OGH 1Ob612/77

OGH1Ob612/7714.9.1977

SZ 50/120

 

 

Spruch:

Der Ersteher einer zwangsversteigerten Liegenschaft übernimmt nur die nach den Versteigerungsbedingungen zu übernehmenden Lasten, nicht aber nicht verbücherte, gegen den Verpflichteten ersessene Dienstbarkeitsverpflichtungen

 

OGH 14. September 1977, 1 Ob 612, 613/77 (LG Linz 14 R 88/76; BG Neufelden C 33/76)

 

Begründung:

Mit seiner Klage begehrt der Kläger G gegenüber den Beklagten H, ihm und allen künftigen Eigentümern der Liegenschaft EZ 1 KG H als dem herrschenden Gut stehe die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes gegenüber den jeweiligen Eigentümern der Grundstücke 2398/2, 2396/2, 2398/1, 2399/1, 153 der KG A, welche derzeit zum Gutsbestand der EZ 392 gehören, als den dienenden Grundstücken in der Weise zu, daß auf diesen Grundstücken auf dem in der Natur gut angelegten offenkundigen Weg zu jeder Jahreszeit gegangen und gefahren werden darf.

Der Kläger brachte hiezu vor, daß sich zwischen seinem Anwesen und dem Anwesen der Beklagten ein in der Natur jedenfalls vor 30 Jahren errichteter Weg - im folgenden "Verbindungsweg" genannt - befinde, der von ihm und seinen Rechtsvorgängern als Geh- und Fahrweg benützt worden sei; in diesem Umfang sei eine Dienstbarkeit ersessen worden, welche auch das Recht des Reitens und Fahrens in sich schließe. Diese Dienstbarkeit beziehe sich auch auf den vom "Hof der Beklagten" wegführenden Weg zur Falkensteiner-Landstraße - im folgenden "Anschlußweg" - genannt.

Die Beklagten wendeten ein, sie hätten ihren Bauernhof samt umliegenden Gründen originär durch Zuschlag erworben. Eine allenfalls bestehende aber nicht verbücherte Dienstbarkeit eines Geh- und Fahrrechtes hätten die Beklagten mangels Anführung in den Versteigerungsbedingungen nicht übernehmen müssen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte auf Grund des abgeführten Beweisverfahrens fest, daß der Kläger seinen Hof im Jahre 1976 kaufte, während die Beklagten ihren Hof durch Zuschlag im Jahre 1970 erwarben. Verbücherte Dienstbarkeiten zugunsten des Rechtsvorgängers des Klägers bestanden auf den streitgegenständlichen Wegen seit Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens nicht. Der Erstbeklagte hat aber auf Grund seiner auf 15jähriger Erfahrung beruhenden Ortskenntnis von der Existenz des "Verbindungsweges" gewußt und bei der Besichtigung der Liegenschaft im Zuge des Zwangsversteigerungsverfahrens den "Verbindungsweg" als Zufahrtsweg benützt. Die Zweitbeklagte hat sich hinsichtlich des Gründerwerbes voll auf den Erstbeklagten verlassen und war bei der Besichtigung des Hofes samt Gründen zugegen. Der "Verbindungsweg" ist in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts von den Rechtsvorgängern der Streitteile in erster Linie zu dem Zwecke errichtet worden, die Milchprodukte von beiden Höfen täglich ohne Umweg vom "Rahmfuhrmann" mit einem Pferdefuhrwerk abholen zu lassen. Der Weg weist eine durchschnittliche Breite von 2 m auf, er kann derzeit auch von schweren Lastkraftwagen befahren werden und wurde in letzter Zeit in kurzfristigem Einverständnis der Streitteile von solchen Fahrzeugen mehrmals benützt. Der Weg dient auch als Postzustellweg, wobei der Postbote mit einem Motorrad fährt. An den "Verbindungsweg" schließt der "Anschlußweg" zur Falkenstein-Landesstraße an. Er weist eine ähnliche Beschaffenheit wie der "Verbindungsweg" auf. Der Rechtsvorgänger des Klägers und seine Leute benützten den "Verbindungsweg" und in dessen Fortsetzung den "Anschlußweg" gelegentlich, insbesondere um Holzprodukte aus dem im Tal der kleinen Mühl gelegenen Sägewerk zum Hof zu schaffen und auch zur Holzeinbringung zu diesem Sägewerk. Zudem benützte er den "Verbindungsweg" auch zur Überstellung der Dreschmaschine und im Winter zum Ausführen der Pferde, wobei er diese vor einen landwirtschaftlichen Schlitten spannte. Die Benützung des "Verbindungsweges" samt "Anschlußweg" mit landwirtschaftlichen Fuhren erfolgte etwa zehnmal im Jahr.

In rechtlicher Hinsicht schloß sich das Erstgericht unter Ablehnung der von Heller-Berger-Stix in dem Kommentar zur Exekutionsordnung vertretenen Auffassung, der in der Entscheidung GlUNF 7483 zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht an, daß auch im Falle einer Zwangsversteigerung die Bestimmung des § 1500 ABGB zum Tragen käme, woraus abzuleiten sei, daß der Erwerber einer Liegenschaft die Ausübung einer (nicht verbücherten) Dienstbarkeit weiterhin dulden müsse, wenn er sie beim Erwerb der Liegenschaft bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen können. Dem Erstbeklagten wäre die Nichtkenntnis dieser Tatsache als grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, zumal er ob seiner 15 Jahre zurückreichenden Ortskenntnis und anläßlich der Begehung des Weges im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens die Funktion des Verbindungsweges hätte erkennen müssen. Die Zweitbeklagte hingegen habe sich voll auf das Votum ihres Gatten verlassen und müsse daher dessen rechtliche Auswirkungen zur Kenntnis nehmen.

Da die Ersitzungszeit von 30 Jahren unzweifelhaft schon vor Zuschlagserteilung abgelaufen sei, könne sich der Kläger auf die Ersitzung der Servitut des Geh- und Fahrrechtes im Umfang des § 492 ABGB hinsichtlich des "Verbindungsweges" und des "Anschlußweges" berufen. Das Berufungsgericht wies in Stattgebung der Berufung der Beklagten das Klagebegehren ab. Es schloß sich - im Gegensatz zur Auffassung des Erstgerichtes und unter Ablehnung der Entscheidung GlUNF 7483 - der von Heller-Berger-Stix, Komm. zur Exekutionsordnung II, 1306, wiedergegebenen Ansicht an, wonach nicht verbücherte Dienstbarkeiten gegenüber dem Ersteher wirkungslos seien, wenn sie nicht bis zur Versteigerung gegenüber dem Verpflichteten mit Klage zur Geltendmachung der Dienstbarkeit durchgesetzt und exekutiv oder durch eine freiwillig ausgestellte Erklärung des Verpflichteten verbüchert sind. Nur auf diese Weise könne sich der Berechtigte die im § 150 EO vorgesehenen Rechte erhalten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revisionswerber vertritt in rechtlicher Hinsicht die Auffassung des Erstgerichtes, daß mangels einer einschlägigen exekutionsrechtlichen Bestimmung betreffend die Behandlung nicht verbücherter Dienstbarkeiten im Zwangsversteigerungsverfahren die Regel des § 1500 ABGB eingreife.

Dieser Ansicht vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend unter Hinweis auf die bei Ehrenzweig 2 I/2, 220 in Anm. 8 zitierte Entscheidung des OGH vom 1. Oktober 1918, Rv VI 104/18, und auf die bei Klang 2 II, 373 in Anm. 14 zitierte Entscheidung des OG Brünn vom 25. Feber 1937, BrJZ 2774, zum Ausdruck gebracht hat, ist die in der Entscheidung GlUNF 7483 vertretene Ansicht - auf die sich das Erstgericht und der Revisionswerber zur Stützung ihres Rechtsstandpunktes berufen - in der Rechtsprechung nicht unwidersprochen geblieben. Der OGH folgt - ebenso wie das Berufungsgericht - der in Heller-Berger-Stix, Komm. zur EO II, 1306 zum Ausdruck gebrachten Meinung, wonach beim Erwerb einer Liegenschaft im Wege der Zwangsversteigerung nicht verbücherte Dienstbarkeiten gegenüber dem Ersteher wirkungslos bleiben, wenn sie nicht bis zur Versteigerung gegen den Verpflichteten mit der Klage zur Geltendmachung der Dienstbarkeit durchgesetzt und exekutiv oder durch eine freiwillig ausgestellte Erklärung des Verpflichteten verbüchert wurden. Nur auf diese Weise kann sich der Berechtigte die im § 150 EO vorgesehenen Rechte erhalten. Der Ersteher übernimmt nicht das belastete Eigentum des Verpflichteten, sondern nur die ihm in den Versteigerungsbedingungen auferlegten Lasten.

Zutreffend verweisen die oben genannten Autoren darauf, daß sich die Berechtigung dieser Anschauung daraus ergebe, daß im anderen Fall nicht verbücherte Privatrechte an der Liegenschaft besser gestellt wären als verbücherte, die nur berücksichtigt werden, wenn sie entweder dem betreibenden Gläubiger und den Hypothekargläubigern im Rang vorgehen und vom Ersteher zu übernehmen sind oder wenn sie vermöge ihres bücherlichen Ranges im Meistbot ihre Deckung finden, während die nicht verbücherten in dem gesetzten Fall unter allen Umständen aufrecht blieben. Auch würde dies den Bestimmungen der §§ 146 Z. 5, 150, 152 EO und dem Inhalt der Versteigerungsbedingungen widersprechen, da der Ersteher nur die in den Bedingungen bezeichneten Dienstbarkeiten und Lasten ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen hat. Mit Recht verweist das Berufungsgericht auch darauf, daß jeder auf der zu versteigernden Liegenschaft haftenden Dienstbarkeit ein bestimmter Wert zukommt, der im Zuge des Schätzungsverfahrens zu ermitteln ist und der auf den Schätzwert der Liegenschaft Einfluß nimmt. Es sei in diesem Zusammenhang auch auf die in jüngster Zeit ergangene Entscheidung des OGH vom 28. April 1977, 7 Ob 563/1977 (in diesem Band veröffentlicht unter Nr. ), verwiesen, in der ebenfalls ausgesprochen wurde, daß die Versteigerungsbedingungen allein dafür maßgebend sind, welche Lasten der Ersteher zu übernehmen hat. Die Absicht des Gesetzgebers gehe dahin, daß der Ersteher die Liegenschaft frei von allen Lasten übernimmt, ausgenommen von jenen, die er nach den Bedingungen zu übernehmen hat.

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