzende beweisen, daß die Rückgabe mit einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden sei oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht werde. Solche Behauptungen fänden sich weder im Antrag des Vaters, eine Vollstreckung des Rückgabebeschlusses für unzulässig zu erklären, noch in dem gegen die abweisende Entscheidung erhobenen Rekurs. Es lägen daher keine gegen die Durchsetzung der Rückgabeentscheidung sprechenden rechtserheblichen Gründe vor.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt.
Das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl. 1988 Nr. 512, enthält keine Regelung, wie die angeordnete Rückgabe des Kindes vom ersuchten Staat durchzuführen ist. Da grundsätzlich jeder Staat nach seinen Gesetzen vollstreckt (EFSlg. 42.373), hat auch der Vollzug von Ausfolgungsbeschlüssen aufgrund des genannten Übereinkommens nach innerstaatlichem Recht allerdings mit den sich aus der Zielsetzung des Übereinkommens ergebenden Modifikationen zu erfolgen.
Wie die RV 471 BlgNR 17.GP 7 zum Bundesgesetz vom 9.6.1988 zur Durchführung des Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1988 Nr. 513) ausführt, wird das Pflegschaftsgericht, sofern der Anordnung der Rückgabe des Kindes keiner der in den Art 13 und 20 des Übereinkommens genannten Gründe entgegensteht, die Entscheidung im außerstreitigen Verfahren durchzusetzen haben, wobei die Wahl der Mittel dem Gericht überlassen bleibt. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist bei der Abnahme von Kindern mit Zwang zu bedenken, daß mündige Kinder selbständige Rechtssubjekte sind, also nicht Exekutionsobjekte, sondern selbst Partei. Hier ist aber darauf hinzuweisen, daß der Umstand, daß sich das Kind der Rückgabe widersetzt, bereits im Verfahren zur Entscheidung über die Anordnung der Rückgabe - unter besonderer Bedachtnahme auf das Alter und die Reife des Kindes - zu berücksichtigen ist (Art 13 Abs 2 des Übereinkommens). Soweit - abgesehen von der behaupteten Verletzung des Kindeswohles - der Vater Einwendungen aus dem Titelverfahren wiederholt, nachholt oder sogar die Richtigkeit der Entscheidung des erkennenden Senates vom 24.4.1992, 1 Ob 550/92, bekämpft, ist dies auch in einem nach § 19 AußStrG durchgeführten Vollstreckungsverfahren unzulässig, soweit sich nicht die Sach- oder Rechtslage nach Erlassung des vollstreckbaren Titels geändert hat. Der Sache nach wäre dem Revisionsrekurswerber zu erwidern, daß die erwähnten Beschlüsse des Rates des XIII. Stadtbezirkes der Hauptstadt Budapest selbst nach seinen Darlegungen weiterhin aufrecht sind und die Kinder nicht etwa aufgrund einer Entscheidung ungarischer Behörden oder einer Vereinbarung der Eltern mit den Großeltern, sondern gegen den Willen der Antragstellerin nach Österreich verbracht wurden.
Ob das Kindeswohl der Rückführung entgegenstand, ist, wie bereits in der Entscheidung vom 24.4.1992, 1 Ob 550/92, dargelegt wurde, nicht von Amts wegen, sondern nur über Vorbringen der Person, die sich der Rückführung widersetzt, zu prüfen. Das Ziel des Übereinkommens ist unter anderem die Sicherstellung der sofortigen Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder (Art 1 lit a des Übereinkommens). Das Übereinkommen strebt die Wiederherstellung der ursprünglichen Tatsachenverhältnisse in einem eng formalisierten Schnellverfahren unter weitgehender Ausblendung von Rechtsfragen an. Auf das Kindeswohl kann daher bei Vollzugsmaßnahmen nach § 19 AußStrG nur dann Bedacht genommen werden, wenn zwischen der Anordnung der Rückführung und den Vollstreckungsmaßnahmen eine Änderung der Verhältnisse eingetreten wäre. Der Revisionsrekurswerber behauptet weder eine solche Änderung der Verhältnisse noch kann er überhaupt eine Gefährdung des Kindeswohles aufzeigen. Eine Beeinträchtigung des Kindeswohles erblickt er darin, daß die Kinder aus der bisherigen Umgebung herausgerissen würden und insbesondere in ihrem schulischen Fortgang gehemmt werden; auch sei eine endgültige Sorgerechtsentscheidung in Ungarn noch nicht erfolgt. Gehe diese zu seinen Gunsten aus, wären die Kinder wieder an die Eltern auszufolgen. Dem ist zu erwidern, hätte der Vater den Beschluß vom 24.4.1992 befolgt, hätten die Kinder bereits in Ungarn das neue Schuljahr beginnen können. In eine allenfalls nachteilige Situation kamen die Kinder daher ausschließlich durch das rechtswidrige Verhalten des Vaters. Gegen die Erziehungsverhältnisse bei den Großeltern hingegen kann der Vater nichts einwenden, führt er in seinem Rechtsmittel doch aus, die Kinder würden die Großeltern in Ungarn gern besuchen. Da die Kinder bereits vor rund 1 1/2 Jahren widerrechtlich nach Österreich verbracht wurden und im Heimatstaat noch immer eine endgültige Entscheidung über das Sorgerecht nicht erging geschweige denn absehbar ist, wie diese ausfallen wird, ist der Vater darauf hinzuweisen, daß letztlich ein wiederholter Wechsel des Aufenthaltsortes der Kinder innerhalb einer kurzen Zeitspanne ausschließlich auf die von ihm gesetzten widerrechtlichen Maßnahmen zurückzuführen wäre.
Da der Vater ohnedies die Rückführung der Kinder nach Ungarn zu vereiteln bestrebt ist, ist es unerheblich, daß zwischen der Zustellung des Übergabsauftrages der Kinder und dem Termin der Rückgabe nur wenige Stunden lagen.
Dem Revisionsrekurs ist der Erfolg zu versagen.
Art 26 Abs 4 des Übereinkommens sieht Kostenersatz nur für den obsiegenden Antragsteller, aber nicht für die Personen vor, die sich der Rückgabe der Kinder widersetzen.
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