Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.629,89 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.938,32 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger betreibt ein Bauunternehmen. Er ist Eigentümer eines Schnellmontage-Universaldrehkranes, Fabrikat Potain, Type 340 A, Fabrikationsnummer 44.853, Baujahr 1976, mit 40 m Ausladung und Katzfahrwerk. Der Kläger ließ diesen Bauträgerkran durch die Firma T*** Baumaschinenservice Dkfm.S*** & Co. Klagenfurt von einer Baustelle in St.Veit an der Glan abtragen und auf der Baustelle der G*** W*** in Viktring
aufstellen. Über Auftrag des Klägers hatte der Beklagte die erforderliche Überprüfung am Kran vorzunehmen. Die Überprüfung war nach Abschnitt 3 der mit Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung vom 5.Dezember 1984, BGBl. 1985/68, für verbindlich erklärten ÖNORM M 9602 durchzuführen. Punkt 3.1 dieser ÖNORM hat folgenden Wortlaut:
"Sicht- und Funktionsprüfung. Die Sicht- und Funktionsprüfung hat sich auf den ordnungsgemäßen Zustand und Funktion der Tragkonstruktion, der mechanischen, elektrischen, hydraulischen und pneumatischen Teile unter besonderer Berücksichtigung der Sicherheitseinrichtungen, der Tragmittel und der sonstigen Einrichtungen zu erstrecken. Ein Zerlegen von Bauteilen ist nur in Zweifelsfällen durchzuführen......"
Der Beklagte, ein staatlich befugter und beeideter Zivilingenieur für Maschinenbau, führte diese wiederkehrende Prüfung aus Anlaß der Neuaufstellung des Kranes am 17.Oktober und 19.Oktober 1985 durch. Bei dieser Überprüfung stieg er u.a. vom Fuhrkorb auf den Ausleger und ging diesen in seiner gesamten Länge von 40 m ab. Er sah bei jedem einzelnen Auslegerstoß nach, ob die Splinte in den Bolzen umgebogen waren und ob die Bolzenverbindung in Ordnung war. Er kontrollierte die Laufkatze, die Hinterseilbefestigung am Ausleger und die Zugstangenbefestigung am Ausleger. Der Beklagte stellte bei dieser Überprüfung, wie er im Prüfbuch des Kranes bestätigte, keine Mängel fest.
Am 31.Oktober 1985 knickte der Kranausleger während des Transportes eines mit Schotter gefüllten Kübels im Gesamtgewicht von ca. 1000 kg plötzlich. Dieses Knicken ist auf das Lösen einer der drei Laschenverbindungen zwischen dem 3. und 4.Auslegerelement zurückzuführen. Die Laschenverbindung erfolgt durch einen Bundbolzen mit einem Durchmesser von 30 mm und einer Länge von 130 mm mit Anschlagbund und Anstecksplint. Der Bund hat im Neuzustand eine Erhebung von 3 mm und eine Breite von 5 mm. Der Bund umfaßt allerdings nicht die gesamte Rundung des Kegelstumpfes. Der Bolzen weist an dieser Stelle eine Abfräsung (Ausnehmung) von 6 mm Breite und 7 mm Tiefe auf, die bei richtiger Montage des Bolzens nach oben gerichtet ist. Der Bundbolzen der sich gelöst hatte, wies einen total verdrückten Bund auf. Die Höhe des Bundes betrug statt 3 mm nur mehr 1 mm. Dadurch wanderte der Bund nach der mit dem Splint abgesicherten Seite aus. Das Abquetschen des Bolzens geschah nicht plötzlich. Die Beschädigung ist auf Berührungen mit dem Laufrad zurückzuführen.
Der Kläger begehrt den Zuspruch des Betrages von
S 615.583,-- samt Anhang an Reparaturkosten, Verdienstentgang und Mehraufwand. Der Beklagte habe die Überprüfung des Kranes, die sich auf dessen Betriebssicherheit und auf die Tragkonstruktion zu beziehen hatte, nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Er wäre verpflichtet gewesen, Bolzen und Bund zu überprüfen. Den Zustand des Bolzens (die Beschädigung des Bundes) hätte er erkennen müssen. Er habe es aber unterlassen, den Bolzen auf seinen ordnungsgemäßen Zustand und Sitz zu überprüfen, obwohl ihm eine solche Überprüfung zumutbar gewesen wäre.
Der Beklagte wendete ein, er habe die ihm aufgetragene Überprüfung gemäß den Vorschriften der ÖNORM M 9602 Punkt 3 ordnungsgemäß durchgeführt. Alle Bolzen und Schraubenverbindungen seien gesichert gewesen; der Zustand der Bolzenverbindung hätte von ihm nur bei Zerlegung der Auslegerverbindung festgestellt werden können. Ein Zweifel an der Betriebssicherheit des Bundes hätte für ihn nicht bestanden; ein derartiger Fehler eines Bundes sei ihm während seiner langjährigen Prüfungstätigkeit noch nie untergekommen. Bolzenverbindungen im Stahlbau seien nicht beweglich, sie könnten daher am aufgestellten Kran nicht überprüft werden, weil sie durch das Auslegergewicht stark belastet seien. Bei einer auch noch so gewissenhaften Sichtprüfung am aufgestellten Kran sei der Fehler nicht erkennbar gewesen. Der Beklagte habe bei seiner Prüfungstätigkeit den Sorgfaltsmaßstab, der von ihm habe erwartet werden können, eingehalten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest: Bei der wiederkehrenden Prüfung sei die Überprüfung des Auslegers am aufgestellten Kran vorzunehmen. Bei dieser Sichtprüfung werde geprüft, ob der Bolzen mit seinem Bund über die Außenkante des Untergurtes vorstehe. Dabei könne man nur feststellen, daß die Bolzen über die Außenkante des Untergurtes vorstehen. Ob es sich bei dem über die Außenkante des Untergurtes vorstehenden Teil um den Bund oder um einen verquetschten Bolzen handle, könne man bei der Sichtprüfung von oben nicht erkennen. Wenn man bei der Sichtprüfung feststelle, daß der Bolzen über die Außenkante des Untergurtes vorstehe, könne man aber annehmen, daß am Bolzen der Bund vorhanden sei und daher Sicherheit bestehe. Im Normalzustand sei zwischen der Außenkante des Untergurtes und dem Bund des Bolzens kein Zwischenraum; deshalb könne man, wenn der Bolzen über die Außenkante vorstehe, nicht erkennen, ob es sich bei dem vorstehenden Stück um den Bund oder um einen allenfalls verquetschten Bolzen handle. Für den Beklagten habe sich bei der von ihm durchgeführten Sichtprüfung kein Zweifelsfall ergeben, der einen Anlaß für die Durchführung einer Zerlegung des Bauteiles im Sinne der ÖNORM gegeben hätte. Die vom Beklagten vorgenommene Sichtprüfung entspreche den Vorschriften der ÖNORM über die wiederkehrende Prüfung; der Beklagte habe auf Grund der Sicht von oben bzw. von oben seitlich die erforderlichen Rückschlüsse ziehen können, daß keine Fehler vorhanden seien. Die Bestimmungen der ÖNORM schrieben nicht vor, daß die Sichtprüfung am abgesenkten Ausleger vorgenommen werden müsse. Eine Beschädigung des Bundes komme in der Praxis kaum vor. Der Beklagte habe daher bei der Durchführung der wiederkehrenden Prüfung mit dem Vorhandensein einer solchen Beschädigung nicht rechnen müssen. Da der Beklagte bei der Sichtprüfung aber habe sehen können, daß der Verbindungsbolzen über die Außenkante des Unterbundes vorstehe, habe er erfahrungsgemäß annehmen können, daß der Bund des Bolzens funktionsfähig sei und die Sicherung gegen das Ausweichen des Bolzens nach innen vorhanden sei. Der Beklagte habe die wiederkehrende Prüfung entsprechend dem Stand des Fachwissens seines Fachgebietes und den Bestimmungen der ÖNORM durchgeführt. Er hafte somit weder nach § 1299 noch nach § 1311 ABGB für den Schaden.
Das Berufungsgericht hob im ersten Rechtsgang das Urteil des Erstgerichtes nach teilweiser Beweiswiederholung unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Dieser Beschluß des Berufungsgerichtes wurde über Rekurs des Beklagten vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 9.November 1988, 1 Ob 658/88, aufgehoben. Dem Berufungsgericht wurde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Das Verfahren sei mangelhaft geblieben. Es habe festgestellt, der Beklagte habe bei der Sichtprüfung erkennen können, daß bei dem später den Unfall verursachenden Bolzen der Bund nicht mehr vorhanden gewesen sei. Der Bund sei völlig abgeschert gewesen, ein Bundbolzen könne von einem abgeflachten Bolzen bei der Sichtprüfung jedenfalls unterschieden werden. Grundlage dieser Feststellungen konnten nur die ergänzenden Ausführungen des vom Berufungsgericht beigezogenen Sachverständigen in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 23.März 1988 sein. Diese Ausführungen können aber auch dahin verstanden werden, daß die lediglich beim Bundbolzen vorhandene Ausnehmung bei der Sichtprüfung nur dann erkennbar war, wenn diese nach oben zeigte, der schadhafte Bolzen aber, sei es bei der zu überprüfenden, sei es bei einer früheren Aufstellung, verkehrt eingesetzt gewesen und die für einen Bundbolzen charakteristische Ausnehmung nicht erkennbar gewesen wäre; verdreht müßte der Bolzen aber jedenfalls gewesen sein, weil nur dadurch seine Beschädigung erfolgt sein könnte. Das Berufungsgericht, das davon ausging, die Ausnehmung und damit die Schadhaftigkeit des Bolzens wäre für den Beklagten jedenfalls zu erkennen gewesen, zog somit seinen Schluß auf aktenwidriger, jedenfalls aber mißverständlicher und damit aufklärungsbedürftiger Grundlage. Hätte der Beklagte aber, wie es der Rekurs nun behauptet, bei der ihm obliegenden Überprüfung die Beschädigung des Bolzens nicht sehen müssen, müßte die vom Berufungsgericht angenommene Haftung des Beklagten entfallen. Da das Gutachten des vom Berufungsgericht bestellten Sachverständigen zumindest undeutlich war, wäre eine nähere Erörterung zur Klarstellung, wie der Rekurs mit Recht geltend macht, notwendig gewesen. Dies muß besonders in einem Fall gelten, in dem ein Sachverständiger zunächst den Standpunkt des Beklagten geteilt hatte und auch der zweite zumindest zunächst gleicher Meinung gewesen ist. In einem solchen Fall muß mit aller Deutlichkeit klargestellt werden, ob der zweite Sachverständige von der Auffassung des ersten (und von seiner eigenen ursprünglichen) abweicht und warum.
Nach Ergänzung des eingeholten Sachverständigengutachtens gab das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang der Berufung des Klägers nicht Folge. Es stellte zur Frage der Erkennbarkeit der Schadhaftigkeit des Bolzens fest, der waagrecht und nicht senkrecht eingebaute Bolzen weise mit dem Bolzenbund nach außen und mit dem Splint nach innen. Im waagrecht eingebauten Bolzen stehe die Splintachse senkrecht. Beim Begehen des aufgebauten Kranarmes könne man dessen Außenseite sehen und dabei den Bund des Bolzens in einer Stärke von etwa 5 bis 6 mm wahrnehmen. Die Ausnehmung an der Bundseite des Bolzens könne bei der Beobachtung von oben nur dann gesehen werden, wenn der Bolzen so gedreht sei, daß die Ausnehmung nach oben zeige. Wenn der waagrecht eingebaute Bolzen so gedreht sei, daß die Ausnehmung nach unten zeige, könne die Ausnehmung beim Begehen des Kranarmes von oben nicht gesehen werden. Habe die Ausnehmung am Bolzenbund bei der Besichtigung nicht gesehen werden können, dann habe der schadhafte Bolzen auch nicht als schadhafter abgeflachter Bolzen angesehen werden können. Bei einem abgeflachten Bolzen zeige die Abflachung (Sicherungskante) nach unten und könne beim Begehen von oben als solche nicht erkannt werden. Dem beigezogenen Sachverständigen sei es noch nicht untergekommen, daß ein Bolzenbund so wie hier deformiert worden sei. Er habe auch in der Fachliteratur über einen solchen Fall nichts gelesen. Durch die ergänzende Einvernahme des Sachverständigen habe klargestellt werden können, daß der Bolzen waagrecht und nicht senkrecht eingebaut gewesen sei. Bei dieser Lage müsse aber die charakteristische Ausnehmung am Bundbolzen für einen auf dem Kranarm gehenden Beobachter nicht sichtbar sein. Das Beweisverfahren habe zum Ergebnis geführt, daß der Beklagte die Beschädigung des Bolzens auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht habe sehen müssen. Wenn aber der Beklagte bei der ihm obliegenden Überprüfung die Beschädigung des Bolzens nicht habe sehen müssen, entfalle auch seine Haftung für den eingetretenen Schaden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte (§ 510 Abs 3 ZPO) nicht vor. Auch die Rechtsrüge versagt.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem Beschluß vom 9. November 1988, 1 Ob 658/88, auch für ihn bindend (§ 511 ZPO; ÖBA 1987, 579; ZVR 1986/43; RZ 1977/15; JBl 1975, 379 uva) ausgesprochen, daß eine Haftung des Beklagten dann zu entfallen habe, wenn er bei der ihm obliegenden Überprüfung die Beschädigung des Bolzens nicht hätte sehen müssen. Gerade einen solchen Sachverhalt stellte das Berufungsgericht aber fest. Der Kläger übersieht, daß er den Beklagten nicht wegen deliktischer, sondern aus vertraglicher Haftung in Anspruch nimmt. Nach dem Vertrag hatte der Beklagte aber die Sicht- und Funktionsprüfung gemäß der ÖNORM M 9602 Punkt 3.1 durchzuführen. Lag danach, weil ein allenfalls vom Aufsteller des Krans zu vertretender Fehler für den Beklagten gar nicht erkennbar war, kein zweifelhafter Fall vor, war er zur Zerlegung der Bauteile nicht verpflichtet.
Der Revision ist der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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