Spruch:
Ein Irrtum über den Wert oder die Absatzfähigkeit der vertragsgemäß zu übernehmenden Waren macht als Irrtum im Beweggrunde den Vertrag nur bei listiger Irreführung anfechtbar.
Entscheidung vom 28. September 1950, 1 Ob 507/50.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt die Zahlung eines Betrages von 4400 S samt Anhang, dies auf Grund eines am 1. Juli 1949 aus Anlaß der Lösung seines Geschäftsverhältnisses mit dem Beklagten geschlossenen Übereinkommens.
Nach den Feststellungen der Untergerichte haben die beiden Streitteile einverständlich ein bis zum 1. Juli 1949 bestandenes Gesellschaftsverhältnis gelöst. Aus diesem Anlasse wurde die Bilanz des Unternehmens einverständlich mit 10.000 S festgesetzt. Der Beklagte verpflichtete sich als Übernehmer der Aktiven, dem Kläger 5000 S auszubezahlen. Hievon wurde ein Betrag von 600 S bezahlt, während die Bezahlung des Restes von 4400 S vom Beklagten verweigert wurde.
Der Beklagte hat Abweisung des Klagebegehrens beantragt und sich darauf berufen, daß bei der Bilanz ein Gegenwert für das vorhandene Warenlager eingesetzt wurde, der zum Großteil für diese Waren nicht mehr erreichbar sei, da es sich um unabsetzbare Nachkriegsware handle. Dies habe wohl der Kläger, nicht aber der Beklagte bei Abschluß des Dissolutionsvertrages gewußt, so daß sich der Beklagte in einem vom Kläger zu verantwortenden Irrtum befunden habe.
Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat der Berufung Folge gegeben und im Sinne des Klagebegehrens entschieden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Einwendungen des Beklagten und Revisionswerbers gehen im wesentlichen dahin, daß die übernommene Verpflichtung zur Auszahlung von 5000 S sich auf die Annahme gegrundet habe, daß ein entsprechendes Warenlager vorhanden sei, hinsichtlich dessen sich aber nachträglich herausgestellt habe, daß die vorhandenen Waren nicht anbringlich seien, daß Beklagter somit über den Inhalt der von ihm abgegebenen Erklärung in einem Irrtum befangen war, der die Hauptsache oder eine wesentliche Eigenschaft derselben betrifft.
Mit dieser Einwendung hat aber Beklagter keinen Erklärungsirrtum nach § 871 ABGB., sondern einen unbeachtlichen Motivirrtum geltend gemacht. Ein Geschäftsirrtum liegt nur dann vor, wenn der Wille von der Erklärung abweicht oder der Erklärende sich über den Inhalt der Willenserklärung eine falsche Vorstellung macht, wenn also der Erklärende der geäußerten Erklärung eine irrige Bedeutung beimißt. Der Irrtum muß sich auf den Inhalt des Geschäftes selbst beziehen. Das ist aber nach den Behauptungen des Revisionswerbers nicht der Fall. Er gibt zu, mit dem Kläger vereinbart zu haben, daß er die vorhandenen restlichen Waren übernehmen und dem Kläger den Betrag von 5000 S auszahlen werde. Was er behauptet, ist nur, daß die Waren nicht so viel wert gewesen seien und daß er sich in einem durch den Kläger veranlaßten Irrtum über den Wert befunden habe, das aber ist die Geltendmachung eines Irrtums im Beweggrunde für das abgeschlossene Geschäft, weil er sich nicht über den Gegenstand und die Bedingungen des abgeschlossenen Geschäftes geirrt hat, sondern über die Absatzfähigkeit der von ihm anläßlich der Dissolution übernommenen Waren.
Irreführung über einen Umstand, die den Irrenden zum Vertragsabschluß veranlaßt hat, ist aber nur dann rechtlich relevant, wenn listige Irreführung vorliegt. Das hat aber der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht behauptet und ist auch nicht vom Gericht festgestellt worden.
Es war daher auf die vom Beklagten vorgebrachte Einwendung kein Bedacht zu nehmen und infolgedessen der Beklagte bereits auf Grund seines eigenen Vorbringens zu verurteilen.
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