OGH 1Ob436/51

OGH1Ob436/5112.9.1951

SZ 24/216

Normen

EO §351
ZPO §19
ZPO §529
ZPO §530
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §538 Abs1
EO §351
ZPO §19
ZPO §529
ZPO §530
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §538 Abs1

 

Spruch:

Zur Frage der Berechtigung des Nebenintervenienten zur Erhebung von Rechtsmittelklagen.

Entscheidung vom 12. September 1951, 1 Ob 436/51.

I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.

Text

Im Vorprozeß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt . C .../48 klagte Marie K. die Erben des am 17. April 1945 verstorbenen Karl P., nämlich Theresia B., Juliane F. und Gerhard P., auf Übergabe eines Legates. Karl P. habe an seinem Todestag mündlich verfügt, daß der Klägerin der eingezäunte Teil des Grundstückes 176/1 der Liegenschaft Grundbuch M. EZ. 128 samt allem, was innerhalb der Einzäunung liege, u. zw. bis zur umgeschnittenen Buche, insbesondere das Häuschen mit Einrichtung und Vieh, gehören solle. Das Bezirksgericht stellte im Urteil vom 5. Juli 1950 fest, daß der behauptete mündliche letzte Wille des Karl P. zustande gekommen sei. Was den Umfang der letzten Willenserklärung betreffe, seien sich die Streitteile hinsichtlich der Abgrenzung der Grundstücke im klaren. Das Prozeßgericht sprach der Klägerin die Liegenschaft im bezeichneten Umfang samt Häuschen und Zubehör zu. Infolge Berufung der auf Seite der Beklagten dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beigetretenen Anna A. änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß das Begehren der Klägerin auf Zuspruch der Fahrnisse abgewiesen wurde, weil Karl P. in seiner mündlichen letztwilligen Erklärung von Einrichtung oder Hausrat nichts gesprochen habe. Im übrigen wurde das erstgerichtliche Urteil bestätigt. Die Berufungsentscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Nebenintervenientin Anna A. die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 530 Z. 7 ZPO. Nach Verkundung der Berufungsentscheidung habe die Klägerin Marie K. am 15. März 1951 auf Befragen des Senatsmitgliedes Oberlandesgerichtsrat Dr. W. erklärt, daß sie selbst nicht wisse, wie groß die Liegenschaft sei, die ihr auf Grund des Urteilsspruches zufalle. Auch die Nebenintervenientin kenne das Ausmaß nicht. Da sich auf der Liegenschaft mehrere Buchen und mehrere Zäune befänden, fehle sowohl dem Legat als auch dem Urteilsbegehren die vom Gesetz verlangte Bestimmtheit. Bei Kenntnis der neuen Tatsache wäre die Klage zurückzuweisen gewesen.

Das Berufungsgericht wies die Wiederaufnahmsklage vor Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 538 Abs. 1 ZPO. zurück. Die Legitimation der Nebenintervenientin zur Erhebung der Wiederaufnahmsklage sei zu bejahen, weil Nebenintervention auch im ordentlichen Rechtsmittelverfahren zulässig sei. Ein gesetzlicher Wiederaufnahmegrund sei jedoch nicht geltend gemacht worden. Wenngleich die Klägerin die ihr in den Mund gelegte Äußerung bei der Berufungsverhandlung im Vorprozeß gemacht habe, richte sich doch die inhaltliche Bestimmtheit eines Klagebegehrens nach seinem Wortlaut und nicht nach den Vorstellungen, die die eine oder die andere Partei mit diesem Wortlaut verbinde. Abgesehen davon sei die jetzt aufgestellte Behauptung, es gebe auf der Liegenschaft mehrere Buchen und mehrere Zäune, durch die Äußerung der Klägerin nicht gedeckt und keinesfalls eine Tatsache, die - sofern sie überhaupt zutreffe - die Wiederaufnahmswerberin nicht aus eigener Kenntnis schon im Vorprozeß hätte geltend machen können. Die behauptete Äußerung der Klägerin stehe in keinem rechtlich beachtlichen Zusammenhang mit dem wiederaufzunehmenden Verfahren. Der bestimmbare Verlauf der Einzäunung könne im Exekutionsverfahren nach § 351 EO. festgestellt werden. Die Wiederaufnahmsklage sei deshalb in Ermangelung eines zulässigen, eine andere Entscheidung auch nur theoretisch ermöglichenden Wiederaufnahmsgrundes bereits im Vorverfahren zurückzuweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Nebenintervenientin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Rekursgericht hatte sich vor allem die Frage vorzulegen, ob der Nebenintervenientin des Vorprozesses die Legitimation zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage einzuräumen sei. Die Stellung des gewöhnlichen Nebenintervenienten ist nun allerdings keine selbständige in dem Sinn, daß er gegen den Willen der Hauptpartei, auf deren Seite er dem Prozeß beigetreten ist, Prozeßhandlungen setzen könnte. Der Nebenintervenient ist aber befugt, an Stelle der Hauptpartei und innerhalb der dieser zur Verfügung stehenden Frist Rechtsmittel zu ergreifen (SZ. XVII/99, AnwZ. 1931, S. 264). Solange also die Hauptpartei nicht Widerspruch erhebt, kann der Nebenintervenient für sie prozessual tätig werden, u. zw. mit derselben Wirkung, als ob die Hauptpartei selbst gehandelt hätte. Der ausdrücklichen Zustimmung der Hauptpartei zu den Prozeßhandlungen des Nebenintervenienten bedarf es nicht.

Die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens kann nach §§ 530 ff. ZPO. nur mit Klage begehrt werden. Diese ist prozessual selbständig und hängt formell mit dem Vorprozeß nicht zusammen. Materiell handelt es sich aber um nichts anderes, als um die Bekämpfung des früheren Urteils durch ein außerordentliches Rechtsmittel. Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage werden deshalb als Rechtsmittelklagen bezeichnet. Geschichtlich geht die Wiederaufnahmsklage auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand des gemeinen Prozeßrechtes, aber auch der Allgemeinen Gerichtsordnung zurück (Pollak, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., S. 622). Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (§§ 352 ff. StPO.) kennt gleichermaßen die in der Zivilprozeßordnung durchgeführte Scheidung des Wiederaufnahmsverfahrens vom Vorprozeß nicht. In welcher Form immer die Wiederaufnahme eines Verfahrens auftritt, ist sie jedenfalls als ein Rechtsmittel anzusehen, ohne daß ihre äußerliche prozessuale Selbständigkeit ausschlaggebend sein könnte.

Darum kann der Meinung Neumanns, Kommentar zu dem Zivilprozeßgesetz II, S. 1410 und der Entscheidung des Landesgerichtes Wien vom 28. August 1946, EvBl. Nr. 469, ein Nebenintervenient sei zur Erhebung der Wiederaufnahmsklage nicht legitimiert, weil er mit Rücksicht auf seine dienende Stellung keinen neuen Rechtsstreit beginnen könne, nicht zugestimmt werden. So wie dem Nebenintervenienten ein schutzwürdiges Interesse zugebilligt wird, ordentliche Rechtsmittel einzulegen, muß ihm auch das Recht eingeräumt werden, ein außerordentliches Rechtsmittel zu ergreifen, gleichviel, ob es prozessual als Klage gilt. An der Stellung der Hauptparteien wird hiedurch nichts geändert. Der die Wiederaufnahme betreibende Nebenintervenient bleibt es auch im neuen Verfahren und die Hauptpartei ist dominus litis in der Richtung, daß der Nebenintervenient im Wiederaufnahmsverfahren gegen ihren Willen für sie nicht handeln kann.

Pagenstecher (Aktiv- und Passivlegitimation für Wiederaufnahmeklagen im Zivilprozeß, ZADR. 1943, S. 167) hat ebenso wie vor ihm Hellwig (Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft, S. 181 f.), auf die Mißlichkeiten hingewiesen, die die gegenteilige, vom deutschen Reichsgericht vertretene Meinung im Gefolge hat. Auch Rosenberg (Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechtes 4, S. 715), bekämpft die äußerliche, innerlich aber nicht gerechtfertigte Begründung des Reichsgerichtes, daß die Wiederaufnahmsklage ein formell selbständiges Verfahren eröffne. Er verweist mit Recht auch auf die Tatsache, daß im judicium rescissorium die Nebenintervention jedenfalls auflebt, so daß nicht einzusehen ist, warum dies nicht auch für das Wiederaufnahmsverfahren gelten sollte.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Nebenintervenientin Anna A. berechtigt war, die Wiederaufnahmsklage einzubringen. Ihre Hauptpartei hat sich gegen die Einbringung dieser Klage nicht gewendet.

Die von der Nebenintervenientin ins Treffen geführte Äußerung der Klägerin, sie wisse nicht, wie groß der ihr von Karl P. vermachte Teil der Liegenschaft sei, kann als Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Z. 7 ZPO. allerdings nicht angesehen werden. Mit Recht verwies das Berufungsgericht darauf, daß die subjektive Unkenntnis einer Partei von dem objektiven, im mündlichen Kodizill ausgedrückten Umfang des Legates weder dieses noch das Klagebegehren zu einem unbestimmten machen könnte. Denn trotz der Unkenntnis bliebe die im Vorprozeß von den Untergerichten als erwiesen angenommene Bestimmbarkeit des Umfanges der Liegenschaft bestehen und die Äußerung der Klägerin vermöchte keinesfalls die Urteile der Untergerichte aus den Angeln zu heben. Die Möglichkeit, daß das Ausmaß der Umzäumung und der Standort der umgeschnittenen Buche in der Natur, also objektiv, nicht genau festgestellt werden könnte, bestand schon im Vorprozeß, mußte den Parteien schon damals bekannt gewesen sein und könne deshalb wegen § 530 Abs. 2 ZPO. als neue Tatsache im Sinne der Z. 7 des Abs. 1 dieser Gesetzesstelle nicht angesehen werden.

Ohne Rücksicht auf die Beweisbarkeit der geltendgemachten Tatsache kann diese die Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 530 Z. 7 ZPO. an sich nicht erfüllen. Die Klage stützt sich auf keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund. Das Berufungsgericht war berechtigt, die Klage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet in nicht öffentlicher Sitzung nach § 538 ZPO. zurückzuweisen.

Dem Rekurs mußte der Erfolg versagt werden.

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