OGH 1Ob629/91

OGH1Ob629/9115.1.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Andrea W*****, geboren am 21. April 1976, infolge Revisionsrekurses des Vaters Franz W*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 12.September 1991, GZ 22 c R 122/91-150, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 13.August 1991, GZ 4 P 184/83-146, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters, dessen monatliche Unterhaltsverpflichtung für die Minderjährige seit 1.8.1991 von S 2.500,- auf S 1.000,- herabzusetzen, ab. Es stellte fest, die Minderjährige beziehe eine monatliche Nettolehrlingsentschädigung von S 2.823,- einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen, und meinte in rechtlicher Hinsicht, bei einem Lehrling sei davon auszugehen, daß zur Deckung seiner Bedürfnisse ein Betrag von rund S 5.500,- im Monat erforderlich sei. Bei Bedachtnahme auf die festgestellte Lehrlingsentschädigung, bleibe somit ein monatlicher Betrag von S 2.700,- ungedeckt, sodaß eine Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung nicht in Betracht komme.

Das Gericht zweiter Instanz setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters vom 1.8.1991 auf S 2.200,-

herab, wies das Mehrbegehren ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, die Formulierung des § 140 Abs.3 ABGB trage der Tatsache Rechnung, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit vielfach allmählich eintrete und das Kind verschiedene Übergangsphasen durchlaufe. Dies gelte insbesondere für Lehrlinge oder Schwesternschülerinnen. Das Gesetz unterscheide zwischen der Minderung des Unterhaltsanspruches wegen eigener Einkünfte, wie etwa der Lehrlingsentschädigung, und der Minderung infolge gänzlicher oder teilweiser Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit. Selbsterhaltungsfähig sei, wer seinen Lebensbedarf durch zumutbaren Einsatz seiner Arbeitskraft voll decken könne, die "teilweise Selbsterhaltungsfähigkeit" werde auch als Minderung des Unterhaltsanspruches infolge eigenen Einkommens bezeichnet. Aus den Bestimmungen des 3 140 Abs.1 und 3 ABGB folge, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit nach den Lebensverhältnissen des Kindes und dessen Eltern zu beurteilen sei. Das Rekursgericht gehe unter Ablehnung der Rechtsprechung, die die Selbsterhaltungsfähigkeit bereits dann annehme, wenn das Eigeneinkommen den Durchschnittbedarf decke, davon aus, daß dem vom anderen Elternteil betreuten Kind aus dem Eigeneinkommen und dem Unterhalt ein Betrag von derzeit etwa S 5.000,- bis S 5.500,- im Monat zur Verfügung stehen solle; dabei sei auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen. Der Durchschnittsbedarf setze voraus, daß das Kind vom anderen Elternteil in dessen Haushalt betreut werde, daß also dieser Elternteil die Differenz zwischen dem zur Selbsterhaltungsfähigkeit erforderlichen Betrag und dem Durchschnittsbedarf durch seine Betreuung ausgleiche. Nehme man "diese Grenze" etwa mit dem Mindestsatz des Richtsatzes nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz an, würde dies - wollte man sich der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes in dessen Entscheidung 8 Ob 650/90 anschließen - bedeuten, daß der Vater durch das Eigeneinkommen des Lehrlings weitgehend von seiner Unterhaltsverpflichtung befreit würde, wogegen die Mutter weiterhin für die Betreuung im Haushalt fast die volle Leistung erbringen müsse. Außerdem könnte ein Schüler bei dieser Auffassung gegebenenfalls mit einem Unterhalt von weit mehr als monatlich S 4.000,- rechnen, ein Lehrling müßte sich dagegen mit einem wesentlich geringeren Gesamtbetrag abfinden, könnte also nie an den besseren Verhältnissen des Vaters teilnehmen. Der Richtsatz betrage monatlich S 6.000,-; bei Bedachtnahme auf die Sonderzahlungen errechne sich ein Durchschnittsbetrag von monatlich S 7.000,-. Ziehe man davon die Lehrlingsentschädigung ab, verbleibe ein ungedeckter Betrag rund S 4.000,-, den der Vater durch seine Unterhaltszahlungen und die Mutter durch ihre Betreuung im Haushalt abzudecken hätten. Da die bisherige Unterhaltsleistung des Vaters den Durchschnittsbedarf nicht gedeckt habe, sei der Minderjährigen im ersten Lehrjahr ein entsprechender Nachholbedarf zuzubilligen, weshalb monatliche Unterhaltsleistungen des Vaters von S 2.200,- angemessen seien; diesen Betrag könne er auch ohne weiteres aufbringen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters, der zur Begründung seines Antrags, seine monatliche Unterhaltsverpflichtung ab 1.8.1991 auf S 1.000,- herabzusetzen, lediglich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30.10.1990, 8 Ob 650/90, hinweist, ist nicht berechtigt.

Gemäß § 140 Abs.3 ABGB mindert sich der Unterhaltsanspruch insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Was dem Kind als Natural- oder Geldleistung welcher Art auch immer auf Grund eines Anspruches zukommt, ist nach dieser gesetzlichen Bestimmung bei der Unterhaltsbemessung bzw. bei der Beurteilung, ob das Kind bereits selbsterhaltungsfähig ist, zu berücksichtigen. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, es bestehe kein gesetzliches Verbot, die Lehrlingsentschädigung auf den Unterhalt anzurechnen. Diese Entschädigung falle unter die nach § 140 Abs.3 ABGB zu berücksichtigenden Einkünfte des Kindes und sei somit, soweit sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht zu bleiben hat, dessen eigenes Einkommen (ÖA 1991, 78; 1 Ob 521/91; 3 Ob 579/90; 3 Ob 547/90; Pichler in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 11 a; Schlemmer/Schwimann, ABGB § 140 Rz 104). An dieser Ansicht ist festzuhalten.

Infolge eigenen Einkommens des Kindes verringert sich dessen konkreter Bedarf (Pichler aaO Rz 11). Daher wird sein Unterhaltsanspruch auf den Betrag gemindert, der bei Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte des Kindes zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit fehlt. Selbsterhaltungsfähig ist der sonst Unterhaltsberechtigte, wenn er die zur Bestreitung seiner Bedürfnisse nötigen Mittel selbst erwirbt oder doch bei zumutbarer Beschäftigung erwerben könnte, wenn er also zur Bestreitung seiner angemessenen Bedürfnisse auch außerhalb des elterlichen Haushalts imstande ist oder imstande wäre (ÖA 1991,78; 1 Ob 521/91; 3 Ob 547/90; 10 Ob S 19/90; Pichler aaO Rz 12). Für die - keineswegs seltenen - Fälle, in denen der geschuldete Unterhaltsbetrag mit Rücksicht auf das Einkommen des Unterhaltspflichtigen oder dessen Sorgepflicht verhältnismäßig gering ist, kann die Mindestpensionshöhe im Sinne des § 293 Abs.1 lit.a alinea bb ASVG (zur fraglichen Zeit monatlich S 6.000,-) als Richtschnur für die Beurteilung, ob Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, dienen (ÖA 1991, 78; 1 Ob 521/91 ua). Da die Selbsterhaltungsfähigkeit des Minderjährigen ganz allgemein nur dann angenommen werden darf, wenn er zur Bestreitung seiner angemessenen Bedürfnisse außerhalb des elterlichen Haushaltes imstande wäre, dürfen weder die weiterlaufenden Unterhaltsleistungen des einen Elternteils in Gestalt der häuslichen Betreuung noch darf sonst eine Teilung der fixen Haushaltskosten vorausgesetzt werden, um sodann zugunsten des Geldunterhaltspflichtigen Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes anzunehmen: Für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit muß es belanglos sein, ob das Kind im Familienverband lebt oder nicht (1 Ob 521/91; Schlemmer/Schwimann aaO Rz 111). Soweit die Entscheidung 8 Ob 650/90 von diesen Grundsätzen abweicht, kann ihr nicht beigetreten werden.

Die in § 140 Abs.1 und 2 ABGB bezeichneten Unterhaltsbeiträge der Eltern sind einander grundsätzlich gleichwertig. Schon deshalb darf die auf eigenes Einkommen des Kindes zurückzuführende Unterhaltsanspruchsminderung im Sinne des § 140 Abs.3 ABGB nicht allein dem Geldunterhaltspflichtigen, sondern muß auch dem betreuenden Elternteil unabhängig davon zugute kommen, ob dieser von seinem Kind aus dessen Eigeneinkommen einen finanziellen Beitrag für die Betreuung fordert oder erhält (EvBl.1991/177 ua). Demgemäß erweist sich die vom Rekursgericht angestellte Berechnung der zur Selbsterhaltungsfähigkeit der Minderjährigen fehlenden Beträge als richtig. Auch dessen Ansicht, daß der Vater für einen gewissen Nachholbedarf aufzukommen habe, kann beigetreten werden.

Dem Revisionsrekurs ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

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