European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00514.920.0115.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.929,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 2.154,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei nahm mit Vertrag vom 15. Dezember 1983 von der durch das Bundesstrombauamt vertretenen Donauhochwasserschutz-Konkurrenz eine Teilfläche der Grundstücke 4270/3 der EZ ***** und ***** der EZ ***** KG K***** im Ausmaß von 5.819 m2 auf unbestimmte Zeit zum Zwecke der Errichtung und des Betriebes eines Gebäudes samt erforderlichen Nebeneinrichtungen und Freiflächen in Bestand. Mit dem am 8. Februar 1985 abgeschlossenen Mietvertrag vermietete die klagende Partei der beklagten Partei, einer Gaststättenbetriebsgesellschaft, die in angeschlossenen Plänen näher bezeichneten Räumlichkeiten des von der Vermieterin (am gemieteten Grundstück) zu errichtenden Objekts im Ausmaß von 531 m2 Rohbaumaß zum Zwecke der Ausübung des Gastgewerbes. Das Mietverhältnis sollte mit der Fertigstellung des Objektes, frühestens am 15. Oktober 1984 beginnen. Im Hinblick auf die Investitionen der Mieterin verzichtete die Vermieterin darauf, das Bestandverhältnis, das auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurde, vor Ablauf von 50 Jahren aus anderen Gründen als den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 Z 1 und 3 MRG bzw des § 1118 ABGB zur Auflösung zu bringen. Der monatliche Mietzins wurde mit S 15.000,-- zuzüglich Umsatzsteuer (wertgesichert) vereinbart. Gemäß Punkt 4 des Vertrages hat die Mieterin „lediglich die auf das von ihr gemietete Objekt entfallenden Kosten für Strom, Wasser, Heizung und Telefon zu tragen“. Die Mieterin verpflichtete sich zur Leistung eines Baukostenbeitrages von S 10.000,-- zuzüglich Umsatzsteuer je m2 übernommener Fläche. Sollte das Bestandverhältnis vor Ablauf von 50 Jahren zur Auflösung gebracht werden, verpflichtete sich die Vermieterin, der Mieterin den Baukostenzuschuss zurückzuerstatten, wobei jedoch für jedes angefangene Jahr der Benützungsdauer ein Abzug von 1/50 vorzunehmen ist. die Mieterin verpflichtete sich, das Lokal zu den Betriebsstunden des Unternehmens der Vermieterin geöffnet zu halten, Vormittag jedoch erst ab 10 Uhr früh, soweit nicht eine gesetzliche Regelung entgegensteht. Umgekehrt verpflichtete sich die Vermieterin, ihren Betrieb ganzjährig zu den zulässigen Öffnungszeiten zu betreiben.
Die klagende Partei kündigte der beklagten Partei den Bestandvertrag für den 31. Dezember 1990 gerichtlich auf. Seit Abschluss des Bestandvertrages seien die vertragsgemäß von der klagenden Partei zu tragenden Betriebskosten in derart unvorhergesehener Weise angewachsen, dass der von der beklagten Partei zu bezahlende Bestandzins nicht einmal die anteiligen Betriebskosten decke. Der Vermieterin verblieben keine Beträge zur Durchführung von Erhaltungs-, Instandhaltungs- und Verbesserungsarbeiten bzw zur anteiligen Zahlung des von ihr zu bezahlenden Bestandzinses. Die jährlichen Abgänge gefährdeten die wirtschaftliche Existenz der Vermieterin. Dies zwinge sie zur Kündigung des Bestandvertrages.
Die beklagte Partei beantragte die Aufhebung der Aufkündigung. Die Kündigung sei auf Grund des vereinbarten Kündigungsverzichts nicht zulässig. Eine Änderungskündigung widerspreche dem System des Mietrechtsgesetzes. Der Entwurf zum Mietvertrag stamme von der klagenden Partei, diese sei Kaufmann und habe sich über die Bedeutung der Vertragsbestimmung (über die Tragung der Betriebskosten) im klaren sein müssen. Die beklagte Partei habe darüber hinaus einen Baukostenzuschuss von insgesamt 5,5 Mio S geleistet. Damit habe sie das zu errichtende Objekt selbst finanziert. Es gehe nicht an, auf der Grundlage eines zu leistenden Baukostenbeitrages einen Vertrag auf die Dauer von 50 Jahren zu schließen und sodann den Versuch zu unternehmen, den Vertrag im Wege einer Änderungskündigung zum Nachteil des Mieters zu verändern.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf. In rechtlicher Hinsicht verwies es auf den festgestellten Kündigungsverzicht für die Dauer von 50 Jahren. Es seien keine Umstände eingetreten, die als Wegfall der Geschäftsgrundlage zu werten seien. Die Kosten, die von der Klägerin als unerwartet hoch bezeichnet würden, hätten bei kaufmännischer Sorgfalt durchaus beachtet und dem Mietvertrag zugrunde gelegt werden müssen. Eine Fehlkalkulation, die von der beklagten Partei nicht veranlasst worden sei, berechtige nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht zur Auflösung des Vertrages.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung keine Folge. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Eine vorzeitige Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigen Gründen sei zwar grundsätzlich möglich, dieser Grundsatz gelte uneingeschränkt aber nur für Dauerschuldverhältnisse, die das Gesetz nicht regle, oder für solche, die es zwar regle, über deren vorzeitige Auflösung es aber nichts bestimme. Für den Bestandvertrag seien die Bestimmungen über die vorzeitige Auflösung in § 1118 ABGB vorgesehen, der eine erschöpfende Aufzählung der Auflösungsgründe enthalte. Die Auflösungsmöglichkeit im Rahmen des Kündigungsverfahrens sei ausschließlich nach den für Bestandverträge geltenden Bestimmungen zu beurteilen. Das vorliegende Bestandverhältnis unterliege den Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes, zumal die klagende Partei einen Ausnahmetatbestand nicht behauptet habe. Selbst wenn von ihrer Behauptung auszugehen wäre, wonach das Bestandobjekt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel im Jahre 1985 neu errichtet wurde (Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG), seien jedenfalls die Kündigungsbestimmungen des Mietrechtsgesetzes auf den Bestandvertrag vollinhaltlich anwendbar. Die von der Klägerin angestrebte Änderungskündigung sei im Geltungsbereich des Mietrechtsgesetzes nicht mehr durchsetzbar, weil der Kündigungstatbestand des § 19 Abs 2 Z 15 MG vom Mietrechtsgesetz nicht übernommen worden sei. Die von der Klägerin behauptete Existenzgefährdung könne jedoch als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne der Generalklausel des § 30 Abs 1 MRG verstanden werden. Selbst bei vereinbarter Unkündbarkeit sei die Aufkündigung des Bestandvertrages für zulässig erkannt worden, und zwar insbesondere in den Fällen des § 1118 ABGB. Die Judikatur habe dabei aber immer betont, dass die Kündigung trotz vereinbarten Kündigungsverzichts nur zulässig sei, wenn dem Bestandgeber aus gewichtigen, in der Person des Bestandnehmers gelegenen Gründen eine Fortsetzung des Bestandverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Die Vereinbarung eines Pauschalmietzinses, der sich bereits nach kurzer Zeit als nicht kostendeckend erweise, sei ausschließlich auf eine Fehlkalkulation des Vermieters zurückzuführen. Dies rechtfertige nicht die Aufkündigung des Bestandverhältnisses unter Missachtung des vereinbarten Kündigungsverzichts.
Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision kommt Berechtigung nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Da Vertragsgegenstand nicht die Inbestandgabe eines lebenden Unternehmens, also einer organisierten Erwerbsgelegenheit war, sondern nur ein für den Unternehmenszweck noch gar nicht eingerichteter Raum, ist der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Vertrag als bloße Raummiete zu qualifizieren, dies ungeachtet der vereinbarten Betriebspflicht (MietSlg. 39.100, 32.162/23, 28.121 ua). Die Anwendung der Kündigungsbestimmungen des Mietrechtsgesetzes auf diesen Vertrag, wie dies vom Berufungsgericht zutreffend angenommen wurde, wird von den Streitteilen nicht in Zweifel gezogen. Die Rechtsprechung anerkennt aber, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannte, die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Bestandgebers als wichtigen Kündigungsgrund iSd § 30 Abs 1 MRG (MietSlg 39.414/38, 37.400, 32.329 ua; Würth in Rummel, ABGB, Rz 8 zu § 30 MRG). Im vorliegenden Fall ist freilich auf den von den Streitteilen vereinbarten Kündigungsverzicht Bedacht zu nehmen. Ein solcher (weitgehender) Kündigungsverzicht auch nur auf einer Seite ist auf bestimmte oder bestimmbare Zeit zulässig (Würth aaO Rz 7 zu § 1116 ABGB; JBl 1956, 405), seine Sittenwidrigkeit (§ 879 Abs 1 ABGB) wurde im Übrigen auch nicht geltend gemacht. Die klagende Partei führt in der Revision aus, dass sie durch die notwendig gewordene Aufstellung zusätzlicher Müllsammelgefäße mit zusätzlichen Müllabfuhrgebühren in der Höhe von S 150.000,-- bis S 200.000,-- jährlich belastet werde. Damit würden allein die auf das Objekt der beklagten Partei entfallenden Müllgebühren die Höhe des vereinbarten Pauschalzinses erreichen. Von der klagenden Partei sei ein jährlicher Bestandzins von S 600.000,-- an den Liegenschaftseigentümer zu entrichten. Rechne man Betriebskosten, Erhaltungs- und Instandsetzungsaufwand hinzu, decke der Bestandzins bei weitem nicht mehr die eigenen Aufwendungen für die Bestandsache. Ein solcher Bestandvertrag sei für den Bestandgeber auf die Dauer ruinös, seine Aufrechterhaltung könne ihm nicht zugemutet werden. Die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Bestandgebers rechtfertige die Auflösung des Bestandvertrages. Andererseits führt die beklagte Partei ins Treffen, der Vertrag sei zwischen Vollkaufleuten abgeschlossen worden, der Vertragsentwurf sei vom Rechtsfreund der klagenden Partei ausgearbeitet worden. Es gehe nicht an, nach relativ kurzer Vertragsdauer den Vertrag wegen der den Bestandgeber treffenden Belastungen entgegen dem vertraglichen Kündigungsverzicht aufzukündigen und auf diese Weise zu einer Korrektur der für den Bestandgeber ungünstigen Vertragsbedingungen und dergestalt zu einer Nachkalkulation des Vertrages zu gelangen.
Bei dieser Interessenlage hat die Beurteilung, ob die Kündigung des Vertrages ungeachtet des vereinbarten Kündigungsverzichts als gerechtfertigt zu erkennen ist, unter Abwägung jener Faktoren zu erfolgen, die aus der Lehre von der Geschäftsgrundlage bekannt und in deren Rahmen relevant sind, nämlich die Voraussehbarkeit des gegen die Vertragsbindung geltend gemachten Umstandes und die Zugehörigkeit dieses Umstandes zur Herrschaftssphäre eines der Kontrahenten (vgl JBl 1956, 405, MietSlg 26.216, 30.355; Würth aaO Rz 7 zu § 1116 ABGB). Je besser für die Kontrahenten beim Vertragsabschluss die jetzt für die Auflösung geltend gemachten Umstände voraussehbar waren und je vollständiger sie allein aus der Sphäre des jetzt auflösungswilligen Teiles stammen, umso mehr spricht dies für die von den Vertragsteilen normierte Stabilität des Vertrages, umso größere Anforderungen sind an die Gewichtigkeit des Auflösungsgrundes zu stellen. Je weniger dies der Fall ist, umso eher wird man für die Auflösung des Vertrages entscheiden können (Franz Bydlinski, Zulässigkeit und Schranken „ewiger“ und extrem langdauernder Vertragsbindungen, Schriftenreihe der NÖ. Jur. Gesellschaft, Heft 58, 15).
Der Umstand einer allfälligen Erhöhung der Kosten der Müllbeseitigung war für die klagende Partei, die der beklagten Partei die Bestandräume zum Betrieb eines gastronomischen Unternehmens überließ, durchaus voraussehbar, zumal schon nach dem Ausmaß der in Bestand gegebenen Räumlichkeiten mit einer großen Besucherzahl und demgemäß mit einem entsprechenden Anfall an Müll zu rechnen war. Die Vertragsklausel, wonach die Bestandnehmerin nur die Kosten für Strom, Wasser, Heizung und Telefon zu tragen hat, findet sich im Übrigen schon im Vertragsentwurf der klagenden Partei selbst. Es musste auch, zumal für die klagende Partei als Kaufmann, voraussehbar sein, dass die Kosten für die Müllbeseitigung vielfach in stärkerem Maße ansteigen als ein (wenn auch wertgesicherter) Bestandzins. Wenn auch das Ansteigen der Kosten der Müllbeseitigung zufolge der Notwendigkeit der Aufstellung zusätzlicher Müllsammelgefäße auf Umstände zurückzuführen ist, die der Sphäre des Mieters entstammen, so war dieser Sachverhalt, wie auch die Tatsache, dass die Kosten der Müllbeseitigung steigende Tendenz aufweisen, für die klagende Partei leicht vorhersehbar, sie hätte daher bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt werden müssen. Unter Bedachtnahme auf diesen Umstand rechtfertigen die von der klagenden Partei ins Treffen geführten Gründe nicht die vorzeitige Auflösung des Bestandvertrages unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Existenzgefährdung.
Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)