OGH 1Ob55/99s

OGH1Ob55/99s23.3.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosa Z*****, vertreten durch Dr. Markus Skarics, Rechtsanwalt in Imst, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17 - 19, wegen S 197.206,40 sA, Zahlung einer monatlichen Rente von S 4.015 und Feststellung (Feststellungsinteresse S 10.000), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 22. Dezember 1998, GZ 4 R 319/98p-11, womit der Beschluß des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Oktober 1998, GZ 18 Cg 139/98k-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, daß die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang deren Anfechtung (Punkt I) wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Kostenrekurses selbst zu tragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die weiteren, mit S 3.385,60 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu bezahlen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei die Zahlung eines Betrags von S 197.206,40 sA und eine monatliche Rente von S 4.015 ab Juli 1998 sowie die Feststellung, daß ihr die beklagte Partei für sämtliche Schäden aus einem Unfall vom 11. 7. 1995 zu haften habe.

Im Umfang des Feststellungsbegehrens erhob die beklagte Partei die Einrede der Streitanhängigkeit. Sie habe mit Klage vom 14. 5. 1998 mehreren juristischen Personen und auch der Klägerin gegenüber die Feststellung begehrt, daß sie nicht für Schäden aus dem Unfall vom 11. 7. 1995 hafte.

Die Klägerin hielt der Einrede der beklagten Partei entgegen, daß sie gezwungen gewesen sei, ihre Ansprüche vor Ablauf der Verjährungsfrist mit positiver Feststellungsklage gerichtlich geltend zu machen.

Das Erstgericht wies die Klage in Ansehung des Feststellungsbegehrens wegen Streitanhängigkeit zurück und behielt die Kostenentscheidung der "abschließenden Entscheidung" vor (Punkt I); darüber hinaus unterbrach es das Verfahren im Umfang des Leistungsbegehrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem von der beklagten Partei angestrengten Feststellungsstreit (Punkt II). Es führte aus, die beklagte Partei habe unter anderem auch gegen die Klägerin eine (negative) Feststellungsklage erhoben, mit der sie geltend machte, daß sie der Klägerin nicht für Schäden aus einem Unfall vom 11. 7. 1995 hafte. Dieses Klagebegehren sei mit Urteil vom 8. 7. 1998 in erster Instanz mit der Begründung abgewiesen worden, der beklagten Partei mangle es am rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung, weil die klagende Partei auch ohne Erhebung der negativen Feststellungsklage gezwungen gewesen wäre, "in nächster Zeit" ihr Recht in einem Aktivprozeß zu verfolgen oder Verjährung eintreten zu lassen. Dieses Urteil sei noch nicht rechtskräftig. Streitanhängigkeit sei zu bejahen, weil die Begehren in beiden Verfahren denselben tatsächlichen Vorgang beträfen, somit Identität des Anspruchs gegeben sei, und auch Parteienidentität vorliege. Der materiellrechtliche Aspekt einer allenfalls drohenden Verjährung habe auf das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit keinen Einfluß. Den Kostenvorbehalt stützte das Erstgericht auf die sinngemäße Anwendung des § 52 Abs 2 ZPO.

Das Rekursgericht hob die erstinstanzliche Entscheidung in deren allein angefochtenen Punkt I auf, verwarf die Einrede der Streitanhängigkeit und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auch über das Feststellungsbegehren auf. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteige und daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die beklagte Partei wurde mit ihrem Kostenrekurs auf diese Entscheidung verwiesen. Es verneinte das Vorliegen von Streitanhängigkeit unter Hinweis auf Judikatur des Obersten Gerichtshofs, nach der die actio negatoria und die actio confessoria gegenseitig keine Streitanhängigkeit begründeten. Die Klägerin sei auf die von ihr eingebrachte positive Feststellungsklage angewiesen, um dem Einwand der Verjährung künftiger (vorhersehbarer) Schadenersatzansprüche zu entgehen. Durch die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung sei dem Kostenrekurs der beklagten Partei die Grundlage entzogen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

Die vom Gericht zweiter Instanz ins Treffen geführte Judikatur, nach der im Verhältnis zwischen actio negatoria und actio confessoria mangels Identität der Ansprüche keine Streitanhängigkeit bestehe (SZ 23/225), ist überholt. Der Oberste Gerichtshof hat in SZ 70/261 unter ausdrücklicher Ablehnung dieser Rechtsansicht ausgesprochen, daß actio confessoria und actio negatoria, mit welchen dieselben Parteien dasselbe Rechtsschutzziel mit umgekehrten Vorzeichen anstrebten, zueinander im Verhältnis der Streitanhängigkeit stünden. Ist in zwei anhängigen Rechtsstreiten über denselben Sachverhalt zu entscheiden, weil beide Sachanträge dasselbe Rechtsschutzziel, nur mit umgekehrten Vorzeichen, anstreben, und ist zudem Parteienidentität gegeben, so wäre es widersinnig, die Führung der beiden Verfahren nebeneinander zuzulassen, bei denen das Begehren der zweiten Klage bei völlig identischem Sachverhalt das begriffliche Gegenteil des ersten Begehrens ist, ist doch die Streitanhängigkeit die Vorläuferin der Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) der materiellen Rechtskraft und deckt sich auch in ihren Auswirkungen mit dieser vollständig. So wie das Gesetz den Parteien ein Rechtsschutzbedürfnis für einen neuen Prozeß über einen entschiedenen Anspruch versagt, billigt es ihnen auch kein Rechtsschutzbedürfnis an einem weiteren Prozeß über einen Anspruch zu, der bereits Gegenstand eines Rechtsstreits ist. Die Forderung nach Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie steht im Vordergrund, und diese Kriterien gestatten die allenfalls widersprechende Beantwortung einer in zwei Rechtsstreitigkeiten völlig gleichlautenden Rechtsfrage nicht (SZ 70/261 mwN; MietSlg 46.645). Bei der hier vorliegenden Identität der Parteien und unter Bedachtnahme auf den Umstand, daß zwischen positiver und negativer Feststellungsklage Identität der Ansprüche besteht (Rechberger in Rechberger ZPO Rz 10 zu § 233; derselbe Rz 15 zu § 228; Fasching Lehrbuch2 Rz 1187), begründete somit die von der beklagten Partei eingebrachte negative Feststellungsklage für die später erhobene positive Feststellungsklage der Klägerin Streitanhängigkeit.

Das von der Klägerin ins Treffen geführte Rechtsschutzbedürfnis an der Erhebung einer positiven Feststellungsklage ist schon von vornherein nicht geeignet, das Fehlen einer allgemeinen Prozeßvoraussetzung (keine Streitanhängigkeit) zu vernachlässigen, weil das Rechtsschutzbedürfnis keine allgemeine, sondern nur eine besondere Prozeßvoraussetzung für bestimmte gesetzlich angeordnete Ausnahmsfälle darstellt (Rechberger aaO Rz 7 ff zu vor § 226; Fasching aaO Rz 740; vgl Böhm, Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, in JBl 1974, 1 ff; JBl 1994, 624).

Aber auch das Vorbringen der Klägerin, sie sei wegen drohender Verjährung genötigt, die (positive) Feststellungsklage einzubringen, ist nicht stichhältig, weil - wie noch zu erörtern bleibt - insoweit ihr Rechtsschutzbedürfnis ohnehin gewahrt bleibt:

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre unterbricht eine positive Feststellungsklage die Verjährung, wogegen an das Anbringen und die Zurückweisung (Abweisung) einer negativen Feststellungsklage eine solche Rechtsfolge nicht geknüpft ist (JBl 1979, 257; Klang2 VI 654 f; Ehrenzweig2, System I/1 322; Mader in Schwimann, ABGB2 Rz 13 zu § 1497; vgl auch BGH in VersR 1972, 644). Demnach kann auch ein Anspruch, der sonst mit positiver Feststellungsklage geltend gemacht werden könnte, deshalb der Verjährung verfallen, weil während der Dauer der Anhängigkeit des Rechtsstreits über das negative Feststellungsbegehren der positiven Feststellungsklage des Anspruchswerbers die Streitanhängigkeit entgegenstünde. Der in dieser Lage zweifellos rechtsschutzbedürftige Anspruchswerber ist aber - wie das der deutsche Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung 1972, 644 (arg. "beachtliche Gründe") anklingen ließ - dennoch auf die (rechtzeitige) Anbringung einer positiven Feststellungsklage nicht angewiesen, und der sonst drohenden Verjährung seiner Ansprüche zu begegnen, weil sein Rechtsschutz anderwärtig gewährleistet ist. Wie das Rekursgericht in seiner Alternativbegründung zutreffend ausführte, muß dem Anspruchswerber, dem die Anbringung einer (positiven) Feststellungsklage wegen Streitanhängigkeit verwehrt ist, weil vom Gegner bereits eine (negative) Feststellungsklage anhängig gemacht wurde, gegen eine allenfalls erhobene Verjährungseinrede des Anspruchsgegners die Replik der Arglist zugebilligt werden. Letzterer wird und darf auch nur dann eine Feststellungsklage einbringen, wenn er konkret befürchten muß, daß derjenige, der sich eines Rechtes berühmt, tatsächlich mit Klage gegen ihn vorgehen werde; dann aber verstieße es gegen die guten Sitten, würde der Gegner, der den Anspruchswerber durch die Anbringung einer negativen Feststellungsklage an der Vermeidung der Verjährung durch die Anhängigmachung eines entsprechenden positiven Begehrens hinderte, die Durchsetzung der sonst berechtigten Ansprüche mit dem Verjährungseinwand durchkreuzen können (zu vergleichbarer Lage JBl 1990, 469; Schubert in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 1501). Auch das auf Seite der Klägerin an sich zu bejahende Rechtsschutzbedürfnis kann somit nicht als Grund dafür ins Treffen geführt werden, daß der allgemeinen Prozeßvoraussetzung der fehlenden Streitanhängigkeit ausnahmsweise keine Beachtung zu schenken wäre.

In Stattgebung des Revisionsrekurses ist demnach Punkt I der erstinstanzlichen Entscheidung wiederherzustellen.

Deshalb ist nun auch der Kostenrekurs der beklagten Partei gegen die Entscheidung des Erstgerichts zu erledigen; dieser ist aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei übersieht, daß die Klägerin mehrere Begehren erhoben hat und nur eines davon endgültig erledigt wurde. Der in Analogie zu § 52 Abs 2 ZPO ausgesprochene Kostenvorbehalt des Erstgerichts erweist sich daher als richtig. Wenngleich in der Tagsatzung vom 19. 10. 1998 (auch) abgesondert über die Einrede der Streitanhängigkeit verhandelt wurde, so hat dennoch auch ausdrücklich eine Verhandlung in der Hauptsache über das Leistungsbegehren stattgefunden (S. 2 des Protokolls vom 19. 10. 1998). Die Kosten dieser Tagsatzung betrafen somit nicht nur den Zwischenstreit über die Einrede der Streitanhängigkeit.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 und 52 ZPO. Die Rechtsmittelschriftsätze betrafen nur den Zwischenstreit über die Einrede der Streitanhängigkeit, so daß insoweit ein endgültiger Kostenausspruch erfolgen konnte.

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