Spruch:
Sind die Voraussetzungen für die Ersatzzustellung einer Sendung (§ 16 Abs. 1 ZustG) gegeben, ist deren Hinterlegung unzulässig
Die Zustellung einer Sendung an einen Ersatzempfänger gilt nur dann als wegen Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle nicht bewirkt (§ 16 Abs. 5 ZustG), wenn der Empfänger sich im Zeitpunkt der Zustellung nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhielt
Den an die Abgabestelle zurückgekehrten Empfänger einer Sendung trifft das (durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behebbare) Risiko, daß ihm der Ersatzempfänger die zugestellte Sendung nicht oder nicht rechtzeitig übergibt
OGH 19. 9. 1984, 1 Ob 630, 631/84 (OLG Innsbruck 1 R 168, 172/84; LG Feldkirch 6 Cg 2014/84)
Text
Der Beklagte wurde mit Versäumungsurteil vom 19. 3. 1984 zur Zahlung von 200 000 S sA an die klagende Partei schuldig erkannt, weil er die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig überreichte. Das Versäumungsurteil wurde am 26. 3. 1984 der Ehegattin des Beklagten als Ersatzempfängerin zugestellt, weil der Beklagte nicht zu Hause war. Erst am nächsten Morgen übergab jene dem Beklagten die Sendung. Der vom Beklagten gegen das Versäumungsurteil gemäß §§ 397 a, 398 Abs. 1 ZPO am 10. 4. 1984 erhobene Widerspruch wurde vom Erstgericht wegen Ablaufs der vierzehntägigen Widerspruchsfrist als verspätet zurückgewiesen (§ 397 a Abs. 2 und 3 ZPO). Den daraufhin gestellten Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist wies das Erstgericht ebenfalls ab.
Das Rekursgericht gab dem gegen beide Beschlüsse des Erstgerichtes erhobenen Rekurs des Beklagten Folge, hob diese Beschlüsse ersatzlos auf und sprach aus, daß der Rekurs gegen die Entscheidung zulässig ist. Gemäß § 16 Abs. 1 ZustG dürfe, wenn die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden könne und an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend sei, an diesen zugestellt werden, sofern der Zusteller Grund zur Annahme habe, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte. Gemäß § 16 Abs. 5 ZustG gelte jedoch eine Ersatzzustellung als nicht bewirkt, wenn sich ergebe, daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis habe erlangen können, doch werde die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. Diese Bestimmung sei von "beispielhafter Unklarheit" und lasse mehrere Deutungsmöglichkeiten zu. Fraglich sei, ob die im § 16 Abs. 5 ZustG genannte "Abwesenheit" die negative Formulierung des Begriffes des "regelmäßigen Aufenthaltes an der Abgabestelle" iS des § 16 Abs. 1 ZustG darstelle oder darunter eine den "regelmäßigen Aufenthalt" nicht ausschließende kürzere Abwesenheit zu verstehen sei. Das Rekursgericht schließe sich jener Deutung an, die die in § 16 Abs. 5 ZustG genannte Abwesenheit nicht auf § 16 Abs. 1 ZustG beziehe. Diese Lösungsvariante gebe dem Empfänger die bessere Rechtsstellung, weil die Zustellung trotz ordnungsgemäßer Ersatzzustellung erst später mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam werde. Da dem Beklagten das Schriftstück erst nach Rückkehr an die Abgabestelle am 27. 3. 1984 zugekommen sei, sei die Zustellung erst am 28. 3. 1984 wirksam geworden. Gemäß § 125 Abs. 1 ZPO werde bei Berechnung einer nach Tagen bestimmten Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen der Zeitpunkt oder die Ereignung falle, nach der sich der Anfang der Frist richten solle. Der am 10. 4. 1984 zur Post gegebene Widerspruch sei daher rechtzeitig. Der Beschluß des Erstgerichtes, mit dem der Widerspruch des Beklagten als verspätet zurückgewiesen worden sei, sei daher ersatzlos aufzuheben. Auch der gegenstandslos gewordene Beschluß über die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages sei damit ersatzlos aufzuheben.
Über Rekurs der klagenden Partei änderte der OGH das Rekursgericht insoweit ab, daß er den Beschluß des Erstgerichtes, mit dem der Widerspruch des Beklagten gegen das Versäumungsurteil vom 19. 3. 1984 als verspätet zurückgewiesen wurde, wiederherstellte. In seinem übrigen Umfang hob er den Beschluß des Rekursgerichtes auf und trug der zweiten Instanz auf, über den Rekurs des Beklagten gegen den Beschluß des Erstgerichtes, mit dem sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Widerspruches gegen das Versäumungsurteil vom 19. 3. 1984 abgewiesen wurde, neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Rekurs (Revisionsrekurs) der klagenden Partei ist gemäß § 528 Abs. 2 ZPO zulässig, da es sich bei der angefochtenen Entscheidung inhaltlich um eine den erstgerichtlichen Beschluß abändernde handelt. Ein Rekursausschließungsgrund nach § 528 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor. Der Beschwerdegegenstand übersteigt zwar nicht 300 000 S, doch hängt die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des Verfahrensrechts (Auslegung des § 16 Abs. 1 und 5 ZustG) ab, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, zumal bisher eine Entscheidung des OGH nur zu der ähnlich gestalteten Bestimmung des § 17 Abs. 3 ZustG vorliegt (EvBl. 1984/101 = Nr. 34). Auch § 397 a Abs. 3 ZPO steht der Anfechtung nicht entgegen, weil nur der Beschluß, mit dem das Versäumungsurteil infolge Widerspruches aufgehoben wird, keinem Rechtszug unterliegt, nicht aber der Beschluß, der einen Antrag auf Zurückweisung des Widerspruches ablehnt (EvBl. 1984/50; RZ 1981/51).
Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf gemäß § 16 Abs. 1 ZustG an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Die Worte "... darf ... zugestellt werden ..." bedeuten kein Ermessen und geben dem Zusteller insbesondere keine Wahlmöglichkeit zwischen Ersatzzustellung und Hinterlegung (Walter-Mayer, Zustellrecht 91 FN 7). Vielmehr ist an einen an der Abgabestelle anwesenden Ersatzempfänger zuzustellen, wenn der Empfänger dort nicht angetroffen wird (Walter-Mayer aaO 89 f. FN 3; Fasching II 585). "Regelmäßiger Aufenthalt" an der Abgabestelle liegt vor, wenn der Empfänger, von kurzfristigen - in vielen Fällen auch periodischen - Abwesenheiten abgesehen, immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt (Walter-Mayer aaO 91 FN 12). Nur wenn der Empfänger längere Zeit (etwa infolge Urlaubes) von der Abgabestelle abwesend ist, darf auch eine Ersatzzustellung an einen Ersatzempfänger nicht erfolgen (AB 1050 BlgNR 15. GP, bei Walter-Mayer aaO 267). Gemäß § 16 Abs. 5 ZustG gilt eine Ersatzzustellung als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird (auch dann) die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. Eine solche Verschiebung der Wirksamkeit der Zustellung nahm das Rekursgericht mit der Begründung an, daß unter "Abwesenheit von der Abgabestelle" iS des § 16 Abs. 5 ZustG auch eine kürzere, den "regelmäßigen Aufenthalt" iS des § 16 Abs. 1 ZustG nicht ausschließende Abwesenheit zu verstehen sei.
Die beiden Bestimmungen müssen aber so verstanden werden, daß sie einander sinnvoll ergänzen und die Ersatzzustellung nicht wertlos wird, das heißt, daß eine dem § 16 Abs. 1 ZustG gemäß erfolgte Zustellung zumindest für den Regelfall wirksam ist, § 16 Abs. 5 ZustG also nicht zur Anwendung gelangt und die Begriffe "regelmäßiger Aufenthalt" und "Abwesenheit von der Abgabestelle" einander ausschließen. Wäre mit dem Begriff der "Abwesenheit von der Abgabestelle" iS des § 16 Abs. 5 ZustG schon jene gemeint, die Voraussetzung jeder Ersatzzustellung sein muß (bloßes Nichtantreffen des Empfängers an der Abgabestelle im Moment der Zustellung), wäre diese niemals an dem Tag als bewirkt anzusehen, an dem das Schriftstück dem Ersatzempfänger übergeben wird, sondern frühestens am nächsten Tag. Das Datum der auf dem Zustellformular (§ 27 ZustG; Form 4, 6 BGBl. 1982/600) zu beurkundenden Übergabe der Sendung an den Ersatzempfänger wäre dann stets irrelevant. Dann wäre die Ersatzzustellung überhaupt noch keine Zustellung, sondern bedürfte noch des Beweises der Rückkehr zur Abgabestelle; das auf dem Zustellschein angegebene Datum wäre für die Behörde praktisch wertlos. Das kann aber nicht der Sinn der Einrichtung der Ersatzzustellung sein. Diese kann nur dahin verstanden werden, daß das aktenkundige Datum der Vornahme der Ersatzzustellung für deren Rechtswirkung und insbesondere für den Lauf von Fristen relevant sein soll. Der Behörde, die auf Grund einer Zustellung den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen zu beurteilen hat, muß es im Regelfall ermöglicht werden, ohne Erhebungen von dem im Zustellschein beurkundeten Datum auszugehen.
Die Bestimmung des § 16 Abs. 5 ZustG ist im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Einrichtung der Ersatzzustellung vor Augen, daß ein großer Teil der Bevölkerung infolge Berufstätigkeit, wegen verschiedener Besorgungen und aus ähnlichen Gründen gerade während der üblichen Zustellzeit durch die Post nicht zu Hause angetroffen wird, obwohl er dorthin regelmäßig, das heißt in kurzen Abständen, zurückkehrt, also ein "regelmäßiger Aufenthalt an der Abgabestelle" iS des § 16 Abs. 1 ZustG gegeben ist. Diesen Fällen ist gemeinsam, daß die Gewähr dafür besteht, daß der Empfänger die zugestellte Sendung nur mit geringer Verspätung erhalten kann. Der Gesetzgeber nimmt es in Kauf, daß die Ersatzzustellung der Zustellung an den Empfänger gleichgehalten wird. Die Bestimmung des § 16 Abs. 5 ZustG gilt nur für den - vom Empfänger der Sendung zu behauptenden und zu beweisenden - Ausnahmsfall, daß er aus anderen Gründen als denen, aus denen die Ersatzzustellung zulässig ist, wegen Abwesenheit von der Annahmestelle vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte. Eine "Abwesenheit von der Abgabestelle", die bewirkt, daß der Empfänger von Zustellungen nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte, muß also eine längere als jene sein, die jeder zulässigen Ersatzzustellung als notwendige Voraussetzung dieser Einrichtung zugrunde liegen muß. (Was für den Ausnahmsfall zu gelten hat, daß schon eine kurze Abwesenheit dazu führt, daß der Empfänger vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte - etwa wenn das zuzustellende Schriftstück eine ganz kurzfristig angeordnete Ladung enthielt, deren Befolgung dem Empfänger trotz ehester Rückkunft an die Abgabestelle nicht mehr möglich war -, kann hier dahingestellt bleiben.) Löst das zuzustellende Schriftstück die Wahrnehmung von Fristen (insbesondere Rechtsmittelfristen) durch den Empfänger aus, hängt die Frage, ob er vom Zustellvorgang "rechtzeitig" Kenntnis erlangen konnte, von der im Schrifttum umstrittenen Frage ab, ob dem Empfänger die wahrzunehmende Frist praktisch ungekürzt zur Verfügung stehen muß oder ob es genügt, daß ihm angemessene Zeit zur Verfügung steht, um auf den Inhalt der Sendung auch ohne Fristverlängerung wirksam reagieren zu können (vgl. dazu Achatz, Das neue Zustellrecht, NZ 1983, 124;
Schwaighofer, Problematische Neuerungen im Zustellrecht, AnwBl. 1983, 381; Berchtold, Zustellgesetz 33; König, Die Ersatzzustellung bei längerer Abwesenheit, ÖGZ 1983, 116; Walter-Mayer aaO 96 FN 35;
zu § 17 Abs. 3 ZustG EvBl. 1984/101).
Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung, weil beide Voraussetzungen gegeben waren. Aus dem Vorbringen des Beklagten, es sei für ihn unvorhersehbar gewesen, daß seine Ehegattin den Gerichtbrief einen Tag liegen ließ und ihm auch mündlich von einer derart wichtigen Sache keine Mitteilung machte, geht hervor, daß er noch am Tage der Ersatzzustellung in seine Wohnung zurückgekehrt war. Er hielt sich also "regelmäßig", insbesondere am Tage der Zustellung, an der Aufgabestelle auf. Bei richtigem Verhalten seiner Ehegattin hätte er von der Zustellung des Versäumungsurteiles noch am Tage der Ersatzzustellung Kenntnis erlangen können. Tatsächlich hat er auch ohne wesentliche Verzögerung am nächsten Tag davon Kenntnis erlangt.
Da der Gesetzgeber, wie bereits ausgeführt, die Ersatzzustellung der Zustellung an den Empfänger gleichsetzt, gilt sie im Regelfall des § 16 Abs. 1 ZustG in dem Zeitpunkt als erfolgt, in dem die Sendung an den Ersatzempfänger zugestellt wird. Den an die Abgabestelle zurückgekehrten Empfänger trifft damit das (durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behebbare) Risiko, daß ihm der Ersatzempfänger das zugestellte Schriftstück nicht (oder nicht rechtzeitig) übergibt. Daß das Gesetz das Risiko der rechtzeitigen Weitergabe des zuzustellenden Schriftstückes durch den Ersatzempfänger auf den Empfänger abwälzen wollte, ergibt sich aus § 16 Abs. 5 letzter Halbsatz ZustG. Auch wenn die Ersatzzustellung wegen Abwesenheit von der Abgabestelle zunächst unwirksam ist, bewirkt doch allein die Rückkehr des Empfängers an die Abgabestelle, daß die Zustellung mit dem folgenden Tag wirksam wird, auch wenn der Empfänger das Schriftstück tatsächlich nicht erhielt.
Da der Beklagte nicht wegen "Abwesenheit" iS des § 16 Abs. 5 ZustG (sondern allenfalls durch einen Fehler des Ersatzempfängers) daran gehindert war, vom Zustellvorgang sofort nach seiner Rückkehr rechtzeitig Kenntnis zu erlangen, hatte die Ersatzzustellung an seine Ehegattin zur Folge, daß die Zustellung mit der Abgabe an sie am 26. 3. 1984 wirksam wurde. Der Widerspruch wurde daher vom Erstgericht zutreffend als verspätet zurückgewiesen.
Damit ist die vom Beklagten angefochtene Entscheidung des Erstgerichtes über seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht gegenstandslos. Das Rekursgericht wird über den Rekurs des Beklagten gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes meritorisch zu entscheiden haben.
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