OGH 1Ob510/96

OGH1Ob510/9611.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Carina W*****, vertreten durch Dr.Johann Buchner und Mag.Ingeborg Haller, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Michael K*****, vertreten durch Dr.Herbert Pflanzl, Dr.Ägidius Horvatits und Dr.Herbert Pfeifer, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 15,500.000,-- sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichts vom 25.Oktober 1995, GZ 2 R 101/95-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 7.Februar 1995, GZ 2 Cg 141/94-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 14.6.1969 geborene Klägerin ist ein uneheliches Kind des am 22.2.1913 geborenen Wahlvaters des Beklagten (in der Folge Erblasser). Dieser hat sich um seine Tochter nie gekümmert, es bestand nie ein familienähnliches Verhältnis. Der am 17.9.1962 geborene Beklagte wurde vom Erblasser am 16.3.1988 adoptiert. Am 22.5.1990 übergab der Erblasser dem Beklagten all seine Liegenschaften mit Ausnahme einiger wertloser Weggrundstücke, die diesem im Erbweg zufielen. Am 15.11.1992 starb er ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Bei seinem Ableben hatte der Erblasser kein maßgebliches Vermögen mehr, sodaß der Nachlaß zum teilweisen Abschlag der Bestattungskosten dem Beklagten an Zahlungsstatt überlassen wurde.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Zahlung von S 15,500.000,- -. Der Übergabsvertrag vom 22.5.1990 sei als gemischte Schenkung zu betrachten. Bei der Berechnung ihres Erbteils sei der Wert der übergebenen Liegenschaften in einer Höhe von zumindest 62 Mio.S in Anrechnung zu bringen. Sie sei durch den Übergabsvertrag in ihrem Noterbrecht verkürzt worden. Sie habe Anspruch auf ein Viertel des Verkehrswerts der Liegenschaften. Die zwischen dem Beklagten und dessen Wahlvater vereinbarte Gegenleistung, nämlich die Einräumung eines Wohnrechtes, gewisse Pflegeleistungen und die Bezahlung eines monatlichen Taschengelds, stehe in keinem Verhältnis zu der vom Übergeber erbrachten Leistung. Die vom Beklagten behauptete letztwillige Pflichtteilsminderung unterliege den Formvorschriften über die Errichtung einer letztwilligen Verfügung. Diese Formerfordernisse seien nicht erfüllt worden.

Der Beklagte wendete ein, die Klägerin sei nicht Noterbin, sondern Erbin, weil der Erblasser ohne Hinterlassung einer letztwilligen Anordnung verstorben sei. Im Falle der gesetzlichen Erbfolge könne ein Pflichtteilsanspruch nicht erhoben werden. Demnach sei auch das Begehren auf Hinzurechnung von Schenkungen verfehlt. Die Klägerin sei beim Abschluß des Übergabevertrags nicht pflichtteilsberechtigt gewesen; erst durch das Erbrechtsänderungsgesetz (ErbRÄG) 1989 sei sie pflichtteilsberechtigt geworden. Bei Annahme einer Rückwirkung des mit 1.1.1991 in Kraft getretenen ErbRÄG werde in wohlerworbene Rechte des Beklagten eingegriffen, was dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche. Der Erblasser habe den Beklagtenvertreter mit der Ausarbeitung einer letztwilligen Pflichtteilsminderung im Sinne des § 773a ABGB beauftragt. Infolge dessen Erkrankung und Ablebens sei es nicht mehr zur Unterfertigung der bereits vollständig verfaßten letztwilligen Verfügung gekommen. Die Klägerin hätte sohin bestenfalls Anspruch auf ein Achtel des Nachlaßvermögens, wobei sich der Pflichtteilsanspruch infolge Vorhandenseins eines weiteren unehelichen Kindes des Erblassers, das seinen Pflichtteilsanspruch gerichtlich geltend gemacht habe, mindere.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß das Klagebegehren dem Grunde nach im Ausmaß des gesetzlichen Pflichtteils zu Recht bestehe. Anläßlich der Übergabe der Liegenschaften an den Beklagten habe sich der Erblasser am 22.5.1990 zu einem der Beklagtenvertreter bringen lassen und mit diesen in Abwesenheit des Beklagten sämtliche Details der Übergabe erörtert. Dabei sei zur Sprache gekommen, daß er Vater einiger unehelicher Kinder sei. Er sei deshalb von seinem Rechtsbeistand darauf hingewiesen worden, deshalb entsprechende Vorsorge treffen zu müssen, weil aufgrund des vom Nationalrat bereits beschlossenen ErbRÄG den unehelichen Kindern ein Pflichtteilsanspruch zustünde. Der Erblasser habe zunächst nicht einmal die genauen Namen und Anschriften seiner Kinder gewußt. Deshalb sei „die Angelegenheit“ auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Es sei diesbezüglich noch zu mehreren Besprechungen zwischen dem Erblasser und seinem Rechtsbeistand gekommen. Im Frühjahr 1992 habe letzterer einen Testamentsentwurf erstellt. Der Rechtsbeistand habe die Namen und Daten von drei unehelichen Kindern seines Mandanten eruiert und im Testamentsentwurf vorgesehen, daß diese nur die Hälfte des ihnen zustehenden Pflichtteils erhalten sollten. Diese Möglichkeit sei mit dem Erblasser ausführlich erörtert worden. Dieser habe sich aber noch nicht festlegen wollen und die Unterfertigung des Testamentsentwurfs „auf später“ verschoben. Es sei zu keinen weiteren Besprechungen mehr gekommen, weil der Erblasser nicht mehr in die Kanzlei seines Rechtsbeistands gekommen und am 15.11.1992 überraschend verstorben sei. Er sei sich nicht sicher gewesen, ob er die Pflichtteilsminderung tatsächlich anordnen solle, weshalb nicht feststellbar sei, daß er die Einschränkung des Pflichtteilsanspruchs seiner unehelichen Kinder ausdrücklich gewollt habe.

Das ErbRÄG 1989 sei im vorliegenden Fall anzuwenden, weil der Erblasser nach dessen Inkrafttreten (1.1.1991) gestorben sei. Der Auftrag zur Ausarbeitung eines Testamentsentwurfs stelle keine Anordnung im Sinne des § 773a ABGB dar. Der Erblasser sei noch zu keiner Willensentscheidung gekommen, weil er den fertigen Testamentsentwurf nicht unterfertigt habe. Auch ein kraft Gesetzes berufener Erbe könne sich auf sein Pflichtteilsrecht stützen und die Anrechnung von Schenkungen gemäß § 785 ABGB begehren.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision für zulässig. Ob unehelichen Kindern ein Pflichtteilsrecht zustehe, hänge lediglich davon ab, ob der Erblasser vor oder nach dem 1.1.1991 gestorben sei. In letzterem Fall könne das uneheliche Kind seinen Pflichtteilsanspruch durchsetzen, wobei es keinen Unterschied mache, ob der Erblasser die Verkürzung eines Pflichtteilsberechtigten durch vor oder nach dem 1.1.1991 getätigte Schenkungen bewerkstelligt habe. Gesetzliche Rückwirkungsanordnungen seien grundsätzlich zulässig, ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liege nicht vor. Zum Zeitpunkt der Schenkung seien pflichtteilsberechtigte Kinder existent gewesen. Dem Erblasser könne es nicht anheimgestellt sein, das Pflichtteilsrecht durch Verschenken seines gesamten Vermögens zu seinen Lebzeiten zu umgehen. Voraussetzung für eine Pflichtteilsminderung sei eine letztwillige, formgültige Anordnung des Erblassers. Eine solche liege nicht vor. Die allfällige Absicht, eine solche Anordnung zu treffen, könne das Erfordernis eines formgültigen Testaments nicht ersetzen. Auf die Tatsachenrüge des Beklagten müsse nicht eingegangen werden, weil im wesentlichen nur die Feststellung bekämpft werde, der Erblasser habe sich bis zu seinem Tod nicht festgelegt, ob er den Pflichtteil im Sinne des § 773a ABGB mindern wolle.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die vom Beklagten geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Ob unehelichen Kindern ein von den vormals einschränkenden Voraussetzungen des UeKindG 1970 unabhängiges gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht zusteht, hängt nach der unmißverständlichen Bestimmung des Art.III des ErbRÄG 1989 davon ab, ob der Erblasser vor oder nach dem 1.1.1991 gestorben ist. Ist letzteres der Fall, treten mangels gegenteiliger Übergangsbestimmungen alle daraus resultierenden Konsequenzen, wie insbesondere auch die Möglichkeit, den Pflichtteilsanspruch durchzusetzen, ein; dabei kann es entgegen der Ansicht des Revisionswerbers keinen Unterschied machen, ob der Erblasser das nunmehr pflichtteilsberechtigte uneheliche Kind durch eine Schenkung, die vor oder nach dem 1.1.1991 getätigt wurde, oder etwa auch durch vor oder nach dem 1.1.1991 errichtete letztwillige Verfügungen verkürzt hat (SZ 67/50 mwN; vgl. SZ 56/85; 136 BlgNR 14.GP, 17; Koziol-Welser, Grundriß II10 389; Adensamer in ÖA 1991, 6, 9; Welser in FS Kralik (1986) 583, 584 f). Der Verweis des Revisionswerbers auf § 785 Abs.2 ABGB, nach dem u.a. einem Ehegatten das Recht nach § 785 Abs.1 ABGB nur hinsichtlich solcher Schenkungen zusteht, die während seiner Ehe mit dem Erblasser gemacht worden sind, ist nicht zielführend, normiert doch eben diese gesetzliche Bestimmung auch, daß dieses Recht hinsichtlich solcher Schenkungen zusteht, die der Erblasser zu einer Zeit gemacht hat, zu der er ein pflichtteilsberechtigtes Kind (d.h.irgendein pflichtteilsberechtigtes Kind: RV 136 BlgNR 14.GP, 17; SZ 67/50; Liebmann/Wenger in NZ 1991, 28) gehabt hat. Während also § 785 Abs.2 ABGB die Anrechnungsberechtigung des Ehegatten dahin einschränkt, daß er schon bei der Schenkung mit dem Erblasser verheiratet gewesen sein muß, bestimmt das Gesetz für Kinder etwas anderes, nämlich daß die Anrechnung verlangt werden kann, wenn bei der Schenkung irgendein pflichtteilsberechtigtes Kind vorhanden war. Daher können auch Kinder des Erblassers die Anrechnung verlangen, die bei der Schenkung noch gar nicht gelebt haben (Welser aaO 585). Soweit sich der Beklagte als vom Erblasser beschenkte Pflichtteilsberechtigte beschwert, er sei bei einer solchen Beurteilung in seinen „wohlerworbenen Rechten“ beeinträchtigt, ist er darauf hinzuweisen, daß von einer gleichheitswidrigen Anordnung keine Rede sein kann, war es doch gerade Zweck der Regelung, bestehende Ungleichheiten zu beseitigen (so auch SZ 67/50 unter Berufung auf die Materialien des ErbRÄG 1989). Auf die noch im Berufungsverfahren vertretene Ansicht, die Klägerin könne sich als gesetzliche Erbin nicht auf ihr Pflichtteilsrecht stützen, kommt der Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr zurück, vertritt er doch dort die Ansicht, der Übergabsvertrag vom 22.5.1990 sei als letztwillige Anordnung zu betrachten: Danach wäre die Klägerin ohnehin als Pflichtteilsberechtigte anzusehen. Im übrigen ist es herrschende Auffassung, daß sich auch der letztwillig oder kraft Gesetzes berufene Erbe auf sein Pflichtteilsrecht stützen und gemäß §§ 785, 951 ABGB vorgehen kann (EvBl 1972/317; Welser in Rummel, ABGB2, Rz 25 zu § 785; derselbe in FS Kralik, 586). Diese Ansicht liegt im übrigen auch unausgesprochen der mehrfach zitierten Entscheidung SZ 67/50 zugrunde, war doch der Erblasser auch dort ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorben.

Die Meinung des Beklagten, ein Übergabsvertrag komme einer letztwilligen Anordnung gleich, wird nicht geteilt. Als Erklärung des letzten Willens ist gemäß § 552 ABGB nämlich eine solche Anordnung aufzufassen, wodurch ein Erblasser sein Vermögen oder einen Teil desselben einer oder mehreren Personen widerruflich auf den Todesfall überläßt. Davon kann bei einem Übergabsvertrag nicht die Rede sein. Es ist daher zu prüfen, ob die Anordnung einer Pflichtteilsminderung gemäß § 773a ABGB einer bestimmten Form bedarf. Zu dieser Frage kann den Gesetzesmaterialien (JAB, 1158 BlgNR 17.GP, 6 f) entnommen werden, „weitere“ Voraussetzung für eine Pflichtteilsminderung sei eine letztwillige Anordnung des Erblassers; dabei habe der Testamentserbe die Voraussetzungen der Pflichtteilsminderung nachzuweisen, weil es sonst für den Erblasser ein Leichtes wäre, das Pflichtteilsrecht weitgehend zu umgehen. Zemen (Die Pflichtteilsminderung im Parantelensystem, JBl 1992, 220, 228) vertritt dazu die Auffassung, die Anordnung der Pflichtteilsminderung müsse ausdrücklich erfolgen, wogegen Umlauft (Die Pflichtteilsminderung im Lichte des Repräsentationsrechts, JBl 1992, 557, 563) meint, die Pflichtteilsminderung könne in der letztwilligen Verfügung auch stillschweigend angeordnet werden. Welser (Die Erbrechtsreform 1989, NZ 1990, 137, 140, 141) tritt der von Umlauft auch schon früher (Pflichtteilsminderung nach § 773a ABGB, NZ 1990, 143, 144, 146) geäußerten Ansicht bei, die Anordnung der Pflichtteilsminderung müsse zwar in einer formgültigen letztwilligen Verfügung getroffen werden, der Erbe könne sich indes auf die Minderung berufen, wenn er - abgesehen vom Fehlen eines Naheverhältnisses - aufgrund sonstiger Umstände beweisen könne, daß die Minderung vom Erblasser gewollt war. Selbst der Revisionswerber pflichtet bei, es komme auf die Auslegung (Deutung) des letzten Willens des Erblassers an. Einen der wirksamen Pflichtteilsminderung vorausgesetzten letzten Willen hat jedoch der Erblasser gar nicht erklärt, sodaß sich der Beklagte auf eine Pflichtteilsminderung in Ansehung der Klägerin allein schon deshalb nicht mit Erfolg berufen kann, ohne daß noch der wiedergegebene Autorenstreit über die Möglichkeit einer stillschweigenden Pflichtteilsminderung geklärt werden müßte.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.2 und § 393 Abs.4 ZPO.

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