OGH 1Ob51/03m

OGH1Ob51/03m25.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Amalia K*****, und 2. Marianne S*****, beide vertreten durch Dr. Rudolf Siegmund, Rechtsanwalt in Leibnitz, wider die beklagte Partei Alois O*****, vertreten durch Dr. Hans Kortschak, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen Feststellung der Ungültigkeit eines Testaments infolge des Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 6. November 2002, GZ 5 R 146/02f-67, mit dem infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Mureck vom 18. Jänner 2002, GZ 2 C 663/00b-49, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 14. 7. 1999 errichtete der spätere Erblasser vor einem öffentlichen Notar in Anwesenheit dreier Zeugen ein (formgültiges) Testament, in dem er den Beklagten zum Erben seines gesamten Vermögens einsetzte. Seine Mutter, die Erstklägerin, und auch alle etwaigen Noterben beschränkte er auf den gesetzlichen Pflichtteil. Die Zweitklägerin ist die Schwester des Erblassers. Am 30. 7. 1999 schied der Erblasser durch Selbstmord aus dem Leben.

Die Klägerinnen begehrten gegenüber dem Beklagten die Feststellung der Ungültigkeit des Testaments. Der Erblasser sei zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung auf Grund einer psychischen Störung testierunfähig gewesen. Er habe schon seit 1977 unter schweren depressiven Verstimmungszuständen mit paranoiden Ideen, verbunden mit Angstzuständen, gelitten; das Krankheitsbild einer chronischen schizoaffektiven Psychose habe sich wesentlich verschlechtert.

Der Beklagte bestritt die Testierunfähigkeit des Erblassers. Dieser habe lediglich unter depressiven Verstimmungen gelitten. Der Inhalt des Testaments sei dadurch zu erklären, dass das Verhältnis zwischen dem Erblasser und den Klägerinnen äußerst schlecht gewesen sei, was immer wieder zu Streitigkeiten geführt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers unter anderem (wörtlich) folgende Feststellungen:

" ... Das psychische Krankheitsbild beim Verstorbenen kann als schizoaffektive Störung bezeichnet werden. Verhaltenszüge wie auffällige Apathie, sozialer Rückzug und die verminderte soziale Leistungsfähigkeit sind typische Symptome dafür. Die Klarheit des Bewusstseins und der intellektuellen Fähigkeiten sind in der Regel dadurch nicht beeinträchtigt. Schizoaffektive Störungen sind schwere psychische Erkrankungen, die zeitweise mit einem Verlust des Realitätsbezuges einhergehen und die Kritik- und Urteilsfähigkeit aufheben können, wobei dies zumindest jene Bereiche betrifft, auf die sich die entsprechenden Wahnbildungen beziehen. Im Laufe der Zeit kann es zu einer Ausweitung des Wahnsystems kommen. Ein von einer derartigen Erkrankung Betroffener kann jedoch in anderen Bereichen vernünftige, zielgerichtete und geordnete Handlungen setzen. ...

.... Der Erblasser nahm bei der Errichtung des Testaments den Testiervorgang sowie auch den verfügten Inhalt des Testaments klar wahr. Die inhaltliche Entscheidung wurde von ihm bewusst, klar und eindeutig getroffen. Das Vermögen an den Beklagten zu vererben stellte keine Wahnidee dar. ..."

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Testierfähigkeit des Erblassers. Für diese sei nicht der Vollbesitz der geistigen Kräfte erforderlich. Sie werde nur durch eine Beeinträchtigung ausgeschlossen, die die Freiheit der Willensentschließung aufhebe. Der wahre Wille zur Errichtung einer letztwilligen Erklärung fehle immer dann, wenn "Verstandesgebrauch und freie Willkür" fehlten, also auch bei dauernden oder vorübergehenden Störungen, die die "normale Freiheit der Willensentschließung aufheben". Der Erblasser sei Zeit seines Lebens kontaktarm und verschlossen gewesen, und diese "Verhaltensform" habe sich zunehmend verschärft und auch einen immer weiteren, über den Verwandtenkreis hinausgehenden Personenkreis umfasst. Dennoch sei er in der Lage gewesen, freie Willensentscheidungen zu treffen, die - wie die geschäftlichen Agenden bis zu seinem Ableben zeigten - keineswegs absurd oder nicht nachvollziehbar gewesen seien. Auch die Errichtung des notariellen Testaments weise sehr wohl auf ein "überlegtes und durchdachtes Regeln seiner Angelegenheiten bzw darauf hin, dass es dem Erblasser nicht egal gewesen sei, was mit seiner Landwirtschaft zukünftig" geschehe. Es sei durchaus plausibel und nachvollziehbar, dass er dabei nicht jene Personen bedenken wollte, zu denen er aus welchen Gründen auch immer keinen Zugang gehabt und die er nicht gemocht habe. Den Entschluss, seinen Verwandten nichts zu vererben, habe er immer wieder bekannt gegeben. Auch wenn der Erblasser eine Aversion gegen seine Familie gehabt habe, die ihn bei seiner Willensbildung sicherlich beeinflusst habe, sei dadurch seine freie Willensbildung nicht aufgehoben worden.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige, und dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Erstgericht habe erkennbar aus den gutachtlichen Äußerungen des medizinischen Sachverständigen, der Erblasser sei sich sicher über den Inhalt des von ihm errichteten Testaments im Klaren und er sei auch in der Lage gewesen, den Testiervorgang als solchen sowie den Inhalt seiner letztwilligen Verfügung zu erkennen, sodass die Entscheidung von ihm bewusst getroffen worden sei, "in rechtlicher Beurteilung" die Testierfähigkeit bejaht. Das Erstgericht habe dabei zwar die grundsätzlichen Rechtssätze zur Testierfähigkeit zutreffend dargelegt und wiedergegeben. Gerade für den hier vorliegenden Fall komme aber der Prüfung, ob dem Erblasser die "normale Freiheit seiner Willensbildung" gegeben gewesen sei, besondere Bedeutung zu. Entscheidend sei, ob die Krankheit des Erblassers - so etwa die bei ihm festgestelten Wahnvorstellungen - auf seine Willensbildung bei der Testamentserrichtung von Einfluss gewesen sei. Habe ihn die Krankheit an der freien Willensbildung nicht gehindert, so sei seine Erklärung gültig. Hätten die Wahnvorstellungen jedoch bewirkt, dass die normale Freiheit der Willensbildung bei der Testamentserrichtung gefehlt habe, dann sei diese ungültig. Der medizinische Sachverständige habe in seinem Gutachten zwar ausgeführt, dass sich der Erblasser sicherlich über den Inhalt des von ihm errichteten Testaments im Klaren und auch in der Lage gewesen sei, den Testiervorgang als solchen sowie den Inhalt seiner letztwilligen Verfügung zu erkennen, er habe aber weiters ausgeführt, dass er seinen Entschluss eindeutig unter dem Einfluss von Wahn und Weltverkennung in Ausrichtung auf ein Wahnsystem, das sich ganz besonders auf seine engsten Familienangehörigen bezogen habe, gefasst habe. Nach diesen Ausführungen des Sachverständigen habe die Motivation zur Erstellung des Testaments nicht auf rationalen Überlegungen beruht, sondern sei unter dem Einfluss einer krankhaften seelischen Störung erfolgt. Das Erstgericht habe zwar festgestellt, dass der Erblasser an schizoaffektiven Störungen, somit an einer schweren psychischen Erkrankung, die zeitweise mit einem Verlust des Realitätsbezugs einhergehen und die Kritik- und Urteilsfähigkeit aufheben könne, gelitten habe, nicht aber auch, ob das Denken des Erblassers auf einem gegen die Familie gerichteten Wahnsystem basiert habe und ob er seinen Entschluss unter dem Einfluss von Wahn und Weltverkennung in Ausrichtung auf ein Wahnsystem, das sich ganz im Besonderen auf seine engsten Familienangehörigen bezogen habe, gefasst habe. Nicht nur aus dem Sachverständigengutachten, sondern auch aus Zeugenaussagen gehe hervor, dass der Erblasser sich immer mehr zurückgezogen habe, und zwar vorerst von seinen Familienangehörigen (seiner Mutter und seiner Schwester), dann jedoch auch von den Personen seiner Umgebung, seiner Nachbarschaft, bis er letztlich den Kontakt ganz abgebrochen habe. Nur mit Personen außerhalb seines Wahnsystems habe er nach den vorliegenden Beweisergebnissen normal kommunizieren und einen normalen Umgang pflegen können. All dies habe das Erstgericht aber nicht festgestellt, obwohl alle Beweisergebnisse, aus denen diese Feststellungen getroffen werden könnten, sich bereits im Akt befänden. Ob der Erblasser testierfähig war, sei nicht nur eine Frage der Tatsachenfeststellung, sondern auch Rechtsfrage, die das Gericht zu beantworten habe. Das Erstgericht habe jedoch - wie aufgezeigt - nicht alle Feststellungen zur vollständigen Beantwortung dieser Rechtsfrage getroffen. Insoweit liege daher ein sekundärer Feststellungsmangel vor. Das Erstgericht werde im zweiten Rechtsgang ergänzende Feststellungen zu treffen haben. Da die Klägerinnen in ihrem Klagevorbringen eine geistige Erkrankung des Erblassers behauptet hätten, während der Beklagte eine solche verneint habe, bewegten sich die rechtlich relevanten Fragen somit auch im Rahmen des beiderseitigen Parteivorbringens.

Eine erhebliche Rechtsfrage liege darin, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, "ob eine Beschränkung auf den gesetzlichen Pflichtteil unter Bedachtnahme auf eine gegeben gewesene schwere psychische, die freie Willensbildung bei der Testamentserrichtung ausschließende Erkrankung" (offenbar zu ergänzen: gegen eine Testierunfähigkeit spricht, weil der Erblasser damit seine engsten Verwandten zumindest nicht vollständig enterbt hat).

Der Rekurs des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht zu Unrecht einen sekundären Feststellungsmangel angenommen hat. Er ist in seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, dass die Vorinstanzen die in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätze zur Testierfähigkeit richtig dargelegt haben: Dem Erblasser fehlt die Testierfähigkeit auch dann, wenn er zwar den Willen hat, ein Testament zu errichten und auch in der Lage ist, den Testiervorgang zu erkennen, die normale Freiheit seiner Willensbildung aber aufgehoben ist (SZ 51/8, SZ 52/111, NZ 1986, 203 ua). Dieser Beeinträchtigung der Willensbildung können insbesondere Wahnvorstellungen zugrunde liegen (EvBl 1968/191), was auch nicht im Widerspruch dazu stehen muss, dass er sonst über ausreichende geistige Kapazität verfügt (NZ 1989, 212). Testierunfähigkeit ist nicht erst anzunehmen, wenn Wahnvorstellungen des Erblassers die letztwillige Verfügung erwiesenermaßen beeinflusst haben, sondern bereits dann, wenn sie den Bereich der letztwilligen Verfügung unmittelbar und offensichtlich berührten; in diesem Fall obliegt der Gegenbeweis dem durch die letztwillige Verfügung Begünstigten (SZ 63/116).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat das Erstgericht nicht etwa auf Grund einer unrichtigen Rechtsansicht notwendige Tatsachenfeststellungen nicht getroffen, sondern vielmehr den in der zuletzt zitierten Entscheidung erwähnten Gegenbeweis als erbracht angesehen. Es führte nämlich aus, bei der schizoaffektiven Störung des Erblassers handle es sich um eine schwere psychische Erkrankung, die "zeitweise" mit einem Verlust des Realitätsbezugs einhergehen und die Kritik- und Urteilsfähigkeit aufheben könne, wobei dies zumindest jene Bereiche betreffe, auf die sich die entsprechenden Wahnbildungen beziehen. Die Entscheidung des Erblassers, sein Vermögen dem Beklagten zu vererben, sei indes "keine Wahnidee" gewesen. In seinen Ausführungen zur Beweiswürdigung wies das Erstgericht insbesondere darauf hin, dass der den Erblasser über längere Zeit hindurch behandelnde Hausarzt Wahnvorstellungen nicht habe feststellen können und dass der Sachverständige sowie ein als Zeuge vernommener Arzt derartige Feststellungen lediglich auf Grund der Schilderungen Familienangehöriger bzw dargestellter Vorkommnisse getroffen hätten. Worin die Ursache für die innerfamiliären Spannungen gelegen sei, habe nicht festgestellt werden können.

Aus diesen Ausführungen in der Begründung des erstgerichtlichen Urteils ergibt sich klar, dass die Erstrichterin nach Würdigung der Beweisergebnisse zum Schluss gelangte, der Erblasser habe seine letztwillige Verfügung ohne Beeinträchtigung durch krankhafte Wahnvorstellungen, somit als Ausfluss seiner freien und nicht krankhaft gestörten Willensbildung, erklärt.

Sofern das Berufungsgericht Bedenken gegen diese Tatsachenfeststellungen hat, wird es - in Erledigung der in der Berufung enthaltenen Beweisrüge - das Beweisverfahren neuerlich durchzuführen haben. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht ist nicht zu erkennen.

Nur der Vollständigkeit halber ist zu der vom Berufungsgericht in der (sprachlich unvollständigen) Begründung der Revisionszulassung aufgeworfenen Frage, ob aus dem Umstand, dass der Erblasser seine engsten Verwandten nicht gänzlich enterbte, sondern immerhin auf den (der Zweitbeklagten gar nicht gebührenden) Pflichtteil setzte, für die Frage der Testierfähigkeit etwas zu gewinnen sei, darauf zu verweisen, dass diesem Umstand lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung Bedeutung zukommen könnte; bei einem notariellen Testament liegt es allerdings nahe, dass der Testator über das Institut des Pflichtteils belehrt wurde. Sind sonst die Voraussetzungen für die Annahme einer Testierunfähigkeit gegeben, so ist es aus rechtlicher Sicht auch ohne Bedeutung, ob das Testament ohnehin der gesetzlichen Erbfolge entspricht (SZ 51/8).

Das Berufungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die von den Berufungswerbern bekämpften Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts zu überprüfen haben, soweit ihnen für die Frage der Testierfähigkeit des Erblassers Relevanz zukommt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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